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Die elfte Woche ging zu Ende. Mein Ziel konnte nicht mehr ferne sein. Einmal mußte auch der letzte Tag kommen – und er kam.
Es gibt Erlebnisse, die man nie vergessen kann. Ein solches Erlebnis war für mich der letzte Sonnenuntergang am Ende der großen Wasserfahrt, der sich mir so unauslöschlich eingeprägt hat, weil er eben der letzte war, denn am kommenden Morgen erreichte ich Indien.
In tiefem Scharlach erglühte an jenem Abend der ganze Horizont, und Fluten von Gold und Bronze wurden zum fahlgrünen Zenit geschleudert. Etwas ganz Neues erlebte ich noch in dieser Nacht: Fliegende Fische. Etwa ellenlange Tiere mit eigenartigen Flügeln.
Ab Mitternacht herrschte Flaute, nachdem der Wind mit Sonnenuntergang ausnahmsweise nicht zur Ruhe gegangen war. Noch vor Morgengrauen aber erhob sich bereits wieder ein unsteter Ostwind, gegen den ich aufkreuzen mußte. Er brachte schweren Sumpfgeruch mit – ich witterte Land!
Der Sonnenball schoß in die Höhe, sengende Glut verbreitend. Eilig setzte ich den Tropenhelm auf und feuchtete das Nackentuch an. In das Wasser, das nun leuchtete wie mattes Gold, wurden die blauen und perlmutterfarbenen Reflexe des Himmels märchenhaft zart hineingemischt. Plötzlich tauchte ein Streifen auf am Horizont – eine Erscheinung, die ich elf Wochen nicht mehr gesehen hatte: Land! –
Indien! –
Weder Freude noch Erwartung überwältigten mich, daß dieser bisher nur märchenhafte Begriff Tatsache geworden war. Stille Genugtuung und Stolz waren es, die mich erfüllten.
Indien – ich hatte mein Ziel erreicht.
Der Traum von Wundern und Abenteuern war schon nach dem ersten Reisejahr ausgelöscht. Ich hatte längst begriffen, daß man nur mit unbeugsamer Energie Ziele erreichen kann, wie ich sie mir gesteckt hatte, und zu denen der Weg mit derartig vielen, geradezu phantastischen Hindernissen verlegt war.
Bald drei Jahre Reise im armseligen Boot, dem sich andere Leute nicht zu einer Fahrt über einen heimatlichen See anvertraut hätten. Drei Jahre – und tausend und aber tausend Kilometer Kampf und Entbehrungen, Sorgen, Krankheit, Eis, Schnee, Kälte, Stürme, glühende Hitze, Durst, Hunger, feindselige Menschen, Schwierigkeiten über Schwierigkeiten, und drückende Einsamkeit.
Nie hatte ich auch nur den geringsten Zweifel gehabt, daß ich diese Reise nicht schaffen würde. Jetzt war ich da!
Sehr seicht wurde das Meer, verschwommene Schatten schimmerten dicht unter der Oberfläche – Bänke! Noch hieß es achtgeben, um nicht im allerletzten Augenblick Havarie zu machen.
Flach bewipfelte Bäume erhoben sich hinter einem schmalen, blendendweißen Streifen Ufersandes. Einzelne Schmetterlinge taumelten wie lebende Smaragde und Saphire hilflos gegen den Landwind an, der sie unbarmherzig auf die See hinaus entführte. Prachtvoll war der Farbenglanz der Vögel, die kreischend über mich hinwegsegelten. Der erste Gruß der tropischen Natur!
Hinter einer niedrigen, mit Buschwerk bestandenen Insel glitten plötzlich mehrere Boote hervor. Ganz nahe kamen sie an mich heran. Dunkelhaarige Männer knieten in ihnen, sechs bis acht Meter lang waren die Fahrzeuge und sehr schmal, sie bestanden aus mit Bast zusammengebundenen Baumstämmen. Ihre Segel waren brandrot oder blau.
Die Männer staunten mich überrascht und schweigend an. Sie dachten nicht mehr an den Fischfang, zu dem sie wohl ausgefahren waren, und schlossen ihre Fahrzeuge wie eine Prozession in meinem Kielwasser zusammen.
Eine kleine Uferbucht. Sonderbare Hütten und Schuppen, aus Palmstämmen und Bastmatten gebaut, standen da, im leisen Winde wiegten sich dahinter hochstämmige Palmen, deren Kronen die phantastischen Formen von Fächern, Zinken und Schirmen hatten. Eine elende Mole schob sich ins seichte Wasser heraus, zwischen deren Steinblöcken sich ein armseliger Baum mit tellerflachem Geäst festklammerte. Ein Haufen kleiner, brauner Menschenkinder rannte aufgescheucht umher, von den Hütten zur Mole, von der Mole zu den Hütten. Ein unerhörtes Ereignis, die Ankunft meines Bootes in Indien! Hinter mir liefen die Fischerboote auf den Sand, ich legte an der Mole an.
Das Land schwankte unter meinen Füßen. Ein Rudel Menschen stand in respektvoller Entfernung im Halbkreis vor mir, unverständliche Worte sprechend. Keiner von den Burschen reichte mir bis an die Schultern. Ich hatte keine Furcht vor ihnen, denn ich wußte, daß die Gefahren dieses Landes, im Gegensatz zu Arabien, anderswo zu suchen waren als bei seiner Bevölkerung, die friedliebend und ergeben und seit Jahrtausenden gewohnt ist, beherrscht zu werden. Der Versuch einer Verständigung scheiterte vollkommen, man sprach nur eine von den hunderteinundfünfzig Sprachen Indiens. Alle Fragen, die ich auf deutsch, englisch, französisch, türkisch, griechisch und arabisch stellte, begegneten einem freundlichen Lächeln und hilflosen Achselzucken. Es war wohl überhaupt das erstemal, daß diese armen, unwissenden Menschen einen Weißen am Gestade ihres Dorfes sahen, noch dazu in einem so merkwürdigen Schifflein. In der Hauptsache war mir wieder um frisches Wasser zu tun, und ich machte ihnen das begreiflich. Man wies mich zu einem Brunnenloch im Sand.
Noch wußte ich nicht, wo ich eigentlich war. In welcher Richtung ich Karachi oder Bombay zu suchen hatte. Ich zeigte den Leuten die Seekarte – verständnislos betrachteten sie diese. Schließlich wußte ich mir nicht anders zu helfen, ich nahm ein Blatt Papier und zeichnete einen englischen Soldaten auf. Nun begriffen sie! Sie wiesen mich nach Norden.