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Es geht nicht ohne Geld

Zur Feier meiner Wiederkehr nach Port Said hatte ich mich in meinen weißen Anzug geworfen, und den abgegriffenen Tropenhelm einem Schuhputzer überantwortet, der ihn so fabelhaft weiß auffärbte, daß er wie neu anzusehen war. Meine Stimmung war restlos festlich, wozu auch aller Grund vorhanden war. Von der Isar zum Suezkanal, das war schon eine Leistung – und unter welchen Umständen!

Gemächlich betrachtete ich in einem Schaufenster die ausgestellten Zeitungen und Zeitschriften, als mich plötzlich jemand von rückwärts auf die Schulter klopfte. Mich umwendend gewahrte ich keinen andern als den arabischen Polizisten, der mich bei meiner ersten Ankunft in Port Said gleich am Kai empfangen hatte. Was wollte denn der Bursche nun schon wieder von mir? Er hatte eine hundertprozentige Amtsmiene aufgesetzt und führte somit sicher nichts Gutes im Schilde. Ich sollte mich nicht täuschen.

»Mister Gentleman«, kauderwelschte er in fürchterlichem Englisch, »you – go on – police office ...« – Dabei wies er mit dem Zeigefinger erst auf mich und klopfte sich dann selbst auf die Brust. Also mitkommen sollte ich. Da blieb wohl nichts anderes übrig. Aber von dem Araber ließ ich mich als Europäer nicht durch die Straßen führen. Ziemlich grob machte ich ihn daher fürs erste mit Götz von Berlichingen bekannt und schlenderte dann meiner Wege. Der Araber aber verfolgte mich in einem Schritt Abstand wie mein Schatten, bis wir endlich einen europäischen Konstabler trafen. Mit dem ging ich nun zur Hafenpolizei. Dort erwartete mich mein alter Widersacher – der griechische Kommissar. »Haben Sie eigentlich schon Ihr Geld von der Post abgehoben?« fragte er. Wahrheitsgetreu gab ich an, daß ich wohl auf der Post gewesen wäre, daß aber immer noch kein Cent meines erwarteten Geldes eingetroffen sei, und daß dies von niemand mehr bedauert würde, als von mir selbst.

»Na ja, das kennen wir schon«, gab er mir zur Antwort, »hören Sie nun – Sie werden sich binnen acht Tagen dieser angeblichen Zahlung an Sie versichern, sonst schicke ich Sie nochmals weg, diesmal aber mit einem italienischen Schiff, denn in Italien brauchen die Deutschen kein Visum. Gehen Sie also und senden Sie ein Kabel an Ihre Zeitung, damit man sich beeilen soll.« – Meinen Einwand, daß ich doch eine ganz schöne Summe in der Tasche hätte, ließ er unbeantwortet. Der Mann hatte es eben einmal auf mich abgesehen, und daran war nichts zu ändern.

Von schweren Sorgen geplagt, zog ich wieder los. Was sollte ich tun? Zur Mole hinausbummelnd kam ich an dem Haus vorbei, an dem ein Schild hing: »Deutsches Konsulat.« Sollte ich hineingehen und um Hilfe ersuchen? Die Versuchung war groß, aber ich wurde ihrer doch Herr. Ich ging weiter. Ohne es zu wollen, landete ich am Telegraphenamt. Ein hübsches Fräulein saß am Schalter. Ich ließ mir für alle Fälle einen Vordruck geben und setzte ein Kabel auf. Dann fragte ich das Fräulein – sie war eine Französin –, was das wohl beiläufig kosten würde. Nach einigem Nachrechnen nannte sie mir eine Summe, die erheblich höher war als das Honorar, das ich von dem einen Blatt zu erwarten hatte. Sechs solcher Telegramme wären aber notwendig gewesen. Wie schon sooft stand ich wieder einmal vor der scheußlichen Frage: »Was nun?«

Da fiel mir ein Plan ein, mit dem ich den Griechen auf der Polizei einzuseifen gedachte. Ich war also sehr nett zu dem Fräulein und wollte wissen, ob es wohl möglich wäre, das Telegramm aufzugeben und zu bezahlen, daß es aber erst auf einen telephonischen Anruf hin abgeschickt werden sollte. Und wenn nun dies nicht der Fall wäre, ob ich dann das Geld zurückerstattet bekommen könnte? – Eigentlich ginge das nicht, meinte das Mädel, aber – aber ich hatte schon gewonnen, erlegte den Betrag, steckte die Quittung zu mir, stieg in ein Auto und fuhr zur Hafenpolizei. Dort legte ich dem Griechen den Zettel auf den Schreibtisch, um ihm zu beweisen, daß ich wirklich um Geld gekabelt hätte. »Natürlich«, fügte ich hinzu, »kann es länger als acht Tage in Anspruch nehmen, bis das Geld eintrifft, aber das werden Sie wohl einsehen, daß eine Verzögerung leicht möglich ist.« Er glaubte meinem Schwindel, denn wer hätte wohl eineinhalb Pfund für ein Kabel ausgegeben, wenn er nicht tatsächlich etwas zu erwarten haben würde? Jetzt war also Zeit gewonnen, und das war sehr viel, denn: Kommt Zeit – kommt Rat! – Schnell sauste ich wieder zum Amt zurück, annulierte die Depesche und strich befriedigt meine eineinhalb Pfund wieder ein. Nun war ich festgefahren im wahrsten Sinne des Wortes. Mißmutig verbrachte ich die folgenden Tage damit, mir die Stadt anzuschauen.

Die langen Araberkittel beherrschten das Straßenbild. In den breiten Gassen waren durch die an die Häuser gebauten Holzveranden in den Stockwerken eine Art Laubengänge entstanden, unter denen man im Schatten wandeln konnte, wenn einen die Sonne zu stark versengte. Unzählige Geschäfte mit allen möglichen Raritäten aus allen Ländern der Erde lockten zum Kaufen. Glücklicherweise war ich schon zu lange im Orient, um auf die angepriesene Billigkeit hereinzufallen. Wußte ich doch, daß die meisten Seltenheiten »made in Germany« waren.

Vor den Kaffeehäusern standen Tische und Stühle, so wie es etwa in Frankreich und auch in Griechenland der Brauch war. Hausierer und Limonadenverkäufer trieben sich herum und priesen mit Geschrei ihre Waren an, genau so wie in Stambul oder Smyrna – das Pflaster war gut, so gut, daß es sich in jeder europäischen Stadt sehen lassen konnte – es gab feudale Läden wie in Paris – elegante Toiletten, von schönen Frauen zur Schau getragen – winkelige Gassen, Schmutz – teure, schnelle Limousinen, Kamele, Eselskarawanen – Araber, Chinesen, Juden, Inder, Neger – Licht, Lärm – und Gerüche ... Gerüche ...!

In jeder Beziehung war diese Stadt ein Mischling ohne ausgeprägten Charakter, nüchtern – häßlich. Ein Gemengsel von Ost und West, weniger mit den Licht- als mit den Schattenseiten beider behaftet. In den Cafés wurden Nackttänze aufgeführt, und in den Hintergäßchen gab es jene Orte des Lasters, die jede Hafenstadt besitzt und in denen sich Dinge ereignen sollen, für die wir Europäer nicht einmal Namen haben und die durch die unbeherrschte Sinnlichkeit der Asiaten und Neger eine jeden gesunden Menschen zum Brechen anwidernde Note angenommen haben. Ich hatte bald genug von diesen zweifelhaften Sehenswürdigkeiten und hielt mich in der Folge meist am Kai auf. Dort traf ich eines Tages den Besitzer der Jacht »Blankenese«. Er lud mich ein, sein Fahrzeug zu besichtigen. Es war ein komfortables, sechzehn Meter langes, eisernes Schiff mit fünf Mann Besatzung, Schlafräumen für Eigner und Mannschaft, Salon, Küche, Abort, Maschinen- und Laderaum. Was war dagegen die »Bayern« für ein Holzpantoffel! Als er meine Absicht erfuhr, durch den Kanal ins Rote Meer und weiter nach Indien segeln zu wollen, hielt er mich für unzurechnungsfähig. Er behauptete, ich würde in der Hitze dort unten wahnsinnig werden, er malte mir die Gefahren die mir seitens der Bevölkerung drohten, und die der Sandstürme aus, er machte mich darauf aufmerksam, daß Arabien ein verbotenes, verschlossenes Land, die Welt des Mittelalters im Orient der Neuzeit sei, und daß es dort noch Sklaverei und räuberische Beduinen gäbe. – Aber ich ließ mich nicht beirren und blieb dabei, nach Indien zu segeln. In seiner Gesellschaft machte ich auch die Bekanntschaft eines Bankbeamten – eines Spaniers, dem ich von meinem Mißgeschick erzählte. Zufällig begegnete ich ihm einige Tage später auf der Straße.

»Können Sie boxen?« – war seine erste Frage nach der Begrüßung. – Sollte sich hier wieder Aussicht auf ein »Geschäft« eröffnen? – Verdammt, ich brauchte Geld, und wer nichts wagt, der gewinnt nichts!

Trotz meiner Abneigung, die ich gegen Boxen habe, und der Tatsache, daß ich keinen blassen Schimmer von dieser Art Sport hatte, log ich: »Natürlich kann ich boxen ...«, wobei ich ihm meine Fäuste unter die Nase hielt.

»Allerdings ...« meinte er überzeugt, indem er etwas zurückwich.

»Aber«, mäßigte ich nun meine Aufschneiderei, »seit über fünf Jahren habe ich mich nicht mehr geübt. Doch denke ich, daß ich schon noch irgendeinen Kerl über den Haufen schlagen kann ...«

»Das spielt eigentlich keine Rolle«, meinte Spagnolakki, »ob Sie in der Übung sind. Die Hauptsache ist, daß Sie tüchtig hinhauen und selber nicht feige sind.«

Hier schien also tatsächlich etwas los zu sein, und ich fragte, um was es sich eigentlich drehe. »Sie werden schon erfahren haben«, erklärte er mir, »daß zur Zeit ein Zirkus hier ist, der Zirkus Winston. Zu seinem Programm gehört auch eine Boxvorführung. Gestern abend hat nun einer der Boxer einen etwas unglückseligen Hieb bekommen und ist heute nicht ganz obenauf. Er kann also nicht auftreten. Nun möchte der Besitzer des Zirkus, der ein Bekannter von mir ist, die Sache etwas sensationeller aufziehen. Er will den übriggebliebenen Boxer vor dem Zirkus aufstellen und aus dem Publikum einen Mann auffordern, sich mit ihm zu messen. Wenn einer dabei ist, der ihn niederschlägt, bekommt er fünf Pfund. Fünf Pfund, bedenken Sie! Nun hat er aber kein Interesse, daß sein Mann wirklich niedergeschlagen wird; deshalb muß einer her, der sich von diesem zusammenboxen lassen will. Er muß unter der Menge stehen, und wenn der Ausrufer irgendeinen herausfordert, muß er sich melden. Er bekommt dann ebenfalls fünf Pfund. Es gäbe genug Leute, die das Geschäft machen würden, aber ich habe sofort an Sie gedacht, denn Sie haben die Figur zum Boxer, das wird sicher einen spannenden Kampf geben! Bedenken Sie, fünf Pfund!« –

Verdammt – fünf Pfund, eine solche Gelegenheit kam so schnell nicht wieder. Um eine solche Summe hätte ich sogar eine Kirchenfahne vor einer Prozession geschwungen oder wäre gar Missionar geworden. Was gab es da überhaupt zu überlegen? Hiebe standen wohl in Aussicht, aber schließlich konnte man sich um ein schönes Stück Geld auch einmal ordentlich verhauen lassen. Also nicht mehr lange gezögert und eingeschlagen. »Topp«, sagte ich, »es gilt.«

Wir gingen zum Zirkusdirektor und machten die Sache perfekt.

Abends drängte sich eine wimmelnde Menschenmenge vor dem großen Zelt, Araber, Neger, Europäer, wir – Spagnolakki und ich – mitten darunter. Merkwürdigerweise war ich sehr siegessicher, ich wollte mich nicht zu sehr verdreschen lassen und, wenn ich es für angebracht hielt, in die Knie gehen. Eine Kraft, wie ich sie in den Armen besaß, konnte nicht jeder haben! Vom vielen Rudern waren die Muskeln stahlhart geworden, und ich bildete mir ein, daß dies ausschlaggebend sein würde, um meinen Gegner mit ein paar Schlägen zur Vorsicht zu mahnen. Es dauerte nicht sehr lange, dann erschien er vor dem Zelt und nahm auf einem Podium Aufstellung. Obwohl wir ein ganzes Stück davon weg waren, konnte ich ihn doch ganz gut sehen – und ich erschrak. Ein Kerl war das, mit muskulöser, durchtrainierter Gestalt, breiter und größer als ich – und das wollte schon etwas heißen! Aber ein Zurück gab es jetzt nicht mehr: fünf Pfund – so oder so. Ich brauchte das Geld.

Nun redete der Ausrufer von dem Boxer. Er hielt seinen Vortrag in arabischer Sprache, und da ich kein Wort verstand, so hatten wir abgemacht, daß mir Spagnolakki einen Stoß geben sollte, wenn die Zeit, mich zu melden, da wäre. Bald bekam ich auch einen energischen Stoß. Los! Ich schob die Mütze etwas aufs Ohr, ruderte mit den Armen durch die Menge und redete allerhand von einem Sprüchereißer und so weiter laut vor mich hin. Da packte mich jemand von hinten. »Was ist denn?« zischte mir Spagnolakki ins Ohr, »was wollen Sie denn schon, es ist doch noch zu früh ...«

Es hatte mich also scheinbar irgendeiner angerempelt, und ich hatte das falsch aufgefaßt. Ziemlich kleinlaut wartete ich nun weiter. Aber endlich fühlte ich wieder einen Rippenstoß und hörte das erlösende Wort: »En avant!«

Unter allgemeinem Hallo erkletterte ich das Podium, wo sich nun mit dem »überrascht« herbeigeeilten Zirkusbesitzer ein abgekartetes Frage- und Antwortspiel abwickelte. Dann wurde ich der Menge vorgestellt. Immer wieder schrien die Ausrufer meinen Namen hinaus und die Tatsache, daß es um einen Einsatz von fünf Pfund ginge. Nach einer Stunde war das Zelt zum Bersten voll.

Meine Badehose und die Tennisschuhe hatte ich schon vorher zum Zirkus gebracht. Ich zog mich um, und man steckte mir die Boxhandschuhe über die Hände. Ich sah nur noch fünf Pfund vor mir – alles andere war mir gleich. Die blauen Flecke und die Beulen würden schon wieder vergehen. In der Manege hatte man inzwischen einen richtigen Ring aufgebaut. Bisher hatte ich so etwas nur in illustrierten Zeitungen und in den Wochenschauen im Kino gesehen. Atemlose Stille herrschte plötzlich im Zelt. Alles war gespannt auf das Duell. Ein Gongschlag gab das Zeichen zum Beginn. Gleich in der ersten Runde fing ich einen wuchtigen Kinnhaken von meinem Gegner und stürzte zu Boden. Sofort aber erhob ich mich wieder. So hart hätte er doch wirklich nicht zu schlagen brauchen – dachte ich mir erbittert und ging nun meinerseits wutentbrannt und von meinem arg schmerzenden Gesicht angefeuert drohend auf den Kerl los. Der aber verstand es meisterhaft, den nach seinem Schädel gerichteten Schlägen spielend auszuweichen, und die Zuschauer fingen vor Vergnügen über meine andauernden Lufthiebe zu brüllen an. Dann aber hatte ich den andern doch schön in einer Ecke und konnte ein paar ausgiebige Schläge landen – bis ich selber einen fürchterlichen Hieb in die Magengrube erhielt! Einen Augenblick blieb ich geistesabwesend stehen – die Luft blieb mir weg – vor meinen Augen war gähnende Leere. Diese Gelegenheit nützte mein Gegner aus, um mich mit einigen vollendeten Kinnhaken vollständig kampfunfähig zu machen. Ich plumpste in die Seile, die Pfeife des Schiedsrichters schrillte, es war wirklich nicht mehr nötig, mich auszuzählen – meine Niederlage war zu offensichtlich.

Mit einem Gefühl im Leibe, als wären mir sämtliche Knochen zermalmt, zog ich zu meinem Boot – nach Hause. Die ganze Welt verwünschend, ließ ich mich halbtot auf mein hartes Lager fallen, das heißt ich ging erst vorsichtig auf die Knie nieder, dann steckte ich die Hände nach hinten, stützte sie auf den Boden und legte mich ächzend nieder. Die fünf Pfund waren ehrlich verdient. Ein zweites Mal hätte ich darauf verzichtet.

Einige Tage später kam ich mit dem Kodakvertreter zusammen. Er fragte mich, ob ich gerne ein neues Großsegel und einiges Kleingeld verdienen möchte. »Wenn es ohne Boxen geht«, sagte ich, »dann schon ...«

Ja, es war eine harmlose Sache diesmal. Die »Bayern« erhielt ein schönes, großes Segel, auf welchem die folgenden Worte standen: »Ich komme von Deutschland – haben Sie einen Kodak bei sich – um dieses Boot zu knipsen?«

Täglich mußte ich einige Stunden im Hafen auf und ab kreuzen und so eine bestimmt nicht schlechte Reklame machen. Außer dem Segel, das mein Eigentum blieb, bekam ich noch zwei Pfund extra. Sieben Pfund hatten mir also meine Nebeneinnahmen gebracht. Mein Barbestand machte nun etwas weniger als siebzehn Pfund aus. Fünfzig Pfund aber wollte der Grieche sehen, ehe er mich durch den Kanal ließ. Die Post brachte kein Geld – ich konnte hin und her raten, es fiel mir kein Ausweg mehr ein, wie ich mein Vermögen vergrößern könnte. Da blieb nichts anderes übrig, als dem Glück ein bißchen auf die Beine zu helfen. Ich ging zu Herrn Spagnolakki, stellte ihm meine ganze Lage vor und ersuchte ihn, mir auf einige Stunden die fehlenden dreiunddreißig Pfund zu borgen. Anstandslos vertraute er sie mir an. Nun besaß ich also die Summe. Ich wies sie dem Griechen vor, der mir, ohne weitere Schwierigkeiten zu machen, die Abreisebewilligung ausstellte – ohne zu ahnen, daß ich ihn zweimal überlistet hatte.


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