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Franz Hessel

Umstände versetzen mich in die Lage, Aufklärung über Franz Hessel erteilen zu können. Der freundliche Leser mag sie als einen Beitrag zur Geisterkunde entgegen nehmen. Als ich klein war, gab es an dem geheimnisvollen Punkte der Leipziger Straße, wo mitten im großen Wertheimpalast noch ein Laden stehen geblieben war, die altrenommierte Kolonialwarenhandlung von Ehrecke. Im Schaufenster: Mehl Ia und Kaiserauszug, Makkaroni, Gries, Zuckerhüte, sowie Teigwaren leicht gefärbt. Mit diesen Viktualien hatte es seine besondere Bewandtnis. Es stand nämlich unter ihnen, genau in der Mitte, die Herme eines Chinesen. Dieser Chinese nickte tagaus, tagein. Im ganzen Warenhaus Wertheim war er noch nachts das einzig zuverlässige Lebewesen. Als Knabe konnte ich dies Nicken nicht deuten. Aber ich habe es mir gemerkt. Wie ich dann später Franz Hessel begegnete, erkannte ich sofort den Chinesen von Ehrecke. (Inzwischen hatte der Laden bekanntlich geräumt werden müssen.) Es fehlten mir aber vorderhand die Beweisstücke. Endlich halte ich sie in Gestalt seiner »Teigwaren, leicht gefärbt« Franz Hessel, Teigwaren, leicht gefärbt. Berlin: Ernst Rowohlt 1926. 148 S. in den Händen. Nun verstehe ich auch das Nicken. Er nickte nämlich nicht etwa den Leuten zu. Mir dämmerte auch schon damals, diese Gebärde sei eigentlich ein bescheidenes, erschüttertes Ergriffensein von der Qualität seiner Ware. Aber es ist noch mehr: unter gesenkten Lidern der schräge Blick durch das Schaufenster.

Dieser blaue Chinese kennt das Berliner Publikum besser als irgendeiner von den Wertheimschen Verkäufern. Er hat auch aus dem ausgetretenen Asphalt vor seinem Laden als ein gelehrter Mandarin alles Verborgene abgelesen, was die Berliner Steine von Berlin zu sagen haben. (Vielmehr nicht eben Steine, die an Berlin nicht das Wichtige sind, sondern im Grunde gerade der Asphalt.) – »Leicht gefärbt« ist keine chinesische Floskel, sondern für solche Teigwaren – das sind: Nudeln – ganz einfach die Bedingung ihrer Haltbarkeit. »Ohne jeden Sauerteig«, »ganz trocken« definiert sie unter »Tabernakel – Unwillen« der Brockhaus. Diese in allen Wassern gewaschenen Nudeln müssen 20 Minuten über leichtem inneren Feuer des Lesers aufgesetzt werden. Die Mahlzeit ist nahrhaft wie Märchen. Und schließlich sind im Grunde Märchen wohl die Region, in welcher dieser Chinese zuständig ist. Vor seinen Blicken geht alles gut aus und die Geschichten, die er weiß, haben die Konstruktion von Zauberspielzeug. Kurze Geschichten, aber keine short stories. Jede mit einem doppelten Boden: wenn man das obere Fach aufmacht – eine Moral, dreht er dann unversehns die Dose um eine Wahrheit. Dazu nickt er. Nur wenn man ihn um eine Erklärung bäte, würde er den Kopf schütteln.


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