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Als ich die Tore von Meschhed im Rücken und die Straße nach Teheran vor mir hatte, schüttelte ich den Kragen meines Rockes und rief: »Möge der Himmel euch Ungemach senden!« – Mein Reisegefährte, Derwisch Sefer, dachte ganz in meinem Sinne über Meschheds Bewohner, und so machten wir unserem Ingrimm gemeinsam Luft, ich, weil die Prügelstrafe über mich verhängt worden war, er, weil er durch die Verfolgung der Mollas viel gelitten hatte. »Was Euch anbelangt, mein Freund,« sagte er zu mir, »so seid Ihr noch so jung und müßt noch manches durchmachen, ehe Ihr die zum Leben nötige Erfahrung gesammelt habt. Murret nicht bei der ersten Niederlage, sie wird Euch wahrscheinlich vor vielen anderen bewahren und Euch ein anderes Mal lehren, selbst unter dicken Frauenschleiern einen Mohtesib zu erkennen. Aber daß ein Mann in meinen Jahren, der so viel von der Welt gesehen hat, sich gezwungen sieht, sein Wanderleben abermals aufzunehmen, das ist in der Tat ein wirkliches Unglück.«
»Und doch,« erwiderte ich, »wenn Ihr nur gewollt hättet, es müßte Euch ein leichtes gewesen sein, in Meschhed zu verbleiben. Durch regelmäßige Verrichtung Eurer Gebete und Waschungen konntet Ihr dem Argwohn der Mollas Trotz bieten.«
»Das ist allerdings sehr richtig,« sagte der Derwisch; »doch seht, das Fest des Ramasan, wo sie mich noch weit schärfer beobachtet hätten, naht heran. Weil ich aber weder fasten kann, noch fasten mag, das Rauchen mir so nötig ist wie frische Luft oder Wein, so fand ich es weit klüger, auf die Wanderschaft zu gehen, da das Gebot den Reisenden vom Fasten entbindet. Verläßt ein Schiit seinen Heimatsort im Monat Ramasan und begibt sich weiter als vier Fersach von demselben entfernt, so gilt er als Mussafir, d. h. er darf das Fasten brechen, wenn er nicht länger als zehn Tage in einer Stadt oder einem Dorfe verweilt, (Brugsch, Im Lande der Sonne.) Möglicherweise wäre es mir auch gelungen, die Mollas zu täuschen, wie früher, wo ich ebenfalls heimlich rauchte und aß. Aber eine so bekannte Persönlichkeit, wie ich nun einmal bin, die nur vom Rufe ihrer scheinbar großen Heiligkeit lebt, darf sich, wenn sie sich scharf überwacht weiß, solche Freiheiten nicht herausnehmen.«
In Semnan fühlte ich solche Schmerzen im Rückgrate, daß es mir ganz unmöglich gewesen wäre, mit der Karawane weiterzureisen, und beschloß daher, hier meine Wiederherstellung abzuwarten. Derwisch Sefer, den es nach Wein und anderen Herrlichkeiten der Hauptstadt gelüstete, setzte seine Reise fort.
Am äußersten Ende der Stadt fand ich einen Unterschlupf in einem leeren Grabgewölbe, breitete dort mein Ziegenfell in einer Ecke aus und kündigte nach der landesüblichen Weise reisender Derwische meine Ankunft an durch kräftiges Blasen in mein Horn und die laut vernehmbaren Ausrufe: »Hak! – Hû! – Allaho Akbar!« – Meiner äußeren Erscheinung gab ich den Anschein wildester Verwegenheit und konnte mir schmeicheln, meiner Erziehung zur Verstellungskunst alle Ehre zu machen. Es besuchten mich viele Frauen und bezahlten mit Früchten, Honig, Milch und andern Lappalien die Talismane, die ich ihnen schreiben mußte. Da begann mein Rückgrat mir abermals solche Schmerzen zu verursachen, daß ich mich genötigt sah, Umfrage zu halten, ob nicht jemand in der Stadt mir helfen könne. Der Barbier und der Hufschmied waren die einzigen, denen einige medizinische Kenntnisse zuerkannt wurden. Der Barbier war geschickt bei Aderlassen, konnte Zähne ziehen, gebrochene Glieder einrichten; der Hufschmied aber, der als Roßarzt eine reiche Erfahrung besaß, wurde des öfteren auch bei menschlichen Schmerzen zu Rate gezogen. Ferner gab es noch ein altes Weib, hexenhaft und vom Alter gebeugt, die in allen Fällen, wo die Kunst des Barbiers und des Hufschmieds versagte, als Orakel befragt wurde. Sie besaß eine große Anzahl von Geheimtränkchen und Rezepte für alle Gebrechen der Menschheit. Alle, die nach und nach zu mir kamen, waren darüber einig, die Störung bei mir rühre von einer Erkältung her, das Kälteste müßte mit dem Wärmsten bekämpft werden. Daher sollte der Schmied, in Anbetracht seiner Hantierung mit heißem Eisen, meinen Rücken direkt brennen. Er brachte zu dem Zwecke eine Kohlenpfanne, einen Blasebalg und einige spitze Eisen mit, machte in einer Ecke Feuer und erhitzte die Marterinstrumente. Als sie rot glühten, wurde ich flach aufs Gesicht zu Boden gelegt und mein Rücken mit feierlichem Ernste mit dem glühenden Eisen gesengt. Bei jeder Berührung riefen die Umstehenden in tiefster Inbrunst: » Khoda shefa, Dehed!« (Möge Gott ihm helfen!) Während mich die vereinte Wissenschaft meiner beiden Ärzte an dreizehn verschiedenen Stellen brannte, wurden nicht nur alle Propheten, sondern auch alle zwölf Imâms angerufen. Als diese höchst grausame Behandlung zur Hälfte überstanden war, begann ich vor Schmerzen zu heulen. Meine Peiniger ließen mich aber nicht eher los, bis ich die ganze Kur erduldet hatte. Die Heilung meiner schweren Wunden konnte nur die vollkommenste Ruhe erzielen. Ich blieb darum geraume Zeit an meine Zelle gebannt, mein Rücken war aber daraufhin ganz hergestellt, und mein Körper erlangte wieder alle seine Kräfte. Selbstverständlich wurde meine Genesung den dreizehn Heiligen zugeschrieben, unter deren Anrufung die Operation so gut gelungen; und die ganze Stadt war mehr denn je von der Heilkraft glühenden Eisens überzeugt. Ich selbst nahm an, die Ruhe sei mein bester Arzt gewesen, behielt diese Ansicht aber wohlweislich für mich und hatte nichts dagegen, die Welt im Glauben zu erhalten, ich stünde unter dem besonderen Schutze dieser großen Anzahl auserlesener Heiliger. Ich faßte den Entschluß, meine Reise nach Teheran fortzusetzen, wollte jedoch, ehe ich als Derwisch auftrat, der Bevölkerung Semnans eine Probe meines Talentes als Märchenerzähler geben. Demzufolge begab ich mich nahe dem Eingange des Basars auf einen kleinen, freien Platz, der zur Mittagszeit von Faulenzern wimmelte, kündigte laut nach herkömmlichem Brauche mein Vorhaben an; und gar bald ließ sich ein rasch versammelter Schwarm von Zuhörern auf dem für meinen Vortrag extra ausgesuchten Platze nieder. Glücklicherweise fiel mir die Geschichte eines Barbiers aus Bagdad ein, die ich zu einer Zeit vernommen, als ich selbst noch dies Gewerbe ausübte. Inmitten eines Kreises von Tölpeln und Gesindel, das erwartungsvoll die Augen aufriß und die Mäuler weit aufsperrte, begann ich mein Debüt mit folgenden Worten: »Unter der Regierung des Kalifen Harun-al-Raschid, glückseligen Angedenkens, lebte in Bagdad ein Barbier namens Ali Sakal. Er war so berühmt ob seiner sicheren Hand und seiner Geschicklichkeit, daß er mit verbundenen Augen einen Kopf rasieren und einen Bart stutzen konnte, ohne daß ein Tropfen Blut floß. Er bediente alle, die etwas auf sich hielten, und bekam bald einen so großen Zulauf, daß er hochmütig und anmaßend wurde und keinen Kopf mehr berühren wollte, so dieser nicht wenigstens einem Bey oder Aga gehörte. Holz zum Einheizen war in Bagdad stets teuer und selten; und da der Barbier sehr viel Holz in seinem Laden verbrauchte, so schafften die Holzhauer, die er immer rasch und sicher bezahlte, mit Vorliebe ihre Ladungen zu ihm. Da geschah es eines Tages, daß ein armer, unerfahrener Holzhauer, der die Tücke Ali Sakals nicht kannte, in den Laden ging und seine Ladung Holz zum Kaufe anbot, die sein Esel gar weit vom Lande hergeschleppt hatte. Ali machte sogleich einen Preis mit den Worten: ›Für alles Holz, was der Esel trägt‹ – Der Holzhauer war einverstanden, entlud das Tier und verlangte das Geld. ›Noch habe ich nicht alles Holz bekommen‹ sagte der Barbier, ›bei dem Geschäfte ist auch der hölzerne Packsattel mitinbegriffen, so wenigstens lautete unsere Abmachung!‹ – ›Hör ich recht‹ antwortete der andere, ›so ein Handel ist ja unerhört, ganz unmöglich!‹ – Kurz, nach vielem Gerede und vielem Streite nahm der übermütige Barbier den Packsattel nebst dem Holz und schickte dann den armen, niedergeschlagenen Bauern einfach fort. Dieser rannte eilends zum Kadi und setzte diesen von seinen traurigen Erlebnissen in Kenntnis. Der Kadi, ein Kunde des Barbiers, weigerte sich, den Fall anzuhören. Der Holzhauer rief einen höherstehenden Richter an, aber auch der begünstigte Ali Sakal und trachtete, die Sache von der scherzhaften Seite zu nehmen. Da wendete sich der arme Betrogene an den Mufti selbst, der nach Erwägung der Streitfrage darlegte, der Fall sei zu schwer für ihn zu entscheiden, im Koran stände darüber keine Verhaltungsmaßregel, er müsse sich über den Schaden trösten. Der Holzhacker, der sich trotz alledem nicht entmutigen ließ, nahm einen Schreiber, der eine Eingabe an den Kalifen selbst verfaßte, die der Bittsteller, wie vorgeschrieben, an einem Freitage, wenn der Kalif mit Pomp zur Moschee reitet, diesem selbst überreichen muß. Wie pünktlich der Kalif alle Bittschriften prüfte, ist bekannt. Darum währte es nicht lange, daß der Holzhauer zu ihm gerufen wurde. Als sich dieser dem Kalifen näherte, kniete er nieder, küßte den Boden, streckte die Arme gerade aus, die Hände von den Ärmeln seines Mantels bedeckt, die Füße eng aneinander geschmiegt, und erwartete in dieser demütigen, von der guten Sitte vorgeschriebenen Haltung die Entscheidung seines Falles. ›Mein Freund,‹ sprach der Kalif, ›für den Barbier spricht der Wortlaut, für dich die Gerechtigkeit. Das Gesetz muß mit Worten ausgelegt werden – Verträge müssen mit Worten abgefaßt werden – das Gesetz muß in Kraft treten, sonst ist es nichtig – Verträge müssen eingehalten werden, sonst könnte kein Mensch mehr dem andern vertrauen; – demzufolge darf der Barbier alles Holz, selbst den Packsattel behalten; aber‹ – dann flüsterte der Kalif dem Holzhauer, den er ganz nahe zu sich hergerufen hatte, etwas ins Ohr, das sonst niemand erlauschen konnte – und der Holzhauer, der wieder ganz hoffnungsfreudig dreinschaute, war entlassen.«
Hier ließ ich in meiner Erzählung eine Pause eintreten, nahm einen kleinen Zinnbecher in die Hand und sagte: »Nun, meine hohen Zuhörer, schenkt mir etwas, dann verrate ich euch, was der Kalif dem Holzhauer ins Ohr flüsterte.« Ich hatte die Neugierde meiner Zuhörer so zu steigern gewußt, daß nur wenige der Anwesenden versäumten, mir ein oder das andere Geldstück zu geben. »Also gut,« sagte ich; »was der Kalif dem Holzhauer ins Ohr flüsterte, wie er es anstellen müsse, um vom Barbier Genugtuung zu erlangen, werde ich euch jetzt alsogleich erzählen. Nachdem der Holzhauer seine tiefen Verbeugungen gemacht hatte, nahm er seinen Esel, der draußen angebunden war, beim Halfter und ging heim. Einige Tage später sprach er beim Barbier vor, als ob nichts zwischen ihnen vorgefallen wäre, und sagte, er und sein Begleiter vom Land möchten sich auch einmal seiner so berühmt geschickten Hand erfreuen. Der Preis für die zweimalige Hantierung wurde genau festgesetzt. Als des Holzhackers Kopf glatt und herrlich geschoren war, fragte Ali Sakal, wo denn sein Begleiter bliebe? ›Der steht gerade draußen‹, meinte der Holzhauer, ›und wird gleich hereinkommen‹, ging hierauf vor die Tür und führte den Esel hinter sich herein. ›Das ist mein Gefährte, den du jetzt rasieren sollst!‹ – ›Ihn rasieren?‹ schrie der Barbier in ärgerlicher Verwunderung. – ›Ist es denn nicht genug, daß ich mich erniedrigte. Euch selbst anzufassen? – Jetzt wollt Ihr mir noch den Schimpf antun, mir zuzumuten, Euren Esel zu rasieren? Packt Euch oder ich schicke Euch nach Dschahannam Hölle. – und warf die beiden zum Laden hinaus. Der Holzhauer eilte zum Kalifen, wurde vorgelassen und erzählte sein Erlebnis. ›Es ist gut,‹ sprach der Beherrscher aller Gläubigen. ›Bringt augenblicklich Ali Sakal samt seinen Rasiermessern zu mir!‹ Nach zehn Minuten stand der Barbier vor dem Kalifen. ›Warum weigert Ihr Euch, den Begleiter dieses Mannes zu rasieren?‹ fragte der Kalif. ›War das nicht vorher so abgemacht?‹ Ali küßte den Boden und antwortete: ›Wahrlich, o Kalif, so war unsere Vereinbarung, aber wer hatte je einen Esel als Gefährten oder dachte je daran, ihn wie einen Rechtgläubigen zu behandeln?‹ ›Ihr möget recht haben,‹ sprach der Kalif, ›aber wer dachte je daran, darauf zu bestehen, der Packsattel gehöre zum Holze, das darauf geladen war? Nun ist die Reihe am Holzhacker. Nehmt gleich den Esel vor, oder Ihr lernt schlimme Folgen kennen!‹ Der Barbier sah sich genötigt, eine große Menge Seifenschaum zu bereiten, das Tier vom Kopfe bis zum Schwanze einzuseifen und in Gegenwart des Kalifen und des ganzen Hofes unter dem Hohn- und Spottgelächter aller Umstehenden zu rasieren. Der arme Holzhacker jedoch wurde mit einem angemessenen Geldgeschenke entlassen. Ganz Bagdad erzählte sich die Geschichte und rühmte die Gerechtigkeit und Weisheit des Beherrschers aller Gläubigen.«