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Sechstes Kapitel

Die Gefangenen der Turkmenen

Als wir uns dann in Sicherheit befanden, stiegen wir von den Pferden, ließen diese rasten, bedurften auch selbst nach allen Anstrengungen der Nacht einiger Erholung. Einer unserer Bande hatte vorsorglich auf dem Wege ein Lamm gestohlen, das, alsbald in kleine Stücke zerschnitten, auf eiserne Ladestöcke gespießt, über einem kleinen Feuer aus gesammelten Holzstücken und dem Miste unserer Pferde geröstet, heißhungrig von uns verschlungen wurde. Unsere nächste Aufgabe war nun, festzustellen, ob die Gefangenen uns etwas eintragen könnten. Einer von ihnen, ein hochgewachsener, magerer Mann von ungefähr fünfzig Jahren, mit klugen Augen, eingefallenen Wangen und dürftigem Bartwuchse, war mit seidenen Hosen und einem Wams aus feinstem Kaschmir bekleidet. Der zweite, von gedrungenem Wüchse, rosiger Gesichtsfarbe und in mittleren Jahren, trug ein schwarzes, über der Brust zugeknöpftes Gewand und sah aus wie ein Beamter. Der dritte, ein robuster, haariger, grobknochiger Mensch, hatte bei der Gefangennahme so energischen Widerstand geleistet, daß er besonders stark gefesselt worden war. Nach beendigter Mahlzeit, deren Rest wir den Gefangenen zukommen ließen, riefen wir diese herbei, um sie über ihre Verhältnisse zu befragen. Der große Magere, auf dessen Reichtum verheißendes Äußere die Turkmenen die größte Hoffnung setzten, wurde zuerst verhört. Da außer mir keiner der persischen Sprache mächtig war, fungierte ich als Dolmetscher.

»Wer und was seid Ihr?« fragte Sultan Aslan.

»Ich«, erwiderte der Gefragte mit leiser Stimme, »möchte in eurem Interesse sogleich erwähnen, daß ich nichts bin als ein armer Teufel.«

»Was ist Euer Geschäft?«

»Ich bin Poet und stelle mich als solcher ganz zu eurer Verfügung – was bleibt mir denn anderes übrig?«

»Ein Poet!« brüllte einer aus der rohen Bande. »Zu was ist denn ein solcher gut?« »Zu gar nichts ist er gut,« wütete der Sultan; »nicht zehn Toman wird er uns einbringen – Poeten sind immer arm und leben von dem, was sie den anderen abluchsen. Wer sollte denn für einen Poeten Lösegeld erlegen?– Aber wie kommt Ihr dazu, so kostbare Kleider zu tragen?«

»Diese sind ein Teil der Hofkleidung, die mir kürzlich vom Prinzen von Schiras, nachdem ich seine erhabenen Verdienste in einigen Versen verherrlichte, verliehen wurde.«

Auf diese Erklärung hin beraubte man ihn der köstlichen Kleidung, gab ihm als Ersatz einen alten Mantel aus Schaffellen und entließ ihn bis auf weiteres.

Nun kam der gedrungene Dicke an die Reihe.

»Wer seid Ihr?« fragte Aslan, »was ist Euer Gewerbe?«

»Ich bin ein armer Kadi,« Richter. war die Antwort.

»Wie kommt es, daß Ihr in einem so schönen Bette schlieft? – – Wenn Ihr die Unwahrheit sagt, lasse ich Euch um einen Kopf kürzer machen. Alle Kadis haben Geld – – leben sie nicht davon, dem Reichsten zum Rechte zu verhelfen?«

»Ich bin der Kadi von Galadun,« antwortete der Gefangene; »ich wurde nach Ispahan gesandt, um eine Steuerangelegenheit zu ordnen.«

»Wo habt Ihr das Geld für die Steuer?« fragte Aslan lauernd.

»Ich reiste nach Ispahan, um zu erklären, daß ich nichts bezahlen könnte, weil die Ernten der letzten Jahre durch Heuschrecken und Wassermangel gänzlich mißrieten.«

»Welchen Wert hat nun so ein Kerl für uns?« fragte einer unserer Rotte.

»Ist er ein kluger, weiser Kadi, so kann er uns ein schönes Stück Geld einbringen,« antwortete der Häuptling, »wenn die Bauern darauf dringen, ihn wieder zu bekommen – – sonst aber wäre er mit einem Dinar Kleinste persische Münze. zu hoch bewertet. Wir müssen ihn festhalten, vielleicht ist er doch mehr wert als ein Kaufmann. Aber laßt sehen, ob der dritte mehr verspricht als die zwei ersten.«

Der Grobknochige wurde herbeigeholt, und Aslan befragte ihn auf seine gewohnte Art und Weise.

»Was seid Ihr?«

»Ich bin ein Färrasch,« Teppichbreiter. sagte er in mürrischstem Tone.

»Ein Färrasch?« rief enttäuscht die ganze Bande. »Nur ein Färrasch – – der Kerl lügt! – – wie kamt Ihr dazu, in einem so prächtigen Bette zu schlafen?« fragte einer.

»Es gehörte nicht mir, sondern meinem Herrn,« antwortete er.

»Er lügt!« riefen alle; »das muß ein Kaufmann sein. Gesteht, oder wir bringen Euch um.«

Vergeblich versicherte der Hartbedrängte, er sei nur ein Färrasch. Da keiner dies glauben wollte, hagelten von allen Seiten so schreckliche Püffe und Schläge auf den Unglücklichen, daß er unter Schmerzen, nur um am Leben zu bleiben, notgedrungen brüllte, er gebe zu, ein Kaufmann zu sein.

Ich aber schloß nach seinem Äußern, er sei kein Kaufmann, sondern das, was er vorgab, versicherte meinen Gefährten, daß dies eine mehr wie armselige Beute sei, und riet ihnen, den Mann laufen zu lassen, ein Vorschlag, der mir einen wahren Hagelschauer von Flüchen eintrug. Auch erklärten mir meine Waffengenossen kurzerhand, daß, wenn ich gemeinsame Sache mit meinem Landsmanne machte, ich auch sein Schicksal teilen müßte und zum Sklaven degradiert würde. So mußte ich denn schweigen und die Rohlinge nach ihrem Gutdünken verfahren lassen. Da sich das Geschäft, Gefangene zu machen, als ganz jämmerlich mißglückt erwies, waren die Turkmenen übelster Laune und stritten unter sich, was sie mit den ganz wertlosen Gefangenen beginnen sollten. Einige waren der Meinung, der Kadi müßte festgehalten, der Poet und der Färrasch aber umgebracht werden; andere wollten des Kadi schonen, rechneten darauf, durch ihn ein Lösegeld zu erlangen, und wünschten, den Färrasch als Sklaven zu behalten. Daß aber der Poet sterben müsse, darüber herrschte völlige Einigkeit. Dieser Unglückliche flößte mir das größte Mitleid ein. Seine seinen Manieren, sowie seine ganze Art verrieten, trotzdem er seine Armut betont hatte, den vornehmen Mann. Da seine Sache recht schlecht zu stehen schien, sagte ich: »Welche Torheit wollt ihr begehen? – – Den Poeten umbringen? Das wäre fast noch dümmer, als die Gans mit dem goldenen Ei zu töten. Wißt ihr denn nicht, daß Poeten häufig sehr reich sind, – – daß, wenn es ihnen beliebt, sie jederzeit große Reichtümer erwerben können, weil sie ihre Schätze im Kopfe tragen? Habt ihr niemals etwas von jenem Könige vernommen, der einem berühmten Poeten jeden seiner Verse mit einem Miskal 24 Getreidekörner sind ein Miskal. Gold belohnte?«

»Wenn das zutrifft,« meinte einer, »dann befehlt ihm unverzüglich, zu dichten, und wenn nicht jeder Vers mit einem Miskal Gold bezahlt wird, so möge er sterben.«

»Sputet Euch – – sputet Euch,« riefen alle, von der Aussicht auf so glänzenden Gewinn geblendet, dem Poeten zu. »Wenn Ihr nichts zusammenbringt, wollen wir Euch die Zunge herausreißen.«

Nach langen Verhandlungen wurde beschlossen, den drei Gefangenen das Leben zu lassen und nach Verteilung der gestohlenen Beute in unser Lager auf der Ebene von Kiptschak zurückzukehren.

Aslan versammelte uns. Jeder mußte ihm vorzeigen, was er errafft hatte. Einige schleppten Beutel, teils mit Gold, teils mit Silber gefüllt, herbei, andere goldene Pfeifenköpfe; eine silberne Wasserkanne, ein Zobelpelz und Schals kamen zum Vorschein, die größte, reichhaltigste Auswahl der verschiedensten Dinge wurde vor uns ausgebreitet. Als ich an die Reihe kam, zeigte es sich, daß ein so schwer mit Tomanen gefüllter Beutel noch niemals vorher erbeutet worden war, ein Umstand, der mir das allgemeine, begeisterte Lob der ganzen Bande eintrug. »Das hast du gut gemacht! – sehr gut! –« riefen mir alle zu. »Hadschi ist ein echter Turkmene geworden! Wir selbst hätten das nicht besser machen können!«

Das Lob meines Gebieters, des Sultans, klang besonders laut und kräftig, als er rief: »Hadschi, mein Sohn, bei meinem eigenen Leben, beim Haupte meines Vaters schwöre ich, daß du dich tapfer gehalten hast. Ich werde dir eine meiner Sklavinnen zum Weibe geben, du sollst immer bei uns bleiben, dein eigenes Zelt bewohnen, zwanzig Schafe will ich dir schenken, und bei deiner Hochzeit soll das ganze Lager von mir bewirtet werden.«

Diese huldvollen Worte gaben mir viel zu denken und bestärkten meinen fest gefaßten Vorsatz, bei der nächsten Gelegenheit meinen Feinden zu entfliehen. Unterdessen hatte ich ein scharfes Äuge auf die Verteilung gerichtet und rechnete sicher darauf, daß mir Beträchtliches zufiele. Wie bitter aber war meine Enttäuschung, als ich ganz leer ausging, man mir nicht einen einzigen Dinar zuwies. Umsonst erhob ich unwillig Einsprache gegen diese Ungerechtigkeit, vergeblich berief ich mich auf meine reiche Beute. Die kurze, sehr bestimmte Antwort lautete: »Noch ein einziges Wort, und wir schlagen dir den Kopf ab.«

So blieb mir denn nichts anderes übrig, als mit saurer Miene und Groll im Herzen mich mit dem heimlichen Besitze der fünfzig Dukaten zu trösten, während meine Gefährten wegen ihrer Anteile haderten. Daraus entstand ein allgemeiner Streit, der mit Blutvergießen geendet hätte, wäre nicht einem beigefallen: »Haben wir nicht einen Kadi unter uns hier? – Warum sollen wir hadern, er soll unsern Streit entscheiden!« So wurde denn der arme Kadi unverzüglich in ihre Mitte gebracht und zum Richter über Güter gemacht, von denen ein Teil ihm selbst gehörte, ohne die Prozente zu erhalten, die ihm rechtmäßig gebührten.


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