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1927

Einige ältere und neuere Neudrucke

Marsilio Ficino, Briefe des Mediceerkreises aus Marsilio Ficino's Epistolarium. Aus dem Lateinischen übersetzt und eingeleitet von Karl Markgraf von Montoriola. Berlin: Axel Juncker Verlag [1925] 276 S.

Die Meinung dieser Ausgabe ist nicht leicht zu ergründen. Denn unter denen, welche für dies Sammelwerk Ficinos interessiert sind, gibt es gewiß nicht viele, die nach einem andern Text als dem lateinischen des Originals Bedürfnis tragen. Und wenn zu diesen wenigen der Referent sich zählt und somit vorab dankbar für ein solches Unternehmen eingenommen ist, macht dessen Ausführung ihn wieder ratlos. Seit Jahren haben Übersetzer wie Wesselski, wie Hefele mit großem Glück gezeigt, daß mittelalterliches Latein sich treu in eine deutsche Fassung übertragen läßt, deren Schönheit gerade darin besteht, daß die Syntax des Urtexts hindurchschimmert. Für den vorliegenden Band läßt der Grundsatz der »getreue[n] Wiedergebung... des Humanistenlateins« nur seiner sprachlichen Fassung (nicht seinem Sinn) nach vermuten, wessen sich der Leser zu gewärtigen hat. Ein dürres, schikanöses Ostermann-Deutsch macht dieses Buch zu einer verkappten Sammlung von Übersetzungsaufgaben. Man fühlt mit seinen Sätzen Mitleid, möchte sie aus diesem Deutsch, in das man sie gepfercht hat, befreien, und lateinische Heimatluft ihnen zurückgeben. Wer aber das kann, schlägt das Buch gar nicht erst auf. Dazu kommt, daß eine heutige Ausgabe dieser Briefe sogar im Original, geschweige denn in einer Übersetzung, nach einem eingehenden Kommentar ruft, der ihr das Relief gibt, ohne welches sich allzu vieles als erbauliche Banalität liest, was einst vielleicht ein Ausfall oder eine Stichelei gewesen ist. Lebendig ist an diesem Buche nur die sachliche, ausführliche, höchst belehrende Einleitung. Der Umschlag aber – rund heraus – eine Schande: das niederträchtigste Ornamentengezücht, das je auf einem Buch zu sehen gewesen ist.

 

Karl Wilhelm Jerusalem, Aufsätze und Briefe. Hrsg. von Heinrich Schneider. Heidelberg: Verlag von Richard Weißbach 1925. 246 S.

Auf gefällige Weise erneuert eine typographisch höchst einleuchtende Ausgabe der »Aufsätze und Briefe« das Andenken von C. W. Jerusalem. Bekanntlich war er seines Freitodes wegen das Urbild des »Werther«. Die »Aufsätze« sind Übungen eines jungen Mannes über die Tagesfragen des philosophischen Rationalismus vor 150 Jahren. Aber wie schön halten nicht Vor- und Nachwort von Lessing diese unbestimmten Arbeiten seines jungen Freundes beisammen. Die Lessingschen Zusätze an ihrem ursprünglichen Ort wiederzufinden, der unvergleichlich heiteren Kindlichkeit dieses gereiften Deutsch sich erfreuen zu können, ist höchst anziehend. Und wer da will, sieht über diesem sauberen Büchlein den Geisterkampf Goethes und Lessings: des Schwärmers und des Denkers um das blasse Nachbild dieses jungen Toten hin- und herschwanken.

 

Otto Deneke, Lessing und die Possen 1754.

Heidelberg: Verlag von Richard Weißbach 1923. 80 S. (Stachelschriften. Hrsg. von G.A.E. Bogeng. Neuere Reihe. 1.)

Johann Friedrich Schink, Marionettentheater.

Hrsg. von K.W. Herrmann. Heidelberg: Verlag von Richard Weißbach 1925. 224 S. (Stachelschriften. Hrsg. von G.A.E. Bogeng. Neuere Reihe. 2.)

Der renommierte Historiker der Bibliophilie Dr. jur. Bogeng gibt bei Weißbach eine Reihe von alten Streitschriften heraus, deren bisher in vorzüglicher Ausstattung zwei vorliegen. Im ersten Bändchen behandelt Otto Deneke (berühmt durch seine hervorragende Sammlung deutscher Literatur) Lessing und die »Possen«. Cimelien aus seinem Besitz gaben Deneke Veranlassung zu einer lichtvollen Darstellung des sehr kuriosen Streites, der in den Anfängen der Lessingschen Schriftstellerei zwischen dem großen Autor und einem Anonymus – eben dem Verfasser der »Possen« – sich abspielte. Wie manierlich und elegant da auf bloßen Titelblättern eine Polemik sich ausspinnt, mag man nachlesen. – Erheblich massiver ist das zweite Pamphlet der Reihe, Schinks »Marionettentheater«, das 1778 als Protest gegen das Geniewesen ans Licht trat. Nicht witzlos, doch mit der ganzen Heftigkeit eines Apostaten verfaßt, den noch dazu die Geschichte ins Unrecht gesetzt hat. Literarhistorisch sind die beiden Stücke des Bandes »Hanswurst von Salzburg mit dem hölzernen Gat« – der Titel selbstverständlich auf den »Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand« gemünzt – und »Der Staupbesen«, sehr interessant. Der Grobianismus des 16. Jahrhunderts präsentiert sich im Aufputz des Rokoko.

 

C(arl) G(ustav) Carus, Reisen und Briefe. Ausgewählt von Eckart von Sydow. 2 Tle. Leipzig: E. Haberland [1926]. 224 S., 285 S. (Das Wunderhorn. 33/34, 35/36.)

Wenn »das Grundprinzip der Klassik in der Vollendung und das der Romantik in der Unendlichkeit liegt, so darf man den Sachverhalt der Problematik von Carus' Leben bildlich so umreißen, daß man sagt, Carus habe in seiner Art beide vereinigt, indem er auf sein heimliches Grunderlebnis der romantischen Unendlichkeit den offenbaren Stempel der klassischen Vollendung drückte«. So der Herausgeber, der hiernach Carus als das unvergleichlichste Genie verehren müßte. Doch damit ist es, Gott sei Dank, ihm selbst nicht ernst und dieser Schlußapotheose geht eine maßvolle, verständige Würdigung vorher. Es kann freilich deren Sache nicht sein, das auszusprechen, was sich für den Leser dieser beiden Bände letzthin ergibt: wie schal und bitter noch jede »Nachfolge Goethes« geschmeckt hat, ob die einstige eines Eckermann oder Carus oder die gegenwärtige eines Hauptmann. Peinliche Nachbildungen Goetheschen Memorialstils sind diese Reiseberichte, so sehr, daß dort, wo inhaltliche Ähnlichkeiten hinzutreten – in den Notizen aus Italien 1828 – sie einen gewissen Kuriositätswert erhalten. Nichts ist melancholischer als jene überreife Klassik, die im Verlauf des 19. Jahrhunderts langsam den Wohnsitz Goethes in die Residenz der Goethe-Gesellschaft überführte. Carus ist einer ihrer lautersten, autorisiertesten Vertreter, seine »Symbolik« Frucht eines edleren Epigonentums als etwa die Novellistik des späten Tieck. Zumal die »Briefe über Landschaftsmalerei« und die »Fragmente eines malerischen Tagebuchs«, von denen einiges in dieser Auswahl zu finden ist, sind auf wirklich schöne Weise sentimental und ein nie zu erreichender Text zu Caspar David Friedrich und Otto Runge. Darum ist diese ganze Produktion doch um nichts weniger historisch und eine Neuausgabe zumal der »Reisen« beschwört eine geistige Haltung herauf, von welcher Deutschland nichts mehr zu erwarten hat.

Heinrich Bruno Schindler, Das magische Geistesleben. Ein Beitrag zur Psychologie. Nach der Erstausgabe von 1857 mit einem Nachwort neu hrsg. von Curt Moreck. Celle: Niels Campmann 1927. 433 S.

Diesem Neudruck von 433 Seiten fehlte jeder Anlaß. Die Schrift des Mediziners Schindler ist ein typisches Dokument jener romantischen Psychologie, die als Lehre von den Träumen, von der Nachtseite der Seele, von den magnetischen Strömungen neben der Naturphilosophie von Ritter, Oken und andern einhergeht. Leider aber ist sie nur »typisch« – farblose Variante dessen, was Schubert, Carus, Ennemoser vorgebracht hatten, und im Quellenmaterial so unkritisch und verworren, daß man schon auf Görres' »Christliche Mystik« zurückgehen muß, um ein ähnliches Konvolut von Angaben »magischer« Vorfälle allerverschiedenster Art zu finden. Daß dem Buch nicht nur ein Register, sondern selbst das Inhaltsverzeichnis fehlt, ist für diese Art von Kompendien bezeichnend. Dabei mag die Schrift zu ihrer Zeit nicht unverdienstlich gewesen sein, wenn auch die schwächliche, moderantistische Theorie, die da aus dem einigermaßen beschränkten Gesichtswinkel des dilettierenden Arztes entwickelt wurde, von vornherein etwas privat anmutet. Heute aber, da das erste Anliegen der Forschung die strenge Sonderung der vielen höchst heterogenen Dinge ist, die unter dem Begriff des »Magischen« vor hundert Jahren zuerst zusammengefaßt wurden, ist der Neudruck dieser Schrift geradezu anstößig. Von der aktuellen Sachlage auf diesem Gebiet verrät der Herausgeber in einem Nachwort, das ebenso unpräzise ist wie das Buch, keine Kenntnis. Der Forscher, wenn anders er es zu benutzen hätte, findet es auf jeder Bibliothek. Wer sonst sich an den vielen Geistergeschichten erbauen will, mag immerhin zugreifen.

 

Friedrich Heinrich Jacobi, Die Schriften. In Auswahl und mit einer Einleitung hrsg. von Leo Matthias. Berlin: Verlag »Die Schmiede« 1926. 227 S.

Von Weishaupt, dem Begründer des Illuminatenordens, hat Jacobi gelegentlich einmal bemerkt, er sei für den Versuch viel zu gut, »aus dem Geist unserer Zeit, der ein Gespenst ist, ein lebendiges handelndes Wesen zu machen. Aber selbst bei diesem Mißgriff hat er sich genommen wie ein Mann.« Jacobi hat dies Gespenst – den Zeitgeist der Aufklärung zu exorzieren versucht. Man kann nicht durchaus sagen, daß er sich als Mann dabei »genommen« hätte. Aber die Texte dieser Exorzismen bleiben denkwürdig. Jacobi hat Religion nicht aus orthodoxer Beschränktheit gepredigt. Früher als andere, mit Bewußtsein, hat er gesehen, was Religion der Ordnung des profanen Lebens bei den einzelnen wie bei den Völkern bedeutet. Er hat, wie das Matthias sehr gut darlegt, als erster eine menschliche und zugleich politische Nötigung zu »glauben« gesehen, selbst dieser Nötigung nicht wahrhaft zu folgen vermocht und, mit einem antirationalistischen Puppentheater, gewissermaßen, die Disputationen Dostojewskischer und Kierkegaardscher Menschen vorbereitet. Sein bestes Wissen blieb stets ein »Wissen, daß nicht ...«, es ist kein Zufall, daß die Kritik des kantischen Kritizismus von allem, was er schrieb, am tiefsten gewirkt hat. Was er dagegen positiv zu sagen wußte, fiel in gefährlichem Sinne beschränkt und privat aus, ohne sich innerlich so durchzubilden, daß wie bei Hamann dem ursprünglichen Protest in der Fülle der sprachlich-stilistischen Variationen die besten Gedanken erst zufielen. Als Philosoph der Systemlosigkeit bleibt Hamann Jacobi, dem systematischen Streiter gegen Systeme, sehr überlegen. Hamann ist ebenso sehr männlich, satyrhaft, wie Jacobi weiblich und weibisch. Diese Weiblichkeit ist nicht ohne Sinn für das Schöne, im Tiefsten aber unsicher gewesen. Und eine Unsicherheit, die dem männlich ringenden Denker Ursprung von wahrem Pathos hätte werden müssen, wird in dem weiblichen Ingenium, das die aufgeklärte Despotie des Gefühls zu errichten strebt, etwas sehr Peinliches. Oder, wie Friedrich Schlegel in der Besprechung von Jacobis »Woldemar« zu dessen Vorsatz, »Menschheit, wie sie ist, erklärlich oder unerklärlich, aufs gewissenhafteste vor Augen zu legen«, bemerkte, im Gründe sei »hier unter ›Menschheit‹ nur die Ansicht eines Individuums von derselben verstanden ... und daß es also eigentlich heißen sollte: › Friedrich-Heinrich-Jacobiheit, wie sie ist, erklärlich oder unerklärlich, aufs gewissenhafteste vor Augen zu legen‹«. Das ist mit dieser Auswahl vorbildlich geschehen und die meisten werden sie heute dem »Woldemar« vorziehen.


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