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F. Panferow, Die Genossenschaft der Habenichtse.
Roman. (Aus dem Russischen übertr. von Edith Hajós.) Berlin: Verlag für Literatur und Politik [1928]. 436 S.
Im Zivilisationsprozeß der letzten hundert Jahre ist es dem Dorf seltsam ergangen. Zunächst – und fast bis in die jüngste Zeit – ist die Kluft zwischen Stadt und Land immer weiter geworden. Der Fortschritt der Zivilisation beruhte zum größten Teil auf Bedingungen, die im Dorf nicht zu schaffen waren. Plötzlich, im Laufe weniger Jahrzehnte, ist hier alles anders geworden. Kam es ehemals nicht in Frage, Gasanstalten für Dörfer zu bauen, so versorgen Oberlandzentralen das kleinste Dorf so gut wie die Großstadt mit elektrischem Licht. Kein noch so mittelmäßiges Orchester konnte an Gastspielreisen in Dörfer denken – im Radio spielen große Dirigenten für jedes Wirtshaus. Früher war, wenn es hoch kam, ab und zu die Vorstellung einer Schmiere zu sehen – im Kino sieht der Bauer so gut wie der Snob die Stars. Wenn auch dies alles nur schematisch zutrifft und sehr verschieden sich bewerten ließe – die Tatsache selbst ist unbedingt festzuhalten. Denn sie ist im Begriff, aus dem sozialökonomischen Wesen »Dorf« etwas völlig Neues zu machen.
Natürlich muß diese Entwicklung am grellsten zutage treten, wo es im Dorfe am finstersten war. In Rußland also. Mit ihr hat Panferows Buch es zu tun. Es belauscht sie, mit unerhörter Diskretion, als einen biologischen Prozeß. Es hält sich engstens an die Wirklichkeit, meidet die Utopie, auch die bescheidenste. Von Elektrifizierung des Dorfes, Industrialisierung der Landwirtschaft und wie die Schlagworte des Parteiprogramms heißen, hören wir also nichts. Desto wichtiger ist der Traktor – der eine, erste, den die Genossenschaft der Habenichtse, der armen Bauern, sich von der Kreisbehörde auf Kredit beschafft, um ihn auf einem harten, wüsten Landstück anzusetzen, das sie kollektiv in Besitz nimmt. Unsägliche Schwierigkeiten. Viele fallen ab. Sabotage. Im Verborgenen operieren die reichen Bauern, die natürlichen Feinde der Sowjets. Die Revolution nahm ihnen, was sie erspart hatten und die alte Vormacht im Dorf und das Recht, sie von neuem sich zu erobern. Das Recht, aber nicht immer die Kraft. Die Zähigkeit ihres Widerstandes, die Geschicklichkeit ihrer Manöver, die Meisterschaft ihrer primitiven Diplomatie, ihre Skrupellosigkeit, ihre Dummheit, die sie im entscheidenden Augenblick um den Erfolg bringt, kommen mit unendlichem Variantenreichtum zum Vorschein. Gerade er macht das kunstvolle Leben des Buches. In der ganzen Erzählung stößt man nur ein einziges Mal auf den politischen terminus technicus für den Feind, den reichen Bauern: Kulak. So weit ist man hier von Schablonen entfernt. Aber den lebenswarmen, schwierigen, nächtlichen Nahraum des Dorfes, das Dorf, das wohl im Allgemeinen, nicht aber im Einzelnen, sondern dann erst wieder im Unscheinbarsten, in der Nuance genau so ist, wie der Leninismus es konstruiert: das dargestellt zu haben, ist Panferow rund und erfrischend gelungen. Anders also, als die Plakate es haben wollen, wo »auf der einen Seite der Feind der Revolution, der Kulak, auf der anderen Seite der Verteidiger der Revolution, der Kleinbauer« zu sehen ist, »während der Mittelbauer abseits steht und unentschlossen auf der Lippe kaut«.
Panferow ist selbst aus dem Bauernstande hervorgegangen; daher diese leisen Sarkasmen auf jeden bürokratischen Aspekt vom Dorfe. Aber hier spricht nicht nur ein großer Kenner, sondern ein Verdichter und Durchdringer. Wie die Bauern, so gehen auch ihre Tage lautlos, auf Fußwickeln, durch das Dorf, Schauplatz und Jahreszeiten wechseln unaufdringlich und zart, aber hart und genau ist, was sie bringen. Schweiß, Kampf, Liebe und Tod. Hart und genau ist auch das Buch entstanden, in Stunden, die nach der Arbeit in der Redaktion der »Krestanskaja Gazieta«, der Arbeiterzeitung, dem Dichter blieben. Und ihrer waren nicht wenige. Denn Panferow war wohnungslos, als er dies Buch schrieb, nächtigte im Bureau. Das Erscheinen dieses Werkes hat seine Lage verändert. Es war ein großer Erfolg. 30 000 Exemplare waren in drei Wochen abgesetzt. Das Sowkino erwarb die Filmrechte. Offizielle Weihen kamen dazu. Lunartscharski begrüßte das Buch in der »Prawda«; Rußland stellt diesen Aufbauroman der Landwirtschaft neben Gladkows ähnlich gerichteten Industrieroman »Zement«.
Den deutschen Rezensenten aber muß unmittelbarer ein Anderes betreffen: Wie ist dies mit Geruch und Klima der Wolga-Niederung gesättigte Werk doch gastlich, frei, nach allen Seiten offen, kurz ganz das Gegenteil der süffisanten, kleinbürgerlichen Enge, die hierzulande »Heimatkunst« genannt wird. Die Erwartungen, Erfahrungen, Hoffnungen, Parolen der Sowjetpolitik sind freilich unter diesen Bauern erst im Entglimmen. Im Buche aber sind sie strahlend da und dringen in das Dorf wie riesenhafte Scheinwerfer ein, die dem Raum mit ihren einander überschneidenden Kegeln ein ungeahntes neues Gesicht geben.
Tarassow-Rodionow, Februar.
Roman. Übersetzung aus dem Russischen von Olga Halpern. Potsdam: Gustav Kiepenheuer Verlag 1928. 588S.
Rodionow Tarassow ist bisher im Deutschen nur mit der ausgezeichneten, viel zu wenig bekannten Novelle »Schokolade« erschienen, einem eindringlichen Porträt des Kriegs-Kommunismus. Auch das neue Werk kommt aus dem Stoffkreis der Revolution. »Februar« ist der erste Teil einer Trilogie »Schwere Schritte«. Sie wird mit den beiden folgenden Bänden »Juni« und »Oktober« die ganze Geschichte der Revolution in der Form der Roman-Chronik umfassen. Der vorliegende Band führt bis zum Sturz der Kerenski-Regierung. Tarassow bemüht sich, den Vorgang dokumentarisch, unter Beibehaltung aller Daten und Namen aufzuzeichnen. Er hat aber nicht nur die Archive studiert, sondern als Rot-Armist selber mitten in den Befreiungskämpfen gestanden. Das gibt der Darstellung jene scharfe, emotionelle Bewegung, die schon im Vorwort sich ankündigt. Dort macht zu Beginn des großen Unternehmens der Verfasser den Einwurf: Ist es nicht noch zu früh, eine überschauende, zusammenfassende Darstellung jener Vorgänge anzustreben? Und er erwidert sich selbst: »Wie kann es aber zu früh sein, wenn der Uhrzeiger, der schon Milliarden Sekunden durchlief, ein immer dichteres Netz der Vergessenheit spinnt, in dem die grellen Bilder jener nicht wiederkehrenden Tage immer tiefer und tiefer versinken.« Der vorliegende Band läßt die nachfolgenden mit Spannung erwarten. Wir werden nach ihrem Erscheinen auf das Ganze zurückkommen.