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Alexander Mette, Über Beziehungen zwischen Spracheigentümlichkeiten Schizophrener und dichterischer Produktion.

Dessau, Dresden: Dion-Verlag 1928. 99 S.

»Die Hölderlinkrankheit des angehenden zwanzigsten Jahrhunderts ist wie die Ossiankrankheit des endenden achtzehnten dafür reif, ... von nobleren Leserklassen abgeschüttelt zu werden« schrieb unlängst Rudolf Borchardt in der Anmerkung zu seinem Aufsatz »Hölderlin und endlich ein Ende«. Man kann sich fragen, ob dies strenge und nicht restlos gerechte Urteil bei Gelegenheit einer Schrift zu erinnern ist, die im einzelnen sehr gewinnende Züge hat. Auch ist Hölderlins Krankheitsproduktion – so könnte man einwenden – für sie nicht Gegenstand, sondern nur Beispiel. Zugegeben. Aber was ist dem Autor Gegenstand? Worum geht es ihm? Das »Fazit« seiner Untersuchung liegt ganz und gar im Rahmen jener populären »Genie- und- Irrsinn«-Schablone, die bei wechselndem wissenschaftlichen Anstrich seit Lombroso dieselbe geblieben ist. Das Mißverhältnis zwischen der Großartigkeit des Materials auf der einen, dem gedanklichen Ertrag auf der anderen Seite fällt hier um so viel deutlicher der Fragestellung zur Last, als die Sorgfalt der Untersuchung gewachsen ist. Der Leser wird Bewunderung für die Konzentration und die Erfahrung fühlen, die dem Verfasser die Deutung von schwierigen Krankentexten erlaubt und das hohe Maß von Menschlichkeit, das aus ihr spricht, jedem Psychiater wünschen. Nichtsdestoweniger wird er gut tun, dem, was hier getrieben wird, fernzubleiben. Denn die Intentionen des Autors sind bei weitem nicht tief und umfassend genug, um das Operieren mit so gefährlichen Sprachgemengen zu rechtfertigen. Weder die Schizophrenie noch die Lyrik sind hier neu, ja überhaupt nur gedacht worden. Darum hat dies Spiel mit Symptomen, dies Kombinieren schizophrener und lyrischer Texte etwas Desperates. Dem Verfasser fehlte die Entschlossenheit, seine scharfen und glücklichen Analysen für eine Theorie der Krankheit zu verwerten, ja ihr zugrunde zu legen, statt sie in einer Psychologie des lyrischen Dichters zu strapazieren. Er hätte dann weder bei den unfruchtbaren Demarkationsversuchen zwischen schizophrener und dichterischer Produktion sich aufgehalten, noch, statisch und typologisch, den Wahnsinnigen mit dem Gesunden verglichen. Vielmehr hätte er die Schizophrenie, dialektisch und kollektivistisch, als Bewegung im Medium der Sprache, und damit als eine Erscheinung erkannt, die nur in ihrem lebendigen Gegensatz zur Sprachgemeinschaft verständlich ist. Die Urzeit – im Bilde zu reden: die Tiefsee – der Sprache, das ist das Medium, in das sie beide, der Dichter und der Kranke, herabtauchen. Der Lyriker tut es in der Taucherglocke der Kunstform, verantwortlich und auf Zeit, der Kranke nackt und bloß, so daß er bei den Schätzen da unten, die er zu heben nicht imstande ist, verbleibt. Hat man dergestalt den Raum der Individualität mit ihrem trügerischen Kunstbegriff verlassen, so klären sich die Dinge von selber. Denn auch hier tritt das wahrhaft Aktuelle uns am Ende einer historischen Perspektive entgegen. Dagegen ist es beim Verfasser zu kurz gegriffen. Sein apologetisches Interesse für die Lyrik des Expressionismus ist dafür der beste Beweis. Denn nicht darum versagt der Schizophrene in seinem expressionistischen Bedürfnis nach »Wesenserfassung, unmittelbarer Wiedergabe des Gefühlten ..., weil zu seiner Objektivierung ein geistiger Fond und ein sprachliches und logisches Leistungsvermögen nötig wäre, die nur dem genialen Dichter und Philosophen zur Verfügung stehen«, sondern weil diese Objektivierung kollektiv von der Sprache selber bereits geleistet und der Kranke bemüht ist, in einem Sprachprozeß Berufung einzulegen, der in der letzten Instanz vor Jahrhunderten ist entschieden worden.


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