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In Wien gestrandet

Mit der Weiterreise wurde es vorläufig aus verschiedenen Gründen nichts. Ich mußte warten, auch weil die Durchreisepapiere für das Fahrzeug durch Ungarn ausstanden. Woche um Woche verging. Mein Begleiter taumelte durch die Nächte. Musik, Tanz, Lärm, Licht, Prater, Kaffeehäuser, Wein und die feschen Wiener Mädel hatten es ihm angetan. Die meiste Zeit war er für mich verschollen, und eines Tages – ich traute meinen Augen nicht – bekam ich von ihm eine Ansichtskarte aus – München! Wahrscheinlich war weniger der Bedarf an Abenteuern bei ihm gedeckt, als das für die Reise bestimmte Geld beim Heurigen und anderen Freuden restlos umgesetzt worden, so daß er es vorzog, rechtzeitig und reumütig zur Nähnadel zurückzukehren. Ich konnte ihm nicht einmal eine Träne nachweinen, obschon für mich eine unangenehme Lage entstanden war. Die Weiterfahrt mußte ich jetzt natürlich allein antreten, und das verursachte mir etwas Kopfzerbrechen, denn noch beherrschte ich nicht das Abc des Seglers, und allein getraute ich mich nicht mit dem schweren Boot und der starken Strömung fertig zu werden. Dazu war auf einige Zeit unbedingt ein zweiter Mann nötig.

Das Schicksal brachte ihn mir, auf etwas sonderbare Weise allerdings. Eines Abends saß ich im Schwedenkaffee, als ein Mann das Lokal betrat. Dies wäre an sich nichts Außergewöhnliches gewesen, aber dieser Mann fiel auf, da er Reiterstiefel trug, dazu Reithosen, eine khakifarbene Windjacke mit Ledergürtel und einen Hut mit sehr breiter Krempe, etwa von der Art, wie ihn die Trapper auf dem Kopfe haben – einen sogenannten Sombrero.

Er schob sich von Tisch zu Tisch, machte eine Verbeugung und verteilte auf jeden Tisch eine oder mehrere Karten. Auch ich erhielt eine. Sie zeigte das Bild dieses Mannes auf einem Pferde sitzend, und darunter stand: »August Barke reitet von Essen nach Jerusalem.«

Einige Leute behielten die Karte und legten ihm einen Geldbetrag dafür hin, und auch ich steckte sie zu mir. Der Reiter bedankte sich und ging. Damit wäre an sich die Episode erledigt gewesen. Aber einige Zeit später kam ich nachmittags nach Klosterneuburg, um etwas aus dem Boot zu holen. Wen fand ich davorstehend, in tiefsinnige Betrachtungen versunken? Den Reitersmann aus dem Schwedenkaffee!

»Hallo – noch immer in Wien, Herr Barke?« redete ich ihn an. Etwas verlegen schaute er mir ins Gesicht, und ohne die Frage zu beantworten, erkundigte er sich, ob ich wohl der Besitzer dieses Bootes wäre. Er habe nämlich in der Nähe in verschiedenen Lokalen gearbeitet, fuhr er fort, und man habe ihn zufällig darauf aufmerksam gemacht, daß dieses Segelboot Anfang November donauabwärts fahren würde.

Da mich sein Unternehmen interessierte, lud ich ihn zu einem Glas Bier ein und ließ ihn seine bisherigen Erlebnisse und ferneren Pläne erzählen. Besonders war ich natürlich neugierig, zu erfahren, wie er ausgerechnet auf Jerusalem als Reiseziel verfallen wäre.

Von Beruf Schreiner, berichtete er mir, arbeitete er in Essen im Ruhrgebiet, wo er auch Mitglied des katholischen Gesellenvereins war. Mitten drin packte ihn die Wanderlust, und nach langem Nachdenken, wohin er ziehen sollte, fiel ihm folgendes ein: Er begab sich zum Vorstand seines Gesellenvereins – einem Pfarrer, und sagte diesem, daß er nach Jerusalem wolle, um das Heilige Grab zu besuchen. Der gute Geistliche war von der Frömmigkeit seines Gesellen so gerührt, daß er ihm, obwohl man bereits das Jahr 1928 schrieb, ein Pferd und die nötige Ausrüstung für den weiten Ritt ins heilige Land kaufte, natürlich aus Vereinsmitteln. Unterwegs – meinte er, würde er sicher immer christlich gesinnte Menschen finden, die ihm durch Spenden das Fortkommen erleichtern würden. Der junge Mann ritt los und kam schließlich auch nach Wien, wo die Leute aber für sein lobenswertes Vorhaben nichts übrig hatten, niemand wollte ihn bei seinem Hausierhandel mit den Karten unterstützen. Wenige brachten Verständnis dafür auf, daß einer auf anderer Leute Kosten nach Jerusalem reiten wollte.

Nach und nach kam es an den Tag – der junge Mann war schon länger in Wien als ich. Er war gestrandet. Schließlich fragte er mich geradeheraus, ob ich ihn nicht ein kleines Stück Weges mitnehmen möchte – etwa bis Konstantinopel. Das war zwar ein ganz respektables Stück, aber er schien kein übler Bursche zu sein, und einen Gefährten konnte ich eben gebrauchen. So überlegte ich nicht lange und sagte ihm zu. »Aber Ihr Pferd«, wandte ich ein, »das kann ich doch unmöglich mitnehmen. Was machen Sie denn mit Ihrem Pferd, Herr Barke?«

»Das Pferd«, beichtete er, »ach Gott – das habe ich doch schon in Köln verkauft und bin dann mit der Bahn von Ort zu Ort gefahren. Nur das Sattelzeug habe ich mitgenommen und das ist hier in Wien versetzt ...«

Auf den Kopf gefallen war der Kerl nicht. – »Am Elften«, sagte ich, »in aller Frühe, fahren wir.«

Die Zeit bis dahin füllte ich mit einem tollen Streich aus. Es müßte nicht in Wien gewesen sein, wenn die Geschichte nicht auch in einem Kaffeehaus ihren Anfang genommen hätte. Ihr Ende fand sie sehr kläglich und unrühmlich auf einem – Lastwagen.

Der Ober des Kaffeehauses, in dem ich verkehrte und der mich schon einige Zeit kannte, hatte die Gewohnheit, mich als »Herr Admiral« anzureden. Dadurch wurde einmal ein anderer Gast, ein junger Mann, auf mich aufmerksam. Wir kamen in ein Gespräch, wurden bekannt miteinander, und im Verlaufe der Unterhaltung erfuhr er meine Pläne. Er interessierte sich sehr dafür.

»Mensch«, sagte er, »mit dieser Sache ist doch ein Heidengeld zu machen ...«

Geld machen? Geld konnte ich brauchen.

»Wie würden Sie denn das anstellen?« erkundigte ich mich.

»Ganz einfach. Sie gehen her und halten Vorträge. Was glauben Sie, so ein Thema – »Im Segelboot um die Welt« – oder so ähnlich – taucht nicht alle Tage auf.«

»Da bin ich nun wieder nicht so optimistisch«, warf ich ein.

»Unsinn, so etwas muß einschlagen, nur ordentlich Propaganda muß gemacht werden – Propaganda, sage ich Ihnen, alles kann man mit Propaganda schmeißen. Ein Saal muß gemietet werden, Plakate gedruckt – man geht hinaus, irgendwo in die Provinz, wo die Leute froh sind, irgendeine Neuigkeit zu vernehmen – und Sie können sprechen!«

»Sprechen wohl – aber vor wieviel Zuhörern?«

»Die bringe ich – ich garantiere für einen vollen Saal!«

Der Mann verstand es, alle meine Bedenken zu zerstreuen, und am Schluß war ich restlos überzeugt, ein gewaltiges Geschäft machen zu können.

»Hundert Schillinge brauche ich für die Propaganda«, schlug der andere vor. Ich riß die hundert Schilling aus der Tasche und warf sie auf den Tisch – mit dem Auftrag, er möchte nur schleunigst schauen, daß die Sache in Schwung käme. Der Reinerlös aus den Vorträgen sollte geteilt werden. Mein neuer Teilhaber nahm die Banknoten und verschwand damit – nicht auf Nimmerwiedersehen, wie nun wohl anzunehmen gewesen wäre – er gab tatsächlich eine Menge Plakate in Auftrag. Eines Tages rückte er mit einem mächtigen Papierballen unter dem Arm an, lauter Plakate.

»Es kann losgehen«, sagte er unternehmungslustig.

»Lassen Sie doch mal so ein Plakat sehen.«

Er faltete den Ballen auseinander, hielt mir eines unter die Nase – mindestens einen Quadratmeter war der Wisch groß – ich las – las – und der Teufel soll mich holen: da war das Bild meiner ehrlichen »Bayern« und darunter stand schwarz auf weiß: » Für dreißigtausend Dollar um die Welt! Soviel zahlt ein Neuyorker Sportklub, wenn dieses Boot ...« usw. Nun folgte eine Beschreibung der Strecke. Dann aber hieß es weiter: »Kapitän Hans Zitt hat bereits einmal eine Weltumsegelung versucht, mußte aber infolge widriger Umstände in Island aufgeben ... Über seine Erlebnisse spricht er am ...«

»Sie!« brüllte ich, rot vor Zorn, »sind Sie wahnsinnig geworden? Glauben Sie etwa, daß ich mich zu einem solchen Schwindel hergebe – ich soll die Leute anlügen und von einer Reise erzählen, die ich nie gemacht habe?« »Ist doch gar nicht nötig«, versuchte er mich zu beruhigen. »Dies dient ja nur zur Propaganda – sprechen werden Sie eben über Ihr jetziges Unternehmen ...«

Kurz und gut, ich ließ mich nochmals »übernehmen«, wie der Wiener sagt, und an einem Samstag starteten wir zu unserer Tournee ins Burgenland. Eisenstadt sollte unser erstes Opfer werden. Mir war gar nicht wohl zumute. Eisenstadt ist eine Judenstadt. Wir wären gerne wieder weitergefahren, aber das litt der Geldbeutel nicht. So meldete ich denn die Sache bei der Gemeinde an, dann machten wir uns auf die Suche nach einem Saal. Wir fanden einen – natürlich den größten am Platze. Zwar sollte am folgenden Tag, also am Sonntag eine Filmvorführung stattfinden, aber mein Manager erklärte großzügig, dem Unternehmer eine Ablösung dafür zahlen zu wollen. Dabei hatten wir beide kein Geld mehr und mußten unsere Hoffnungen auf den Kartenvorverkauf bauen. Am Sonntagvormittag sollte die Saalmiete erlegt werden. Am Samstagabend zog mein Begleiter los. Als ich nach einer Stunde unseren Gasthof verließ, leuchtete mir von jeder Ecke und von jedem Baum einer der weißen Bogen entgegen: »Dreißigtausend Dollar ... zweite Weltumsegelung ... Kapitän Hans Zitt ...«

Heiß und kalt lief es mir abwechselnd über den Rücken. In eine saubere Geschichte hatte ich mich da eingelassen. Ich gelobte mir, nur diesen einzigen Vortrag zu halten, um die hundert Schillinge Defizit zu decken. Sehr spät erst kam der Manager zurück.

»Verkauft habe ich natürlich nichts – nicht eine einzige Karte«, teilte er mir mit.

Ehrlich gestanden – mir fiel bei diesen Worten ein Stein vom Herzen, vielleicht brauchte ich nun gar keinen Vortrag zu halten. Ich wußte ja noch nicht einmal, worüber ich sprechen wollte!

Am folgenden Morgen klopfte es zeitig an die Zimmertür. »Was ist los?« – »Polizei! Machen Sie auf!« Ich war vor Schrecken wie gelähmt, dann fuhr ich in die Kleider und öffnete. Ein Wachmann stand da. »Ich habe Ihnen mitzuteilen«, sagte er streng, »daß über Nacht Ihre sämtlichen Plakate abgerissen worden sind, und zwar auf behördliche Anordnung, denn das Recht zum Plakatieren steht nur einer Wiener Gesellschaft zu.« Damit drehte er sich um und ging wieder. Wir sahen uns an. Ich dankte innerlich dem Schicksal für die Lösung. Ohne Plakate keine Propaganda, ohne Propaganda kein Vortrag – die hundert Schillinge sollten hin sein. Der andere aber schmiedete schon wieder Pläne! »Nun erst ist die Propaganda da!« triumphierte er. »So wird unsere Sache besser bekannt als irgendwie.«

Als er wieder losging, um die Eintrittskarten zu verhausieren, drückte ich beide Daumen, daß er kein Geschäft machen sollte. Ich tat es nicht vergeblich. Niemand zeigte Interesse, er verkaufte keine einzige Karte, ohne einen Groschen kam er wieder. Wir konnten die Saalmiete nicht bezahlen und saßen nach Begleichung der Gasthofschulden glatt auf dem Trockenen. Was tun, wie zurück nach Wien? – Die Karten und die restlichen Plakate ließen wir im Zimmer liegen, während wir auf Umwegen aus Eisenstadt herausschlichen. Dann marschierten wir stramm dahin auf der Landstraße – Richtung Wien. Nach einiger Zeit hielten wir einen Lastwagen auf, der uns mitnahm. So endete die Vortragstournee.

Einige Tage vergingen, dann stand die Geschichte in allen Zeitungen. Eine Menge Leute, hieß es, hätten in Eisenstadt am Sonntag um drei Uhr vor dem Saal gewartet, aber der Weltumsegler sei spurlos verschwunden gewesen und nicht erschienen. Ich hatte es somit zu einer – wenn auch zweifelhaften – Berühmtheit gebracht. Glücklicherweise trafen in den folgenden Tagen einige Postanweisungen ein, so daß ich aus meinem Schildbürgerstreich heraus nicht allzu beschädigt in die Zukunft ging.


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