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18.

Als er eintrat in die Villa, war Marcia wieder die erste Person, welche ihm begegnete. Sie schien zu erschrecken und stammelte: »Es wird niemand empfangen.«

»Du weißt und sprichst zuviel, Marcia. Ich höre aus dem Salon das Violoncell des Herrn Abbate, und du wirst erleben, daß mich der empfängt.«

Sie wollte sich in den Weg stellen, er schob sie aber zur Seite und trat in den Salon. Da hörte er eine Weile dem Spiele zu. Der Abbate, ihm den Rücken zukehrend, bemerkte ihn nicht und spielte sein Musikstück zu Ende. »Bravo! Bravo! wunderbar«, sagte Bellosi.

Der geschmeichelte Abbate grüßte freundlich mit der Hand und sagte dann: »Das Haus ist traurig geworden, man muß sich erfrischen.«

»Und der Herr Abbate ist fanatisch geworden?«

»Ich?«

»Was mich höchlich verwundert hat an solch einem gewiegten Philosophen und Künstler.«

»Wieso fanatisch?«

»Haben ja einen armen Juden mit den schlimmsten Worten aus dem Hause geworfen.«

»Ich?!«

»Ja, den kleinen Moses. Ich hätte nicht geglaubt, daß der Herr Abbate einen so wichtigen Volksstamm wie die Juden verachten und verfolgen könnte, was sonst nur der gedankenlose Pöbel tut. Diesen Volksstamm, welcher historisch so wichtig ist. Er hat uns ja den Heiland geschenkt und hat allein unter den götzendienerischen Heiden die Lehre vom alleinigen Gott festgehalten und bewahrt. Ein guter Christ – und ein Abbate muß doch vor allen Dingen ein guter Christ sein; ein römischer Abbate müßte doch, sollt' ich meinen, den Juden dankbar und gefällig sein.«

»Da können Sie wohl recht haben. Mein Gott, man läßt sich manchmal fortreißen. Die Hausfrau schrie so, und da hab' ich aus Gefälligkeit mitgeschrien. Eigentlich hat mich die Judenfrage bis jetzt nicht gekümmert. Übrigens hab' ich neulich im Vorübergehn mit Vergnügen zugehört: sie singen sehr schön in der Synagoge.«

»Also reden Sie doch, wie es einem Abbate zusteht, hier im Hause zum Frieden.«

»Sehr gern.«

»Was sagt denn Signorina Kamilla zu dem Streite?«

»Die sagt gar nichts, aber sie ist wohl verstimmt, sie kommt nicht mehr herunter zum Singen.«

»Weil der Partner fehlt, der Signor Samuele; der singt doch vortrefflich.«

»Vortrefflich.«

»Und den liebt sie, scheint mir.«

»So? Das kann wohl sein. Aber der ist eben –«

»Ein Jude. Also haßt sie die Juden nicht?«

»Sachte, sachte! Sie hat eben nicht gewußt, daß er ein Jude ist.«

»Und was hat sie denn gesagt, da sie's erfahren?«

»Nichts. Ich glaube nichts. Gefragt hab' ich sie nicht, und die Hausfrau beklagt sich, daß nichts herauszubringen sei aus dem Mädchen.«

»Ich möchte sie gern wieder einmal singen hören zu Ihrem reizenden Violoncell. Können wir sie nicht herunter bitten lassen?«

»Ja, das können wir. Aber sie wird nicht kommen, weil es die Hausfrau nicht erlaubt.«

»Die Hausfrau liegt ja im Bette. Hält sie denn von da die junge Dame am Stricke fest?«

»Das glaub' ich wohl nicht, aber sie hat ihr eine Kerkermeisterin zugeteilt, die Marcia, die läßt sie nicht heraus.«

»Und solche Einkerkerung eines unschuldigen Mädchens dulden Sie, der Sie ein Mann der christlichen Kirche sind.«

»Ich hab' hier nichts zu befehlen, ich bin ein Gast.«

»Courage, Signor Abbate, holen wir uns die Sängerin, wir brauchen Musik. Steigen wir hinauf, machen wir einen Sturm auf die Hausfrau!«

»Die Hausfrau liegt im Bette, und Marcia läßt niemand zu ihr.«

»Ein Dienstmädchen! Seien wir Männer und beseitigen wir das Frauenzimmer Marcia. Es muß wieder gesungen werden zum Violoncell, kommen Sie!«

Der Abbate lächelte und folgte. Auf dem Vorsaal oben fanden sie richtig die Marcia, welche vor die Tür zum Zimmer der Hausfrau trat und sie abwies.

Da streichelte ihr Bellosi die Wange und sagte vertraulich: »Unten im Salon wartet Herr Ruben; er will die Marcia sprechen.«

»Ach!« rief Marcia und wurde feuerrot.

»Schnell, schnell! Man läßt einen Liebhaber nicht warten.«

Marcia machte eine unklare Bewegung mit dem Arme, ging aber doch eiligst die Stiege hinab.

»Ich hatte recht. Und nun, Abbé, ohne Anklopfen hinein in die Festung!«

Er öffnete und trat ins Zimmer der Hausfrau. Der Abbate folgte schüchtern.

Sie lag allerdings im Bette und diesmal ohne rote Schleifen. Sonst war niemand im Zimmer. Sie las einen französischen Roman und schrie auf, als Bellosi unter Verbeugungen sich näherte.

»Keine Wallung, meine Gnädige! Keine Aufregung! Sie haben Ärger genug gehabt in diesen Tagen, Sie brauchen Entschädigung, Sie brauchen ein wenig Freude. Die bring' ich.«

»Was soll das heißen?«

»Das soll heißen: Sie haben zu schwarz gesehen, indem Sie die Entdeckung eines Juden in Ihrem Salon Ihrem vornehmen Rufe für gefährlich erachtet haben. Das ist niemand eingefallen. Im Gegenteil. Man hat gesagt: Signora Molitore hat Geschmack, den Adonis Ruben an ihr Haus zu fesseln und den Grobian Nota aus ihrem Hause zu jagen. Sie versteht unsere Zeit. Man läßt die Schacherjuden nicht zu sich, aber die Gentlemens unter den Juden die heißt man willkommen, man bekehrt sie zum Christentum und erntet dafür das Lob der Kirche wie der guten Gesellschaft. Nicht wahr, Herr Abbé?«

»Ja, ja«, flüsterte dieser.

»Das sind extravagante Reden, lieber Bellosi« – sprach sie mit auffallend ruhiger Stimme – »an welche ich nicht glaube.«

»Extravagant? Wissen Sie denn, wie sich der sogenannte Cavaliere di Nota benommen hat in einem Ehrenhandel mit dem Juden Samuele?«

»Brauch' ich das zu wissen?«

»Ja, recht sehr. Der Jude hat sich zum Pistolenduell gestellt wie ein Edelmann, der Herr Cavaliere aber ist ausgerissen wie ein Lump. Ermessen Sie, was das für einen Eindruck gemacht hat in der guten Gesellschaft. Man reißt sich um Ruben Samuele.«

»Bellosi?!«

»Wahr und wahrhaftig.«

»Nun, wie dem auch sei, ich muß ein unerfahrenes junges Mädchen zurückhalten, welches nicht weiß, wohin solche Bekanntschaft führt. Mich, lieber Freund, führt das alles ins Grab. Es ist nämlich offenbar, daß Kamilla auf alle meine Vorstellungen nicht hört. Sie schweigt verstockt, und doch lieb' ich das Mädchen immer mehr. Was willst du?« – rief sie der verstört ins Zimmer stürzenden Marcia zu – »du hast nicht aufgepaßt und die Herren hereingelassen. Du taugst nichts. Jetzt geh' deiner Wege.«

Als Marcia bestürzt das Zimmer verlassen hatte, sagte Bellosi schweren Tones: »Dies ist ein bedenklicher Dienstbote.«

»Warum bedenklich?«

»Sie ist verliebt in Herrn Ruben Samuele.«

»Was?«

»Ihm strömen eben alle Weiber zu. Um ihn zu sehen, bringt sie ihm Nachrichten hier aus dem Hause.«

»Warum nicht gar!«

»Vor einer Stunde erst war sie in seinem Zimmer – ich selbst hab's gesehen – und schilderte ihm die Zustände hier in der Villa der Signora Molitore in der abscheulichsten Weise. Gerade als ob Signora Molitore eine überspannte Närrin wäre und ihre Nichte grausam mißhandelte. Sie hielt das Mädchen in empörender Gefangenschaft.«

»Freche Lügnerin! Frech. Öffnen Sie jene Zimmertür und Sie werden Kamilla sehen, die über Büchern sitzt und studiert.«

Bellosi zögerte keinen Augenblick, und während er nach jener Zimmertür ging, setzte Frau Molitore hinzu: »Solch eine klatschende Magd muß binnen vierundzwanzig Stunden aus dem Hause.«

»Vierundzwanzig Stunden sind zu lang«, sagte Bellosi noch, während er die Tür öffnete.

»Abbate, rufen Sie die nichtswürdige Person herein. Bellosi hat recht. Ich jage sie auf der Stelle fort.«

Das geschah, und weil dies nicht ohne Hin- und Widerrede abging, so erhielt Bellosi Zeit zu einem Gespräch mit Kamilla.

Diese saß in der Tat über Büchern.

»Was studieren Sie denn da, Signorina?« fragte freundlichst Bellosi.

»Die Geschichte der Juden studier' ich. In der Bibliothek des verstorbenen Onkels hab' ich die Bücher gefunden.«

»Und die Juden besonders interessieren Sie?«

»Jawohl. Sie wissen doch, was wir erlebt haben. Die Tante aber billigte die Mißhandlung, weil sie einen Juden traf und schalt mich, schalt mich immer heftiger, weil ich ihren Zorn nicht verstand. Ich verstand ihn wirklich nicht. Da holte ich mir diese Bücher, um das jüdische Volk kennen zu lernen.«

»Nun, und –?«

»Nun, ich finde, daß es ein sehr eigentümliches Volk ist, welches mit großer Aufopferung an seinem Glauben gehangen.«

»Sie verachten also die Juden nicht?«

»Wie sollte ich!«

»Und doch antworten Sie nicht auf Rubens Brief.«

»Sie wissen davon?«

»Ruben ist in Verzweiflung, weil er aus Ihrem Stillschweigen schließt, daß Sie in das allgemeine Vorurteil gegen die Juden einstimmen.«

»Wie soll ich antworten? Die Tante wünscht nicht, daß ich das Zimmer verlasse, und einen Boten hab' ich nicht. Marcia ist Rubens Feindin.«

»Sie haben aber die Antwort aufgeschrieben? Nehmen Sie mich zum Boten.«

»Ich habe nichts aufgeschrieben, weil ich die ganze Sache nicht verstehe. Sind denn die Juden ganz andere Menschen als wir? Rubens Brief hat mich verwirrt. Er behandelt sich selbst darin wie einen Verbrecher, und doch ist er ehrlich und aufrichtig. Wie reimt sich das? Warum denn Verbrecher? Da liegen Rätsel, die ich nicht auflösen kann.«

»Vielleicht kann sie Ruben auflösen, wenn Sie ihn sprechen wollen.«

»Vielleicht. Aber ich kann ihn ja nicht sprechen. Die abscheuliche Marcia läßt mich nicht aus den Augen.«

»Marcia wird fortgejagt.«

»Ah!«

»Der Tante hab' ich soeben erklärt, daß sie auf falschem Wege sei mit ihrem Judenhasse, sie wird also Ihnen gegenüber nicht mehr an halbe Gefangenschaft denken, und Sie können getrost zur Platane hinaufkommen, wo Ruben Sie erwarten wird.«

»Morgen?«

»Morgen früh, wenn die nervöse Tante noch schläft.«

»Bellosi!« – rief jetzt die Tante im anstoßenden Zimmer – »verderben Sie mir das Mädchen nicht mit Ihren freigeistigen Gedanken. Sie ist ohnedies schon eigensinnig genug.«

»Eigensinn ist Charakter, meine Gnädige« – rief er laut, und indem er ging, wiederholte er für Kamilla halblaut: »Also morgen früh.«

Er setzte sich alsdann noch eine Weile ans Bett zu Frau Molitore und machte ihr sanfte Vorwürfe, daß sie ihr Leben nicht zu genießen verstehe, obwohl sie von den günstigsten Verhältnissen umgeben wäre.

»Ach!« – seufzte sie – »wie soll ich genießen, wenn ich immerfort geärgert werde!«

»Der Ärger kommt von Ihnen, nicht von andern. Sie lassen das Beste, was Sie in sich besitzen, nicht aufkommen.«

»Was denn?«

»Die Liebe.«

»Ach, eine alte Frau und Liebe!«

»Es handelt sich nicht um das Geliebtwerden – und das kommt auch – es handelt sich um Liebe. Und Ihnen liegt sie so nahe! Ein schönes, reines, edles Geschöpf, diese Kamilla gehört zu Ihnen, und ist bereit, Sie hingebend zu lieben, wenn Sie es ihr nur möglich machen. Tun Sie das? Es erwächst in ihr offenbar eine Neigung –«

»Zu einem Juden.«

»Mensch ist Mensch, und dieser ist ein liebenswürdiger Mensch. Das weiß niemand besser als Sie selbst.«

»Ich?«

»Ja, Sie. Ihr guter Geschmack hat auf den ersten Blick für ihn gesprochen. Wäre es nun nicht natürlich, daß Sie freundlich zusehen und Liebe entwickelten für Ihre Nichte, um Liebe zu gewinnen von ihr und von ihm und sich selbst dadurch zu beglücken? Nicht?«

»Ich glaube gar, Sie sprechen von einer dauernden Verbindung mit einem Juden! Das geht ja gar nicht. Zunächst müßte er doch sich taufen lassen.«

»Daran hindert ihn zunächst die Pietät für seinen Vater. Er ist ein guter Sohn, das ist viel wert. Und der alte Abraham wird nicht ewig leben.«

»Alsdann sein eigener Stolz. Er ist stolz, ich weiß es: er wird sich nicht zum Übertritt entschließen.«

»Liebe überwindet alles. Glauben Sie mir, einem erfahrenen Praktiker, und lassen Sie Ihr gutes Herz sprechen, um allen Ärger los zu werden. Darf er herkommen?«

»Wer?«

»Herr Ruben.«

»Ei, bewahre! Sie enthüllen sich also, Signor Bellosi, als einen Kuppler. Das verbitt' ich mir. Lassen Sie mich allein, meine Nerven vertragen keine Geselligkeit mehr.«

»Ich gehe, aber ich gehe getröstet. Ich kenne Ihr Herz besser als Sie selbst und weiß, daß es überzeugend sprechen wird zu Ihrem eigenen Wohlsein.«

So ging er und erlitt unten im Hausflur noch eine heftige Szene von Marcia, welche ihr Bündel schnürte und ihm alles mögliche Schlimme wünschte für seine Heldentat gegen ein armes Dienstmädchen.

»So arm und so falsch! Du hast aber guten Geschmack, Marcia, und das ist was wert. Trachte nun auch, ein gutes Herz zu bekommen, dann wirst du glücklich werden.«

Sie schalt hinter ihm her, er aber war sehr zufrieden mit sich und freute sich königlich darauf, Ruben gute Botschaft bringen zu können. »Ja« – sagte er sich – »Bellosi, du bist ein Herr Epikureer und heut' wird dir, nachdem du dich so gut aufgeführt, Essen und Trinken doppelt angenehm schmecken.«


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