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15.

Moses war vor der Villa in Angst und Schrecken stehen geblieben. Da kam der Wagen mit dem Nota. Wenn er nur ein Mittel gewußt hätte, den Wagen umzustürzen und den Nota zu erschlagen! Aber er hatte keins gewußt und hatte zitternd gewartet. Da kamen Ruben und Farmer heraus, sahen ihn nicht an, sprachen kein Wort und gingen mit langen Schritten der Stadt zu. Moses hinterher, mitunter trabend, weil die Herren gar zu weit ausschritten und er doch erfahren wollte, was vorgegangen wäre und weil er auch zur Hand sein wollte, wenn man ihm was auftragen möchte.

Da stand Ruben mit einem Male still und wankte. Moses sprang hinzu und hielt ihn. Ein heftiger Ruck hatte ihn innerlich so erschüttert, daß er die Macht verlor über seine Glieder.

»Was ist?« fragte Farmer. »Was ist?« – antwortete Ruben erst nach einer Pause mit matter Stimme. – »Das Bedürfnis ist da, einen Menschen niederzuschlagen, ihn niederzuschlagen bis zur Vernichtung. Warum« – fuhr er stärker fort – »warum sind Sie dazwischen getreten, als ich ihn vor mir hatte! Es ist wie ein wilder Hunger, meinetwegen ein tierischer Hunger, aber ich hab' ihn. Niederschlagen, vernichten den Kerl – ach was ihn! Der Kerl ist am Ende zufällig. Einen bösen Menschen will ich zwischen den Fäusten haben, einen bösen. Einen? Sie sind's alle.«

»Man hört, daß Sie kein Christ sind.«

»Und nicht vergeben können. Vergeben denn die Christen, daß wir Juden sind?! Ich hab' immerfort vergeben, hab' mich aufgeweicht in Bildung, und jetzt ist's einmal aus damit. Und wer ist's denn, der mich dahin bringt, wie ein Tier zu brüllen nach einem Schlachtopfer? Wer anders ist es, als der Christ mit seiner heuchlerischen Lehre von der Liebe seiner Feinde. Den Juden nennt er seinen Feind, und wie behandelt er ihn?!«

»Die herrschenden Menschen haben immer Sklaven gebraucht. Ihr Juden seid jetzt die Sklaven.«

»Seit zwei Jahrtausenden! Und dabei predigen sie immerfort salbungsvoll von Vergebung, von Menschenliebe, von Freiheit und Gleichheit. Heuchelei! Zum Himmel schreiende Heuchelei. Bin ich etwas anderes als sie? Ich habe mich zu bilden gesucht nach dem Beispiele der Besten unter ihnen, ich habe getrachtet nur Gutes zu tun, ich habe vom Glauben meiner Väter ausgeschieden, was überlebt ist und in die heutige Welt nicht paßt, und wenn ich einfach dahinleben will wie sie, in aller Bescheidenheit, da sehen sie mich verächtlich über die Achsel an und lassen mich zur Not ungeprügelt existieren; wenn ich aber die Hand ausstrecke nach einem Gute, welches mir der Himmel selbst in den Schoß gelegt, da schreien sie niederträchtig: Hinweg! Du bist ein Jude. Nun denn, meine Geduld ist erschöpft, ich will niederschlagen, soweit ich kann.«

Moses zitterte am ganzen Leibe und sagte vor sich hin: Er hat recht, er hat recht, der Ruben.

»Ich hab' nichts dagegen« – sprach Farmer – »daß Sie diesen welschen Bengel Ihrem Zorne opfern, aber er wird nicht zu haben sein für Sie. Er wird sagen: Einem Juden geb' ich keine Satisfaktion.«

»Da haben Sie's! Da haben Sie's!« schrie Ruben unter einem herzzerreißenden Lachen – »nicht einmal sündigen, nicht einmal Blut vergießen darf der Jude, auch wenn er sich hinterher richten und hinrichten lassen will.«

»Und doch, und doch!« unterbrach ihn Farmer – »Geduld! Ich kann's zuwege bringen, daß er sich stellen muß, weil man von meiner jüdischen Mutter nichts weiß, und weil ich nicht Jude genannt werde. Das Blut meiner Mutter muß doch wohl in mir aufbrausen, denn ich bin auch fürs Niederschlagen des Bengels, fürs Niederschießen. Also! ich hab' ihn beleidigt, er hat meine Karte, mich muß er fordern. Angenommen! sag' ich, aber in richtiger Reihe. Zuerst hat Sie dieser Herr Ruben einen Schurken genannt und die Arme gegen Sie erhoben, zuerst also müssen Sie diesen Ruben fordern und müssen sich mit ihm schlagen. Solange Sie das nicht getan, wiederhole ich vor aller Welt, daß Sie einen Schurken auf sich sitzen gelassen, daß Sie also ein Wicht sind, Sie Herr Nota.«

»Gut. Aber wo finden wir jemanden, den wir zu ihm schicken können mit diesen Bedingungen?«

»Die Polizei, meine Herren« – rief der vorspringende Moses – »die Polizei, die ihn einsperren läßt. Soll ich hingehen?«

»Nein,« sagte Ruben und Farmer zugleich, »nein! Obwohl« – setzte Farmer hinzu – »der welsche Hanswurst es verdiente. Aber« – fuhr er nach kurzer Pause fort – »ich habe unsern Kartellträger, ich habe ihn.«

»Wen?«

»Bellosi.«

»Den weichlichen Epikureer, welcher jedem Streite sorgfältigst aus dem Wege geht? Wie sollte der –?«

»Er wird, er muß. Zu seinen Reizmitteln des Lebens gehört der Titel eines Gentleman. Vornehm zu scheinen, ein Gentleman zu heißen, ist ihm unerläßlich. Wenn er sich weigern sollte, so erinnere ich ihn daran. Ich sag' ihm: Morgen erfährt's die Börse und von da die ganze Stadt, daß Sie feig sind und keine Achtung mehr verdienen. Sie müssen! Denn Sie allein kennen die ganze Sachlage, Sie haben die Szene mit erlebt. Da fügt er sich; eine Furcht ist größer als die andere.«

So waren Sie bis in die Nähe des »Hotels de la Ville« gekommen. Farmer schlug vor, hinein zu gehen und das in der Villa versäumte Abendessen nachzuholen.

»Ich kann nicht essen« – sagte Ruben – »gute Nacht, Freund. Sie lassen mich wohl morgen wissen, was Sie mit Bellosi ausgerichtet.«

»Nein, Ruben, Sie dürfen jetzt nicht allein bleiben. In Ihrer Aufregung, die ganz gerecht ist, könnten Sie eine Tollheit begehen. Der Regen hat aufgehört, gehen wir hier auf und nieder und besprechen wir die Hauptsache, denn Ihre Kamilla ist ja doch die Hauptsache, alles andere ist nur Lärm. Ihre Geliebte hat bis jetzt nicht gewußt, daß Sie Jude sind?«

»Nein.«

»Nun hat Sie's auf abscheuliche Weise erfahren.«

»Auf die abscheulichste. Kot und Geifer auf mich gespien, mich als ein ekelhaftes Wesen bezeichnet. Oh, und nur ein Spottgegenstand vor mir, den ich allenfalls zerreißen kann, die ganze kindische Welt aber mit ihren schmählichen Vorurteilen ungreifbar! Ich kann ihr nichts antun als Fluch und Verachtung.«

»Ach was! Kamilla ist jung und unerfahren, sie wird nur erschreckt sein, weiter nichts.«

»Wer mag das wissen! Ich weiß es nicht. Eben weil sie jung und unerfahren, stürzt sie vielleicht zusammen vor solcher Verachtung meiner Person wie unter erstickender Flut. Diese Verachtung meiner Person tritt ja vor sie hin wie etwas Selbstverständliches. Das arme Kind sieht ja, daß gar kein Zweifel vorliegt, sondern die unfragliche Gewißheit: Der Jude ist ein nichtswürdiges, ja ekelhaftes Wesen. Sie muß ja zurückschrecken vor mir wie vor einem Greuel.«

»Sachte, sachte!«

»Es handelt sich ja um Neigung und Liebe! Wie kann Neigung und Liebe bestehen bleiben, wenn alle Welt meine Berührung flieht wie die eines Verpesteten?!«

»Nein, junge Liebe ist auch eigensinnig. Sie hat bisher Stich gehalten gegen das Nein der Tante, sie hat sich an Widerstand gewöhnt – hoffen wir das Beste.«

»Da kommt Signor Bellosi!« rief Moses, welcher an der Mauer eines Hauses lehnte, an welchem die Herren hin und her vorübergingen. Moses war fast so erregt wie Ruben. Das Judentum hatte ihm bisher nicht am Herzen gelegen, jetzt aber, als es seinem verehrten Ruben wie eine Schmach vorgeworfen wurde, da war er auf einmal auch ganz Jude.

Mit seinen Katzenaugen hatte er durch die Dunkelheit hin ganz recht gesehen: Signor Bellosi kam langsam daher. Langsam, denn er gab sich alle Mühe, den störenden Gram in Ruhe einzuwürgen und zu vergessen. Gerechter! da mußte er schon wieder erschrecken, denn er sah die beiden Kampfhähne leibhaft vor sich. Schreck gehörte ihm zu den widerwärtigsten Empfindungen. Und nun mußte er Rede stehen und mußte das unpassende Wort »Kartellträger« hören.

Er schrie auf. Nein, er unterdrückte den Schrei, eine so heftige Äußerung suchte er immer zu vermeiden, aber er versuchte mit Festigkeit Nein zu sagen.

Farmer brachte sofort die Nutzanwendung des Wortes Gentleman in Rede, ja er brachte es in herbem Vortrage zur Geltung und schloß mit der Frage: »Und Sie wollen ein Gentleman sein, Herr Bellosi?«

Es blieb diesem nichts übrig, als mit stockender Stimme ja zu sagen und den verhängnisvollen Auftrag zu übernehmen. Morgen in aller Frühe wollte er hinausgehen in die Villa und an Nota die meritorische Herausforderung bestellen.

Moses war bei all seinem Zorne nicht für das Duell. »Da schießt ja der Nota auch« – sagte er – »und am Ende schießt er noch den Ruben über den Haufen!« – Er versuchte also, da man ihn ja bisher gleichsam als Bundesgenossen geduldet, drein zu sprechen. Und er sagte so vernünftig wie naseweis: »Soll ich nicht lieber gleich auf die Polizei gehen und anzeigen, wo der Nota steckt, damit man sich ihn gleich holt und einsteckt. Nicht wahr, Herr Bellosi?«

Bellosi schwieg diplomatisch, obwohl ihm diese Lösung die bequemste gewesen wäre. Als Gentleman mußte er schweigen. Farmer und Ruben aber sagten nein, und Farmer knüpfte daran die Bemerkung für Bellosi, daß die Duelle jenseits der Grenze auf italienischem Boden stattfinden sollten, bei Udine.

Bellosi wiederholte seufzend das Wort Udine, als ob diese Stadt in der Unterwelt läge und lenkte nach dem Eintritte ins »Hotel de la Ville«. »Etwas Leichtes«, meinte er, »müßte man doch genießen, der erschrockene Magen müßte etwas zu tun haben, sonst käme er ins Stocken. Austern zum Beispiel und ein leichtes Geflügel mit dem leichtesten Wein, etwa österreichischen, der sonst nichts tauge, aber dessen Säure zum Zusammenziehen augenblicklich angezeigt wäre, zum Zusammenziehen, also zur Verringerung des Ärgers. Vom Souper« – setzte er mit erhöhter Stimme hinzu – »war ja draußen nicht mehr die Rede, obwohl man dazu eingeladen war. Und am Ende war's so besser, denn so frisch auf die schlimme Szene wäre es einem nicht bekommen. Treten wir ein.«

Farmer folgte ihm, um sich seiner noch genauer zu versichern, Ruben aber folgte nicht, er ging nach Hause. Moses an seiner Seite fragte kläglich, ob er ihm nicht zu irgend was gut sein könnte bei solcher Not?

Ruben antwortete nicht, aber er schüttelte sein Haupt. Wüst sah es darin aus. Moses sagte seufzend gute Nacht an Rubens Haustür und ging heim.

Nein, er ging nicht heim. Vor dem großen Hause, in welchem der Statthalter wohnt, blieb er stehen, kratzte sich den Kopf und rang nach einem Entschlusse. Sollte er nicht auf seine eigne Faust bei der Regierungsbehörde anzeigen, daß der ausgewiesene höchst gefährliche Nota in Triest wäre bei Frau von Molitore –? Denn wenn er gefaßt wird, so kann er sich nicht mit Ruben schlagen, so sagte Moses vor sich hin und ging an die Tür. Sie war geschlossen. Er hätte die Glocke ziehen und hätte läuten müssen – aber vor dem Lärm fürchtete er sich. Da öffnet der grobe Portier, und wenn er einen erbärmlichen Trödeljuden sieht, so schnauzt er ihn an und – nein, er zog die Glocke nicht, sondern ging langsam nach seiner Klause. Dort wirst du alle Gedanken anspannen, etwas um Rettung auszuklügeln, meinte er. Er weinte und sann und fand nichts und sank endlich doch in unruhigen Schlaf.

Ruben schlief gar nicht. Er setzte sich an den Schreibtisch und schrieb an Kamilla, schrieb einen langen Brief, der kein Ende finden konnte, kein Ende, denn er beschrieb sein ganzes Leben, beschrieb den Fluch des Judentums, der als entsetzliche Ungerechtigkeit auf ihm lastete und der, wie ungerecht er auch sei, es dennoch mit sich bringen könnte, daß Kamilla ihn verließe. Er wäre darauf gefaßt. Sie möge getrost prüfen, ob sie des landläufigen Vorurteils Herrin werden könnte, und wenn ihr dies unerreichbar scheine, so möge sie ihn denn aufgeben und ihn seinem Schicksal überlassen, denn die fernere Verbindung mit einem antipathisch gewordenen Manne würde ja nur eine Qual für sie sein.

Nach solchem Begräbnisse seines Liebesglückes blieb er angekleidet auf dem Sofa liegen und schlief nun endlich ein.

Er fror und sein Körper zitterte durch und durch, aber er erwachte nicht; es bedurfte einer Störung, um ihn aufzuwecken.

Moses brachte diese Störung. Er hatte sich vor der Türe eingefunden und lange, lange gewartet, endlich aber doch dreist die Türe geöffnet, weil ihn die Furcht befiel, es könnte Ruben ein Unglück begegnet sein.

Das Geräusch der Türe weckte Ruben. Er schüttelte sich vor Frost und bat Moses, ihm einen Überrock zu reichen. Während dieser danach ging, stand er auf und erblickte die beschriebenen Briefbogen auf dem Schreibtische. Was ihm der Schlaf verborgen, stand wieder vor ihm in schriftlicher Klarheit, und entschlossen faltete er das beschriebene Papier, es in ein großes Kuvert schiebend. Die Hände zitterten und versagten den Dienst, als er die Adresse schreiben wollte.

»'s ist keine Adresse nötig« – sagte traurig Moses – »ich weiß sie schon, und ich soll doch die Schrift hintragen zur Signorina?«

»Ja, Moses.«

Moses zögerte mit der Antwort und sagte endlich: »Nein, das tu' ich nicht, das wäre falsch.«

»Was?«

»Wenn's Matthäi am Letzten steht, wie die Christen sagen, da darf man nicht schreiben, da muß man reden.«

»Geh!«

»Nein. Geschriebenes läßt Zeit zur Ausrede, Gesprochenes nicht.«

Ruben sah ihn schweigend an. Er fühlte, daß dieser Moses recht hatte, aber er war durchdrungen davon, daß die auf ihm lastende Schmach des Judentums zermalmend auf Kamilla gefallen wäre. Er kam sich vor wie ein Verbrecher, welcher durch Verschweigung seiner Herkunft ein Verbrechen an Kamilla begangen hätte.

»Nimm nur«, sagte er mit schwacher Stimme, »und übergib getrost diese Schrift an das Fräulein. Es steht nichts mehr zu hoffen, wir sind verflucht. Und geh' sogleich!«

Moses ging, aber unterwegs wurde er doch der Meinung, den Brief nicht abzugeben. Ja und nein erwägend, kam er bis zur Villa und sah dort Kamilla eben aus dem Hause treten. Sie ging den Weg zur Platane hinauf, ohne ihn zu sehen.

»O, das ist ein gutes Zeichen«, schloß er und kehrte um nach der Stadt, Ruben herbeizurufen.

Er hatte recht. Kamilla war bestürzt worden durch den Vorgang, war aber durchaus nicht feindselig gesinnt gegen Ruben. Im Gegenteil! Entrüstet war sie über die Behandlung, welche er erlitten. Eine Judenfrage gab es nicht für sie. Im elterlichen Hause war davon nie die Rede gewesen, und was sie bei der Tante davon gehört hatte, das war ohne Eindruck an ihr vorübergegangen, weil diese Tante ja auf alles Mögliche schalt.

Jetzt erwartete sie, daß früh am Morgen Ruben zur Platane kommen werde, eine Abrede zu treffen für die Zukunft, da ihm der Zutritt in die Villa verleidet worden.

Wenn also Moses zurecht kam und Ruben veranlaßte, sogleich hinaus zu eilen, so war offenbar die Hauptsache gewonnen.

Er fand aber Ruben nicht mehr zu Hause. Dieser hatte das Bedürfnis gefühlt sich zu erwärmen und war ausgegangen in raschen Schritten. Wohin? Er wußte es nicht. Am Meeresufer weit hinaus war er gegangen, um niemand zu begegnen, und Moses hin und her laufend fand ihn nicht.

Jetzt fing es an zu regnen. Nun ist's vorbei, sagte sich Moses, denn nun kehrt Kamilla ins Haus zurück, der günstige Augenblick ist versäumt. Was nun? Nun mußt du wohl den Brief abgeben.

Wiederum zwischen ja und nein schwankend, ging er nochmals hinaus zur Villa. Unterwegs überholte er einen Mann, welcher langsam desselben Weges ging und zuweilen stehen blieb. Es war Bellosi. Unter seinem Regenschirm, den er immer bei sich führte, erblickte er seitwärts Moses und fragte: »Wohin, Moses?«

»Wohin? Weiß ich's?! – Soll einen Brief bestellen, der gewiß Jammer und Elend bringt, oder soll ich ihn nicht bestellen?«

»Nicht bestellen, Moses. Solche Briefe sind Fehler. Man fehlt, weil man nicht warten kann.

Die Natur wirkt immer zum Guten; auf Regen folgt Sonnenschein. Nur abwarten. Ist der Brief einmal abgegeben, dann kann man nicht mehr zurück.«

Bellosi sprach langsam und mit matter Stimme. Er war bedrückt. Denn er war auf dem Wege, die ihm widerwärtige Duellforderung an den Cavaliere Nota zu überbringen. Das war seinem Naturell so zuwider, daß er fortwährend überlegte, ob denn kein Ausweg zu entdecken wäre. Etwas Lüge sollte ihn nicht stören, wenn er nur eine fände. Er blieb immer stehen und betrachtete Moses eine Weile, erwägend, ob er den gewandten Trödeljuden nicht brauchen könnte in der Duellaffäre.

»Sagtest du nicht gestern abend« – sprach er endlich leise – »daß du den Nota bei der Statthalterei anzeigen könntest?«

»Ja, und gestern abends hätt' ich's auch getan, aber die Statthalterei war geschlossen.«

»Jetzt ist sie offen, und Herr Ruben kann noch gerettet werden. Du hast aber keine Courage?«

»Herr Ruben erlaubt's nicht.«

»Richtig, 's ist auch nicht nötig, du brauchst nur jetzt dem Cavaliere zu sagen, daß du's getan hast, daß binnen einer Stunde die Polizei ihn holen werde –«

»Da schlägt er mich zu Boden, der Nota.«

»Nein, dies verhindere ich. Ich folge dir auf dem Fuße, ich stelle mich zwischen euch und du machst, daß du fortkommst.«

Moses stand einen Augenblick still und rief dann plötzlich: »Für unsern Ruben durchs Feuer. Ich gehe.«

Und wirklich gingen beide in die Villa. Dort stiegen sie die Treppe hinauf, da der Cavaliere nach Aussage des Dieners oben in der Mansarde wohnte. Auf dem Vorsaale des ersten Stockes jedoch gab es Moses einen Ruck, und er blieb stehen. »Ich fürchte mich,« stöhnte er halblaut, »und Sie Signor sind nicht stark genug, um mich zu schützen, Schläge aber vertrag ich nicht –«

Damit wendete er sich zum Rückzuge, und da stand er unerwartet vor Kamilla, welche aus einem Zimmer trat. In der Furchtaufregung all seine Vorsätze vergessend, riß er Rubens Brief an Kamilla aus der Tasche und überreichte ihr denselben, ohne ein Wort zu sagen. Dann eilte er die Treppe hinunter.

Kamilla ging in ihr Zimmer, um den Brief zu lesen, Bellosi stieg in die Mansarde zu Nota.

Der Brief machte die unglückliche Wirkung, welche Moses vorhergesehen hatte. Jetzt erst wurde Kamilla verwirrt und betroffen. Verwirrt über die Judenfrage in betreff Rubens, da dieser seine ganze Frage und Klage darauf gründete, daß er allerdings ein Jude wäre. Das war also etwas überaus Schlimmes, was sie den anderen nicht geglaubt hatte.


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