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2.

Die beiden Brüder, Ruben und Manasse, waren um dieselbe Zeit in ihrem väterlichen Hause angekommen. Es lag in einer engen Gasse. Sein Geschäftslokal hatte der Vater mehr nach dem Meere zu in einer Hauptstraße. Dort hielt er eine Wechselstube. In kleinem Stile, aber sehr solid. Er galt für wohlhabend und war geachtet. Gesucht freilich nicht, denn er war nicht zugänglich und vermied jedes unnütze Gespräch. Er ging als orthodoxer Jude jeden Morgen in die Synagoge, arbeitete den ganzen Tag in seinem Kontor und war gegen Abend in seiner Behausung, um stets bei Kerzenschein mit seinen Söhnen im Talmud zu lesen.

Er wohnte zu ebener Erde mit seiner Frau in einem großen Gemache, an welches Schlafzimmer grenzten und ein kleiner Salon. Dieser war für Frau Ruth – so hieß die Frau – welche zuweilen von jüdischen Frauen besucht wurde.

Er selbst, Abraham Schmuel geheißen, war ein kleiner Mann von sechzig Jahren mit dünnem grauen Haupthaar und langem grauen Barte. Sein Gesicht, von streng orientalischem Typus mit gebogener Nase, hatte etwas Vergrämtes, sein Wesen zuweilen etwas Heftiges, er war nervös.

Er saß jetzt wie jeden Abend in der Mitte des Zimmers an einem runden Tische, auf welchem drei Bücher lagen und auf welchem ein silberner Armleuchter stand mit drei brennenden Kerzen.

Frau Ruth saß in einer Ecke des Zimmers auf einem Lehnstuhle. Sie hatte ein kleines Tischchen vor sich, auf welchem ein Buch lag und eine elegante Lampe stand. Sie las nicht, sondern lehnte sich zurück in den Sessel und sah vor sich hin. Hohen Wuchses, war sie noch eine schöne Frau, obwohl fünfzig Jahre alt, wohlbeleibt, von weißgelbem Teint mit schwarzen Augen und schwarzem Haar, welches eine schmale, vergoldete Haube, der Vorschrift entgegen, ungenügend einhüllte. Ihre fleischige, schön geformte Hand lag auf dem Buche, und in ihrem edel geschnittenen Antlitze lag ein stilles Behagen.

In dem dunkel tapezierten Zimmer herrschte eine Zeitlang vollständiges Stillschweigen.

Endlich sagte Vater Abraham mit scharfer Stimme: »Wo bleiben wieder die Knaben?«

So nannte er hartnäckig die erwachsenen Söhne. Ruben war vierundzwanzig, Manasse dreiundzwanzig Jahre alt.

»Sie werden schon kommen,« erwiderte Ruth, »Ruben hat heute das Klavier stimmen lassen zum Gesange.«

Das Klavier stand ihr gegenüber in der andern Ecke des Zimmers. Vater Abraham warf einen Blick dahin und zuckte, mit den Achseln. Er war nicht musikalisch; Ruth aber war es.

Da traten die Söhne ein und sagten: »Guten Abend!« Manasse trat zum Vater, Ruben zur Mutter und küßte ihr die Hand. Sie streichelte ihm die Wange.

»Die Sterne leuchten vom Himmel!« sagte wie vorwurfsvoll Vater Abraham.

»Soeben erst«, erwiderte Manasse, und er wie Ruben setzten sich an den Tisch. Jeder schlug sein Buch auf, den Talmud, nachdem der Vater die Zahl der Seite genannt.

Nun las Vater Abraham einen langen Satz vor, sehr langsam und mit starker Betonung einzelner Worte. Dann schwieg er, legte die Hand auf sein Talmudbuch und sprach: »Ihr kennt den Satz?«

»Ja,« sagten beide Söhne.

»Ist was zu sagen? Was zu fragen?«

»Nichts, nichts; alles klar«, sagte Manasse.

»Klar? ja« – sprach Ruben – »aber auch richtig? Ich erhebe Einwand.«

»Welchen?« rief Vater Abraham in ärgerlichem Tone.

Nun entwickelte Ruben seinen Einwand, und es erhob sich ein Disput mit dem Vater, der von seiten des Vaters immer lebhafter, ja gereizt wurde, bis Ruth aus dem Hintergrunde rief: »Abraham!«

»Natürlich immer für ihn!« – sprach der Vater gegen sie hin – »immer. Dein Sohn Ruben entfernt sich alle Tage weiter von den Gedanken in Zion. Nach Samaria hat er schon lange geneigt, jetzt ist er nahe bei Golgatha.«

»Höre ihn singen« – sprach Ruth – »und du wirst erkennen, daß seine Seele in Zion wohnt. Singe, Ruben!«

Ruben ging ans Klavier, spielte eine Einleitung mit sicherer Fertigkeit und sang alsdann ein Lied der Synagoge mit ergreifendem Ausdrucke.

Er hatte eine hohe Baritonstimme von wunderbarem Klange und von hinreißender Weichheit. Selbst der strenge Vater widerstand ihr nicht und senkte sein Haupt tief auf den Talmud. Es war wohl vorzugsweise der kirchliche Gesang, welcher ihn ergriff, aber er ergriff ihn mächtig. Frau Ruth trocknete sich die Augen, nur Manasse schien gleichgültig zu bleiben. Er war auch nicht musikalisch, war auch im Grunde nicht religiös, obwohl er immer dem Vater zustimmte.

Ruben blieb am Klavier sitzen und phantasierte, weich, stürmisch, wunderlich. Der Eindruck, welchen er draußen von Kamilla empfangen – man konnte vielleicht sagen erlitten – befing ihn gänzlich. Die Mutter sogar meinte, aus dieser phantastischen Musik Ungewöhnliches, Drohendes herauszuhören, und sie stand auf.

Da erhob sich auch Vater Abraham, machte eine abweisende Bewegung gegen Ruben hin und sagte zu Manasse: »Nimm die Bücher mit; lösch aus!«

Er ging mit Manasse ins Nebenzimmer, nachdem dieser die Kerzen ausgelöscht. Ruth trat zu Ruben, welcher weiterspielte. Sie legte die Hand auf sein Haupt; er pausierte.

»Ist dir etwas begegnet, mein Sohn?«

»Ja, Mutter. Ich glaube, ich bin ins Herz getroffen, und ich weiß nicht, ob ich mich freuen, ob ich mich betrüben soll. Seh' ich den Vater an mit dem Talmud, so muß ich mich betrüben, denn für meine Lebensbahn erblick' ich da nur die Wüste, die brennende Sonne, keine Handbreit Schatten, keine Handvoll Wasser für meinen Durst. Seh' ich aber nach ihr hin«; –

»Ein Mädchen?«

Er nickte mit dem Kopfe.

»Von den Christen?«

Er nickte wieder.

»Also ein Unglück!«

»Nein, nein! Ich war nie so glücklich.«

»Geh' morgen hinüber zur Rebekka! Sie liebt dich, sie ist schön, sie ist reich.«

»Sie ist mir fremd, wildfremd.« Manasse war während dieser Reden ins Zimmer zurückgekehrt und zu ihnen getreten. Das schien sie gar nicht zu stören. Er war nicht der Liebling der Mutter, sondern des Vaters, und obwohl der Vater gewiß nichts erfahren sollte von dieser Angelegenheit, so zeigte doch weder die Mutter noch Ruben ein Bedürfnis, vor Manasse stillzuschweigen. Das Familienband war so eng, daß jeder des andern sicher war und Mutter wie Ruben nicht daran dachten, Manasse könnte etwas an den Vater verraten, was dem Bruder Schaden brächte. Als demnach Ruth ohne Unterbrechung weiter fragte: »Wer ist das Mädchen?« da antwortete Manasse ruhig: »Die junge schöne Italienerin draußen bei der Frau Molitore.«

Er hatte ja draußen und beim Heimgehen erkannt, daß Ruben von einem starken Eindrucke betroffen worden. Er fuhr also fort: »Sie heißt Kamilla – den Vaternamen weiß ich nicht, und ist zum Besuche bei der reichen Molitore, ihrer Tante.«

»Warten, Kinder, warten! Vor dem Vater schweigen! Du bist so aufgeregt, Ruben, daß ich – nein, Kind, so hab' ich dich ja nie gesehen! Sonst bist du ja sanft und besonnen. Fasse dich. Solch eine plötzliche Aufregung vergeht wieder, sie wird vergangen sein, wenn du geschlafen hast. Auf Wiedersehen morgen! Manasse, hilf sorgen, daß er zeitig zu Bett geht und nicht mehr spricht. Geht, geht!«

Dabei schob sie Ruben seinem Bruder zu. Manasse nahm Ruben unter den Arm und führte ihn wie einen Kranken in den ersten Stock hinauf, wo jeder sein Zimmer hatte.

Ein so ungleiches Brüderpaar! Manasse, klein und dürftig gebaut, mit einem stark jüdischen Gesichte, vorspringender gebogener Nase, rabenschwarzem dicken Haar und schwarzen Augen, welche ein wenig schielten, mit scheinbar zu langen Armen, und dicken, großen Händen. Ruben daneben schlank und ziemlich hoch gewachsen, mit einem edlen Antlitze, in welchem große braune Augen herrschten.

Ebenso waren sie verschieden im Charakter. Als Manasse den Bruder in sein Zimmer gebracht, sagte er – bis dahin hatten beide geschwiegen – und lachte dazu laut: »Was machst du für ein Gesäures? Ein bildhübsches Mädchen und ein bildhübscher Junge, das paßt ja zusammen. Ob's weiter zusammengeht, wer fragt denn sogleich danach! Du willst sie wieder sehen, du willst sie allein sehen –«

»Manasse!«

»Ja doch! Eins nach dem andern. Morgen ist auch ein Tag, und ich hab' dem feisten Abbate morgen eine kleine Summe Geldes zu bringen – er spielt klein wie ein kleines Kind an der Börse – da komm' ich wieder ins Haus, und da werd' ich mich weiter – umschaun, was zu machen sei, umschaun, so weit sie's zulassen; denn sie schieben mich gern vor die Tür, weil ich ein Jude bin, aber das Mädchen ist still dabei, wer weiß! Du siehst ja nicht aus wie ich, du siehst aus wie ein Kavalier, wer weiß! Nur Geduld! Du wirst ihr gefallen. Wenn ich dich vor sie bringen kann, ist's zwar eine Dummheit, aber es geht mir ebenso, wenn ich ein hübsches Mädchen seh', man wird auf der Stelle des Kuckucks, man bandelt an. Ich hüt' mich freilich vor den Vornehmen, aber am Ende, du bist auch anders als ich und hast mehr Chance. Also Courage! Der Moses muß uns helfen, der kennt alle Schliche. Ich such' ihn morgen früh auf. Bis dahin schlaf', schlaf' und träume. Wenn ich aussähe wie du, da hätt' ich die schönsten Träume. Gute Nacht!«


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