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Wenn ein Schiff unter heftigen Windstößen herumgeworfen worden und nun plötzliche Windstille eintritt, da freut sich jedermann auf dem Schiffe dieser Windstille. Man denkt nicht daran, daß diese Windstille, wenn sie andauert, noch größere Gefahren bergen könnte.
So erging es den Leuten, welche mehr oder minder Anteil nahmen an dem Schiffe »Ruben und Kamilla«. Weil draußen in der Villa Windstille herrschte, war jedermann beruhigt.
Selbst Moses, der sonst so Mißtrauische. Die eingetretene Schweigsamkeit Veitls und die erhöhte Bösartigkeit seines Blickes fiel ihm zwar auf, aber er sah keinen Faden zur Besorgnis. Er hörte mit Vergnügen, daß Ruben alle Tage draußen wäre, und so sagte er eines Morgens wohlgemut zu Ruben: »Wissen Sie, was ich im Ehegesetze entdeckt habe zu Ihrem Glücke?«
»Na, was denn?«
»Die Zivilehe kommt auch den Juden und Türken zu statten. Wenn sich der Jude konfessionslos erklärt, so traut ihn der Zivilkommissär mit jeder Christin, und – die Ehe gilt.«
»Indem er sich für konfessionslos erklärt, verleugnet aber doch der Jude seinen Glauben.«
»Er verschweigt ihn bloß.«
»Und das würde sich mein Vater gefallen lassen?«
»Gefallen? Das ist zuviel verlangt. Aber es wär' doch keine Taufe. Das Taufen nur verträgt der Jude nicht; da schreit er. Schauen Sie, was ich da gemacht habe, und kaufen Sie mir's ab zur Hochzeit.«
Es war eine Malerei um die Buchstaben R und K, eingerahmt von geflügelten Engeln, welche einen garstigen Juden an den Ohren zupfen. Der Jude war nicht zu verkennen: es war Veitl.
Auch Bellosi zeigte beim Mittagessen sein volles Behagen, daß die Dinge in der Villa so gut ins Geleise gekommen. »Ich habe«, – sagte er – »heute beim Frühstück draußen der Signora Molitore eine Partie nach Miramar vorgeschlagen, damit sie bei ihrer wiederkehrenden Gesundheit einmal herauskommt an die echte Seeluft. Das prächtige Schloß Miramar streckt sich auf seiner Landzunge so weit ins Meer hinaus, daß die Seeluft da viel eindringlicher und aromatischer in die Lungen strömt. Ich opfere mich und führe die Alte, Farmer führt seine Freundin Carmen, Sie führen Ihre Kamilla, und der Abbate schlafft unbeweibt hinter uns her, wie es ihm zukommt, Marcia aber trägt einen Korb voll Sorbets zur Abkühlung des Mundes und Magens.«
»Das ist gescheit,« rief Farmer, »meine Spanierin klagt über Langeweile und wird ungezogen.«
Er hatte wirklich ein schönes Mädchen, welches auf dem Lloydschiffe angekommen war, zu seiner Freundin erhoben und in seinen ersten Stock eingeführt. Ruben war dies sehr unangenehm, aber er konnte es nicht hindern; gegen diese Partie aber nach Miramar unter Zuziehung dieser Carmen erhob er Einspruch. Der Weg von der Villa nach Miramar führte durch Triest, die Gesellschaft wurde von aller Welt gesehen, und er könnte deshalb durchaus nicht daran teilnehmen.
Bellosi fand das richtig, und verkündete jetzt erst, daß Signora Molitore ihn zu morgen abends eingeladen und ihm aufgetragen habe, Herrn Farmer gleichfalls einzuladen. Es werde feierliches Konzert sein!
» Bon!« rief Farmer, »meine Spanierin singt zur Gitarre. Ich bring' sie mitsamt der Gitarre.«
Das war eine peinliche Verlegenheit für Ruben: eine Mätresse neben seiner Kamilla! Er winkte Bellosi, dagegen zu sprechen, und dieser, jegliche Schicklichkeit befürwortend, tat es auch. »Dann müßte Carmen«, sagte er, »heute noch Visite machen, und jetzt nachmittags ist es zu spät.«
Farmer sagte ärgerlich: »Diese Formalitäten sind unausstehlich.« Ruben aber war peinlich daran erinnert, daß sein Glück nicht die geringste Berührung mit der Außenwelt vertrüge. Am Ende aber mußte doch einmal diese Berührung eintreten.
Farmer war in sehr gereizter Stimmung. Die Börsenspekulation, von welcher Ruben abgeraten, war ziemlich mißlungen. Aus dem Aberglauben, daß Rubens Glück dazu gehöre, hatte er sie nicht in ganzer Ausdehnung unternommen und hatte deshalb weniger verloren; aber verloren hatte er. Dabei war noch eine Drohung aufgestiegen: er hatte auf eine neue Eisenbahn eine große Anzahl Aktien gezeichnet, und diese Eisenbahn schien ganz ins Stocken zu geraten. Es war dieselbe, auf welche ihn die bei Veitl gekaufte Broschüre aufmerksam gemacht hatte.
Das alles verstimmte ihn. Weil er aber doch ein sehr mutiger Mensch war, so stand er vom Tische auf mit dem Vorsatze, einen großen Börsencoup zu unternehmen.
Ruben ging voll trüber Gedanken heim und wurde noch verstimmter, als ihm jene Carmen Farmer im Hausflur begegnete und mit verlangsamten Augen anblickte.
Alles erschien ihm plötzlich in garstiger Beleuchtung, selbst die jetzt so zugängliche Villa draußen stellte sich schief und störsam vor seinen Blick. Es war ja doch alles auf Täuschung gebaut, und es nötigte ihn, im Verkehre mit Kamilla sich leichtfertig zu gebärden und die Tante im Grunde zu betrügen. »Kamilla« – rief er aus – »wird beschädigt in diesen Täuschungen, deine Liebe, unsere Liebe wird zersplittert, und unsere schöne Stimmung unter der Platane wird verweht.«
Er fühlte das Bedürfnis, hinauszugehen auf den Bergpfad und sich auf die Bank zu setzen, wie man das Bedürfnis fühlt, freie Luft zu schöpfen. Sammlung! Sammlung! Wiederkehr zum reinen Seelenleben mit Kamilla! So sagte er sich, und ging hinaus. Kamilla zu finden erwartete er durchaus nicht. Morgen vormittags vielleicht, meinte er, wenn ihr Bedürfnis eben so ist wie das deine.
Er saß still da oben, bis die Nacht aufs Meer sank, und gestärkt kam er nach Hause. Ziemlich früh am andern Morgen wanderte er wieder hinaus, und hegte nun bereits die Meinung, Kamilla müßte auch kommen.
Sie war schon da. Es war ihr ebenso ergangen wie ihm.
Lustiger und tändelnder als er war sie gewesen bei seinen Besuchen in der Villa, aber auch sie hatte sich nach Sammlung gesehnt und war zur Platane gekommen in der stillen Hoffnung: Ruben wird da sein! Und da kam er ja wirklich.
Alle kleinen Sünden wurden gebeichtet, welche die Täuschungen der Tante mit sich gebracht, und herzlicher Trost wurde gesucht und gefunden in gegenseitiger Versicherung ehrlichster, innerlichster Liebe. Es wurde eine der schönsten Stunden ihres Lebens.
Dazu gehörte ihre naive Versicherung, daß sie erstaunliche Fortschritte in der deutschen Sprache machte. »Ich lese alle Tage und verstehe immer leichter!«
»Vortrefflich! Wir Deutsche sind ein ehrlich Volk und ein poetisches. Du wirst uns innerlich angehören, wenn du unsere Sprache völlig erlernst.«
»Das will ich auch, schon deinetwegen.«
»Und wie wird's dich freuen, unsere poetische Welt zu verstehen. Sie ist ganz anders als eure italienische. Ich bringe dir die Bücher unserer großen Dichter; die wirst du lesen ,…«
»Mit Freuden.«
»Und wirst mir dann erzählen, was für Gedanken und Gefühle sie in dir erweckt haben.«
»Getreulich. Und nun noch eins vor dem Scheiden. Was ich dir schon einmal gesagt und was du nicht glauben wolltest, das wiederhol' ich jetzt: es kommt mir in der Tat möglich vor, daß die Tante den Nota aufgibt und dich an dessen Stelle aufnimmt, weil du eben gar so liebenswürdig bist.«
»Auf Wiedersehn heute abends, denn es fängt an zu regnen.«
Es war dies der Abend des sogenannten feierlichen Konzertes. Den ganzen Tag über hatte es geregnet, eine Seltenheit in Triest, und Farmer mit Bellosi kam zu Wagen. Ruben war schon da. Er hatte Schillers »Don Karlos« mitgebracht und Kamillen gegeben. »Das Buch ist nicht gebunden« – sagte er leise – »damit es dir leichter in der Hand liegt, Moses hat es frisch aus dem Buchladen geholt, und ich hab' es aufgeschnitten. Dabei hab' ich an einzelnen Stellen verweilt, welche dich stärker berühren werden, und habe einen Einbug ins Blatt gemacht. Du wirst mir sagen, ob du die Stelle gefunden, welche ich gemeint habe.«
Dies sagte er leise zu ihr, während der Abbate auf seinem Violoncell schon präludierte und die Tante im Zimmer umherging mit dem Diener, um die Blumen und Gewächse in richtige Stellung zu bringen. Sie hatte sogar einen Lorbeerbaum hereintragen lassen. Sie war äußerst guter Laune und wollte durchaus einen festlichen Charakter für diesen Abend.
Bellosi lobte das höchlich und versicherte mit Salbung:
»Der ist der glücklichste Mensch, welcher täglich darauf sinnt, sich ein Fest zu bereiten. Wenn ich des Morgens beim Aufstehen empfinde, daß alles an meinem Körper in Ordnung ist, dann sag' ich: Hurra! heut' ist ein Festtag, und wiederhole mir das im Laufe des Tages zehnmal, bis ich mich in behaglicher Zufriedenheit abends wieder niederlege.«
»Ohne den ganzen Tag über etwas getan zu haben!« – rief lachend Farmer.
»Ich habe genossen, was können Sie mehr?«
»Den Genuß verdienen durch Tätigkeit« – sagte lächelnd Ruben.
»Also tätig, tätig sein!« rief der Abbate, strich über alle Saiten des Violoncells und begann das Konzert.
Das Musikstück gab Gesangsnummern für Ruben und Kamilla, und beide sangen mit voller Hingebung, einander anschauend und beflügelnd. Es gelang vortrefflich, die Zuhörer applaudierten lebhaft, und der Abbate selbst schrie Bravo über Bravo, obwohl er sich für den Schöpfer dieser Musica hielt.
Der Applaus rauschte noch, da trat der Diener ein und sagte leise zu Ruben: »Der Jude Moses ist draußen und will den Signore sprechen, er hätte ihm etwas Wichtiges zu sagen, und zwar augenblicklich.«
»Zu Numero zwei!« rief der Abbate und war verdrießlich, als Ruben, um Verzeihung bittend, hinausging.
Moses stand im Hausflur, ging aber, als er Ruben kommen sah, ihm mit der Hand winkend, durch die Haustür auf die Veranda hinaus. Offenbar darum, daß die Dienerschaft nichts hören sollte. Sie war da versammelt – Marcia darunter – um vom Konzerte soviel als möglich zu genießen.
»Was ist, Moses?«
»Er ist da.«
»Wer?«
»Der Nota.«
»Nein.«
»Ja. Ich hatte einen Brief in den Postkasten auf dem Bahnhofe zu tragen. Just hatte ich ihn hineingesteckt, da kommt der Zug von Venedig. Ich schaue hin, ob ich von den Passagieren jemanden kenne und meine Dienste antragen kann, und was seh' ich? Nota steigt aus und ruft einen Packer, daß er ihm einen Wagen bestelle. Mich trifft der Schlag. Kommt er hier heraus in die Villa, denke ich, während Sie hier sind, dann platzt die Bombe. Aber was tun? Wie verhindern? Ich find's. Ich hasse den Kerl ohnedies. Ein Sicherheitswachmann steht da und hat Maulaffen feil. Geschwind lauf' ich zu ihm und sage: ›Kennen Sie den Cavaliere di Nota?‹ – ›Nein.‹ – ›Dort steht er. Tun Sie Ihre Schuldigkeit!‹ – ›Was denn?‹ – ›Der Cavaliere gehört zur Irredenta.‹ – ›Ah!‹ – ›Ja. Schon vor ein paar Wochen sollte er verhaftet werden. Da ist er ausgerissen. Jetzt kommt der Freche wieder, weil er die hiesige Polizei verachtet. Gehen Sie hin, greifen Sie ihn!‹ – Da geht der Sicherheitsmann auf ihn zu, und ich kehre um, nehme einen Wagen – einen Gulden fünfzig Kreuzer kostet er – und fahre hieher. Gehen Sie nicht wieder ins Haus, sondern kommen Sie mit. In ein paar Minuten kann der Nota hier sein, denn der Sicherheitsmann hat keine Order, der Nota macht ihm was vor, gibt ihm wohl auch einen Gulden, nimmt auch einen Wagen, und – holla! da kommt ein Wagen!«
»Nein.«
»Aber er wird kommen, wird gleich kommen. Gehen Sie nicht wieder ins Zimmer! Sagen Sie dem Diener was zur Entschuldigung drin, etwas von einem schleunigen Geschäfte oder so was, und gehen wir, gehen wir!«
»Ohne Hut?«
»Nehmen Sie meinen. Mein Haarwuchs verträgt den Regen.«
»Nein, Moses. So feige Flucht steht mir nicht an. Ich werde hineingehen und ruhig sagen, daß ich eines dringenden Geschäftes wegen abgerufen wurde.«
»Unterdes ist er da!«
»Nun dann, so sei er da, und der Kampf beginne. Ohne Kampf geht's doch nicht ab.«
Und Ruben ging festen Schrittes in den Salon zurück; Moses stand da mit offenem Munde.
Kamilla sah im Gesichte des Eintretenden die Verstörung und fragte leise: »Was ist's?«
»Nota kommt.«
»Ah!«
»Soll ich bleiben?«
»Nein.«
»Nein?«
»Nein, nein!«
»Nun denn«, nach seinem Hute schauend, sagte er der näherkommenden Frau Molitore, er bäte um Entschuldigung, aber ein dringendes Geschäft erfordere sein augenblickliches Erscheinen in seiner Wohnung.
»Warum nicht gar!« rief Farmer, »so was gibt's ja gar nicht in Ihrem Geschäfte. Das kann nur eine Torheit Ihres Bruders sein, der immer vor Ängstlichkeit zittert.«
»Was es auch sei,« rief Bellosi, »es wäre ein Fehler, wenn Sie fortgingen, ein Fehler gegen ein gesundes Lebenssystem!« Und dabei ergriff er Rubens beide Hände. »Ein Fehler! Wir sind mitten in guter Stunde, die unterbricht allenfalls ein ungeschickter Zufall, aber nimmermehr der eigene Wille des verständigen Lebenskünstlers. Ich lasse Sie nicht los, ergeben Sie sich! Ich kenne das Menu des Nachtmahls, es macht unserer geschmackvollen Wirtin volle Ehre.«
Da ergriff Kamilla einen Arm Bellosis, und von der Berührung erfreut, gab er Ruben frei, während Kamilla sagte: »Der Herr ist nicht so genußsüchtig und hat ein Pflichtgefühl.«
Sie hatte seinen Hut ergriffen, reichte ihm denselben und begleitete ihn nach der Tür, unbekümmert um das Geschrei des Abbate: »Der zweite Teil des Konzertes, der zweite Teil!« und um den Ruf der Tante: »Aber Kamilla!«
Da hörte man von draußen eine laute Stimme: »Nichts da von Meldung!«
»Das ist ja Notas Stimme!« rief Frau Molitore, und in der aufgerissenen Tür erschien auch wilden Gesichtes der Cavaliere di Nota.
»Wahrhaftig, es ist so!« sagte er, und ging auf das nahestehende Paar zu, auf Ruben und Kamilla, welche zurücktraten.
Und nun schrie er: »Ah, Signora Molitore, man schreibt mir nach Ancona, daß gemeine Juden in Ihrem Salon die Herren spielten, und richtig, es ist so, wie ich sehe. Kennen Sie diesen Menschen hier, welcher neben Kamilla steht? Es ist der Jude Schmuel. Er wechselt Geld für kleine Perzentche und gehört nicht in anständige Gesellschaft.«
Ein allgemeiner Aufschrei folgte; Ruben aber, den Arm erhebend und »Schurke!« schreiend, stürzte auf Nota zu, um ihn niederzuschlagen. Mit einem Sprunge jedoch war Farmer zwischen ihnen, drängte Ruben zurück und sagte: »Vergreifen Sie sich nicht an diesem italienischen Wichte, der sich einen Kavalier nennt und sich beträgt wie ein Kutscher. Seine Berührung könnte anstecken. Da, christlicher Hanswurst, meine Adresse, wenn Sie Courage haben und Näheres wissen wollen.«
Mit diesen Worten warf er dem zurückweichenden Nota seine Karte vor die Füße, faßte Ruben unter dem Arme und führte ihn nach der Tür. Dort wendete er sich noch einmal um und rief: »Bellosi, vorwärts! Wir gehören nicht in solche Gesellschaft, Frau von Molitore wird uns entschuldigen.«
Und hinaus ging er mit Ruben, die Tür ins Schloß werfend, daß es krachte.
Für Bellosi paßte der Zuruf: »Vorwärts!« durchaus nicht. Er war auf einen Sessel gesunken, ebenso Frau Molitore. Nur Kamilla stand aufrecht da und sah mit zornigem Blicke auf Nota.
Kein Laut wurde hörbar, bis sich Nota zusammenraffte, auf Kamilla zuging und reden wollte. Diese aber wies ihn mit dem Arme zurück und sagte: »Gehen Sie mir aus den Augen! Ich will Sie nicht hören und nicht sehen.«
Mit diesen Worten verließ sie den Salon.
Und nun erhob sich Frau Molitore. Der Schreck war überwunden, der Zorn erwachte. »Nota!« stammelte sie, »was ist das für ein Betragen? Wie können Sie – vor allem andern, woher wissen Sie, daß jener Mann wirklich ein Jude ist? Wie wollen Sie das beweisen?«
»Mein Gott! Ich kenne ihn ja aus dem Kaffeehause. Die ganze Stadt kennt ihn. Fragen Sie Herrn Bellosi hier! Es herrscht darüber gar kein Zweifel. Ein anonymer Brief von hier hat mich in Ancona unterrichtet, daß dieser Jude hier den Liebhaber Kamillas spiele, und da ich voraussetzte, es könnte dies nur geschehen, weil Sie die Herkunft dieses Menschen nicht kannten, bin ich hergereist, um Sie aufzuklären.
Auf die Gefahr meiner Verhaftung bin ich hergeeilt, und die Polizei wollte mich auch schon auf dem Bahnhofe aufhalten. Aber ich trotze jeder Gefahr, um Sie, meine würdige Gönnerin, vor einer Unanständigkeit zu bewahren.«
»Und Sie, Signore Bellosi,« wendete sich jetzt Frau Molitore gegen Bellosi, »Sie wußten es, daß er ein Jude wäre, und haben ihn gleichsam hier bei mir eingeführt?!«
»Himmlischer Vater!« stöhnte Bellosi, »die Szene verdirbt mir ohnehin auf acht Tage den Appetit, und nun soll ich auch noch die Judenfrage verantworten. Als ob ich nicht wüßte, wie unangenehm diese Rasse ist, und wie sie uns das Leben versäuert mit ihren fremden Sitten, mit ihrem Knoblauch, mit ihrem Wuchergeiste, mit ihrem Schmutze, mit ihrer unehrlichen Feindseligkeit gegen uns Christenmenschen, mit ihrem Mangel an Ehrgefühl, mit ihren geschmacklosen Speisegesetzen und so weiter. Aber sie sind doch einmal emanzipiert, sie sind reich und mächtig, sie gehören zur alltäglichen Geselligkeit; wem fällt's da ein, solches Geschrei über sie zu erheben, wenn er ruhig leben will!?«
» Mir fällt's ein. Darin hat der Cavaliere recht, daß kein Jude in mein Haus gehört, noch weniger an die Seite meiner Nichte. Und ich mache Sie verantwortlich, Signor Bellosi, daß diese Geschichte nicht bekannt wird in Triest.«
»Wie könnt' ich denn das verhindern?! Dort liegt ja die Karte des Herrn Farmer auf dem Boden; der gute, schweigende Herr Abbate – Schweigen ist in solchem Lärm das sicherste Mittel gegen die Nerven – wahrhaftig, der gute Herr Abbate bückt sich, wie schwer es seinem Leibesumfange fällt, er bückt sich und hebt die Karte auf, sie an die richtige Adresse, an den Herrn Cavaliere zu überreichen. Dieser wird als Edelmann wissen, was die Karte bedeutet. Sie bedeutet eine Herausforderung, bedeutet ein Duell. Und da soll die Geschichte nicht bekannt werden! Ganz Triest erfährt sie dadurch.«
»Bilden Sie sich ein, ich würde mich mit einem Juden schlagen?« sagte Nota verächtlich.
»Signor Farmer ist kein Jude und ist ein ungemein respektierter Mann; er gilt überall für gentlemanlike.«
Pause.
Frau Molitore sagte endlich: »Damit Sie nicht verhaftet werden, Nota, müssen Sie ohnehin gleich wieder fort. So wird die Sache untergehen.«
»Himmel und Erde!« schrie der Cavaliere und rannte im Salon herum.
Ihm war es darum zu tun, in der Villa zu bleiben und die erzürnte Tante zu einem entscheidenden Schritte gegen Kamilla zu benützen. An die Duelllust der Börsenleute glaubte er auch nicht.
»Himmel und Erde!« schrie er noch einmal und fuhr fort: »Die Forderung der Börsenjuden nötigt mich wirklich, noch hier zu bleiben. Hier bei Ihnen, gnädige Frau, wird man mich nicht suchen, und Signor Bellosi wird als Kartellträger figurieren, den Zweikampf über die Grenze zu verlegen.«
»Ich Kartellträger! Ich, der kein Blut sehen mag!«
»Sie sind mir's schuldig,« sprach die Tante, »Sie haben mir den Juden ins Haus gebracht.«
»Nein, Gnädigste, ich habe ihn hier gefunden.«