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Als ich Aden verließ, hatte ich die Absicht, ständig an der Küste entlang nach Oman zu fahren. Kurze Zeit darauf, es war zwischen den Orten Haura und Makalla, trug sich aber folgendes zu:
Dicht unter Land segelnd glaubte ich eine Strecke landeinwärts in der dem Gebirge vorgelagerten Wüste Gesträuch oder Bäume wahrzunehmen. Es schien nicht ausgeschlossen, dort oder in der Nähe auf Wasser zu stoßen. Obwohl ich vorläufig genug davon im Tank hatte, wollte ich keine Gelegenheit vorübergehen lassen, mir jedes verbrauchte Liter nachzuschaffen. Denn am Trinkwasser hing in diesen Gegenden das Leben. An nichts anderem als am Trinkwasser!
Ich warf also den Anker über Bord, und ausgerüstet mit einem Tonkrug, meiner Bezard Bussole, dem Feldstecher und – in den letzten Monaten – meinem unzertrennlichen Begleiter, dem scharf geladenen Karabiner, machte ich mich auf den Weg. Jemand hatte mir einmal ein französisches, bratspießähnliches Bajonett geschenkt, und ich hatte es mit wenigen Handgriffen so hergerichtet, daß ich es auf meinem Karabiner befestigen konnte. Ich war damit im Besitze eines guten Verteidigungsmittels, man konnte nie wissen, wie man überraschend in die Lage kam, es gebrauchen zu müssen. Durch eine Sandschlucht stieg ich auf die Höhe der ersten Düne, entdeckte aber oben nichts als wellige, weitgedehnte gelbe Wüste. Einige hundert Meter arbeitete ich mich durch den Sand vorwärts. Bis über die Knöchel versank ich bei jedem Schritt. Da hielt ich überrascht an: eine Spur.
Ohne Zweifel – hier waren Tiere gegangen, Kamele. Wo es Kamele gab, mußten sich auch Menschen befinden. Eine Weile erinnerte ich mich der vielen Warnungen, keine unbewohnten Küstengebiete anzulaufen, und überlegte, ob ich dieser Spur folgen sollte, oder ob es nicht ratsamer wäre, umzukehren.
Bis zu den Bäumen, dachte ich mir, gehst du mal – dann kehrst du wieder um. Wenn hier auch Menschen vorübergekommen waren, sie mußten sich ja nicht gerade in der Nähe aufhalten, wer weiß wo sie waren. Die Spur konnte viele Stunden alt sein.
Unter solchen Überlegungen ging ich weiter. Der Boden senkte sich etwas, in ganz kurzem Abstand erblickte ich bereits das Buschwerk, das mir von der See aus aufgefallen war, dann geriet ich in eine Mulde und hielt unvermutet vor einem – Menschen!
Ein Mensch in der Wüste ...
Drei Kamele standen da, zwischen ihnen kniete der Beduine und machte sich am Boden zu schaffen. Mich sehen und mit einem Satz aufspringen war eines. Wortlos starrte er mich wie ein Gespenst an. Meine ganzen arabischen Kenntnisse zusammennehmend grüßte ich ihn freundlich und bat um Wasser.
Keine Antwort.
Mit stechenden Blicken musterte mich der Kerl weiterhin unentwegt. Vor allen Dingen schien er sein Augenmerk auf meine Bewaffnung zu richten. Endlich redete er etwas. Ich begriff, was er wissen wollte – ob ich allein sei oder ob noch andere da wären?
Eine neugierige Frage, und ich beantwortete sie ungeschickterweise wahrheitsgemäß. Vielleicht hat er Angst, dachte ich mir, und um ihn versöhnlich zu stimmen, bemühte ich mich, ihm klarzumachen, daß nur ich und sonst niemand da wäre.
Gleich darauf kam mir zum Bewußtsein, wie dumm ich eigentlich gehandelt hatte. Kurzerhand machte ich kehrt und begann so schnell wie möglich davonzueilen. Es war weniger Angst, was mich trieb, als die Ahnung einer drohenden Gefahr. Zudem hatte ich das Gefühl, daß der Kerl nicht allein da war. Ein Messer oder eine Kugel aus dem Hinterhalt konnte schnell angeflogen kommen. Darum fort, fort, so schnell wie möglich.
Nie wieder wollte ich die Küste anlaufen, gelobte ich mir in diesen Minuten, wenn ich unbeschadet aus diesem Abenteuer hervorgehen würde. Der unheimliche Beduine hatte sich aber gleichzeitig mit mir in Bewegung gesetzt und lief dicht an meiner Seite her. Er war mindestens so groß wie ich. Mit langen Schritten trachtete ich zur See hinabzukommen. Der Kerl ließ nicht locker. Ich zog noch weiter aus – er ebenfalls. Plötzlich hielt er mich am Arm fest und faßte nach dem Feldstecher, der am Riemen um meinen Hals hing. Ich zog es vor, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, erklärte ihm die Handhabung und ließ ihn durchschauen. Er stieß einen Laut der Überraschung aus, setzte das Glas ab, betrachtete es in den von sich gestreckten Händen haltend mit scheuen Blicken von allen Seiten.
»Nun reicht's schon«, sagte ich, »gib es nur wieder her«, und machte Anstalten, ihm das Glas zu nehmen.
Aber der Kerl war nun ganz Habgier geworden. Er machte eine rasche Bewegung zur Seite und wollte das Glas verschwinden lassen, während er mit der freien Hand frech nach dem Ledertäschchen fingerte, das meine Bussole enthielt.
Na warte, Bürscherl ...
Blitzschnell versetzte ich ihm mit dem Karabinerkolben einen sehr angemessenen Hieb auf das rechte Schienbein, eine bekanntlich sehr empfindliche Stelle. Ebenso angemessen knickte er auch sofort zusammen und ließ mit schmerzverzerrtem Gesicht meinen Feldstecher fallen, den ich nun gelassen aufhob. Während ich weiterging, saß mir ein unbehagliches Gefühl im Nacken. Hätte ich doch rückwärts Augen gehabt! Nur noch ein paar Minuten, keine hundert Meter trennten mich mehr von der Küste. Hundertfünfzig Schritte – hundertachtundvierzig – hundertvierzig – hundertneununddreißig ...
Teufel, man rutscht immer zurück, der Sand war stellenweise sehr tief. – Bald war ich in Sicherheit.
Da war aber auch schon der Halunke wieder. Er hatte sich aufgerafft und humpelte mühsam neben mir her, ohne Pause murmelte sein Mund Verwünschungen gegen mich – unmenschliche Verwünschungen!
Endlich erblickte ich die »Bayern«. Ich atmete auf.
Der andere verhielt den Schritt etwas und sah aufmerksam in die Runde. Er schien sich überzeugen zu wollen, daß ich tatsächlich allein war. An der einzelnen Spur, die vom Boot wegführte, konnte er dies ja nicht feststellen.
Plötzlich klammerten sich seine dürren Finger um meinen Hals, mit einem katzenartigen Satz hatte er sich auf mich geworfen. Doch er hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Ich ließ den Karabiner fallen und machte mich mit einem einzigen Jiugriff frei. Gleichzeitig versetzte ich ihm einen derartigen Schlag ins Gesicht, daß er stöhnend zurücktaumelte. Ich sprang zur Seite, mich sofort nach meinem Karabiner bückend – da hatte er sich auch schon wieder aufgerafft. Eine Waffe blitzte in seiner Faust. Ehe er den Dolch auf mich schleudern konnte, hatte ich ihm das Bajonett in die Hüfte gerannt und riß den Karabiner wieder zurück. Das Bajonett hatte aber nur lose auf seiner Befestigung gesessen, und als ich diese Bewegung ausführte, löste es sich vom Schaft und blieb wie ein Pfeil in der Wunde stecken. Wer nun annimmt, daß so ein Araber, mit fünfzehn Zentimeter Eisen im Leib, zur Vernunft käme, der irrt sich gewaltig. Im Gegenteil – der Kerl schien überhaupt nichts mehr zu fühlen. Weder den Hieb auf das Schienbein, noch den Schlag in sein Galgengesicht, noch das Bajonett. Einen hellen Wutschrei ausstoßend, warf er sich neuerdings auf mich.
Komm nur ...
Jetzt mußte ich der Schnellere sein. Der Kolben fauchte durch die Luft – es krachte, als hätte ich auf einen Kürbis gedroschen. Ein Araberschädel verträgt allerhand. Ächzend sank der Halunke in den Sand, noch immer das Eisen im Leib, er blutete kaum aus der Wunde.
Nun ins Boot! Es tat mir leid, die Waffe, die mir noch gute Dienste leisten konnte, hier zurücklassen zu müssen. So wollte ich mich eben niederbeugen, um sie an mich zu nehmen, als mich ein Ruf auffahren ließ.
Der Genosse des Banditen!
Ehe ich ihn gesehen hatte, wußte ich das. In gewaltigen Sprüngen setzte er die Düne herunter, einen blinkenden Dolch in der Faust. Dreißig Meter mochten ihn noch von mir trennen. Hier ging es um meinen Kopf – im wahrsten Sinne des Wortes.
Ich verzichtete auf den Tonkrug und auf das Bajonett und ergriff das Hasenpanier – das einzig Richtige, was ich in dieser Lage tun konnte. Mit einem gewaltigen Sprung stand ich auf dem Verdeck des Bootes, rasend pochte das Herz, vor meinen Augen drehte sich alles. – Aber jetzt half nur Ruhe – Ruhe – und nochmals Ruhe.
Hinknien – tief einatmen – entsichern – anlegen – zielen. – Verschiedene Verrichtungen – alle in einer Sekunde. Noch zehn Meter ...
Ungeachtet meiner Drohung mit der Waffe stürmte der Araber weiter. Drei, vier Sätze noch ...
Ich hatte ihn vor der Mündung in seiner ganzen Länge ...
Er oder ich. Nur keine Gefühlsduselei!
Der Schuß donnerte, ich war in diesem Augenblick schon wieder vollkommen ruhig und kalt. Der Kerl hielt inne in seinem Lauf, wie von einer unsichtbaren Faust im Genick gepackt, drehte sich einmal um sich selbst und klappte dann wie ein Taschenmesser zusammen. Seine Hände und Füße wühlten sich in den Sand, der sich unter ihm langsam rot zu färben begann.
Ohne das Boot noch einmal zu verlassen, fuhr ich sofort weiter. Das ganze Erlebnis erschien mir seltsam unwirklich. Aber vor mir lehnte der Karabiner ohne den Spieß und aus seinem Magazin sprang mir beim Öffnen des Verschlusses eine leere Patronenhülse entgegen. Hinter mir aus dem gelben Sand stachen zwei weiße Bündel ab, regungslose weiße Bündel. Wahrscheinlich waren die Kerle tot. Nur eine Sekunde zögern und ich würde wohl an ihrer Stelle liegen.
Das Boot trug mich unermüdlich fort von dem Platze, der mir fast zum Verhängnis geworden wäre.
Nach reiflicher Überlegung faßte ich in der folgenden Nacht den Entschluß, die arabische Küste überhaupt zu verlassen und quer über das Arabische Meer die indische Küste unmittelbar anzusteuern. Wenn ich sparsam war, so konnte der Proviant drei Monate ausreichen, ebenso das Wasser. Ein Liter Wasser am Tag mußte genügen.
Am kommenden Morgen drehte ich den Bug etwas mehr östlich. Schmaler und niederer wurde der gelbe Küstensaum und die fernen Berge dahinter. Gegen Abend verlor ich Arabien aus der Sicht.
Ich war wieder angewiesen auf meinen treuen Wegweiser über viele tausend Meilen – auf meinen Kompaß.
In Zukunft würde ich mich allein gegen die Gefahren der See zu wehren haben, an der Küste hatte ich die Gefahren der See und die – die mir von Seiten der Menschen drohten.
Mehr als eintausendfünfhundert Seemeilen oder nahezu dreitausend Kilometer Meer lagen vor mir. Ich würde sie bewältigen!