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Kurs Bab el Mandeb – Tor der Tränen

In den Häfen, die ich an der arabischen Küste anlief, war ich wohl immer Sensation, aber nie ein gern gesehener Gast. Oft kam das allerdings nicht vor. Kurze Stationen machte ich in Muela, el Wadi, Janbo el Bahr und Djidda. Die Beamten waren ausnahmslos Eingeborene. Sie konnten meine Papiere nicht lesen, und es gab oft große Scherereien. In solchen Fällen tat ich regelmäßig das Klügste, was ich tun konnte, ich benahm mich als Orientale – zuckte bedauernd die Achseln und lächelte unentwegt freundlich. In Europa hätten sie mich wahrscheinlich für beschränkt gehalten – hier aber kam ich mit dieser Methode am besten durch.

Gerne wäre ich von Djidda nach Mekka gereist, es war mir nicht möglich. Als ich wieder in See ging, nahm ich südwestlichen Kurs nach Port Sudan. Ich überquerte das Rote Meer nach Afrika hinüber. Bei schwachem Wind legte ich die Strecke in fünf Tagen zurück.

Port Sudan erhob sich auf gelbsandiger Küste, wie ein teuflischer Scheinwerfer hing die Sonne darüber im Firmament. Als feine, dunkle Streifen dehnten sich ferne Berge dort, wo Himmel und Wüste zusammenstoßen sollten. Außer den wenigen, von Europäern bewohnten Häusern, die inmitten kleiner Gärten standen, gab es in dieser Stadt nur langgestreckte Steinbauten, die im Tageslicht so grellweiß flimmerten, daß die Augen schmerzhaft geblendet wurden, und unter deren Säulengängen Geschäfte aller Art, Kaffeebuden, Schiffsagenturen und die verschiedensten Werkstätten nisteten. Um die öffentlichen Brunnen drängten sich dicke Frauen, Kinder und Wasserträger. Esel und Kamele wurden getränkt, das dabei verschüttete Naß sickerte durch den Boden mit all dem auf ihm verstreuten Unrat wieder in die Zisternen hinab. Auf dem großen Platze hockten dunkelfarbige Männer auf niederen Gurtenbetten, spielten Karten, tranken Kaffee und ließen die Kugeln ihrer Gebetsketten durch die Finger gleiten, welche ihnen die Last des Gebetes abnehmen sollten – eine Kugel, ein Gebet, auch wenn es nicht gesprochen wurde. Dem Temperament der Orientalen entsprechend kommen diese Kugeln nie zur Ruhe, ob sie nun spielen, streiten, handeln, fluchen – ununterbrochen »beten« sie nebenbei!

Die Händler in ihren Buden boten Räucherwerk, Bohnen, Reis, Hirse, Weizen, Kaffee, Tee und bunte Stoffe feil, wie sie von den Negern gern verlangt werden. Elfenbeinarbeiten, Dolche, kunstvolle Ledersandalen, Ketten aus Glas und afrikanischen Halbedelsteinen waren um wirklich billiges Geld zu haben. Geldwechsler machten mit einem geschlossenen Auge ein Nickerchen hinter Schubläden voll Banknoten und aufgestapelten Säulen von Gold- und Silbermünzen. Riesige Vermögen lagen auf den wackeligen, wurmstichigen Holztischchen, die auf offener Straße standen.

Was mochte doch alle diese Menschen bewogen haben, sich in der trostlosen, glühenden Sandebene niederzulassen, was war eigentlich der Zweck ihres Daseins? – Das werden wir Abendländer nie begreifen.

Auf Mytilene hatte ich eine griechische Dame kennengelernt, die in Port Sudan mit einem arabischen Großkaufmann verheiratet war. Sie hatte mich eingeladen, falls ich einmal in ihre Nähe käme, sie zu besuchen. Nun war ich da. Ich fragte mich durch zum Hause des Mister Feisal. Ein Junge brachte mich gegen Bakschisch hin. An der Eingangstür hing ein großes Schild, das mit allerhand arabischen Schriftzeichen bemalt war. Über eine finstere, wackelige Treppe stieg ich in den ersten Stock hinauf. Hinter einer Tür hackte eine Schreibmaschine, und eine laute Stimme diktierte. Aha, das Büro – stellte ich fest. Ob ich wohl den Mann meiner Freundin antreffen würde?

Nachdem ich angeklopft hatte, öffnete ich die Tür und trat ein. Es schien wirklich das Büro zu sein. Allerdings fehlte jegliches Inventar. Am Boden stand die Schreibmaschine auf einer Kiste, bedient von einem jungen Mann, der vor ihr kauerte. Daneben lagen Stöße von Papier und Büchern. An der Wand hing eine große Karte des Sudan, wahrscheinlich das Handelsgebiet des Herrn Feisal. Der Gesuchte schien aber nicht da zu sein, und ich wollte mich eben wieder entfernen, um mein Heil an einer anderen Tür zu suchen, als ich in der Fensteröffnung sitzend, einen wild aussehenden Kerl entdeckte, einen Araber. Er schaute mich so gefährlich an, daß ich ihn höflich auf Englisch fragte, wo ich wohl Herrn Feisal finden könnte. Der Araber sprang auf den Boden herab, kam zwei Schritte näher und fragte, ebenfalls in englischer Sprache: »Was wollen Sie von ihm?«

»Ich kenne seine Frau.«

»So – hm – meine Frau kennen Sie, ich bin nämlich Herr Feisal selber.«

Ich war sprachlos. Die junge, hübsche griechische Dame, die ich kannte, und dieser Kerl, der eher einem Straßenräuber als einem Händler ähnlich sah. Aber schließlich gibt es im Orient zwischen beiden sowieso fast keinen Unterschied.

Die Frau sollte verreist sein und der unheimliche Mensch bedauerte, mich nicht in sein Haus einladen zu können. Ob etwas Wahres daran war, konnte ich natürlich nicht feststellen.

Am anderen Morgen verließ ich daher bereits die ungemütliche Stadt, die es nicht wert war, daß man in ihr mehr Zeit als unbedingt notwendig verbrachte.

Arm und kummervoll war das Antlitz Afrikas, wie ich es nun an mir vorübergleiten sah. Ausgetrocknete, hellbraune Erde mit Höhenzügen, die wie Furchen in einem Greisengesicht wirkten, kahle, seltsam geformte Berge, flache, schmale Küstenstriche ohne jedes Wachstum.

Auch das Bild der italienischen Kolonie Eritrea machte davon keine Ausnahme. Ich dachte an die Proklamation Mussolinis: »Massaua, der Haupthafen Eritreas, muß der größte Hafenplatz im Roten Meer überhaupt werden.« Ich erwartete daher eine Stadt, die diesen Namen verdient. Aber jeder Ort, jeder Hafen an einsamen Küstengebieten ist ein Kaff. Warum sollte gerade Massaua eine Ausnahme machen? Es war eben auch ein Kaff.

Die ersten Häuserreihen dienten dem Fremdenverkehr, dahinter begann aber unmittelbar Afrika. Einfache Holzbauten, niedrig und fensterlos, deren zufälligerweise vorhandene Öffnungen mit Lumpen und Säcken verhängt waren. Rundliche Negerweiber trieben sich davor herum, mit einem gutmütigen Lächeln im Gesicht. Die Kleidung der Mädchen bestand aus einem Tuch, welches von den Hüften bis an die Knie reichte, ihre Brust war mit Glasperlen und blinkendem Tand reichlich geschmückt. Die Männer hatten das Haar dreieckig geschoren, so daß der Kopf aussah wie eine Pyramide. Mit schrillem Geschrei strolchten Händler und Wasserträger herum. Die letzteren schleppten ihre Last nicht mehr in Blechgeschirren wie oben im Norden, sondern sie benützten dazu Lederbeutel – Schafhäute, die sie um den Nacken trugen. Die schwarzen Kinder waren sehr mager, ihr nackter Bauch spitz und die Arme und Beinchen glichen eingesteckten Stecken. In ihr krauses Wollhaar verflochten trugen sie bunte Wollfäden oder eine Blume als Schmuck.

Auch in Massaua hielt es mich nicht sehr lange. Etwas Neues gab es nicht für mich, und so benützte ich die Zeit meines Dortseins lediglich dazu, wieder einmal nach Herzenslust Eis zu essen, Limonade und Bohnenkaffee zu trinken und dabei Karten und Briefe zu schreiben. Die Beine vertrat ich mir gründlich in der langen Straße des Fremdenviertels, das jenseits der großen Brücke begann. Viele Stunden verbrachte ich auch im Schatten der Bäume des winzigen Parkes.

Da riet mir jemand, doch nach Asmara, hinauf in die eritreischen Berge zu fahren. Eine schmalspurige Bahn führte dorthin, aber der Autobus war auch nicht teuer und ich fand es entschieden romantischer, einen solchen zu benützen. Man wies mich zum Standplatz. Ich fand den Wagen und setzte mich zur angegebenen Zeit hinein, auf die Abfahrt wartend. Aber im Orient dauert alles seine Zeit. Ich hatte Geduld und wartete – das heißt die Hitze übermannte mich, und nach drei Stunden wachte ich von einem Schläfchen auf und merkte, daß ich noch immer in Massaua war. Auf dem Trittbrett hockte vornübergesunken ein Mensch und schnarchte in behaglichen Tönen. Es war der Fahrer. Ich stieß ihn erst sanft und dann kräftig mit der Fußspitze. Jedesmal röchelte er: »Uno momento, signor – solo uno momento ...«

So verging der Tag. Aber schließlich kam doch Leben in das Geschäft. Ein Passagier nach dem andern fand sich ein, die Karre wurde gepfercht voll. Unter den Bänken wälzte sich alles mögliche Zeug, Hunde, Schafe, Schweine, kleine Kinder. Kisten, Säcke, Körbe, Ballen, Bündel, Tonkrüge und Hausrat türmten sich beängstigend hoch auf Dach und Trittbrettern. Menschen hingen sich dazwischen, einer klammerte sich an den andern. Es war unglaublich, was sich dieses Gefährt alles aufladen ließ.

Die Sonne brannte noch immer so heiß, daß ich in Schweiß gebadet war. Meine Reisegefährten stanken – mit einem Wort gesagt – bestialisch. »Ja, wann fahren wir denn nun eigentlich?« fragte ich. »Worauf wird denn noch gewartet?«

»Es haben sich noch einige Passagiere angesagt«, erklärte der Fahrer.

Da stieg ich aus – ich hatte genug!

Überhaupt erkannte ich, daß mein Bedarf an Massaua bereits gedeckt war, ich verzichtete sogar auf die angepriesene kühle, frische Luft von Asmara.

Zwischen der Landzunge Buri und den Daalakinseln ging es weiter durch den Massauakanal. Zahllose Eilande lagen im Meer, anzusehen wie trostlose, hellbraune Punkte. Da ich die Absicht hatte, die Insel Kamara zu besuchen, nahm ich nochmals Kurs auf die arabische Küste. Durch einen Irrtum geriet ich aber etwas zu weit südlich und kam auf diese Weise nach Hodeida. Hodeida lag im Yemen. Das Meer war an dieser Küstenstrecke sehr seicht. Der Hafen konnte kaum angelaufen werden. Nur für Segler oder Motorfahrzeuge mit sehr geringem Tiefgang war er überhaupt benutzbar. Tiefgehende Schiffe und Dampfer mußten draußen auf der Reede, mindestens zwei Seemeilen vom Lande ab, ankern.

Ladung und Passagiere gaben sie an herangeruderte Boote ab. Das war ein sehr einträgliches Geschäft für die Hodeidaer Schiffer. Jede Fracht, jedes Gepäckstück kostete soundso viel, und jeder Passagier auch. Dabei bestand die löbliche Gewohnheit, daß weniger zahlungskräftige Reisende selbst an Land schwimmen und waten mußten. Waren sie des Schwimmens unkundig, so durften sie sich gegen entsprechendes Bakschisch an einem Bootsrand festhalten und wurden geschleppt. Die Behörden fanden keinen Anlaß, daran Anstoß zu nehmen.

Einige Ruderschläge vom Ufer entfernt, ehe die beladenen Fahrzeuge mit ihrem Kiel am Sand aufliefen, wartete, bis an die Hüften im Wasser stehend, immer ein Schock Männer, starke, kräftige Kerle, welche die Reisenden auch ihrerseits noch zu schröpfen gedachten. Mit sehnigen Armen stemmten sie das Gepäck auf ihre wolligen Köpfe, hißten die Passagiere auf ihre breiten Schultern und wateten damit die letzten fünfzehn bis zwanzig Meter an Land.

 

Einige Tage verbrachte ich in Hodeida.

Das Gerassel und Gepolter der Winden und Krane eines angekommenen Dampfers drang gedämpft über das Meer; er lag sehr weit draußen auf der Reede. Eine Menge Boote umschwärmte ihn in der Hoffnung, Ladung zu erhalten.

Ich saß schon eine Weile beschaulich auf dem Wellenbrecher, der den Hodeidaer »Hafen« beschützte, und unterhielt mich mit einigen Burschen, die, ein paar Meter abseits bis zum Gürtel im Wasser stehend, auf die Rückkehr eines der Boote warteten. Sie stritten mit viel Stimmaufwand, wer von ihnen Passagiere und wer Gepäck an Land tragen dürfe. Bei dieser Auseinandersetzung kam es so weit, daß auch die Hände zu Hilfe genommen wurden. Die Kerle gerieten dicht aufeinander und wühlten dabei mit ihren Füßen den Sand auf, so daß das Wasser in weitem Umkreis trübe und undurchsichtig wurde.

Am Kai lungerte eine Menge Menschen herum und schaute zum Dampfer hinaus. Keiner beachtete die Streitenden. Derartige Auftritte waren für sie nichts Besonderes. Plötzlich begann aber einer von den Streitern hellauf zu brüllen, während die anderen mit hoch geschwungenen Armen und entsetztem Gekreische durch das aufspritzende Wasser ans Ufer stürmten. Erst dachte ich, sie hätten den brüllenden Kerl, der keine Miene machte, ebenfalls ans Trockene zu eilen, geschlagen. Dann aber sah ich, daß sich sein Gesicht auf schreckliche Weise verzerrte. Schauerlich klang sein Geheul. Dies alles ereignete sich in wenigen Sekunden, und nun bemerkte ich plötzlich, wie das Meer schäumte, das meterlange, hellfarbene Ende eines Fisches schnellte einen Augenblick in die Luft, peitschte zurück und verschwand. Ein Hai ...

Am Ufer war nun Leben in die Leute gekommen, alles rannte und schrie durcheinander, mit schlenkernden Händen auf den Mann im Meer deutend: »Rettet ihn – rettet den armen Teufel! – Wer rettet ihn ...?«

Aber niemand traf Anstalten, diese Aufforderung als erster in die Tat umzusetzen, einer wartete auf den anderen. Das trübe Wasser um den Mann färbte sich rot ...

Zu Tode erschrocken überlegte ich nicht lange und sprang mit einem Satz vom Wellenbrecher hinunter ins Wasser, watete an den Unglücklichen heran, faßte ihn um die Brust und versuchte, ihn nach rückwärts zu schleppen.

An Land jubelten und tobten sie, und nur ein Wermutstropfen fiel in die allgemeine Freude der Muselmänner: Ein Ungläubiger mußte es sein, ein Giaur, der ihn rettete. Warum war keinem von ihnen dieses gottgefällige Werk vorbehalten geblieben?

Der Unglückliche heulte und jammerte, und noch ehe ich ihn ganz an Land hatte, wimmerte er nur noch. Ein Dutzend Arme waren jetzt plötzlich hilfsbereit. Ich sah, daß die Hände, mit denen er den Hai abzuwehren versucht hatte, und das eine Bein nur noch aus Stummeln bestanden. Blut färbte den hellen Sand. Wenige Minuten später war er glücklicherweise tot.

Man geriet in keine große Aufregung darüber. Warum auch? Sterben mußte schließlich jeder einmal nach dem Willen Allahs. Man beugte sich über den toten Mann, besprach seine Verletzungen, während man nicht unterließ, die Kugeln der Gebetskette durch die Finger gleiten zu lassen. Man wandte sich dann achselzuckend ab und ging, um anderen Neugierigen den Platz frei zu machen.

Die Kameraden des Verunglückten standen inzwischen schon wieder an der gleichen Stelle im Wasser und luden zankend die Fracht eines eben angekommenen Bootes aus.

»Nur gut«, sagte am selben Abend ein Polizeibeamter zu mir, der mir den Weg zum Hafen wies, »nur gut, daß Derartiges nicht zu oft vorkommt. Es ist sehr selten, daß sich ein Hai ins seichte Wasser verirrt. Wir müßten sonst noch eine Brücke bauen. Bisher war es wirklich überflüssig, denn nur hin und wieder wird einer gebissen. Das ist eben nicht zu vermeiden. – Kismet wal Allah rabbana – Schicksal und Gott ist unser Herr!« Achselzuckend sagte er das.

Seltsame Gegenwartsmenschen, diese Orientalen, so unempfindlich für alles Vergangene, daß die wenigsten wissen, wie alt sie sind!

»Was gibt's?« fragte ich, als der Mann stehenblieb. Ein Skorpion kroch vor uns über den Weg. Skorpione sind sehr giftig: ihr Stich verursacht gräßliche Schmerzen und wirkt fast immer tödlich. Lächelnd wandte mir der Araber sein dunkles Gesicht zu, als er mit der Laterne, die er in der Hand trug, auf das Tier wies. Dann hob er seinen nackten Fuß und trat es tot ...

 

Bab el Mandeb – das Tor der Tränen, Afrika an Steuerbord, die Gebirge Arabiens an Backbord. Das Meer verengte sich, ein Dampfer nach dem anderen passierte die Wasserstraße. Der Golf von Aden nahm mich auf.

Ich konnte keine Träne vergießen, als ich das Tor passierte. Im Gegenteil – ich war herzlich froh, das Rote Meer hinter mir zu haben. »El Hamdu – lil – iha« – Dank sei dem Herrn der Welten!

Neun lange Wochen hatte ich gebraucht. Ich war nicht wahnsinnig geworden, wie man mir vorhergesagt hatte.

Schroffe Randgebirge säumten die Küste. Mit beinahe östlichem Kurs lief ich gegen Aden.

Ich war schon vorbereitet und daher nicht mehr überrascht: Aden war die trostloseste Stadt, die ich bisher auf meiner Reise angetroffen hatte.

Eine richtige Wüstenstadt. Datteln, Feigen, Gewürze, Kaffee und Weihrauch wurden hier in der Hauptsache gehandelt. Kamele zogen hochrädrige Wagen, beladen mit Teppichen, Brettern oder anderen Lasten. Beinahe hätte mich eines dieser Tiere überrannt, denn sie weichen nicht aus wie die anderen Vierbeiner. In Aden sah ich auch die ersten Türme des Schweigens, am Ende einer langen Bergstraße hinter den Felsen. Es waren dies etwa zehn Meter hohe, weiß getünchte Mauern, die einen etwa fünfzehn Meter weiten Hof umschlossen. In halber Mauerhöhe bemerkte ich eine Holztüre, zu welcher eine Schanze hinaufführte. Leider konnte ich nicht in das Innere, aber ich ließ mir den Sinn und die Einrichtung erklären. Diese Türme gehörten den Parsen, einem eigenartigen Volk, das sehr zersplittert hauptsächlich in Persien und Indien lebt. Es ist ein tüchtiger, lebensfähiger, schöner Menschenschlag, der peinlich darauf achtet, seine Rasse rein zu halten und daher auch keine Mischehen eingeht. Die Hautfarbe dieser Parsen ist nahezu weiß. Kein Asiate kann sich in Geschäftstüchtigkeit mit ihnen messen. Von ihren merkwürdigen Religionsgebräuchen verdient hervorgehoben zu werden, daß sie in beständiger Furcht leben, sich zu verunreinigen. So dürfen zum Beispiel ihre Lippen keine Speisen berühren, sie werfen sich diese in den Mund. Ihre Toten dürfen weder begraben, noch verbrannt oder ins Wasser versenkt werden, da sonst Erde, Wasser und Feuer für immer unrein würden. Deshalb bauten sie die Türme des Schweigens. Dorthin werden die Leichen unter besonderen Zeremonien gebracht. Der Hof in ihrem Inneren ist in drei Kreise eingeteilt, von denen einer etwas tiefer in den Boden gesenkt ist als der andere. Für Kinderleichen ist der innere und kleinste Kreis bestimmt. Frauen kommen in den zweiten, und die Männer werden in den äußersten Kreis gelegt. Hunderte von Raubvögeln lauern auf den Kronen der Mauern, und sowie sich die Leidtragenden von der Leiche entfernt und die Türe geschlossen haben, stürzen sie sich darauf; wenige Stunden später sind nicht einmal mehr die Knochen übrig.

 

Ein halbes Jahr schon fuhr ich eine Empfehlung an eine englische Familie in Aden in meinen Taschen herum. Der Brief sah fürchterlich aus. Mehr als einmal war er vollkommen durchgeschwitzt worden, die Schrift verlaufen und der Umschlag des Briefes machte den Eindruck, als wäre er längere Zeit als Einlegesohle in einem Schuh verwendet worden. Es war mir schon etwas unangenehm, als ich das Schreiben in einem solchen Zustand überreichen mußte. Aber es tat restlos seine Wirkung. Ich wurde herzlich aufgenommen. So kam ich wenigstens zu einer schönen Erinnerung an Aden.

Wenn jemand verzweifeln will, ist ihm zu raten, unverzüglich dort hinzureisen. Die einzige Unterhaltung im ganzen Ort war am Hafen zu finden. Dort wurde man dauernd von kleinen Araberjungen angebettelt, ihnen Geldmünzen ins Meer zu werfen, nach denen sie dann blitzschnell tauchten, trotz der vielen Haie! Auch ich ließ mich von dieser schlechten Sitte anstecken, und obwohl ich durchaus kein Geld wegzuwerfen hatte, verschaffte ich mir doch eine Handvoll kleiner Münzen und ließ die Buben ihren Sport ausüben. Mit einer unfaßbaren Frechheit schwammen sie dabei den gefräßigen Haien vor den Nasen herum.

Eine Woche vermochte mich die Gesellschaft meiner Gastgeber festzuhalten, dann zog es mich wie mit tausend Stricken wieder in die Ferne. Ich dachte nur an eines: Vorwärts! Indien war nahe – mein Ziel! Die Unrast plagte mich. Ich rüstete zum letzten Sprung.

Mein Gastfreund hatte die »Bayern« auf seine Rechnung kalfatern und neu anstreichen lassen. Nun kaufte er mir noch eine Unmenge guten Proviant. In der Hauptsache Fischkonserven, Schokolade, Schiffszwieback, Corned beef, Butter in verlöteten Dosen, Käse, Feigen, Datteln. Wenn ich es mir einigermaßen haushälterisch einteilte, brauchte ich vier Monate lang keine Lebensmittelsorgen zu haben.

Die Kameradschaft der Engländer war großartig. Ich hatte dies schon mehrmals feststellen können. Sie respektierten das, was ich geleistet hatte und brachten mir eine gewaltige Hochachtung entgegen.

Wo auch die »Bayern« mit ihrer schwarzweißroten Flagge am Heck aufgetaucht war, hatte sie für Deutschland geworben. Es war nicht viel, aber für viele Menschen war ich der erste Deutsche, den sie zu Gesicht bekamen, und viele lernten zum erstenmal die deutsche Flagge kennen. Ich darf wohl sagen, daß ich mit meiner sportlichen Tat meine Heimat überall gut vertreten habe.


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