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Eintretender Geldmangel hatte mich leider gezwungen, mich nach einem Teilhaber umzusehen, nachdem der als Kapitän in Aussicht genommene Matrose es vorgezogen hatte, wieder zur christlichen Seefahrt zurückzukehren. So kam es, daß ich mit einem Begleiter in Ingolstadt eintraf. Unter den verschiedenen Leuten, die sich angeboten hatten und ebenso aus den verschiedensten Gründen in die Welt hinaus wollten – der eine, um etwas zu sehen, der andere, um etwas zu erleben, der dritte schlug mir vor, in Arabien Waffenschmuggel zu betreiben, der vierte konnte angeblich eine reiche Erbschaft in Australien antreten, aber es fehlte ihm am Reisegeld – unter diesen zahlreichen Reiselustigen also war meine Wahl ausgerechnet auf den einen gefallen. Und dieser eine hatte bislang das löbliche Handwerk der – Schneider ausgeübt! Ein Schneider, hatte ich mir gedacht, ist ein praktischer Gegenstand. Der kann zerrissene Hosen flicken und Anzüge aufbügeln, und auf flotte Kleidung legte ich immer großen Wert. So kam es, daß gerade er der Auserwählte wurde und Gelegenheit erhielt, mich ein Stück Weges zu begleiten, um einige Zeit, ferne von Elle und Zwirn, Erlebnisse und Abenteuer zu sammeln.
Beide standen wir am Ufer des dahinstürmenden Flusses und fanden, daß guter Rat teuer sei. Es schien nämlich nicht möglich zu sein, das schwere Boot so zu Wasser zu bringen, daß es ohne Havarie abging. Eine besondere Vorrichtung dazu war in Ingolstadt nicht vorhanden, und das Gelände war nicht sehr günstig. Ich besaß noch keinerlei Erfahrung und war der Meinung, daß man das Boot eben über Stock und Stein ins Wasser schleifen müßte. Woher sollte ich auch wissen, daß sich der Fachmann einen sogenannten Schlitten baut – ein einfaches, aus zwei Balken zusammengefügtes Gestell –, das Boot daraufsetzt und es auf diese Weise über alle Unebenheiten hinweg mühelos an jeden Ort zu schieben vermag?
Ein ansehnliches Gedränge herrschte um den Wagen, auf dem die »Bayern«, vom Spediteur in Obhut genommen, nach ihrer Ankunft in Ingolstadt den Weg zum Flußufer zurückgelegt hatte. Ein ansehnliches Gedränge von Neugierigen; denn die Ingolstädter Zeitungen hatten geschrieben, daß ein »Schiff« aus München eintreffen würde, um, die Wasserstraße der Donau benützend, in die Welt zu segeln. Dieses Schiff wollte man gesehen haben, und unter den Leuten, die die Schaulust herbeigetrieben hatte, war nun ein lebhafter Meinungsaustausch im Gange, ob dies überhaupt das in den Zeitungen angekündigte Fahrzeug wäre oder nicht. Sehr klein – viel zu klein kam es allen vor. Auch sollte es zu niedrig sein, zu schmal, zu leicht gebaut – es war nach Ansicht der Ingolstädter, mit einem Wort gesagt, ungeeignet, je ein Meer zu befahren. Stimmen erhoben sich, die behaupteten, daß in den nächsten Tagen ein Zirkus eintreffen sollte, und daß dieser Kahn wohl zu diesem gehören würde. Still und unerkannt stand ich unter der Menge und hörte mit gemischten Gefühlen zu. Dann rückte der Spediteur an, gefolgt von einigen handfesten Burschen. Schnell lüftete sich jetzt der Schleier der Ungewißheit, und die Leute hatten keine Ursache mehr zu zweifeln, daß dies in der Tat das »Schiff« und ich sein Besitzer sei. Einige ganz Kluge machten sich an mich heran und wendeten ihre ganze Beredsamkeit auf, mich zu bestimmen, im letzten Augenblick von dem wagehalsigen Unternehmen abzustehen.
Abstehen – aufgeben ... Als ob ich über ein halbes Jahr an das Boot hingebaut und einen Haufen Geld in die Sache gesteckt hätte, um mich ausgerechnet einige Stunden vor der Abreise noch anders zu besinnen!
Die Arbeiter des Spediteurs befaßten sich nun mit dem Boot. Nach einigem Schieben und Zerren hatten sie es auch glücklich vom Wagen herunter, und auf dicken Knüppeln stand es sodann im Kies. Das Schwierigste an der ganzen Sache kam jetzt. Es galt eine Strecke von allerdings nur einigen Metern bis zum Wasser zu überwinden, doch diese Strecke war mit Felsbrocken und sonstigen scharfkantigen Steinen bedeckt, die sich nicht gut aus dem Wege räumen ließen. Wenn man bedenkt, daß das Boot, so wie es dastand, ein Gewicht von annähernd dreißig Zentnern hatte und seine Planken, die ja nicht für holprige Landpartien, sondern fürs nachgiebige Wasser berechnet waren, eine Dicke von lediglich dreizehn Millimeter aufwiesen, so wird man meine Sorgen verstehen. Aber in sein Element mußte es hinein, da half kein Zögern – darum vorwärts!
Ich traf mit den Arbeitern und freiwillig sich anbietenden Hilfskräften die einfache Abmachung, daß das Fahrzeug mit äußerster Vorsicht an die steile Böschung herangerückt und geschoben, sodann langsam – langsam – so langsam wie möglich – über die Steine hinab in den Fluß gelassen werden sollte. Jedem leuchtete das auch ein. Wenigstens behaupteten das alle. Man spuckte sich in die Hände, Mützen wurden ins Genick geschoben, zwei Dutzend Fäuste packten zu, ein gemeinsam kommandiertes »Hooh – ruck, hooh – ruck!« Knirschend bewegten sich die Rollen im Kies und Sand, das Boot rührte sich. Und schoß dann unter der Einwirkung von zuviel aufgewandter Muskelkraft mit einem Satz nach vorn. Einer der Berserker hielt mit betretenem Gesichtsausdruck einen Belegnagel in den Pranken, den er vom Verdeck abgerissen hatte. Mir schwante nichts Gutes, wenn ich bedachte, daß in dieser Art noch fünf, sechs Rucke folgen sollten. Ich sah bereits die Trümmer des Bootes vor mir. Beschwörend mahnte ich daher nochmals: »Langsam – langsam – langsam, Leute!« Man versprach das möglichste zu tun, aber schon der nächste Ruck ließ mir wieder die Haare zu Berge steigen. »Hoooh – ruck, hoooh – ruck!« schallte es im Chor. Jetzt war die steile Böschung da, das Vorderteil kippte mit Wucht hinab und haute auf die Steine. So was nannte die Bande Vorsicht!
»Zurückhalten!« brüllte ich zornig, aber die Kerle, froh, daß sie das Boot endlich soweit hatten, ließen einfach los, und es rumpelte polternd, von seinem Gewicht getrieben, vollends über das Geröll hinab. Er krachte und splitterte – der Bug drängte im selben Augenblick ins aufspritzende Wasser, und die »Bayern« schwamm!
Auf die Hälfte ihrer Größe war sie plötzlich zusammengeschrumpft, aber abgesehen von dieser Tatsache sah sie jedenfalls sehr gut und schmuck aus. Schon schwang sich der Schneider an Bord, mit einem Satze folgte ich nach. Am Heck war vorher ein starkes Tau befestigt worden, dessen eines Ende noch am Ufer lag und von einem der Männer irgendwo festgemacht werden sollte, bevor uns die Strömung in ihre Gewalt bekam. Aber keiner dachte daran. Ehe wir uns versahen, trieben wir schon in der Mitte des Flusses. Weder Anker noch Ruder waren an Bord! Wenn das nur gut ging. Hilflos waren wir der Gewalt des Wassers preisgegeben. Ein Teil der Zuschauer winkte mit Tüchern und bildete sich wohl ein, daß wir die Weltreise anscheinend aus dem Stegreif antreten wollten. Soweit waren wir aber noch nicht. Hastig fischten wir vor allem das nachschwimmende Tau auf, legten es in Schlingen und gaben uns die größte Mühe, es ans Ufer zu werfen, wo uns die Leute, die inzwischen gewahr wurden, daß wir gerne wieder ans Trockene wollten, laufend und gestikulierend verfolgten. Einige schleppten sich sogar mit den Sachen ab, die wir bei unserer unfreiwilligen Abreise nicht mehr mitnehmen konnten. Aber das Seil flog nicht weiter als ein paar Meter, während des Schwingens verhängte es sich regelmäßig entweder an unseren Füßen oder sonstwo am Boot. Auch das Schleudern mußte gelernt sein, dies war die erste Erkenntnis, die ich auf dem Gebiete der Seefahrt machte.
Jetzt schrien uns die Leute zu, doch auf die Eisenbahnbrücke, die in unheimlicher Nähe auftauchte, achtzugeben. Lächerlich – als ob wir das nicht sowieso tun würden. Achtgeben – wie denn? – Einmal trieben wir mit dem Heck voran, bald schwammen wir mit der Breitseite dahin. Die Joche der Brücke wuchsen aus einem fast meterhohen Wasserschwall drohend in die Höhe, waren verteufelt eng beisammen. Wenn wir an die hinkrachten, war die Weltreise beendet, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Das stand fest. Dicke Schweißtropfen liefen uns über die Stirne, verzweifelt sahen wir das Verderben immer näher kommen. Der Schneider murmelte schon etwas von »an den Pfeilern in die Höhe klettern und das Boot einfach im Stiche lassen ...«; ich dagegen machte ihm auf unfreundliche Weise klar, daß er ein Hanswurst wäre und riß in letzter Minute ein Blindbodenbrett los, mit dem ich wütend durch den Fluß zu schaufeln begann und das Boot um Haaresbreite an den Jochen vorbeischwindelte. Wir waren durch!
Nun aber ans Ufer – 'raus!
Zu dieser Parole war aller Grund vorhanden. Bis an die Knöchel standen wir im Wasser – in etwas viel Wasser, kam mir vor. Ich hatte ganz übersehen, daß im Boden ein Loch sein mußte, denn das Krachen und Splittern beim Stapellauf durfte kaum etwas Gutes bedeutet haben. Alles Ausschauen nach einer flachen Stelle am Ufer, wo man das Boot hätte auf Grund setzen können, war erfolglos – überall abfallende Böschung. Es blieb vorderhand nichts anderes übrig als zu schöpfen und zu versuchen, das Leck nach Möglichkeit schnell zu dichten. Den Schneider traf diese verzweifelte Aufgabe. Er schöpfte – mit einem Becher erst, hernach mit einem Eimer. Doch das Wasser stieg. Zwei Eimer hatte er nun und in heller Verzweiflung kippte er sie in schneller Folge aus dem engen Kajüteneingang. Natürlich konnte er nicht schwimmen.
Endlich schob sich eine Kieszunge in den Fluß, unter dem Kiel rauschte es – Grund!
Wir waren in Sicherheit. Ein festes Tauende wurde schnell um einen Weidenstrunk befestigt, und wir sprangen an Land. Für diesmal wäre es also noch glimpflich abgegangen. In Ruhe wollten wir nun vorerst das Unheil besprechen, aber dazu war keine Zeit. Die kleine Kiesbank, auf der das Boot stand, fiel steil ab und der Kasten sackte nach der Seite hin ab. In wenigen Minuten war er halb voll Wasser. Wir retteten uns das völlig durchnäßte Gepäck ans Ufer, schlugen unser Zelt auf, dann war auch die Nacht da. Bald flutete die Donau über das Verdeck der »Bayern« hinweg. Ein trostloser Beginn – ich war, ehrlich gestanden, mutlos. Der kommende Morgen aber sah uns trotzdem unverdrossen am Werk, das Leck auszubessern und das Boot wieder flott zu bekommen. Ein großer Teil der mitgenommenen Sachen war durch die Nässe bereits beschädigt oder verdorben und flog – soweit entbehrlich erscheinend – in die Donau. Auf diese radikale Weise schufen wir uns auch Platz im Boot. An eine Weiterreise war aber noch nicht zu denken, denn ununterbrochen quoll noch immer das Wasser an allen Ecken und Enden herein, im Bootsboden mußten noch irgendwelche nicht sichtbare Risse sein.
Hatte ich eigentlich ein Boot oder ein Sieb gebaut? – Diese Frage legte ich mir wiederholt vor, während ich vom Schöpfen müde am Verdeck saß und die Füße in der Kajüte badete. Wie schön hatte ich mir alles ausgedacht – die Abreise, die Fahrt – idyllisch, romantisch – und so sah nun die Wirklichkeit aus ...
Ich erkannte, daß kein anderer Ausweg blieb, als den Kasten vollends ans Trockene zu ziehen und gründlich zu überholen. Jemand riet uns, noch zehn Kilometer stromab zu fahren, wo beim Dorfe Großmehring eine zum Herausziehen geeignete flache Stelle in der Uferböschung sein sollte. Ohne langes Besinnen schlossen wir uns diesem Vorschlage an, baggerten unsere Badewanne mit vereinten Kräften zum x-ten Male aus und trieben dann mit Ach und Weh, wieder natürlich unter stetem Schöpfen, weiter. Nach einer guten Stunde leuchteten rote Ziegeldächer von links über das Ufergebüsch, ein Kirchturm ragte in die Höhe, eine Brücke kam in Sicht – wir näherten uns der bezeichneten Stelle. Einige Leute eilten zum Ufer und schauten verwundert auf das halb seitwärtsliegende, quer dahertreibende Fahrzeug. Es waren Großmehringianer, wie sich herausstellte. Sie besorgten bereitwilligst Pferde und mit Peitschenknall und unter »Hü« und »Hott« verließ die »Bayern« wieder die Donau.
Der erste Schiffbruch lag hinter mir.
Bei einem Bauern quartierten wir uns ein, dann rückten wir dem havarierten Bootsboden zu Leibe und besserten sämtliche noch undichten Stellen aus. Nachdem dies geschehen war, wurde das Fahrzeug zu einem nahen, kleinen Teich geschleppt, wo es – versenkt wurde, selbstverständlich vollkommen ausgeräumt. Dies war zwar eine Radikalkur, aber sie half.
Das ausgedörrte Holz hatte Gelegenheit anzuschwellen, und die Nähte und vorhandenen Risse preßten sich dadurch von selbst zusammen. Nach einigen Tagen sickerte auch nicht ein Tropfen mehr durch, alles war in schönster Ordnung. Der Weiterfahrt stand nichts mehr im Wege.
Die »Bayern« wurde aufgetakelt. Bunte Wimpel und Flaggen flogen im Wind, bei Sonnenuntergang holten wir den Anker auf, der Bug pflügte sich zur Strommitte hinaus – vor uns lag die weite Welt!
Alt- und Jung-Großmehring hatte es sich nicht nehmen lassen, beim Abschied in Scharen zugegen zu sein, und winkte und schrie begeistert hurra, bis wir hinter einer Biegung verschwanden.