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Vorwärts

Fahrt auf dem Strom. Auen und Wälder säumten ihn zu beiden Seiten, bald waren seine Ufer flach, bald ansteigend, und seltsam geformte Wurzeln und Schlingpflanzen griffen oft unter Graspolstern hervor, wie sehnsüchtige Arme, in die geschäftig dahineilende Flut. Auf ihrem Rücken riß sie das kleine Boot mit sich. Wendete sich der Wasserlauf nach Süden, wendete er sich nach Norden, floß er sich selbst entgegen, er drängte doch immer vorwärts. Seltsam unwirklich schien alles, die Ruhe, die Bewegung, die stets wechselnden Landschaftsbilder, das Wasser – das endlos strömende Wasser, das manchmal zu stehen, manchmal zu sickern schien, hier breit flutete, hier reißend, schmal und tief.

Hin und wieder fehlten die begleitenden Büsche und Wälder auf den Ufern und man blickte weit hinein in das Land mit fernen blauen Höhenzügen. Satte Wiesen dehnten sich, reifende Ährenfelder wogten. Menschen arbeiteten gebückt in den Fluren – Erntezeit. Manchmal richtet sich einer auf, rief etwas, wies mit dem Arm zur Donau – man winkte mit Hüten und Tüchern, bis der Mast, das Segel, die wehende Flagge verschwunden waren. Kam uns die Lust an, so senkten wir den Anker auf den Grund, sprangen an Land schlugen das Zelt auf und rasteten. Lagen irgendwo im Wald oder auf einer Wiese in der Sonne. Vollkommen losgelöst waren wir von Zeit, Eisenbahn und Auto. Ein großartiges Erlebnis, auf eigenem Kiel einen Strom zu befahren, der so lang ist wie die dreifache Strecke von den Bayrischen Alpen zur Nordsee beträgt oder die Luftlinie von München nach Afrika, der sich durch sieben Staaten mit mindestens ebensoviel Völkern windet und sich weit im Osten ins Schwarze Meer ergießt.

Es war großartig und schön, doch nicht romantisch. Das kleine Boot wollte jeden Augenblick behütet sein. Man konnte nicht bequem sitzen und von den Nibelungen träumen, von den Römern oder Türken. Da gab es gefährliche Brückenjoche zu beachten, heimtückische Strömungen, Untiefen, Sandbänke und auch Klippen. Mehr als einmal brummten wir auf eine Kiesschwelle auf, und bald nach der Abfahrt von Großmehring war auch schon die zweite Havarie fällig. Wir rannten mit dem Mastungetüm gegen eine Brücke an und brachen es in der Mitte ab. Seit dieser Zeit lag die ganze Besegelung säuberlich zusammengelegt und verpackt auf dem Verdeck.

Erst wenn die Brückenhöhe zunahm, sollte wieder aufgetakelt werden. Unter dem Zwang der Notwendigkeit eignete ich mir schnell die notwendigen Kenntnisse an, die man bei einer Flußfahrt unbedingt braucht. Der Anker wurde mir als unschätzbares Hilfsmittel bekannt, verschiedene Zeichen im Wasser verrieten mir die sichere Fahrrinne, denn so breit das Bett auch sein mochte, war es doch sehr ungleichmäßig tief.

Man landete auch nie in der Fahrtrichtung mit dem Strom, sondern wendete das Boot erst mit dem Bug gegen diesen und näherte sich dann stromaufwärts dem Ufer. So vermied man es, irgendwo mit voller Wucht anzulaufen. Auch die Verkehrsordnung auf der Donau war mir bald geläufig geworden, und die Kapitäne der großen Schiffe riefen mir keine Verwünschungen mehr zu wie früher, als ich sorglos in ihrem Fahrwasser dahergondelte. Plötzlich gesprungene Lecke wußte ich ohne viel Umstände zu dichten. An Stelle von Werg konnte man Moos oder Wollstrümpfe zum Verstopfen nehmen, oder – handelte es sich um ein größeres Loch – man legte eine Speckseite auf die beschädigte Stelle und nagelte ein Brett darüber.

Zwar führte ich ein Tagebuch, aber die erste Zeit konnte ich wenig vermerken. Zuviel Neues stürmte da auf mich ein, um voll erfaßt zu werden.

Von Großmehring ging die Fahrt durch die Weltenburger Klause nach Kelheim. Die Befreiungshalle grüßte von ihrer Höhe herab, der Ludwig-Donau-Main-Kanal mündete ein, die ersten Lastschiffe verkehrten. Die Brücken wurden damit höher, die engen Joche verschwanden, an ihre Stelle traten wuchtige, gemauerte Pfeiler. In Regensburg erwartete uns noch die Steinerne Brücke, bei welcher die Durchfahrt sehr schwierig ist. Von der scharfen Strömung wurden wir auch richtig auf einen Wellenbrecher geworfen. Dritte Havarie – Leck!

Mit Speckseite und Brett wurde ihm zu Leibe gegangen, und zwar gleich während der Fahrt. Das Boot wurde schief getrimmt, daß das Loch aus dem Wasser tauchte. Während ich in der Kajüte das Frühstück kochte, schreinerte außenbords der Schneider mit Brett, Nägeln und Säge herum.

Straubing – Deggendorf. Wir ließen uns dort gemütlich zu einem Glas Bier nieder und lasen bei dieser Gelegenheit auch wieder eine Zeitung, ein Passauer Blatt. Da stand: »Weltreise im Segelboot.« – Das waren wir! Und am Schluß hieß es: »... kommt heute abend nach Passau ...« Heute abend – Donnerwetter, das war ja heute abend – eben jetzt! Ich hatte glatt vergessen, was ich der Redaktion geschrieben hatte. Es blieb nichts anderes übrig, als zu telefonieren, und die Passauer waren so gutmütig und warteten zwei Tage später nochmals auf das »Schiff«.

Engelhardszell. – Hier war die Grenze, rotweiße Pfähle am Ufer – ein kleines Zollamt –, Österreich. Die Heimat war hier zu Ende, aber noch nicht Deutschland. Das reicht bis Ungarn hinab.

Wann würde ich wieder zurückkehren? – Nur nicht rückwärts schauen – immer vorwärts! Mit der gelinden Traurigkeit des Scheidens kämpfte der rastlose Frohsinn des Blutes. – Vorwärts – vorwärts!

Abschiedsschmerzen ertränkt man am besten in einem Liter niederösterreichischen Weines, der ist gut und billig.

Nach Südosten zog der Strom, Land und Leute änderten sich kaum. Durch die Berge der Wachau ging es, Riffe und Klippen lauerten hier verderblich im Wasser, Burgen und Ruinen grüßten von den waldigen Höhen. Ein herrliches Stück Erde. Schleppzüge stampften stromauf, eilten zu Tal – Tag und Nacht. Alle Flaggen Europas waren auf den Schiffen vertreten, deutsche, österreichische, tschechische, ungarische, jugoslawische, rumänische, bulgarische, holländische, polnische, französische, italienische, griechische, belgische und – schweizerische. Jawohl, auch die Schweizer haben eine Handelsmarine!

Den Inhalt von sechzig Eisenbahnwagen vermag ein solcher Schleppkahn zu laden, also die Fracht eines ganzen Güterzuges. Es sind aus Stahl gebaute Kolosse, die von einem Steuermann – der mit seiner Familie an Bord wohnt – und einem Matrosen bedient werden. Auf Bergfahrt können die Schlepper nur einzeln hintereinander gefahren werden. Bei der Talfahrt werden oft vier und fünf von ihnen nebeneinandergekoppelt und drei, vier solcher Reihen hintereinander. Ein Raddampfer mit starker Maschine spannt sich davor und schleppt den Konvoi. Der Kapitän des Dampfers trägt eine ungeheure Verantwortung, denn ein falsches Kommando, ein kleiner Irrtum und Millionenwerte gehen im Strom zugrunde. Es gibt kein augenblickliches Anhalten und Bremsen. Wohl kann der Schlepper seine Maschine rückwärts laufen lassen, wenn er sich vor einem unerwarteten Hindernis sieht, aber das nützt nichts, denn von hinten schiebt ihm der Strom mit ungeheurer Wucht die Schleppkähne nach. Jede Sandbank, jede Untiefe muß daher in dem ständig veränderlichen Fahrwasser dem Kapitän oder dem Lotsen bekannt sein, jede Brücke muß er berechnend ansteuern. Es ist eine Kunst, einen solchen Schleppzug ungefährdet zu führen, kein Ozeankapitän wäre dazu imstande, wenn diese auch über ihre Berufskameraden von der Binnenschiffahrt gerne lächeln und sie »Flußkutscher« nennen.

Der Wiener Wald, der Kahlenberg kam in Sicht, der Stephansturm – Wien. Gewaltiger wurde die Donau. Sie fließt nicht durch die Stadt, sondern am Rande derselben vorbei. Bei Nußdorf aber ist eine Schleuse, durch welche man in den Donaukanal kommt, der in das Zentrum der Weltstadt zieht. Wir machten in Klosterneuburg halt und legten das Boot in einem kleinen Seitenarm vor Anker.


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