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Ein Reinfall

Einen Monat blieb ich in Konstantinopel und Umgegend kleben. Beinahe die ganze Zeit reparierte und verbesserte ich an der »Bayern« herum, wobei mir die Brüder Noltsch, zwei Wiener Bootswerftbesitzer in Stenia am Bosporus, kameradschaftlich zur Hand gingen. Das Boot wurde abgerissen und beinahe vom Kiel auf wieder neu zusammengebaut, an Stelle des umständlichen Stechschwertes trat ein zehn Millimeter starkes stählernes, solides Senkschwert; die Besegelung wurde vereinfacht, und ein blauer Anstrich ersetzte zur Abwechslung den roten.

Eines Nachmittags ließ ich mir den Fahrtwind wieder um die Nase wehen – Kurs Dardanellen. Wieder glitt die Wasserseite Konstantinopels wie ein Filmstreifen an mir vorbei, die Serailspitze, der Eingang zum Goldenen Horn, Skutari auf der asiatischen Küste und Kadiköy ...

Das Marmarameer begann, die Prinzeninseln tauchten an Backbord auf und die hohen, blauen Gebirge Asiens, die das Meer im Süden begleiten. Unendlich weit und glitzernd lag die friedliche, blaue Fläche vor mir. Frisch wehte die Ostbrise, ferne Segel standen schief am Horizont und hoben sich gleich Märchenflügeln vom Himmel ab.

Sorglos lehnte ich mich zurück, streckte die Füße von mir und fuhr raumschots ins Blaue. Das nun großbaumlose Großsegel hatte ich mit Hilfe des Bootshakens backbords herausgespreizt, und an Steuerbord waren die beiden Vorsegel befestigt, um den Wind völlig auszunutzen. Die Schatten dieser Segel schwebten neben mir her, die Mastspitze geigte, der Fahrtstrom rauschte, murmelte und gluckste, heiß brannte die Nachmittagssonne nieder. Wie herrlich war die Fahrt nach den langen Wochen des Liegens!

Kurs Kap Eregli. – Die europäische Küste, die mich an Steuerbord begleitete, war hügelig und sandig, mit wenig Grün. Trotz der kräftigen Brise kam ich schlecht vorwärts, denn ich segelte in einer Gegenströmung, und als der Tag zur Neige ging, stellte ich als meinen Standpunkt erst die Höhe von Silivri fest, ungefähr dreißig Meilen von Konstantinopel.

Die Nacht stieg aus den Fluten, das Meer färbte sich schwarzblau, dunkler Samt der Finsternis strich von Westen her durch die Wellen nach Osten, im Norden und Süden erhob es sich schwarz und gewitterschwer über den Küsten. Der Wind war mit der sinkenden Sonne zur Ruhe gegangen, weitab lag das Land. Mit den Riemen arbeitend trieb ich das Boot vorwärts auf die Lichter von Silivri zu, um Ankergrund zu finden. Denn treiben lassen wollte ich mich die Nacht über nicht, dazu war die Strömung zu stark. Stunden vergingen; als ich wieder einmal lotete, stellte ich eine Tiefe von acht Meter fest. Der Anker flog ins aufspritzende Wasser, vollkommen erschöpft ließ ich mich auf meine Decke fallen und schlief sofort ein. Zu müde, um einen Schluck Wasser zu nehmen.

Der nächste Tag bescherte mir eine endlose Flaute bei starker Gegenströmung. Trotzdem schaffte ich wieder unter unchristlichem Gefluche Meile um Meile mit den Riemen. Bleiern lag die See da, die Hitze war drückend, selbst die Möwen flogen kaum auf. Hinter mir erschien ein Schiff, ein dünnes Rauchwölkchen sah man über ihm stehen, und bald war das gleichmäßige Poltern eines Dieselmotors zu hören. Immer näher glitt das Fahrzeug. Ich dachte daran, daß es garnicht übel wäre, bei solcher Flaute in Schlepp genommen zu werden; da kam das Kaïk heran, und man rief mich an – woher und wohin? – Wollt Ihr mich schleppen? – machte ich den Männern so gut wie möglich begreiflich.

Man verstand meinen Wunsch, man fuhr nach Gallipoli. Donnerwetter, das wäre ein Ruck für mich gewesen!

Doch die anderen rieben nun Daumen und Zeigefinger gegeneinander, eine unmißverständliche internationale Pantomime – zahlen! Für das bißchen Schleppen? Da brachte ich nun gar kein Verständnis auf, und aus dem Handel konnte also nichts werden. Hätten die Türken gewußt, daß ich kein Krösus war, sie würden mich bestimmt auch ohne Bezahlung geschleppt haben. So aber umgab mich auf meiner ganzen Reise der unerfreuliche Nimbus, irgendein spleeniger Millionär zu sein, der zu seinem Vergnügen mit einem bescheidenen Segelboot die See befährt – ein willkommenes Objekt zum Schröpfen.

Vierundzwanzig Stunden später erreichte ich Tekirdagh – eine kleine Stadt, und hatte damit die Hälfte der Strecke Konstantinopel – Gallipoli zurückgelegt. Ein italienischer Schiffahrtsagent lud mich zum Essen ein. Der Mann besaß eine Leibesfülle, wie ich sie noch bei keinem zweiten Menschen gefunden hatte. Er machte mich darauf aufmerksam, daß, falls ich irgendwo einmal einen ähnlich dicken Menschen treffen würde, dies dann unfehlbar sein Bruder sei. Er lebte schon ein Menschenalter unter den Türken und konnte mir viel Wissenswertes erzählen. Rasch verflogen in seiner Gesellschaft die Stunden. Nachmittags kam unerwartet Wind auf, die Wellen hatten weiße Schaumkronen aufgesetzt. Ein Gewitter war im Anzug. Trotzdem beschloß ich, sofort zu fahren. Wie ein Pfeil schoß mein Boot im Sturmwind davon. Der Ort Panados wurde passiert, Kumbas – ein winziges Städtchen, kam in Sicht. Im Dunst lagen die Marmarainseln. Der Seegang hatte sich inzwischen unerfreulich ausgewachsen. Nachdem das Land so nahe war, wäre ich froh gewesen, einen Platz zum Ankern zu finden. Ich spähte nach Kumbas hinüber, ob sich dort keine Gelegenheit zeigte. Eine winzige, verfallene Mole, über welche die Brechseen hinwegstürzten, schien vorhanden zu sein. Ein schlechter Schutz zwar, aber immerhin besser als gar keiner. Weiter voraus schoben sich dunkle Felsen in die See herein. Kurz entschlossen steuerte ich nun Kumbas an. Man schien dort meine Absicht zu merken und eilte zum Strand herab. Beim Näherkommen erwies sich aber die vermeintliche Mole als ein Nichts. An ein Ankern in dem stark brandenden Wasser war nicht zu denken. Man brüllte und winkte und machte mir begreiflich, ein Tau an Land zu schleudern. Ich lag in der Brandung und mußte jeden Augenblick damit rechnen zu scheitern. Glücklich brachte ich das Tau über die zwanzig Meter Wasser, ein Dutzend Männer spannte sich ein und versuchte die »Bayern« am Strand hochzukriegen. Ein weiteres Dutzend eilte hilfsbereit bis an die Brust ins Wasser, als die anderen das Boot nicht herausbekamen. Endlich aber stand es auf der Küste. Einige Brechseen hatten es vollgeschlagen, das Schwert war abgebogen wie Papier, als das Boot von einer Welle auf Grund gesetzt wurde.

Inmitten der zusammengelaufenen Menschenmenge wartete ein Gendarmerieoffizier, der mich im Namen der Stadt in französischer Sprache sehr freundlich begrüßte. Ich bedankte mich für die geleistete Hilfe und mußte einige fünfzig Hände schütteln. Als nächstes ging es sofort in ein Kaffeehaus, wo mir nach Wunsch aufgewartet wurde. Die Männer hockten um mich herum, einer von ihnen war während des Krieges mit deutschen Truppen auf Gallipoli zusammen gewesen und radebrechte etwas Deutsch. Ihm mußte ich die unzähligen Fragen beantworten, die jeder bereit hatte. Schließlich wurde ich auch gefragt, was mein Beruf sei.

Eine kitzlige Frage! Gab ich zur Antwort, daß ich Zeitungsschreiber wäre, so verloren sie die Achtung vor mir, denn der Zeitungsmann ist für den Türken das Symbol der Bestechlichkeit, und man schätzt ihn nicht sehr hoch. So sagte ich eben: Mechaniker. – Die Folgen dieser Unwahrheit sollte ich am nächsten Tag zu fühlen bekommen.

Als es Nacht wurde, brachte man mich ins Bürgermeisteramt, wo man eine Kanzlei ausgeräumt und zum Schlafzimmer verwandelt hatte. Ein Mann setzte mir einen Korb vor die Füße, der ein gebackenes Huhn, Pillaf, Suppe, Brot, Oliven, Käse, Eßbesteck und eine Serviette enthielt. Wie rührend sorgten doch diese einfachen Menschen für ihren Gast!

Am folgenden Morgen lief die See noch immer hoch und ich konnte nicht abfahren. So reparierte ich erst das verbogene Schwert und begab mich sodann ins Kaffeehaus, um mein Tagebuch zu schreiben. Dabei ertappte mich der Gendarmerieoffizier, und er fragte mich, ob es wahr wäre, daß ich Ingenieur sei. Über Nacht war ich also vom Mechaniker schon zum Ingenieur befördert worden! Was blieb mir anderes übrig, als ja zu sagen? Ob ich etwas von Maschinen verstünde? – Natürlich, sogar sehr viel, log ich weiter.

Von Motoren? – Verdammt, da war ich in eine Schlinge geraten.

Ja – auch von Motoren verstand ich was. Wäre ich doch jetzt draußen auf dem kochenden Meer gewesen!

Wenn ich wirklich etwas von Motoren verstünde, dann solle ich bitte mitkommen, sagte der Offizier.

Nun hatte ich's! Wie ein zum Tode Verurteilter seinem Henker folgte ich dem Offizier. Er führte mich durch den Ort zu einem kleinen weißen Gebäude, machte die Tür auf – wir standen in einer elektrischen Zentrale. In der Mitte war eine große Dynamomaschine aufgebaut. Ein Hoffnungsschimmer – ich sagte bescheiden, daß ich von elektrischen Maschinen absolut nichts verstünde, meine Spezialität wären, wie ich schon sagte, Benzinmotoren. Oh. Ironie des Schicksals! Was mußte ich da aus dem Munde des Türken hören?

»Das ist ja ausgezeichnet, Effendi, gerade unser Ölmotor ist reparaturbedürftig. Kommen Sie nur mit und sehen Sie sich ihn einmal an«. – Im Verlaufe einiger Minuten fanden sich noch fünf, sechs Personen ein, scheinbar die Honoratioren des Städtchens. Alle starrten mich erwartungsvoll an, als könnte ich Wunder verrichten.

»Dies«, erläuterte der Offizier, »ist ein deutscher Motor, geliefert von der Firma Deutz. Wir haben gehört, daß deutsche Motoren die besten sein sollen und haben daher einen solchen gekauft. Er treibt unsere elektrische Maschine, welche die Stadt mit Licht versorgt, das heißt – er soll sie treiben. Wir haben ihn erst ein paar Monate, aber er ist nichts wert. Einmal haben wir einen Mechaniker von Tekirdagh und einmal einen solchen von Stambul kommen lassen. Sie brachten die Maschine wohl in Ordnung, nahmen auch sehr viel Geld dafür, aber schon nach zwei Tagen war es die alte Geschichte, sie arbeitete nicht mehr. Nachdem es sich nun um eine deutsche Maschine handelt und Sie deutscher Ingenieur sind, werden Sie uns sagen können, wo der Fehler liegt.«

Das klang sehr kategorisch. Ich hatte kaum auf seine Rede geachtet. Warum tat sich der Boden nicht auf und verschlang mich – warum mußte ich mich binnen einer Stunde unsterblich blamieren? – Ich verstand doch gar nichts von Motoren!

Respektvoll hatten die Türken mein verlegenes Schweigen als tiefsinniges Nachdenken gewertet. Irgend etwas mußte jetzt geschehen. Voll Verzweiflung griff ich nach einem riesigen Schraubenschlüssel und begann alle möglichen Schrauben zu lockern und zu entfernen. Zu guter Letzt brach ich auch noch ein Kupferrohr entzwei. Verklärte Gesichter sahen mir zu, ein Haufen Eisenteile lag bald um mich herum. Würde ich sie wohl wieder zusammensetzen können? – Noch mehr Sorge als diese Frage bereitete mir das abgebrochene Rohr, das mußte wohl gelötet werden. Aber ich konnte ja nicht einmal löten! Trotzdem befahl ich, Lötzeug zu bringen, hantierte etwas damit herum, und als ich nichts zuwege brachte, sagte ich, daß mir eben einfiele, daß sich Kupfer nicht löten läßt, und verband das Rohr notdürftig mit Draht und Isolierband. Dann setzte ich wohl oder übel die Trümmer und Schrauben wieder zusammen. Wunderbarerweise gelang mir das auch!

Ich schwitzte – nicht vor Anstrengung, sondern aus Angst vor der unausbleiblichen Blamage. Daß der Motor nicht arbeiten würde, das stand doch fest. Als letztes setzte ich den Zylinderkopf auf; da er innen dick mit Ruß beschlagen war, nahm ich etwas Putzwolle und säuberte ihn. Die allgemeine Erwartung war nun auf den Höhepunkt gestiegen. Ich zündete die Lötlampe an und erhitzte den Deckel, denn was ein Glühkopfzünder war, das wußte ich schon. Aufs Geratewohl drehte und probierte ich an verschiedenen Hebeln und Griffen herum, dann gab ich mir einen Ruck und kommandierte: »Anwerfen!«

Zwei Mann griffen in das Schwungrad – mir war nun alles gleich. Der Motor fauchte und zischte – ich drehte und schraubte.

Der Motor zischte und fauchte – ich hoffte noch auf ein Wunder.

Mißfällige Äußerungen, daß wohl die Deutschen auch nichts verstünden, wurden laut – nur die Inglesi seien wahrhaftige Ingenieure. – Die Kerle am Schwungrad bearbeiteten vor Zorn die Maschine mit Fußtritten.

Ein letztes Mal schraubte ich nach links und nach rechts, bevor ich mich ergeben mußte. Wieder wurde an dem Schwungrad gedreht. Zischen – Fauchen und plötzlich ein Knall, daß ich erschrocken zusammenfuhr. War die Maschine explodiert? – Leider nicht. – Da – noch ein Knall, noch einer – noch einer – noch einer – immer rascher nacheinander – und endlich bollerte der gleichmäßige Takt der Explosionen. Der Motor arbeitete.

Das Ansehen Deutschlands, der Firma Deutz, das meine war gerettet! Ich begriff auch, woran der Fehler gelegen haben mochte. Die Leute verwendeten wahrscheinlich unreines Öl, wodurch der Zylinder verrußte und die Zündung versagen mußte.

Mittags überreichte mir der Offizier einen Briefumschlag, Inhalt: Zehn türkische Pfund für meine »Bemühungen«.


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