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Der Cavaliere di Nota war wirklich, als er Moses begegnete, auf dem Wege nach der Villa Molitore gewesen. Nicht eigentlich nach der Villa, sondern nach dem Spazierwege am Berge hin. Auch er hatte Kunde erhalten, daß Kamilla dort gerne des Morgens umherwandelte, und dies nur hatte den Langschläfer früher aufstehen lassen. Er liebte Kamillen? Das wäre zu viel gesagt. Sie gefiel ihm ganz wohl, und er wollte sie heiraten. Heiraten, weil sie begründete Aussicht hatte, eine reiche Erbin zu werden, die Erbin der Signora Molitore, ihrer Tante. Die Schwester der Frau Molitore war die Gattin des Obersten Teodoro gewesen, und Kamilla war die einzige Tochter dieses Obersten und ihrer Schwester. Diese Schwester, die Mutter Kamillas, war frühzeitig an einem Lungenleiden gestorben, der Oberst war Witwer geblieben und schickte seine Tochter ganz gern nach Triest zu der Tante, welche ihm versprochen hatte Kamillen zu ihrer Erbin einzusetzen. Daß sich der Abbate zum Begleiter anbot, weil er Geldgeschäfte in Triest habe, und weil man bei der Signora Molitore sehr gut speise, das war dem Obersten ganz willkommen.
Der Cavaliere, welcher auch in Ancona wohnte, folgte unverweilt dem Abbate und der Kamilla, um vermittelst der Tante die Heirat durchzusetzen. Die Notas waren ein gutadeliges Haus, und deshalb war er für die Tante der richtige Bräutigam, obwohl er nach leichtfertig verlebter Jugend von seinem väterlichen Erbe nichts mehr besaß und von Schulden lebte, wie man zu sagen pflegte.
Er war ein stattlicher Geselle mittlerer Größe mit scharf geschnittenem romanischem Antlitze, welches von feinem schwarzem Haare und ebenso schwarzem Vollbarte eingerahmt war. Heftigen Naturells, gewandt in der Rede, sogar leicht pathetisch im Ausdrucke, sobald Politik berührt wurde, spielte er in Triest den herrschsüchtigen Italiener, welcher es selbstverständlich fand, daß Triest zu Italien gehörte. Er war in kurzer Zeit ein Matador der sogenannten Irredenta geworden, welche die Eroberung Triests für Italien leidenschaftlich betrieb und ziemlich unverschämt betreiben konnte, weil die österreichische Regierung sich diesem Punkte gegenüber kraftlos oder wenigstens nachsichtsvoll erwies.
Kamilla war bisher unaufmerksam neben ihm verblieben. Die immer wiederkehrende Deklamation, welche er führte, schien sie nicht zu interessieren. Sie war jung und milde und sprach wenig. Musik lag ihr am nächsten, und da Francesco di Nota mit einer sonoren Baßstimme sang, so fand ihre nähere Begegnung am Klavier statt. Er vermißte aber dabei jedes intimere Entgegenkommen von ihr, und das wollte er nun endlich erstürmen. Die Tante wünschte die freiwillige Zustimmung Kamillas.
Diesen Sturm hatte er heute vor. Es war ihm zugeflüstert worden, daß die Regierung nun doch einmal die Irredentisten fassen wollte, und da konnte er eingesperrt oder zur Flucht genötigt werden. Es schien ihm also ratsam, das Verhältnis zu Kamilla in feste Form zu bringen.
So gesinnt, schritt er an der Villa vorüber, den Bergpfad hinauf. Da begegnete er aber schon nach wenigen Minuten dem Abbate Salvo, welcher vor ihm still stand und sich den Schweiß abtrocknete. Das feiste kleine Männlein hatte soeben den Versuch gemacht, spazieren zu gehen. Der Versuch war mißlungen. Das Gehen auf unebenem Boden hatte ihn unangenehm angestrengt, er war bald umgekehrt und fluchte jetzt ärgerlich vor sich hin, wie sich's für einen Abbate gar nicht schickte.
»Warum so schlechter Laune?« fragte Nota.
» Corpo di Bacco« – sie sprachen italienisch – »weil ich einen dummen Dottore habe. Der Mensch verlangt, ich solle jeden Tag wenigstens eine Stunde lang in der freien Luft umhergehn, sonst würde ich dick, und das Asthma würde mich frühzeitig ruinieren.«
»Da kann er wohl recht haben.«
»Oh! Das Herumgehen ruiniert mich gewiß, das Asthma nur vielleicht. Also! – Kommen Sie mit uns frühstücken.«
»Ist denn Kamilla schon zu Hause?«
»Freilich! Sie wollte das Frühstück auf der Veranda richten lassen und hat mir anvertraut, daß frischer Seefisch und kleine Austern auf der Tafel erscheinen werden.«
In der Tat fanden sie Kamillen schon vor dem Hause. Der Diener ließ das Dach über der Veranda herab, um Schatten zu bieten, und der zweite Diener deckte den Tisch.
»Heut nicht spazieren?« fragte Nota Kamillen.
»Schon gewesen und Abenteuer erlebt« – antwortete sie.
»Was denn?« rief er und rief Signora Molitore, welche aus dem Hause trat.
»Geduld! Erst niedersetzen! Die Austern zuerst, Giovanne, für den Herrn Abbate! Er sieht ganz erschöpft aus.«
»Ist er auch, ist er auch, brave Kleine.«
Während sie nun dem Abbate die Austern vom Barte losschnitt, daß er bloß zu schlürfen brauchte, und während die anderen ans Speisen gingen – ein Kuvert für den Cavaliere war von der Hausfrau sogleich befohlen worden – erzählte sie heiter, daß sie oben an der Platane einem jungen Manne begegnet wäre mitten in ihrem Probieren des neuen Liedes, welches sie nur langsam vom Notenblatte gelesen, und daß dieser junge Mann in der Geschwindigkeit die Noten abgelesen und gesungen hätte.
»Aber, Kamilla, ein fremder Mensch!« rief die Hausfrau.
»Ja, aber er hatte eine wunderschöne Stimme und sang vortrefflich, vortrefflicher sogar als unser Cavaliere. Nach dem Frühstück wollen wir's am Klavier singen, Signor Francesco.«
» Diavolo! Dahinter steckt etwas!« rief Nota. »Ich bin heute dem Trödeljuden da unten begegnet.«
»Was heißt das?« sagte nun Signora Molitore, »heute morgens hab' ich aus dem Bette durch die Türspalte gehört, daß der Trödeljude da war?!«
»Von ihm hab' ich auch das neue Lied.«
»Da haben wir's!« sagte Nota, »der Lump hat da eine Begegnung angezettelt.«
»Aber, Kamilla, hörst du?«
»Ach, Signor Francesco sieht überall Spitzbuben und schlimme Austriaci! Der junge Mann da oben saß so ruhig, daß er mein Kommen gar nicht bemerkt hatte. Ich war schuld, daß es zum Reden und Singen kam. Tante, den solltest du singen hören! Und Sie erst, Herr Abbate, mit Ihren feinen Ohren. Machen Sie ausfindig, Signor Francesco, wer es gewesen, und bringen Sie ihn heraus zu uns!«
»Das fehlte noch!« sagte Nota unmutig. Unmutig, denn sein »Sturm« war dadurch verhindert worden, und er mußte sich jetzt an das Singen am Klavier klammern, um mit ihr allein zu sein. Diese Gelegenheit am Klavier war ihm aber gar nicht angenehm, denn er war nicht sehr musikalisch. Kamilla war ihm da überlegen und zeigte manchmal Neigung, ihn zu verspotten.
Dennoch mußte er's willkommen heißen und forderte am Schlusse des Frühstücks Kamillen auf, ins Zimmer zu gehen und ans Klavier zu kommen.
Die Villa war im Quadrat gebaut und enthielt viel Räumlichkeiten. Unter ihnen auch einen Musiksaal, in dessen Mitte ein prächtiges Pianoforte stand. Er wurde als Gesellschaftssalon benützt und war reich möbliert. Sofas und Sessel von lichtem Holze stachen grell ab von der braunroten Tapete und von ihrer ebenso braunroten Samtpolsterung. Deckenhohe Spiegel waren vorhanden, und das eine große Fenster war zugestellt mit hohen Blattpflanzen, welche fast bis an die Decke ragten. So war auch am hellen Tage die Beleuchtung gedämpft.
Kamilla setzte sich sogleich an das Pianoforte, rief »Aufpassen!« und spielte das Lied. Dann stand sie auf und lud Nota ein, nach dem aufliegenden Notenblatte die Komposition zu studieren und einzuüben. »Ich warte draußen, bis Sie mich rufen«, schloß sie.
»O nein! Hier bleiben, Engel! Ich habe Ihnen ja Wichtigeres zu sagen, als die Klaviertasten wissen.«
»Ich aber habe nichts Wichtigeres zu hören, als Ihren Vortrag des Liedes.« Und sie flog hinaus.
Draußen am Frühstückstische war der Abbate sanft entschlummert, und die Tante sah verdrießlich aufs Meer hinaus. Sie war meist verdrießlich. Vielleicht weil sie von Kränklichkeit geplagt und an den Lebensfreuden gehindert war. Zu diesen Lebensfreuden, welche ihr versagt wurden, gehörten in erster Linie große Gesellschaften, bei denen sie gern ihre Herrlichkeiten prahlerisch enthüllt hätte. Sie war reich und konnte ihren Reichtum nicht genießen. Mit Schrecken erlebte sie's, daß ihr ohnedies kleiner und schmaler Körper immer mehr abmagerte, daß ihr Gesicht zusammenschrumpfte und daß ihr Haar bleichte. Selbst die Stimme versagte ihr oft, weil ihr Leiden wohl das ihrer Schwester war und von kranker Lunge stammte. Als ob grelle Farben ihr blasses, dürftiges Aussehen erhöhen könnten, saß sie wieder wie gewöhnlich in einem weiten ponceauroten Morgengewande da und rief Kamillen entgegen: »Warum läufst du schon wieder fort vom Cavaliere?«
»Um ihn nicht zu stören im Studieren.«
»Du kommst ihm nirgends entgegen, und doch ist er ein wirklicher Kavalier von schönem, ritterlichem Wesen.«
»Heißt das ritterlich, wenn man immer so heftig spricht?«
»Ja, wenn man sich dabei so tapfer und vornehm benimmt. Er ist eine passende Partie für dich, und nur für eine solche werd' ich dich zu meiner Erbin einsetzen, vielleicht sehr bald, denn meine Lebenskraft –«
»Still, Tante! Was das für Worte sind! Du siehst heute so frisch aus! Und deine Gesundheit hebt sich ja.«
Mit diesen Worten umarmte und küßte sie die Tante, welcher dies wohl behagte. Freundlicher sprach sie nun in Kamillen hinein, daß sie einem so stattlichen Manne wärmer begegnen sollte. Sie war heute bei Stimme und wurde im Lobpreisen Notas so laut, daß der Abbate aufwachte und fragte: »Ist mein Börsengalopin, der Schmuel gekommen?«
»Nein. Übrigens sollte ein frommer Herr doch eigentlich nicht mit einem Juden verkehren.«
»Sehr richtig!«
»Sie betrügen ja alle.«
»Ja, sie sind Kinder der Hölle.«
»Der Hölle?« fragte Kamilla erschrocken, aber ungläubig.
»Allerdings!« sagte Frau Molitore. Sie stimmte immer mit den Katholiken, das erschien ihr vornehmer. Sie war eigentlich protestantischen Glaubens und fuhr jetzt gegen den Abbate fort: »Nun also!«
»Ja,« sagte der Abbate, »diese Juden rechnen aber am besten. Es verblüfft mich geradezu, wie dieser Schmuel in Viertelperzenten multipliziert und dividiert.«
»Signorina Kamilla!« schallte es jetzt aus dem Salon heraus.
»Signor Francesco hat ausstudiert«, sagte lachend Kamilla und eilte hinein.
»Ein langweilig Lied!« rief er ihr entgegen und trommelte stimmungswidrig die Einleitung. Dann sang er mit harter Baßstimme los, bis Kamilla aufschrie.
»Was ist?«
»Das war nicht richtig! So heißt es« – und nun sang sie selbst die Stelle.
»Ah, Plunder! Das Zeug sagt mir nicht zu, es ist stockdeutsch, da findet sich unsereiner nicht hinein. Lassen wir das deutsche Gedudel und setzen Sie sich lieber zu mir.«
Dabei zog er Kamillen auf den zweiten Sessel, welcher vor dem Instrumente stand und begann nun seinen »Sturm«, das heißt eine phrasenreiche Liebeserklärung.
Trotz der Tante – das Mädchen schien bei aller Jugend einen festen Sinn zu haben – erlaubte sich Kamilla, als er fertig war, ein helles Lachen und sagte: »Das haben Sie ja viel besser einstudiert als das Lied. Es klingt wie auf dem Theater.«
In diesem Augenblicke trat der Diener ein und überreichte ihr einen Brief mit den Worten: »Von der Stadtpost.«
»An mich? Ein Brief? Das ist schön. Ich bekomme sonst keine Briefe, man hält mich nicht für brieffähig.«
Sie sprang auf, öffnete das Kuvert und las.
Es war der Brief von Moses, welcher den Nota arg herabsetzte.
Als sie gelesen, schaute sie mit großen Augen auf den noch ärgerlich dasitzenden Cavaliere und sagte dann: »Das muß ich der Tante zeigen.«
Rasch ging sie hinaus und fand die Tante im Lesen des zweiten Briefes von Moses begriffen, in welchem Nota als Irredentist und als gefährdet bezeichnet war.
Daß er zur Irredenta gehörte, das wußte sie längst und das befremdete sie gar nicht, im Gegenteil, sie hielt das für einen Vorzug. Sie gehörte zu den leider so häufigen und so kläglichen Mißgeburten unter den Deutschen, welche sich vor der fremden Nationalität gehorsam beugen. Und nicht bloß das: sie unterwerfen sich gedankenlos, sie finden servilen Sinnes die fremde Nation viel vorzüglicher als die eigene, sie verlassen und verraten die eigene Mutter und gehen zu den Fremden über wie zu etwas Vornehmerem. Solch ein mißratenes Kind war auch Frau Müller-Molitore; sie war ein italienischer Bastard geworden. In ihrem Hause wurde grundsätzlich nur italienisch gesprochen, sie radebrechte es standhaft mit, und alles Italienische galt ihr für vornehm.
Selbst die Irredenta. Diese italienische Verschwörung, welche Trient, Triest und das Küstenland von Österreich von ihrem Vaterlande abreißen will, fand sie scharmant. Sie stieß also einen verächtlichen Laut aus, als sie den Brief zu Ende gelesen und griff nach dem Briefe, welchen ihr Kamilla reichte.
Als sie aber auch diesen gelesen, da sprang sie auf und rief: »Das ist eine deutsche Verschwörung, eine deutsche Verleumdung, eine anonyme Nichtswürdigkeit – laßt mich allein!«
Sie hatte es nicht bemerkt, daß der Abbate schon fortgegangen war, und als nun auch Kamilla ging, rief sie ihr nach: »Ich lasse den Cavaliere bitten, auf mein Zimmer zu kommen.«
»Sogleich!« erwiderte Kamilla und setzte mit einer schnurrigen Ernsthaftigkeit zu: »Er singt falsch.«
Die Tante machte eine heftig abweisende Bewegung und ging ins Haus, ging in ihr Zimmer hinauf.
Nach einigen Minuten erschien Nota in diesem Prunkzimmer, wo alles von Samt und Seide und Gold strahlte. Sie saß auf dem Sofa und bat ihn, auf einem Fauteuil Platz zu nehmen. Dann reichte sie ihm beide Briefe.
»Niederträchtig!« sagte er, nachdem er gelesen.
»Und doch eine Warnung, die Zeit nicht zu versäumen. Die Regierung scheint wieder einmal Alpdrücken zu verspüren, und über kurz oder lang werden Sie fort müssen. Stellen wir also die Zukunft sicher. Sie bewerben sich um die Hand meiner Nichte?«
»Ja, Gnädigste, ja. Mit allen Kräften.«
»Und Sie rechnen dabei auf die Dotation, welche Kamilla von mir erhalten werde.«
»Oh, oh!«
»Warum oh, oh? Sie sind von altem Adel, aber ohne Vermögen. Ich will meine Nichte standesgemäß verheiratet sehen. Die Familie Kamillens, die Teodoris, sind von uraltem Adel. Sie stammt von Theodoros, einem berühmten Philosophen, welcher aus Griechenland zum Kaiser Marc Aurel höchst ehrenvoll als Ratgeber berufen wurde. Der Name ist also uralt und von großer Vornehmheit. Kamilla wird meine Erbin, sie ist eine ausgezeichnete Partie und ich gönne sie Ihnen.«
Er küßte leidenschaftlich ihre magere Hand.
»Nun fragt sich's: sind Sie einig mit Kamilla?«
»Sie spielt noch die Spröde, aber –«
»Aber sie ist sehr jung, sie weiß noch nicht, was sie will. Dafür sind wir da. In adeligen Familien wählt das Familienhaupt für die Kinder. Dies Familienhaupt bin ich, denn der Oberst in Ancona hat mir die Bestimmung überlassen und ich bin entschlossen. Unter uns gesagt, junger Freund, Sie müssen sich noch fleißig üben im musikalischen Gesange, denn das Kind ist eine Gesangsnärrin und wird Ihnen entgegenkommen, wenn Sie fehlerlos singen. Also – was wollt' ich denn sagen?«
»Sie wollten sagen, daß Sie entschlossen sind –«
»Richtig! Entschlossen, eure Verbindung fest zu stiften, zunächst also euch gesetzlich zu verloben. Kommen Sie morgen mittags mit einem Notar heraus, der meinige wird auch da sein. Da wollen wir die Ehepakten feststellen und wollen eure Verlobung festlich feiern.«
Nach den letzten Worten wurde sie von einem heftigen Husten befallen und winkte dem wiederum die Hand küssenden Cavaliere, sie allein zu lassen.
Den Husten beklagend, aber sein Glück preisend, ging der zufriedene Bräutigam.