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17.

Bei der Rückfahrt hatte sich der dunkle Wolkenhimmel allmählich gelichtet, und als die Gesellschaft in Triest ankam, da schien die Sonne. Daraufhin sagte Bellosi: »Die Natur macht es immer gut, man muß ihr nur Zeit lassen.«

Farmer war verstimmt und trennte sich schon am Bahnhofe von den übrigen. Ruben war unverändert schweigsam, aber, wie es schien, innerlich ruhiger. Wenigstens beschwichtigte er mit sanftem Worte den zudringlich sorgfältigen Moses, welcher sich durchaus tröstend erweisen wollte.

Im Zimmer allein mit ihm, fragte er doch endlich: »Hab' ich recht von dir gehört, Moses, daß Signora Kamilla heute morgens oben gewesen ist bei der Platane?«

»Wahr und wahrhaftig? Ich hab's ja schon zehnmal gesagt. Und sie schaute aus, glatt und unverändert wie jemand, dem kein Haar gekrümmt worden. Sie tun ihr unrecht mit Ihrem Verdachte. Nur der Brief hätte wegbleiben und ich hätte ihn nicht abgeben sollen. Die Dummheit ist aber gemacht, und jetzt sollten Sie rasch was Besseres schreiben, was Besseres.«

»Nein, Moses, ich habe nichts mehr zu sagen. Zu sagen hätte sie, und sie wird schweigen. Im Grabe schweigt man. Zunächst muß ich dem Vater Wort halten, ich muß zu ihm, muß auch noch seine Vorwürfe hinnehmen.«

So ging er denn – – Im elterlichen Hause kam ihm die Mutter entgegen, und führte ihn rasch in ihr Zimmer. »Der Vater«, sagte sie, »ist sehr hinfällig, und es kann gefährlich für ihn werden, wenn er dich sieht und hört. Es vergehen ihm auch schon oft die Gedanken, er weiß kaum noch, daß er dich bestellt hat. Wie blaß siehst du aus, Ruben! Erfrisch dein Herz, und gib nicht alles verloren.«

»Wie soll ich nicht, Mutter! Ich habe geglaubt, ich wäre ein Mensch wie ein anderer. Ich wußte das; ich weiß es nicht mehr. Sie schämt sich meiner, Kamilla. Alle Welt findet das natürlich, sie eben auch.«

»Nein.«

»Wie kannst du nein sagen?«

»Ich habe sie kennen gelernt damals, und ich weiß, daß sie rein ist und unverdorben. Du hast noch keine Nachricht von ihr?«

»Keine.«

»Sie wird erstaunt sein, wohl auch erschrocken über das Geschrei, welches die anderen erhoben haben, aber weiter nichts. Ich werde versuchen, sie zu sprechen. Zunächst werde ich ihr schreiben. Schick mir den Moses, daß er den Brief zu ihr bringe – still, der Vater.«

Der alte Abraham trat ins Zimmer. An der Tür blieb er stehen und sagte: »Da ist er; mein Ohr hat mich nicht getäuscht. Der Sohn geht dem Vater aus dem Wege, der Sohn beschimpft seinen Vater, sein Haus, seinen ganzen Stamm.«

»Zuviel!« rief da plötzlich Ruben. Dieser Vorwurf erbitterte ihn, die Erbitterung verwandelte seine ganze Stimmung. Er ging auf den Vater zu – die Mutter eilte zwischen beide und führte den Vater zu einem Lehnstuhle, damit er sitze, denn die Kraft zum Stehen schien ihm zu gebrechen. Aber der Zorn des Alten ließ sich nicht wenden; er schalt auf das heftigste in Ruben hinein, daß er das Blut der Seinen verleugnet und verraten, daß er seine Neigung an eine Christin verschleudert habe, bis man ihn fortgejagt, bis man das Judentum in ihm geschmäht und angespien habe. Nicht du allein bist gedemütigt, wir sind es alle; nicht du allein bist beschädigt, wir sind es alle, denn es ist wieder einmal laut geworden durch alle Gassen: sie sind aussätzig, diese Juden, werft die Zudringlichen hinaus auf die Landstraße.

»Zuviel, zuviel, alter Mann« – schrie Ruben fast – »der Vater klagt den Sohn an, daß er sein Sohn ist. Warum verwirft man mich denn? Weil ich Abrahams Sohn bin, und Abraham will mich deshalb strafen? Das wird Unsinn. Ich habe als Judensohn mich beschieden, an eine Verbindung mit der geliebten Christin nicht zu denken, um den fanatisch jüdischen Vater nicht zu kränken – war das nicht genug? Nein. Da man mich verachtet, weil ich sein Sohn bin, greift er selbst mir an Herz und Nieren und reißt die letzten vernünftigen Bande entzwei. Wohl! Bisher war ich ein Lamm, jetzt fühl's ich aber, daß ich –«

»Ruben, Ruben, mein Sohn, sei still!« unterbrach ihn die Mutter, indem sie ihn umfaßte und erst die Hand, alsdann den Mund auf seine Lippen drückte. Sie zitterte jetzt auch, denn sie hatte ihren Ruben nie so gesehen, er war wirklich verwandelt.

Vater Abraham achtete nicht darauf, sondern fuhr fort in Schmähungen, alles an Ruben vernichtend, auch sein geschäftliches Treiben. Alles sei unsolid an ihm bis auf die Firma und den Namen und bis zu dem heillosen Kompaniegeschäft mit dem Schwindler Farmer, der auf dem Punkte stehe, zusammen zu krachen, wie seit einer Stunde bekannt geworden. »Also auch das noch,« kreischte der Alte, »die Schande des Bankrotts auf mein Haus!«

Da trat hastig Manasse ins Zimmer, und ging, ohne wie sonst ängstlich den Vater zu beachten, stracks auf Ruben zu, ihn am Arme fassend und halblaut sagend: »Komm ins Kontor Ruben, komm gleich! ich halt's nicht aus. Trotzdem es geschlossen ist wie jeden Abend, drängen sich Leute von allen Seiten ins Haus und wollen Wechsel präsentieren und Forderungen, weil du und ich morgen nicht mehr zahlen würden – ich weiß mir keinen Rat.«

»Da haben wir's blank, wie ich gesagt,« schrie der alte Abraham, »die Schande des Bankrotts fällt uns auf den Hals.«

»Ich komme«, sagte Ruben ganz gefaßten Tones, reichte der Mutter die Hand und ging hinweg, kein Wort an den Vater richtend. Manasse folgte ihm.

Die grellen Vorwürfe des Vaters hatten wie eine ungerechte Übertreibung heilsam auf Ruben gewirkt; die gesunden Kräfte in ihm hatten sich gesammelt, er war gleichsam nüchtern geworden, und als er vor dem Kontor die fragenden Gläubiger fand, da erklärte er so trocken wie nachdrücklich, sie seien ganz und gar im Irrtum. Ihre Besorgnis sei völlig unbegründet, es habe keinerlei Unglück sein Geschäft betroffen, und wenn sie im Unglauben beharrten, so möchten sie am nächsten Morgen um neun Uhr wieder kommen. Sie würden das Kontor geöffnet finden, und ihre Forderungen würden glattweg befriedigt werden.

Das klang in seiner Einfachheit wahrhaftig. Man glaubte ihm und ging fort. Er selbst aber rief Manasse neben sich, zeigte ihm sein Geschäftsbuch, welches vollständige Ordnung wie Sicherheit nachwies, und erklärte auch ihm: »Ich werde von neun Uhr an am Zahltische sitzen und jedermann befriedigen. Bis dahin laßt mich schlafen, ich bin sehr müde. Du, Moses, geh morgen früh zu meiner Mutter, sie wird dir einen Auftrag geben. Laßt mich!«

Sie gingen. Der erschrockene Manasse hatte vergessen auszurichten, was Farmer beim Fortgehen zu ihm gesagt: Ruben nämlich möchte sich nicht ganz ausgeben, er würde vielleicht einer Aushilfe bedürfen.

Ruben legte sich in der Tat zum Schlafen nieder, als ob er ganz dazu geeignet wäre. Er schien sich zu sagen: In dir und um dich ist alles Übertreibung; fasse dich still zusammen, lebe weiter ohne Anspruch, ohne Klage.

Und er schlief wirklich fest bis in den nächsten Morgen, bis Moses vor seinem Bette stand. Er kam schon von der Mutter Rubens, er hatte schon einen Brief von ihr in der Hand, und er fragte jetzt Ruben, ob er der Mutter gehorchen und den Brief in die Hände des Fräuleins bringen sollte.

»Ja, Moses, wenn du kannst.«

»Warum soll ich nicht können! Wenn Sie nur erst wieder ein richtiges Menschenkind werden.«

»Hoffen wir's. Geh mit Gott und sieh zu, daß du mir Nachricht von ihr bringen kannst.«

Moses ging ohne weiteres hinauf zur Platane. Es regnete nicht mehr, die Luft war still, er bildete sich ein, sie werde auch heute dorthin kommen.

Sie kam nicht. Das Warten machte ihn sehr unruhig. Er war überhaupt seit diesen Begebenheiten mit Ruben in ein Leben und in eine Tätigkeit hinein geraten, die ihm neu waren und die ihn ungeduldig machten. Nur eine Stunde hielt er's aus, dann ging er langsam herab, auf die Villa zu. Vielleicht ließ sich da eine Gelegenheit entdecken. Es hatte aber nicht den Anschein. Die Fenster waren überall verhängt oder verdeckt; und niemand war sichtbar.

Seufzend setzte er sich auf den Stein an der Straße und sann nach. Hineingehen, hineindrängen ohne weiteres! »Ja«, wollte er eben sagen, da kam Marcia aus der Stadt mit ihren Markteinkäufen. Er blieb sitzen, sie blieb vor ihm stehen und lachte.

Von der ist nichts zu haben – das wußte er ja; aber sein Geschäftsreglement lautete doch: Man muß alles versuchen. Er wollte reden trotz ihres offenbar höhnischen Lachens, und sie sollte auch reden, und so sagte er denn: »Wie kann man so schön sein und so schlimm. Die schöne Marcia hat neulich beim Veitl geklatscht, und so ist die Geschichte in die Stadt gekommen und hat Leute unglücklich gemacht.«

»Wen denn?«

»Herrn Ruben. Was hat Ihnen denn der gute Herr getan, daß Sie gegen ihn hetzen? Nichts hat er Ihnen getan, gelobt hat er Sie neulich.«

»Gelobt?«

»Freilich. Die schöne Marcia, hat er gesagt, hält leider nicht zur Signorina Kamilla.«

»Das hat er gesagt?«

»Das hat er gesagt, und dann hat er gesagt: Es sollte ihr Schaden nicht sein, wenn sie zu mir hielte und zur Signorina Kamilla. Wie kann man sein, hat er geseufzt, von außen so appetitlich wie diese Marcia und innen von so garstigen Gedanken.«

»Ich habe keine garstigen Gedanken, aber zu tun ist da im Hause nichts für ihn.«

»Warum nicht? Warum könnte die schöne Marcia, die keine garstigen Gedanken haben will, nicht dem Herrn Ruben den Gefallen tun und den kleinen Moses hineinführen zum Zimmer der Signorina Kamilla, daß er reden könnte mit ihr?«

»Weil die Frau Molitore dann die Marcia aus dem Dienste jagte.«

»Braucht sie's zu wissen?«

»Nein, und gerade jetzt würde sie's auch nicht merken. Sie liegt.«

»Sie liegt? Sie ist krank?«

»Vor Ärger. Die Leute haben gesagt, sie hätte einen Judensalon. Das giftet sie so, daß sie umgefallen ist. Vorher aber hat sie das Fräulein Kamilla heruntergeputzt wie einen Dienstboten.«

»Und was hat das Fräulein dazu gesagt?«

»Die sagt kein Wort.«

»Marcia, lassen Sie mich zu ihr. Der Herr Ruben schenkt Ihnen, was Sie wollen.«

»Was ich will?«

»Ja.«

»Das müßt' er mir selber sagen.«

»Das wird er auch. Gehen Sie mit mir heim zu ihm, wenn ich drin gewesen bin bei dem Fräulein.«

Das wirkte, zu großer Überraschung des Moses. Weil diese Marcia verliebt war in Ruben und es ihr lebhafter Wunsch war, zu ihm zu kommen, so nahm sie den Moses mit bis in eine Hausflur und hieß ihn dort warten. Sie wollte oben anfragen.

Er zappelte vor Vergnügen, so rasch ans Ziel zu kommen und war der Meinung, sich erst später darüber den Kopf zu zerbrechen, was die Freundlichkeit der Marcia für eine Ursache haben könnte.

Sein Vergnügen war kurz. Der kleine Abbate trat aus einer Tür, sah ihn, den so vergnügten Moses, und erhob ein Geschrei: »Schon wieder ein Jude! Wo man hinblickt ein Jude! Hinaus mit dem Juden! Giovanne, Giovanne, herbei! Den Juden hinauswerfen, hinaus!«

Und Giovanne war zur Hand; er faßte den verblüfften Moses am Arme und schob ihn zum Hause hinaus, die Tür hinter ihm schließend.

Moses schaute offnen Mundes rückwärts nach der Villa. Der friedfertige, stille Abbate so grimmig! Welcher Aufruhr, welcher Zornesausbruch mußte da stattgefunden haben, daß selbst dieser Musikus fanatisiert worden war!

Moses hatte Verstand genug, den Rückschluß zu machen; gar hoffnungslos für Ruben muß es in den Zimmern da drin aussehen, und gar hoffnungslos muß es stehen um Signorina Kamilla.

Noch mehr, er dachte auch an sich selbst, an den Juden Moses und fragte sich: Sind wir wirklich alle Kanaillen?

Betroffen stand er da. Er hatte den Brief von Rubens Mutter noch in der Tasche; er hatte ihn selbst überreichen und hatte abwarten sollen und wollen, ob das Fräulein nicht zu einer persönlichen Zusammenkunft mit Rubens Mutter zu gewinnen wäre. Was nun?

Marcia entschied über das »was nun?« Sie kam aus der Villa, lachte wiederum und forderte ihn auf, sie zu Herrn Ruben zu führen.

Was hieß das mit dem Mädchen? Wenn es ihr darum zu tun war, in die Nähe Rubens zu kommen, warum hatte sie doch Moses einführen wollen? Wenn Moses Nachricht bringen konnte für Ruben, dann brauchte man ja sie nicht mehr.

Das wußte sie wohl, sie war ein schlauer, tückischer Dienstmädchenverstand. Sie kannte die augenblicklich durch Frau Molitore gereizte Stimmung des Abbate, sie hatte ihm beim Eintritte des Moses herzugewinkt, sie wollte dartun, daß ohne sie gar nichts zu erfahren, gar nichts auszurichten wäre in der Villa.

Das war ja gelungen, deshalb lachte sie jetzt und sagte: » Mir muß Herr Ruben schön tun, wenn er aus unserem Hause was erfahren will. Also zu ihm, Signor Moses.«

Moses, neben ihr hergehend, betrachtete sie mit Erstaunen. Sie ist doch sehr hübsch – dachte er – am Ende ist sie auch sehr klug. Er fragte nach links und nach rechts und besonders nach ihren Wünschen und Gelüsten, und da sie übermütig und unbedacht antwortete, so kam er auf den Gedanken, daß sie was Apartes von Ruben haben wollte.

Das Wetter hatte sich völlig aufgeheitert, es war ein schöner Morgen geworden, und Signor Bellosi kam ihnen entgegen. Er wollte einen Spaziergang ins Freie machen und dabei einmal in der Villa nachfragen. Nicht bloß, um gut zu frühstücken, sondern auch um etwas zu erfahren für Freund Ruben. Er hatte Ruben gern, und zu seinen epikureischen Eigenschaften gehörte es doch auch, ganz gern anderen eine Freude zu machen. Das gehörte ja zum eigenen angenehmen Behagen. Er fragte also zunächst Marcia, ob –

»Versuchen Sie ja nicht in die Villa zu gehn,« sagte sie rasch, »'s ist dort alles in Unordnung. Die Frau liegt, und zu essen und zu trinken gibt's gar nichts mehr im Hause. Warten Sie einen Augenblick, Moses, der Veitl dort will mir was sagen.«

Sie ging hinüber zu Veitl, und Bellosi fragte nun Moses, was sein Daherkommen mit dem Mädchen bedeute. Moses erzählte, und fragte Signor Bellosi um seine Meinung.

»Sie wird Geld wollen von Herrn Ruben, vielleicht auch – bildsauber schaut sie aus neben dem alten schmierigen Veitl. Daß ihr Juden euch so selten wascht, das macht euch so viel Feinde. Dies Mädchen interessiert mich, ich werde mit euch gehn.«

Als sie wieder zu ihnen kam, sagte sie: »Der Veitl macht mir bange. Bei Herrn Farmer und Herrn Ruben sei Ausverkauf. Sie könnten ihre Gläubiger nicht bezahlen und würden eingesperrt werden.«

»Da ist also nichts zu holen, und Marcia wird nicht hingehn« – sprach Bellosi und blickte ihr scharf in die Augen.

»O ja« – sagte sie – »ich gehe doch hin.«

In der Tat fanden sie viele Leute im Kontor Rubens und sahen, wie er anwies und auszahlte und wie es am Ende leer wurde, bis zuletzt Farmer kam, Ruben zur Seite führte und leise in ihn hineinredete. Ruben zuckte die Achseln und sagte laut: »Augenblicklich nicht.«

Unter Zeichen des Unmutes ging Farmer von dannen, und jetzt erst war Ruben so frei, um auf Moses, Marcia und Bellosi zu achten. Moses zeigte auf Marcia, und Ruben sprach: »In mein Zimmer.«

Sie gingen in Rubens Zimmer. Bellosi zog sich in einen Fensterwinkel zurück, und Moses berichtete, wie es ihm ergangen und daß er nichts bewerkstelligt habe, daß aber Marcia sich erboten, Auskunft zu geben.

Ruben, lebhaft erregt, streckte Marcia beide Hände entgegen und rief: »Sprich! sprich!«

Marcia küßte seine Hand und sprach nicht sogleich. Erst als Ruben nochmals rief: »Sprich, was hat die Signorina gesagt oder getan vorgestern abend und gestern?«

Nun begann Marcia in stockender Rede: »Als ich vorgestern abend, nachdem Sie mit Herrn Farmer eben fortgegangen waren, in den Salon trat, da sagte Fräulein Kamilla pfui! o pfui!«

»Worauf? Gegen wen?«

»Gegen die Frau Molitore hin, und ich glaube wegen der Juden. Dann schalt Frau Molitore, daß sich das Fräulein mit dem ersten Besten eingelassen habe, und das Fräulein antwortete: ›Ich habe ja doch nicht gewußt, daß er ein Jude war.‹ ›Nun weißt du's – sagte die Frau – und damit Basta. Ausgelacht werden wir, und das verdank' ich dir, es bringt mir eine Krankheit. Von jetzt an aber wird der Name nicht mehr genannt, und du kennst ihn nicht mehr. Verstehst du?‹ ›Freilich versteh' ich‹, sagte das Fräulein, und nun schrie der Herr Abbate: ›Er ist von dem Volke, welches unsern Heiland gekreuzigt hat, wie kann ein christliches Mädchen da Wohlgefallen empfinden!‹ – ›Das werd' ich auch nicht mehr,‹ sagte das Fräulein, ›ich hab' mich eben versehen. Nun weiß ich's besser und nun ist's vorbei.‹«

Ruben war während der Rede auf das Sofa gesunken, vor welchem er gestanden, und bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen. Moses war herangetreten und erhob beide Arme gegen Marcia, als wollte er sie schlagen.

»Na, ich kann ja nicht dafür« – sprach sie – »ich sage, wie's gewesen ist. Vielleicht wird's besser. Ich werd' wiederkommen des Abends, wenn was vorfällt. Küss' die Hand.«

Und sie ging. Es folgte Totenstille, bis Bellosi vom Fenster vortrat, sich einen Sessel neben das Sofa rückte, verneinende Bewegungen mit erhobenem Arme machte und endlich langsam sagte: »Vergessen wir doch nicht, daß Dienstboten verlogen sind und Romane erfinden. Diese Marcia hab' ich schon lange beobachtet, weil sie hübsch ist, und da hab' ich bemerkt, daß sie unsern Ruben mit den Augen verschlingt. Jetzt tat sie's wieder, da sie fortging. Die ist verliebt in den schönen Ruben, und sie lügt wie gedruckt. Um Ruben zu sehn, ist sie hergekommen, und um seine Liebschaft mit Kamilla zu zerstören, hat sie aus Eifersucht die Geschichte mit dem ›Pfui!‹ erfunden. Daran braucht kein Wort wahr zu sein.«

Moses stöhnte: Ah! Ruben zog die Hände vom Gesicht und starrte Bellosi an.

»Das ist doch weit hergeholt« – sagte dann Ruben halblaut – »denn was Moses vor einer Viertelstunde draußen erlebt hat von dem Abbate, das stimmte ja zu ihrer Aussage.«

»O ja. Und dennoch meine ich: das Mädchen hat gelogen. Ich bin ein Feinschmecker nicht bloß für Essen und Trinken, sondern auch für die Frauenzimmer, mit denen ich in jüngeren Jahren viel verkehrt habe. Ich kenne Kamilla; nimmermehr spricht die ›Pfui‹ in solchem Zusammenhange, und jetzt lockt mich's meinen richtigen Geschmack zu beweisen; jetzt geh' ich hinaus in die Villa und unterrichte mich. Denn das wird jetzt unterhaltend, das reizt wie eine unbekannte Speise.«

»Sie wollten –?«

»Ich will. Fröhlichen Entwickelungen gehe ich gerne nach, besonders wenn sie so interessant verwirrt sind. Und ich setze voraus, daß sich dies Pfui fröhlich entwirren wird. Ich liebe auch wie die Dienstmägde Romane. Also ich gehe. Ich gelte draußen für neutral und werde zugelassen. Bis zum Diner bin ich wieder hier und berichte. Sie, lieber Ruben, möcht' ich nur noch warnen, sich mit Farmer zu verfeinden. Er ist gefährlich. Vorhin hab' ich gesehen, daß Sie neben ihm die Achseln zuckten. Wahrscheinlich zu einer Geldforderung. Seien Sie weitsichtig, opfern Sie lieber eine Summe. Ade!«

Ruben rief ihm warme Dankesworte nach, sagte aber doch zu Moses: »Leider kann ich an solche Bosheit dieser Marcia und an Bellosis Erklärung derselben nicht glauben. Was sagst du dazu, Moses?«

»Ich sage, solch einem slowenischen Balge trau' ich alles zu. Freuen wir uns über Bellosis gutes Herz.«

Bellosi selbst freute sich darüber auf dem Wege nach der Villa. Zufrieden sagte er vor sich hin: »Da schelten sie immer auf mein Epikureertum und nennen's Lüsternheit! Falsch! falsch! Ich bin auch in diesem Augenblicke Epikureer, denn ich verschaffe mir die Freude, dem braven Ruben einen Freundschaftsdienst zu erweisen. Das ist doch kein Gelüste.«


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