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Es wäre unvernünftig gewesen, die vielfach geäußerten Sorgen der Lotsen und sonstigen Schiffer, soweit sie die Seefähigkeit meines Bootes betrafen, einfach als unbegründet abzutun. Andererseits aber war mir auf der langen Donaureise die Kunst des Segelns doch schon in Fleisch und Blut übergegangen, dann kannte ich schließlich die »Bayern« trotz der ihr noch immer anhaftenden zahlreichen Mängel als ein immerhin ganz tüchtiges Schifflein – und war daher überzeugt, dem ersten, mir durch die Fahrt mit dem »Rasmussen« nicht mehr vollkommen fremden Ansturm der See erfolgreich begegnen zu können. Ich unterschätzte die Gefahren, die mir drohten, keinesfalls, aber ich wollte ihnen mit Mut gegenübertreten. Und das Schicksal war noch immer mit dem Mutigen. Es mußte gelingen!
Vorläufig fiel das Barometer. Es fiel immer mehr, so sehr ich auch an ihm herumklopfte. Schließlich bewegte sich der Zeiger überhaupt nicht mehr. Ohne Zweifel hatte ich es kaputtgeklopft. Der Teufel schien los zu sein am Schwarzen Meer. Wie lange noch? Tag um Tag wartete ich. Und schließlich kam doch eine Besserung – wenigstens die Aussicht auf eine solche. Eines Abends sank die Sonne, umloht von einer Flut leuchtender Farben im westlichen Gewölk. Das bedeutete, wie mir ein Lotse versicherte, daß morgen schönes Wetter werden würde. Schönes Wetter am Schwarzen Meer – auch ein Begriff für sich! Aber ich wollte schon zufrieden sein, wenn es wenigstens so wurde, daß ich endlich auslaufen konnte und die wütende See sich etwas beruhigte. Noch konnte ich es nicht recht glauben, als am Dach des Lotsengebäudes die Sturmwarnung niedergeholt wurde. So stimmte also die Vermutung doch.
Am Kai erhob sich inzwischen allerorts eine rumpelnde Geschäftigkeit. Die türkischen Fischer hantierten und klapperten mit ihren Geräten herum, breiteten Tücher und bunte Teppiche aus auf die Decksplanken ihrer Boote, wuschen sich mit einer gewissen Feierlichkeit Hände und Füße, spülten sich Mund und Nase ...
Sie bereiteten sich zum Gebet ...
Eine näselnde, leiernde Stimme hing plötzlich über dem Bild. »Allah kerim ...« – »Im Namen des Barmherzigen, des Erbarmers. Dank sei Allah, dem Herrn der Welten, dem Barmherzigen der Erbarmer, dem Könige am Tage des Gerichts ...«
Irgendein Vorbeter rief die Gläubigen zum Gebet des Sonnenunterganges. Laut und hallend fielen sie auf den verschiedenen Booten in den Ruf ein und sprachen andächtig die Koransuren – mit nach Mekka gewandtem Gesicht. Dann rüsteten sie ihre Fahrzeuge zum morgigen Fang. Netze und Segel wurden eilfertig hin und her geschleppt, Bretter, Tauwerk, und Kannen gefüllt mit Benzin und Petroleum für die Motoren. Kleine Holzkohlenfeuer glommen da und dort durch die einfallende Dämmerung und Geruch von heißem Öl und schmorenden Fischen schwelte in der Luft.
Mein Entschluß stand nun fest, nicht einmal der Chefpilot, der wetten wollte, daß morgen um diese Zeit die »Bayern« zertrümmert zwischen Muscheln und Tang irgendwo am Strande liegen würde, konnte mich beirren. Morgen früh wollte ich fahren!
Eine tiefe, mondlose Nacht verschlang Sumpf und Steppe, den Strom und die Baulichkeiten von Hafen und Städtchen. In Häusern und auf Schiffen verwehten nacheinander die Lichter, nur schemenhaft waren einige Schleppkähne und Bagger in ihren Umrissen zu erkennen, müde flackerten die Flammen ihrer grünen und roten Positionslaternen. Leise knarrend wiegten sich im lauen Winde die Masten der türkischen Kaike durch einen glitzernden Sternenhimmel. Und das ewige Brausen der Brandung mischte sich hohl und bebend in das Fließen des Stromes. In gleichmäßigen Zeitabständen flammte das sich unermüdlich drehende Licht des Leuchtturmes gierig durch die schwarzsamtenen Schleier der Nacht und warf seine Strahlenbündel zwanzig Meilen über See ...
Zu später Stunde noch machte ich die »Bayern« klar für ihre schicksalsschwere große Reise, schlüpfte dann in die Kajüte und kritzelte beim dürftigen Schein einer Kerze in mein Tagebuch:
»... es ist die Nacht zum 25. April. Was birgt sie wohl für mich in ihrem Schoß? Morgen, vor Tag, gedenke ich unter allen Umständen loszusegeln, denn meine zweiundzwanzigjährige Geduld ist nun lange genug auf eine harte Probe gestellt worden. Genau vierzehn Tage liege ich in Sulina und an ein Auslaufen ist nicht zu denken. Unmöglich – sagen die Lotsen immer, zu hohe See – und ich sehe es selbst. Doch morgen ...«
Die mannigfachen Geräusche des Wassers, die mir eigentlich schon so vertraut geworden waren, ließen mich in dieser Nacht nicht zur Ruhe kommen. Schwach zerrte das Boot an seiner Ankerkette, glucksend spaltete sich die Strömung am Bug, rieselte eilig an Bootswänden und Schlingerleisten entlang und schloß sich befriedigt murmelnd wieder unter dem Heck.
Die Kerze flackerte und zeichnete seltsame Schatten. Schlaflos lag ich auf dem Rücken und betrachtete gedankenvoll die dünnen Planken und die starken Spanten, die mich umschlossen. Alles in allem: die »Bayern« war doch eine erbärmliche kleine Kiste. Wie sie sich wohl morgen benehmen würde? Jetzt kam etwas anderes, als es die Donau war!
Ich löschte das Licht und schlief dann doch bald ein.
Ein Blick auf die Uhr – erst halb zwei ...
Eine Stunde später erhob ich mich, streifiges Grau stand im Osten, der Himmel war etwas bedeckt, kalt und scharf wehte der Nordost – Fahrtwind zum Bosporus! – Ich schüttelte den Frost aus den Knochen, stand vor dem Mast und überlegte mir, die Hände tief in die Hosentaschen vergraben, was ich tun sollte. Am liebsten hätte ich weiter geschlafen. Dann aber gab ich mir einen energischen Ruck, nestelte mit klammen Fingern an der Leine herum, die das Großsegel zusammenhielt. Die Rollen in den Blöcken kreischten. In Konstantinopel sollten sie geölt werden. Polternd schlug die Leinwand hin und her, riß an Fallen und Schot, der Seidenwimpel im Topp war wie ein Pfeil nach Südwest gespitzt.
Wetterleuchten flog in dieser Sekunde drohend über den Horizont. Rasch noch die Lampen angesteckt ...
Alles klar – also los!
Ich holte das Tau ein, welches mich mit dem Lande verband, triefend von Schlamm und klirrend fiel die Ankerkette aufs Verdeck und der Anker rumpelte nach.
Fünf vor drei meldete der Uhrzeiger und schon wieder winkte ein düsteres Wetterleuchten durch die schwarze Weite vor mir. Vorwärts! Ich sprang zur Ruderpinne.
Das Segel straffte sich leicht, einmal drehte sich das Boot um sich selbst, gehorchte dem Ruder, leicht zur Seite geneigt nahm es Fahrt auf – hinaus ins Schwarze Meer.
Schon war die Bewegung der in nächster Nähe tobenden See zu fühlen. Ölglatt, aber bereits hohl glitten die Wellen mit einem schlapfenden Geräusch unter dem Boot hin, hoben es jäh auf und ließen es wieder sinken. Milchige Wassersäulen schossen zeitweise über die mächtige Mole. Wenn von rückwärts die Lichtsense des Leuchtturmes über meinen Kurs huschte, sah ich, wie sich in meinem Blickfeld das Meer zu einem Berg von beängstigender Höhe hob, der schlagartig wieder zusammenstürzte und ohne einzuhalten in einen jäh erstandenen Abgrund zu versinken schien. Unheimliches Brausen begleitete dieses gebieterische Auf und Ab und stoßartig schäumte mir jedesmal ein Wasserschwall entgegen, als sollte ich gewarnt werden weiterzufahren. Aber ich wandte weder den Kopf nach rückwärts, noch dachte ich weiter voraus als bis zur ersten Brandungswelle.
Immer näher kam der Hexenkessel – die Barre ...
Schon zersprangen die Wellen um mich, die See knallte und peitschte gegen die »Bayern«, eine schwarze Wand wölbte sich jäh auf und riß das kleine Fahrzeug spielerisch mit in die Höhe. Es ging los!
Krampfhaft umklammerten die Finger Schot und Ruderpinne. Schwarzes, blankes Wasser gurgelte und brodelte. Etwas Ungeheures überflutete mich, hüllte mich für Augenblicke vollkommen ein – aber schon war es vorbei, der Bug des Bootes wühlte sich triefend aus der Flut. Über mir blinkten die Sterne.
Das war viel für den Anfang!
Wie eine Lawine warf sich der zweite Wasserberg über das Boot – schauerlich türmten sich die Wogen auf, die Sturzseen krachten in den Raum, Mund, Ohren und Nase waren voller Salzwasser und Sand – die Luft blieb mir weg – das Segel stöhnte, der Mast bog sich durch, Stag und Wanten streckten sich – – – würde der Kasten aus den Fugen fallen? –
Ich hatte mich schnell in die gegebene Lage gefunden und führte das Boot instinktiv richtig durch die stäubenden Seen.
Lange dauerte der Kampf, es war immer das gleiche von grauschwarzen Wasserbergen, die sich um das Boot emporschaukelten und -schnellten, und wenigen Handgriffen, die man vornehmen konnte, um den Brechern zu entgehen.
Endlich lag die Barre hinter mir – voraus offene See. Ein Grund, von Herzen aufzuatmen. Damit es aber nicht zu schön wurde, hatte sich der frische Nordost zum Sturmwind entwickelt. Heulend fegte er daher. Das war also das gestern prophezeite schöne Wetter!
Sollte der Sulinaer Lotsenchef seine Wette noch gewinnen? Steif wie ein Brett stand die Leinwand. Das Boot flog dahin, wälzte sich von Backbord nach Steuerbord, von Steuerbord nach Backbord – eine Lust das Steigen, Reiten, Stürzen und Wiegen mit Wellen und Wind –, ich lenzte vor dem Nordost. – Silberhelle Wolken trieben am blauschwarzen Himmel, Lichter und Schatten fielen in raschem Wechsel auf die Schaumkämme um mich. Die Wolken verdichteten sich zu Wolkenbänken, diese zu Wolkengebirgen, unter denen einsam das Segel der »Bayern« durch dämmeriges Düster schwankte. Die Sterne tauchten im Grau unter, das Meer wurde weglos – der Tag kam an ...
Der Sturm jagte mich bald mit voller Gewalt, das Boot bog sich ächzend nach Steuerbord, die Wellen drängten gegen Südwest – in wahnsinniger Hast lief das Fahrzeug mit ihnen um die Wette.
Durch Wanten und Tauwerk heulte und pfiff es in allen Tonarten, ich sang mir ein Lied, trotzdem ich keinen trockenen Faden mehr am Leibe hatte. Die Stiefel standen voll Wasser, der Südwester war längst verloren.
Angst ... Furcht – ich kannte die beiden Gesellen nicht, in meinem Boot war kein Platz für solche Passagiere!
Ihr da drüben an der Küste – in den Städten, wißt ihr denn, wie herrlich das Ringen mit der gigantischen Kraft der entfesselten Naturgewalt ist? Nein, ihr wißt es nicht! Worte sind zu arm, es euch zu schildern. Schön – unsagbar schön ...