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Durch die wildeste Stromlandschaft Europas

Unaufhörlich wirbelten die Flocken, hoch mit Schnee bedeckt war über Nacht alles Land zu beiden Seiten des Stromes. Die Uferhöhen rückten immer dichter an ihn heran, links die Karpatenberge, rechts die serbischen Waldgebirge.

Ein Felskoloß stand bei Golubac im Wasser, hier begann allmählich der berühmte Engpaß von Kazan. Die Donau wurde darin von ihrer seeartigen Breite auf stellenweise siebzig Meter eingeengt und ihr Wasser jagte durch Schluchten, deren finstere Felswände sich beinahe tausend Meter drohend hochauf steilten, schauerlich und teilweise überhängend, daß der Himmel zuoberst oft einer gezackten Linie glich. Es war die großartigste und wildeste Stromlandschaft Europas, der schönste Abschnitt des ganzen Donaulaufes. Mit belanglosen Unterbrechungen war dieser Engpaß hundertachtzig Kilometer lang.

Die Ufer verschwanden, an den Seiten und auch rückwärts reckten sich bald endlose Mauern empor, zu deren Füßen der wirbelnde Strom vorwärts brauste.

Zuweilen schien es, als wären wir in einem Kessel, aus dem es kein Entrinnen mehr gäbe, aber um eine Wendung öffnete sich dann doch stets ein Tor. Wild und feindselig war die Landschaft, und wenn der Strom etwas ruhiger wurde, herrschte Todesstille ringsum. In ihrer düsteren, schweigenden Schönheit bot sie ein Bild ergreifender Erhabenheit.

Mit schwindelnder Eile schoß das winzige Boot dahin, sich in den Wirbeln oft um sich selber drehend. Über mächtige Riffe und Klippen schäumte das Wasser hinweg und der Bug der »Bayern« kroch dann tief in die brodelnde Flut. Ein Unfall durfte sich hier nicht ereignen, das wäre das Ende von Mann und Fahrzeug gewesen.

Eine Tafel leuchtete vom linken Ufer – 2000 Kilometer stand darauf, also lagen noch achthundert Kilometer vor uns bis zur Mündung.

Manchmal wurden die grauschwarzen, triefenden Mauern gesprengt von wüsten Schluchten und einsamen, düsteren, nebelverhangenen Tälern, aus denen heftige Böen stießen. An ein Segeln war selbstverständlich nicht zu denken, wir konnten das Fahrzeug nur treiben lassen in der Hoffnung, daß es nirgends zerschellte. Mit Hilfe der Riemen verhinderten wir, daß es sich quer in den Strom legte; das war aber alles, was wir tun konnten.

Hin und wieder gab es wirklich ein Streifchen Ufer, auf dem sich armselige Hütten erhoben. Rätselhaft, wovon die Bewohner lebten.

Seit dem frühen Morgen trieben wir durch diesen Engpaß, und erst als der Tag zur Neige ging, lehnten sich die Felsenwände etwas zurück, wurden zu Bergflanken, auf denen tief verschneite Wälder standen. Am Himmel zerriß das Gewölk, die Sonne brach noch durch, im letzten Licht flimmerten die Wasser auf, der Himmel glühte und färbte die weißen Halden blutigrot. Schatten verfinsterten Täler und Schluchten, hoch droben zog ein Adlerpaar in schweigendem Flug ...

Besorgt spähten wir nach Orsova aus und hielten uns dicht zum linken Ufer, denn wenn wir dort die Landegelegenheit versäumten, konnte es vorkommen, daß wir ins Eiserne Tor hineingerissen wurden. Endlich leuchtete es voraus auf wie ein Schwarm Glühwürmchen – die Stadt. Bald ließen wir die Anker fallen, der Engpaß war zu Ende.

Eine gewaltige Strecke hatten wir an diesem Tage zurückgelegt. Das Erlebnis einiger Stunden hatte allein die ganze Mühseligkeit der langen bisherigen Donaufahrt wettgemacht.

Ein Dampfer lag in unserer Nähe. Was stand da auf seinem Radkasten in großen Lettern? – »Bayern.« – Ein Schiff des Bayerischen Lloyd! Die Männer auf ihm freuten sich mächtig, als wir mit unserem kleinen Namensgefährten bei ihnen festmachten, und gemeinsam verbrachten wir einen gemütlichen Abend.

Anderntags fuhren wir zeitig am Morgen los, begleitet von den Glückwünschen der Besatzung und versehen mit einem Haufen guter Ratschläge. Noch galt es ein böses Stück zu bewältigen – das Eiserne Tor. Wenige Kilometer allerdings nur und jede Gefahr gehörte der Vergangenheit an. Aber an einer einzigen Stelle auf diesen wenigen Kilometern hätten wir beinahe unser Leben verloren.

Nach dem Verlassen Orsovas setzte ich bei der Türkeninsel Ada Kaleh Segel. Das hätte ich nicht tun sollen, denn die Stromgeschwindigkeit allein war schon sehr hoch, und auftretende Böen aus den Seitentälern konnten sehr gefährlich werden. Sofort nach dem Passieren der Insel kriegten wir auch eine Bö ins Zeug geflickt, sie warf sich ins Großsegel und ließ nicht mehr locker. Das Boot legte scharf nach Lee über und begann mit unheimlicher Schnelligkeit dahinzusausen. Die Warnungszeichen im Strom flitzten vorbei, es war keine Zeit mehr, darauf zu achten, ob sie links oder rechts liegen bleiben mußten. So weit als möglich rückten wir auf das Heck hinaus, um es mit unserem Gewicht niederzudrücken, da sich unter der Segellast das Vorschiff ins Wasser wühlte. Das war gefährlich, denn das Boot konnte über den Steven kentern. Ein Segelmanöver war nicht mehr möglich, dazu hätte ich beidrehen müssen, und das getraute ich mir in der reißenden Strömung nicht. Also durchgehalten auf Biegen und Brechen!

Wachsbleich kauerte Barke an meiner Seite auf der Luvkante. Natürlich konnte er, ebenso wie sein Vorgänger, der Schneider, nicht schwimmen. Was hätte aber auch hier schon schwimmen genutzt! – Die gischtumsprühten Riffe des Eisernen Tores kamen immer näher, große, runde, scheinbar stillstehende Flächen im Strom zeigten die Wirbel an.

Da – ein fürchterlicher Ruck, das Boot hielt ein in seinem rasenden Lauf, wie von einer unsichtbaren Faust gehemmt, blitzschnell wurde es auf den andern Bug geworfen, der Großbaum haute gleichzeitig mit Wucht nach Lee, schmetterte dem entsetzten Barke an die Birne, daß der erst in Budapest neu gekaufte Sombrero wie von einer Sehne geschossen davonflog – ins Wasser, in den Wirbel, wo er wie ein Stein wegsackte und auf Nimmerwiedersehen verschlungen wurde. Bruchteile von Sekunden ... das Boot lag schwer auf der Seite, ich sprang auf die hohe Kante, riß den willenlos daliegenden Barke am Kragen mit ... Wasser schoß herein – kenterten wir? – Da richtete sich im entscheidenden Augenblick der Mast auf, der Wirbel hatte uns wieder losgelassen. Schnell rissen wir jetzt das Segel herunter, Riemen raus – mit äußerster Kraft arbeiteten wir um unser Leben und erreichten eben noch die Einfahrt in den Kanal, der das Eiserne Tor bei niedrigem Wasserstand passierbar macht.

Unterhalb desselben wurde der Strom friedlich und ruhig. Die Uferberge und Höhen begannen sich zu verlieren, das Land wurde eben, der Schlüssel des Donaulaufes war bezwungen. Nun erst tat Barke seinen Mund wieder auf. Er kündigte mir die Gefolgschaft. In Giurgiu wollte er abmustern, denn dieses Boot wäre ein schwimmender Sarg, sagte er, und eines Tages ginge es bestimmt unter. Da wollte er dann wenigstens nicht an Bord sein. Nun war bereits sein zweiter Hut beim Teufel, und ich gab ihm deshalb den guten Rat, sich eine Mütze zu kaufen.

Wir befanden uns im Herzen des Balkans, der wohl geographisch noch zu Europa zählt, in Wirklichkeit aber doch Balkan ist, Orient, beginnender Osten – grundverschieden vom Westen in Sitte und Kultur. Die Bevölkerung war, wo es sich um Serben und Bulgaren handelte, freundlich zu uns, wenn sie erfuhr, daß wir Deutsche waren. Wo deutsche Soldaten während des Krieges waren, sprachen die Einheimischen mit Hochachtung von ihrer Tapferkeit, ihrer Manneszucht und ihrem anständigen Benehmen gegenüber der Bevölkerung. Wirklich begeistert waren davon – obwohl damals unsere Gegner – die Serben. Ihnen galt Deutschland als Vorbild in vielfacher Beziehung. Wenn man in einer Stadt oder in einem Dorf durch die Straßen ging, so fiel es auf, daß in den Auslagen der Läden ein ansehnlicher Teil der ausgestellten Waren – sofern es sich nicht um serbische Erzeugnisse handelte – deutscher Herkunft war. Man sah auch deutsche Eisenbahnwagen, Lokomotiven aus den Werkstätten von Maffei und Borsig. In zahlreichen Fabriken liefen deutsche Maschinen, und der Stahl der gewaltigen Donaubrücke von Pancova war in deutschen Werken entstanden – deutsche Techniker und Arbeiter hatten sie gebaut. Wo man sich hinwandte – auch in der Fremde überall Beweise deutschen Fleißes, deutscher Tüchtigkeit.


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