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Nicolas von Arseniew, Die russische Literatur der Neuzeit und Gegenwart in ihren geistigen Zusammenhängen in Einzeldarstellungen.

Mainz: Dioskuren-Verlag 1929. (Welt und Geist; Die Literaturen der Gegenwart.) 410 S.

Dies ganz hervorragend schlechte Buch wirft eine Reihe unlösbarer Fragen auf. Wie hat es einen Verlag gefunden? Denn wer wird dieses Sammelsurium erzbanaler Redensarten kaufen? Wie hat es einen Herausgeber gefunden? Denn wer konnte es verantworten, diese dilettantische Schöngeisterei mit seinem Namen zu decken? Wie hat es einen Setzer und Korrektor gefunden, der die zahllosen Solözismen ihm durchgehen ließ? Ja, wie hat es einen Autor gefunden, da doch selbst Einer, der von seinem Gegenstand keinen Dunst hat, fähig sein sollte, zwischen zwei Schreibarten eines Namens (Jesenin S. 308; Esenin S. 311) sich zu entscheiden. Genug. Und nun einige Proben:

Die Syntax: »Seine krankhafte, wilderregte Einbildungskraft (der krankhaft erregte Zug noch gestärkt durch vieles Trinken) gebar schemenartige phantastische Visionen – es ist aber eine vernünftelnde Phantasie, kein freier poetischer Flug, eine künstlich erregte Phantasie – es mangelt seinen Gestalten sogar am phantastischen Leben (ganz anders ist es bei Hoffmann!), sie sind abstrakt konstruierte Marionettengestalten. Wo er diese unreife, pseudo-philosophische, wahrer Bildung ermangelnde (L. Andreev war recht oberflächlich gebildet, obwohl er das Gymnasium und die juristische Fakultät beendigt hatte), aber auch natürlicher kräftiger Ursprünglichkeit ermangelnde, krankhaft überwuchernde Einbildungskraft in Zügeln hält, können sich seine Augen für die Wirklichkeit öffnen.« (S. 187.)

Das Vokabular: »Die Erzählung ›Das Kind‹ zeigt das Ruchlose dieser bolschewistischen revolutionären Psychologie, wie sie im niederen Volk bei primitiv-einfachen Menschen zum Ausdruck gelangt.« (S. 314.) Gemeint ist natürlich Psyche, vgl. S. 334.

Die Mentalität: »Dieselbe abgeschmackte, aber dabei speziell sentimental-sadistische Art, die nach dem blutigen Greuel des Bürgerkrieges riecht, verbunden mit dem schöngeistigen Bolschewismus einiger Moskauer kommunistischen literarischen (!) ›Salons‹ finden wir bei dem russisch-jüdischen Literaten Babel.« (S. 330.)

Das Niveau: »In der russischen Literatur und im russischen Geistesleben wird er [sc. Gorki] besonders als der Vorbote der bolschewistischen Revolution ... leben, eine nicht besonders schmeichelhafte Auszeichnung.« (S. 183.)

Die Sachlichkeit: »Auch das sittliche Gesetz wird im Bolschewismus verneint, übrigens durchaus folgerichtig: da es nichts Göttliches gibt und dazu auch keine Seele, wie könnte es ein sittliches Gesetz geben? ... Ein ungeheuer hoher Prozentsatz von Kindern (in den Petersburger Schulen bis 52 %) ist mit Geschlechtskrankheiten angesteckt ... Auch keine Familie soll es geben.« (S. 134.)

Der Mann, der hier mit dem Begriffsschatz und dem Horizont eines Pogromkosaken an die gewaltigen Leistungen der russischen Epik herangeht, ist, wie der Titel lehrt, Professor in Saratow gewesen, zurzeit aber Privatdozent in Königsberg. Und somit ist sein Buch, wenn schon nicht absolut unerläßlich zur Kenntnis des russischen Schrifttums, für die der deutschen Universitäten desto belangvoller, wo man mitunter offenbar nicht einmal Deutsch zu können braucht, wenn man nur das Herz auf dem rechten Fleck hat.


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