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Ein Buch für die, die Romane satt haben

Deutsch unter dem Titel »Männer«. (Ernest Hemingway, Männer, übertr. von Annemarie Horschitz, Berlin 1929.)

Vor kurzem erschien ein Buch »Men without women«. Es ist eine Novellensammlung. Hier aber soll von einer Sammlung von Essays die Rede sein, die es sämtlich mit wirklichen Menschen zu tun haben: Mystikern, Ärzten, Seefahrern, Dichtern; Deutschen, Schweizern, Engländern, Spaniern. Immer am Leitfaden ihrer Selbstbiographie oder ihrer Werke. Und auch dies Buch – »Studien zur europäischen Literatur« von Fritz Ernst Fritz Ernst, Studien zur europäischen Literatur. Zürich: Verlag der Neuen Schweizer Rundschau (1930). 222 S. könnte gut »Männer ohne Frauen« betitelt sein. Nicht, daß sie alle unverheiratet, geschweige frauenlos geblieben wären. Aber es ist das Männliche, das, je nachdem, keines Trostes Bedürftige oder das Untröstbare, worum es dem Autor zu tun war. Es muß ein solches Buch vielleicht hin und wieder geschrieben werden, um einem klar zu machen, wie üppig, wie besonnt und wie schlaff die Lebenszüge »großer Männer« meistens dargestellt werden. Die Sätze unseres Autors dagegen möchte man mit einem Baldachin vergleichen. Sie ehren, aber beschatten zugleich, wen sie meinen.

Solche Darstellung trifft kein Wissen, dem nicht eine moralische Haltung sich innig verbindet. Hier ist es nicht die Bewunderung, die so oft zum Unartikulierten oder Banalen führt, sondern besonnene in Erfahrung begründete Dankbarkeit. »Les Egyptiens avoient une loi contre l'ingratitude. Cette loi s'est perdue.« So steht nicht umsonst als Motto vor diesem Bande. Dankbarkeit: denn jede einzelne dieser trostentrückten Existenzen ist dem Verfasser selber Trost geworden. Nicht ihr bloßes Dasein an sich, noch weniger aber dessen Produkte, sondern die verlassenen, die verwüsteten Lebensbreiten als Nährboden seltener, verborgenster Heilkräuter. Wirkliche Dankbarkeit leitet den Mann, sein Blick für das versteckte, entscheidende Kennzeichen ist der des Kindes, das Kräuter für einen Kranken sammelt. Ein Schwyzer Kind, von dem wir vielleicht einmal ein zweites »Chrut und Uchrut« für die arme Europa erwarten können. Daß er die Wunderkräfte der Sprache kennt, beweist nicht sein Reichtum an Themen allein, sondern mehr noch die Haltung, mit der er sie darbringt. Etwas wie diesen »Pestalozzi« findet man nicht leicht ohne ihn. »Das Wunder Pestalozzi« ruft der Verfasser, aber dann rechtfertigt er solchen Titel mit ganz einfachen, ungerührten Feststellungen. »Er durfte nicht das Ungewöhnliche, sondern nur das Gewöhnliche auf unerhörte Art vollbringen.« »Es scheint keinen menschlichen Mangel zu geben, den zu beheben ihn nicht Leidenschaft ergriffen hätte.« Oder er stellt die wohltemperierte Öde von Gontscharows Existenz dar und belegt sie mit dem trübseligsten Emblem: »Sein Lieblingstier war das uralte Steckenpferd der Klugheit, nämlich der gemäßigte Fortschritt, insbesondere solange sich dieser mit dem Bereich materieller Dinge begnügte.« Es ist ein im hohen literarischen Sinne farbloses Buch; denken wir an Gide, der den Deutschen die höchste Stilkunst, die Fähigkeit rein zeichnerischer Darstellung abspricht, so werden wir ihn hier mit Freuden Lügen strafen. Kann man denn sicherer und silberstiftiger über Kügelgens »Jugenderinnerungen eines alten Mannes« schreiben, als mit den Worten: »Es geht eine eigentümlich greifbare Treue durch das Ganze«? Die Darstellung Kügelgens macht neben der Pestalozzis nicht nur den Gipfel, sondern auch das Grundmotiv dieses Buches sichtbar: das gedämpfteste, Dantesche »Besiegt siegt er im Gnadenüberschwange«.

Dem Verfasser ist nichts so nahe gegangen wie dies Bezwungenwordensein im Leben der Großen. Seine Kunst ist, aus Frost und Nebel, in dem ihr Dasein verstrich, die Wintersonne ihrer Unsterblichkeit zu locken. Mit nichts anderem, als ungeblendet einen Lichtkern fixieren zu können, läßt die erstaunliche Anziehungskraft dieses Buchs sich vergleichen.


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