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11.

Wenn der Mensch einer starken Empfindung anheimgefallen ist, dann beherrscht diese Empfindung ganz allein seinen Verstand und seinen Willen: er sieht nicht mehr, was um ihn her vorgeht.

Die Besorgnisse Farmers, so tief begründet sie waren, sie kamen jetzt Ruben gar nicht in den Sinn. Er sah nur den Platanenbaum vor sich, unter welchem er harren und harren, die Ankunft seiner Geliebten erharren würde.

Der Zug von Venedig kam zu früher Morgenstunde nach Triest – in früher Morgenstunde schritt er hinauf zum Plateau und setzte sich auf die Bank.

Sie wird so früh nicht heraufkommen, sagte er sich, aber sie wird im Laufe des Vormittags kommen. Indem du sie erwartest, lebst du mit ihr.

Das Herz hat immer recht: sie kam. Die Sonne schien heiß vom Himmel. Das hätte sie abhalten können, aber sie kam. Der breite gelbe Strohhut leuchtete von weitem, die dunkle Kleidung, in welche sie gehüllt war, verklärend. Ihr nur schwach gerötetes Antlitz und die Fülle des goldroten Haares leuchteten wie die Sonne zwischen dunklen Wolken aus ihrer schwarzen Trauerkleidung hervor.

Beide Hände streckte sie ihm entgegen, ohne ein Wort zu sprechen. Auch er sprach nicht. Ihre Augen standen voll Wasser, und schluchzend ließ sie ihren Kopf an seine Brust sinken, »mein lieber Vater« kaum verständlich sprechend.

Er führte sie zum Sitze auf der Bank und sagte: »Wir wollen uns sein Andenken immer lebendig erhalten.«

»Ja, immer, immer!« – und sie hob ihr Haupt und blickte Ruben in die Augen, lange, lange, ohne ein Wort weiter zu sagen.

Weder sie noch er sprachen ein Wort von Liebe; ein Fremder hätte sie für Bruder und Schwester halten können. Eins trat deutlich hervor: ein festes Zusammengehören.

Nun nahm sie das Wort und sprach rasch, ohne Unterbrechung: was der Vater noch alles zu ihr gesagt, nachdem sie ihm erklärt, der Nota wäre ihr unangenehm und sie möchte ihn nicht heiraten. Auch er, hätte der Vater erwidert, auch er möchte ihn nicht, und dann hätte er ihr zugesprochen, sich tapfer gegen die Tante zu wehren, wenn sie auf dieser Heirat bestehe. Sein letztes Wort wäre gewesen: »Versagt sie dir deshalb ihr Erbe, dann verzichte auf dies Erbe, und wenn dir nicht ein Mann nahetritt, welchen du gerne magst, so gehe getrost in ein Kloster.«

»Oh!« rief Ruben.

»Das ist nicht so schlimm, wie man glaubt; ich bin im Kloster erzogen worden.«

»Die Tante wird ja zu bekehren sein, wenn sie Ihren dauernden Widerwillen sieht.«

»Das steht nicht zu hoffen. Ich bin kaum ein paar Stunden in der Villa, und sie hat von diesem Nota und mir viel mehr gesprochen, als von meinem Vater. – Aber, lieber Freund, nun Sie! Wie ist es Ihnen ergangen?«

Er erzählte, daß sich sein Vermögen überraschend vermehrt habe und daß er nun in seiner Lebensstellung gefestet und gesichert wäre.

»Wie mich das freut!«

Daß er ferner einen formellen Besuch gemacht habe bei der Tante und daß sie ihn eingeladen –

»Wiederzukommen? Herrlich! Wir werden nun spielen und singen und vertraulich miteinander reden. Nur wenn ich mit Ihnen rede, bin ich getröstet über mein Unglück. Aber den Platz hier unter der Plantane wollen wir doch nicht vergessen, denn hier können wir am freiesten sprechen.«

»Alle Tage?«

»Alle Tage! – Jetzt aber muß ich heim. Ich bin nur entschlüpft, und sie sollen meine Abwesenheit nicht bemerken, denn sonst fängt die Tante an, mir nachzuspüren und uns dies Platanenbänkchen zu verleiden oder gar zu verderben. Also Addio, Lieber – wie ist denn Ihr Vorname?«

»Ruben.«

»Ah, Ruben? Das ist ein seltener Vorname. Aber ich kenne ihn aus der Bibel. Meine Mutter, welche sie eine Ketzerin schalten und welche doch engelsgut war, besaß eine Bibel. Darin hat sie mich lesen gelehrt. Wie oft später habe ich in dieser Bibel gelesen! Meine Mutter sah es gern. Im Alten wie im Neuen Testamente habe ich gelesen, obwohl später die geistlichen Frauen im Kloster das nicht loben wollten. Ich habe mir's nicht verbieten lassen. Im Alten Testamente kommt der Namen Ruben vor. Aber jetzt muß ich heim, also Addio! lieber Ruben.«

Die Trauer war überwunden, sie lächelte, als sie ihm zum Abschiede die Hand reichte.

Ruben blieb noch eine Weile und dankte dem Himmel für die Gunst, welche ihm geschenkt wurde. Es fiel ihm nicht ein, daß ein bestimmtes Geständnis gegenseitiger Liebe noch immer nicht ausgesprochen sei zwischen ihm und Kamilla. Der Baum der Liebe wuchs zu ihm empor ohne laute Verkündigung.

Als er endlich ging, fühlte er das Bedürfnis, doch einmal seine Mutter aufzusuchen. Ihr wollte und konnte er anvertrauen, wie wohl es ihm erging, wie warm und glücklich sein Herz schlage.

Der Weg führte an Veitls Buchladen vorüber. Da saß vorne Moses und las. Den im Hintergrunde sitzenden Veitl sah Ruben nicht. »Grüß Gott, Moses« – rief er – »sie ist wieder da, es steht alles gut.«

Der vom Sitze auffahrende Moses machte mit dem Arme eine Bewegung, als wollte er ihm den Mund zuhalten und sagte leise: »Still! Der Veitl sitzt hinten.«

Ruben verstand die Warnung wieder nicht und sagte: »Ich will meine Mutter aufsuchen, ich hab' die Gute lange nicht gesehen.«

Mit ihm fortgehend, erwiderte Moses: »Sie ist nicht zu Hause. Vor einer Viertelstunde hab' ich sie auf der Straße gesehen; sie führte den Vater in die Synagoge. Vater Abraham muß geführt werden, er ist gar gebrechlich geworden.«

Das war ein Schatten, der auf Ruben fiel, und er seufzte.

»Wissen Sie was, Herr Ruben? Sie sollten einmal unsern steinalten Rabbi Aaron aufsuchen. Vielleicht schafft der Rat. Er ist wirklich fromm, aber auch weise. Er versteht die Welt, und wenn der mit Vater Abraham spricht, so macht er ihn vielleicht sanft.«

»Du hast recht, Moses. Wenn die Zeit kommt, werd' ich daran denken.«

»Und hören Sie doch einmal endlich auf mich wegen des Veitl! Nehmen Sie sich in acht vor ihm! Er spioniert nach der Villa draußen, und jetzt haben Sie wieder was gesagt –«

Da kam Farmer des Weges daher und nahm Ruben in Beschlag, indem er sagte: »Neue große Chance, Freund, hören Sie zu!«

Er führte Ruben fort und Moses ging zum kleinen Buchladen zurück, seine unterbrochene Lektüre – es war eine Abhandlung über das Ehegesetz – wieder aufnehmend. Da brummte aber Veitl vom Hintergrunde her: »Was hast du immer noch zu verkehren mit dem schlechten Ruben Schmuel?«

»Warum schlecht?«

»Er ist ein schlechter Jude und wird Schande bringen über Israel, wenn der Nota nicht bald wiederkommt.«

»Schande? Nota? Ich verstehe den Herrn Veitl nicht.«

»Du verstehst mich ganz gut. Ich hab' zugehört neulich hier an der Ladentür, wie du verhandelt hast mit dem Manasse über den Nota, der ausreißen sollt' nach Ancona. Du bist auch ein schlechter Jüd.«

»Nu, was weiter?«

»Was weiter? Wenn ich dem Rabbiner schildere, was für ein schlechter Jüd du bist – du bist imstande Schweinefleisch zu fressen! – so wird er dich ausschließen aus der Gemeinde.«

»Wie heißt ausschließen? Ich bin ausgeschlossen genug, und ich leb' nicht von den Juden, sondern von den Christen. Der Rabbiner: Ich geh' doch manchmal zum alten Rabbi Aaron, bei dem ich als junger Mensch im Dienste war. Kommt dem nur mit dem Ausschließen? Damals wie ich bei ihm Stiefel putzte, war er auch voller Hitze, aber seine Frau war sanft und gut, die hat ihn erzogen zur Sanftmut, und als sie ihm gestorben, da war er zerknirscht, was man sagt matsch, und da hat er sich immerfort belehrt und gebessert, und jetzt ist er weise wie ein Prophet. Kommt nur zu ihm mit dem Ausschließen, er kennt Euch und er spricht ganz anders zu mir als der Herr Veitl, und er schimpft nicht und er haßt nicht, gar nicht wie der Herr Veitl.«

»Du bist ein frecher Lümmel, und ich werd' dich noch fortjagen aus meinem Laden.«

»Das wär' kostspielig für Euch, Herr Veitl, kostspielig. Denn es wird dann bald an Käufern fehlen für die dummen Bücher, und ich könnte dann auch ganz genau den Leuten sagen, wie Ihr sie überteuert, und ich könnt' mir selbst einen Laden anlegen und Euch Konkurrenz machen, ich kenn's Geschäft, Herr Veitl.«

»Halt's Maul! Und versieh die Kunden. Ich hab' einen Gang.«

Veitl ging fort und Moses sah ihm nach. Er sah ihn zum »Hotel de la ville« gehen und da sprach er mit dem Portier.

»Der macht uns noch ein schlimmes Gesäure«, murmelte Moses, setzte sich und las weiter über Eherecht.

Farmer hatte unterdessen Ruben zu überzeugen gesucht, daß wieder ein großer Schlag an der Börse zu machen wäre und daß er wieder mit ihm kaufen sollte.

Ruben hatte zerstreut zugehört. Er war nicht in der Stimmung eines Börsengeschäftes und erklärte zunächst, daß ihm die Berechnung der Spekulation nicht klar genug erschiene, also auch nicht einleuchtend wäre.

»Verliebte Leute, wie Sie,« sprach Farmer mißmutig, »sind doch für alles übrige unbrauchbar. Ihre Schöne ist wohl wieder in Triest?«

»Die Worte ›verliebt‹ und ›Schöne‹ passen nicht für mich, lieber Farmer. Allerdings ist Kamilla wieder da, und allerdings bin ich augenblicklich außerstande, Spekulationen zu beurteilen und mir anzueignen.«

»Der richtige Augenblick für diese Spekulation wartet aber nicht auf die Entwicklung eines Liebesverhältnisses. Bis morgen muß Entschluß gefaßt werden. Hier ist eine ausgeschriebene Skizze des in Rede kommenden Börsenstandes. Lesen Sie dieselbe. Morgen früh komm' ich, Ihre Einwilligung einzuholen. Ich brauch' ja diese Einwilligung nicht, aber ich habe die Schwäche, Sie reich machen zu wollen. Nehmen Sie's nur nicht übel!«

Er gab Ruben ein Blatt Papier und ging ärgerlich von dannen. – Ruben sammelte sich zu Hause, studierte die Skizze und kam zu dem Entschlusse, nicht daran teilzunehmen. Die Berechnung erschien ihm zu gewagt, und er war ganz und gar nicht geneigt, auf ein Wagnis einzugehen, welches, mißlingend, seinen ganzen jetzigen Vermögensstand zerstören müßte. Dieser gute Vermögensstand war ihm eine unschätzbare Grundlage für sein Verhältnis zu Kamilla. Es war ja deutlich, daß er überall Hindernisse und Widerstand finden würde, Kamilla die Seinige nennen zu können. Diesen Hindernissen, diesem Widerstande gegenüber würde es von großer Wichtigkeit werden, ausreichend mit Geldmitteln versehen zu sein.

Farmer war sonst ein Langschläfer, aber am nächsten Morgen kam er schon um neun Uhr von seinem ersten Stock herunter zu Ruben mit der heiteren Anfrage: »Na, also! Die Skizze hat Sie aufgeklärt, und wir gehen heute gemeinschaftlich ans Kaufen.«

»Nein, lieber Freund, ich bin nicht dafür.«

»Was?!«

»Und ich warne Sie vor dem Unternehmen. Es beruht auf zu kühnen Voraussetzungen, es ist ein durchaus verwegenes Spiel, ist ganz und gar Spiel und kann zum Verderben ausgehen.«

»Der Schüler belehrt den Meister!«

»Nein. Aber er warnt den Meister.«

»Bedanke mich. Sie stecken eben in Ihrer Liebschaft und werden nicht eher wieder verständig werden, bis Sie erfahren haben, daß alle Liebschaften zur Enttäuschung führen oder zur Langeweile. Addio.«

Er war verletzt gegangen. Ruben bedauerte das, aber er meinte, es nicht ändern zu können. Jedenfalls beeinflußte dieser Streit seine Stimmung, als er hinaus ging zur Platane. Was er bisher außer acht gelassen, jetzt schien es ihm höchst wünschenswert, nämlich Kamilla gegenüber das entscheidende Wort auszusprechen und eine entscheidende Antwort von ihr zu veranlassen. Die gleichsam bürgerliche Frage drängte ihn heute.

Kamilla war heute die erste; sie saß schon auf der Bank. Fühlte sie sich auch gedrängt? War in der Villa auch ein Zwang eingetreten?

Ja. Die durch Kränklichkeit überreizte Tante hatte ihr gestern abends die peinlichste Szene aufgespielt und dadurch auch dies harmlos gutmütige Mädchen zu Zorn und Erbitterung aufgestachelt. Kamilla saß jetzt da auf der Bank wie eine monologisierende Theaterdame, laut vor sich hinsprechend und die Arme bewegend, als bekämpfe sie einen Feind. Sie wurde den daherkommenden Ruben gar nicht gewahr, und erst als er dicht bei ihr stand, hörte das halblaute Schelten und die Bewegung ihrer Arme auf. Zornigen Antlitzes sah sie zu ihm empor.

»Was ist? Was ist? Ihr liebes Gesicht ist ja ganz gespannt. Zürnen Sie?«

»Ja.«

»Wem? Doch nicht mir?«

»Nein. O nein. Der Tante. Sie empört mich. Gestern abends hat sie mich wieder gescholten, heftig gescholten und mich sogar schlimm und undankbar genannt, weil ich mir den Nota nicht aufdrängen lassen will. Und am Ende hat sie gesagt, ich ärgerte sie ins Grab, und sie werde ihr Testament abändern, sie werde mich enterben. Heute morgens läßt sie sich krank melden und mir ihr Zimmer verbieten. Hab' ich da nicht Grund genug, mißmutig zu sein?«

»Nein.«

»O nein? Ich will fort, ich will nach Hause, ich will ins Kloster. Um ihrer Erbschaft willen lass ich mich nicht zu dem Manne zwingen, der mir widerwärtig ist. Sie soll diese Erbschaft hingeben, wohin sie will, ich will lieber arm bleiben. Hab' ich nicht recht?«

»Ganz recht.«

»Na also.«

»Aber gibt's denn nicht noch einen andern Weg, als den nach Hause und ins Kloster?«

»Welchen denn?«

»Liebe Kamilla, schweigen wir ein paar Minuten gänzlich, damit sich Ihr Zorn niederlege und verschwinde. Er verstört Sie.«

»Ja, das ist wahr.«

Sie blickte vor sich hin eine lange Weile. Die Gesichtszüge milderten sich allmählich, und endlich wendete sie den Kopf zu ihm, sah ihn an und sagte: »Ja, der Zorn ist was Garstiges, er tut einem weh. Jetzt ist er fort. Sie hatten recht wie immer; Sie sind wohl ein sehr kluger Mann?«

»Sehr!« erwiderte er lachend.

Und nun lächelte sie auch, bot ihm nachträglich die Hand zu einem »guten Morgen« und sagte: »Aber noch eins! Dies ist auch ärgerlich. Das slowenische Mädchen in der Villa, die Marcia, spürt mir nach. Sie schlich hinter mir her, als ich aus der Villa trat, und ich mußte ihr einen Auftrag für mein Zimmer geben, damit sie zurückginge. Sie wird der Tante erzählen, daß ich hier –«

»Einen Mann spreche. Kurz, liebe Kamilla, alles drängt dahin, daß wir uns einigen sollen zu einer festen Stellung, um all dieser Peinigung, all diesen Hindernissen ruhig ins Auge sehen zu können.«

»Was heißt das: eine feste Stellung?«

Ruben stand auf und ergriff ihre beiden Hände. Nun erhob sie sich auch. Schweigend sahen sie einander in die Augen, eine leichte Röte flog über Kamillas Gesicht.

»Kamilla« – sagte er leise – »Tante, Erbschaft, Heimkehr, Kloster, alles das verliert seine Bedeutung, wenn wir beide –«

Da stockte er, und Kamilla wiederholte ebenso leise: »Wenn wir beide?«

»Wenn wir beide einig sind miteinander.«

»Ja, sind denn wir nicht einig?«

»Ich weiß es nicht gewiß, ich hoffe es bloß, aber ich möchte es gewiß wissen.«

»Was denn?«

»Ich liebe dich, Kamilla, und möchte wissen« – er stockte wieder.

Die leichte Röte in Kamillas Gesicht wurde eine glühende. Sie neigte ihr Antlitz dem seinigen zu und sagte kaum vernehmbar: »Ist Gernhaben so viel wie Lieben?«

»Damit fängt die Liebe an – aber –«

»Kein aber!« – Und ihr Mund sank auf den seinigen; es ward ein Kuß. Er drückte sie sanft an seine Brust, und als sie, die goldenen Locken schüttelnd, ihr Köpfchen hob und ihm liebevoll in die Augen blickte, da sagte er: »Willst du mein Weib werden?«

»Ich will!«

»Nun habe ich für dich zu sorgen.«

»Du Guter!«

»An Peinigung und Hindernissen wird es uns, auch wenn wir vereinigt sind, nicht fehlen; aber wenn wir beide dasselbe wollen, dann werden wir stärker und werden wir hoffentlich stark genug, um ans Ziel zu kommen. Dich bedrängt die Tante, mich mein Vater.«

»Dein Vater lebt, ja?«

»Ja, mein Vater und meine Mutter, meine gute Mutter, leben.«

»So bist du ja glücklicher als ich.«

»Und wenn dein Vater dir verboten hätte, mich zu lieben und zu heiraten, wäre dir das nicht ein Hindernis gewesen?«

»Ja.«

»Vielleicht ein unübersteigliches?«

»Vielleicht.«

»Siehst du!«

»Vielleicht auch nicht. Mein guter Vater hätte nachgegeben. Deiner tut's vielleicht auch.«

Ruben schüttelte sein Haupt, sie aber blickte ihn zärtlich an und lehnte sich an seine Brust.

Er zog sie auf die Bank und fuhr fort: »Ach nein! Bei meinem Vater, fürchte ich, ist der Widerstand nicht zu besiegen.«

»Warum denn nicht?«

»Sein Widerstand beruht auf tiefen Grundsätzen, und es kann die Gefahr eintreten, daß ich sein Leben aufs Spiel setze, wenn ich trotz seines Widerspruches dich zu der Meinigen mache.«

»Um Gottes willen! Was hab' ich ihm denn getan?«

»Du hast ihm nichts getan; er kennt dich gar nicht. Aber auch wenn er dich kennte und dich so liebenswürdig fände, wie ich – er würde dich zurückweisen als meine Frau.«

»Ah! Ja, was sind denn das für tiefe Grundsätze?«

»Frage jetzt nicht danach. Der Augenblick wird kommen, in welchem ich sie dir deutlich erklären werde. Es bedarf dazu der Vorbereitung. Bleiben wir jetzt bei der Frage: Was kann, was darf ich tun, wenn sein Leben in Gefahr steht?«

»Dann mußt du mich wohl verlassen!«

»So schnell gibst du mich auf?«

»Schnell? Wenn das Leben eines Vaters bedroht ist! – Das ist ja sehr traurig, lieber Ruben.«

»Ja, das ist es, liebe Kamilla. Daneben bedeutet deine Tante mit ihrem Gelde herzlich wenig.«

»Also?«

»Also geduldig sollen wir sein, warten sollen wir lernen. Kein Mensch kennt die Zukunft. Sie findet oft unvorhergesehene Wege, sie erweicht oft harte Grundsätze. Daraufhin werd' ich alle Anstrengungen machen. Willst du geduldig sein, willst du mit mir warten?«

»Freilich! – Aber was geschieht, wenn die Tante auf dem Nota beharrt, wenn sie mich zwingen will und ich fortgehen muß?«

»Dann gehst du fort als meine stille Braut, und du gestattest, daß ich jegliche Sorge und Anordnung übernehme für dein nächstes Leben.«

»Ob ich's gestatte?! Ich gehöre ja nun zu dir und nur zu dir. Eins wäre noch möglich, Ruben: Du hast der Tante sehr gefallen, vielleicht kannst du sie so gewinnen, daß sie den Nota aufgibt und dich an seine Stelle setzt.«

»So eitel bin ich nicht, das zu hoffen. Aber wenn sich dies auch ereignet, dann könnte ich ja doch nicht als Brautwerber auftreten.«

»Warum denn nicht?«

»Vergeßlich Kind! Eben meines Vaters wegen. Er wohnt in Triest; er würde das erfahren, und der Kampf auf Leben und Tod wäre da.«

»O Gott!«

»Geduldig sein und warten, es liegt nichts Besseres vor uns.«

»Aber du kommst in die Villa, wir werden uns sehen. Nicht bloß hier – nein jetzt gleich kommst du mit. Die Tante liegt oben im Bett und wir musizieren unten.«

»Nein, Kamilla. Dann erführe ja deine Marcia, daß du mich hier geholt, und unser Platz hier unter der Platane wäre verraten.«

»Richtig.«

»Deine Tante ferner würde es unanständig finden, wenn sie erführe, daß ich außerhalb der Visitenzeit vormittags in ihr Haus drängte. Nein, du bist erst angekommen, ich muß auch mit dem Besuche warten, um nicht den Verdacht zu erwecken, daß ich bloß deinetwegen käme. Erst übermorgen komm' ich zur Visitenstunde, und auch hieher darfst du morgen und übermorgen nicht gehen.«

»Oh!«

»Um die Aufmerksamkeit der Marcia abzulenken und durch ihr Geschwätz nicht unsere Platanenbank zu verlieren.«

»Das ist aber – hui! hui! bück' dich, Ruben, damit sie dich nicht entdeckt, ich sehe das bunte Kleid der Marcia aus dem Hause kommen, und sie wendet sich hieher!«

»Geh' ihr eiligst entgegen, damit sie nicht näher kommen und mich sehen kann. Und morgen wie übermorgen gehst du nicht hieher! Eilig! Geh, geh! Der Himmel beschütze dich!«

»Addio, Ruben! Das dumme Mädel! –«

Und sie ging eilig auf die Villa zu.


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