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10.

Trotz aller Sicherheit, welche Ruben fortwährend erfüllte, verließ ihn doch die Angst nicht vor der formellen Einführung ins Haus der Molitore. »Wenn du da frank und frei verkehrst« – sagte er sich – »so bist du auch allen unerwarteten Besuchern des Hauses ausgesetzt. Unter diesen Besuchern können solche sein, welche dich kennen und welche der Frau Molitore sagen, daß du ein Jude bist.«

Er atmete also auf, als Bellosi am nächsten Tage sagen ließ, er hätte den Statthaltereirat nicht angetroffen, der Besuch bei Frau Molitore müßte also verschoben werden.

Dazu kam die Börsenfrage, welche Ruben in Anspruch nahm und zerstreute. Das gekaufte Papier war wirklich gestiegen, und Ruben wollte verkaufen.

»Nein, o nein!« rief Farmer, »warten, warten! Es wird höher steigen.«

Farmer hatte recht: am folgenden Tage kam der Kurs von Wien und Paris noch höher, und Bellosi brachte die Nachricht, der Statthaltereirat sei verreist und der Besuch bei Frau Molitore müsse vertagt werden bis zu dessen Rückkehr.

Nun nahm die Börsenfrage die ganze Spannung in Anspruch. Farmers Zuversicht bemächtigte sich nun auch Rubens. Daß auch am nächsten und nächstfolgenden Tage immer höheres Steigen des Papiers eintraf, das hatte etwas Berauschendes und drängte alle Gedanken in den Hintergrund.

Endlich rief Farmer: »Ich sehe ein Wölkchen in Wien aufsteigen, verkaufen wir!« Und sie verkauften mit außerordentlichem Gewinne. Es war gerade so ausgegangen, wie Farmer vorausgesagt, und Ruben konnte seinem Bruder Manasse eine große Summe ins Geschäft geben.

Manasse war erschrocken, fand die Summe ungeheuer und schrie: »Wenn du verloren hättest, wären wir bankerott! Ich bitte dich dringend, nicht weiter zu spielen. Jetzt haben wir ja genug fürs ganze Leben.«

Moses stand dabei in der Wechselstube, als das Geld in die Wertheimkasse verschlossen wurde und er stöhnte vernehmlich: »Jetzt nichts mehr tun, Herr Ruben, nichts mehr mit dem Herrn Farmer, der bricht gewiß noch das Genick.«

Als er dies gesagt, da trat Signor Bellosi ins Zimmer und rief: »Fertig machen, Signore Samuele, fertig machen! Wir gehen hinaus zur Molitore. Signor Farmer ist bereits unterrichtet, er wird gleich herunterkommen. Er ist sehr guter Laune, und der Bescheid vom endlich wieder vorhandenen Statthaltereirate klingt auch ganz günstig: der Cavaliere aus Ancona wird augenblicklich verhaftet, wenn er es wagen sollte, wieder nach Triest zu kommen. Außerdem haben Sie, wie mir Farmer sagt, ein gutes Geschäft gemacht, alle Sterne also stehen günstig. Das muß man wahrnehmen, man muß das Glück nicht zu Atem kommen lassen. Also vorwärts! Da ist Signor Farmer.«

»Vorwärts!« rief auch Farmer, und Ruben, betäubt von dem großen Glücksfalle, brachte nur halblaut seine Bedenken in Rede.

»Überflüssige Sorge!« sagte Bellosi, »die Molitore verkehrt ja gar nicht mit den Triestinern, es kommt kein Mensch hinaus.«

»Und,« setzte Farmer hinzu, »ins Haus gelangen müssen Sie endlich doch, um ans Ziel zu kommen, also vorwärts!«

»Vorwärts!« sagte nun auch Ruben mit tiefem Atemzuge und erschrak, als er sich an der Hand ergriffen fühlte.

Moses war's, der seine Hand krampfhaft drückte und flüsternd sagte: »Tun Sie's nicht! Tun Sie's nicht! 's ist zu früh.«

Ruben legte ihm die Hand auf den Krauskopf und – ging.

Moses aber eilte den drei Männern nach und sagte zu Ruben: »Gehen Sie wenigstens nicht beim Veitl vorbei! Er merkt's, wo Sie hingehen, und er ist Ihr Feind.«

Zurückkehrend in die Wechselstube, fiel Moses auf einen Stuhl und ächzte: »Nur nicht noch den Veitl dazu!«

»Was willst du denn mit dem Veitl?« fragte Manasse.

»Der Veitl ist ein Racker. Wenn er jetzt den Ruben vorbeigehen sieht mit den beiden Herren und entdeckt, daß sie mit ihm in die Villa gehen, dann ist das Unglück fertig.«

»Was denn? Wie denn?«

»Der Veitl haßt unsern Ruben inbrünstig.«

»Warum nicht gar! Weshalb denn?«

»Ruben war Veitls Stolz. Der schönste, der nobelste, der gescheiteste, der liebenswürdigste junge Mann in Triest ein Jude! Ruben Schmuel! Und der schlägt um! Der verläßt den Talmud, verläßt den alten Vater, welcher jetzt zerbrochen tagsüber dreimal zur Synagoge wackelt in bitterem Gram. Solch ein Sohn, der seinen ehrlichen Schmuelnamen in Samuel verwandelt, der nur noch mit Christen verkehrt, einem christlichen Mädchen nachläuft und deshalb schon nächstens getauft sein wird.«

»Das weiß er von der Kamilla?«

»Der weiß alles; in seine Bude kommt jeder Klatsch. Er weiß, daß Ruben in die Eisenbahn gestiegen und mit ihr fortgefahren ist. Er weiß auch akkurat, daß die Molitore die Juden haßt und daß er sich taufen lassen muß, wenn er das Mädchen kriegen will. Also: wenn er jetzt wieder den Ruben mit den beiden Herren in die Villa gehen sieht, da – da läßt er der Molitore stecken, daß der Ruben ein Jude ist, und da ist die Geschichte aus, aus!«

»Woher weißt du denn das alles?«

»Vom Veitl selber, heut' morgen. Wenn der Racker in Wut ist – und der Christenhaß mit einer Judentaufe bringt ihn immer in Wut – da stößt er seine Gedanken heraus, als ob er zum Brechen eingenommen hätte. Und was dazwischen fehlt, das weiß ich auswendig.«

»Ach, es wird nicht so arg sein, und die Hauptsache bleibt doch, daß wir nun reich sind.«

»Nein, Herr Manasse, das ist nicht die Hauptsache.«

Moses hatte recht mit dem Veitl, und der Zufall kam auch noch diesem Veitl zu Hilfe. Ruben hatte nicht verstanden, was Moses mit den Worten gemeint: »Gehen Sie nicht beim Veitl vorüber, er merkt's, wo Sie hingehn.« Er ging arglos an Veitls Laden vorüber; der Weg führte da hinaus zur Villa. Glücklicherweise jedoch war er nicht auf der Seite des Ladens, in welchem Veitl wirklich saß. Farmer ging auf dieser Seite. Aber das half nichts. Veitl sprach Farmer an mit den Worten: »Herr von Farmer, diese Broschüre sollten Sie kaufen! Sie ist eben aus Wien angekommen. Ein neues Eisenbahnprojekt, etwas für die Börse.« Und dabei reichte er ihm ein schmales gedrucktes Heft.

»Ah!« – rief Farmer – »einen Augenblick warten, meine Herren! Frau Molitore läuft uns ja nicht fort. Ich weiß von dem Eisenbahnprojekte. Was kostet's, Veitl?«

»Lumpige fünfzig Kreuzer.«

Er zahlte sie und in der Broschüre blätternd ging er mit den anderen weiter.

Veitl wußte genug.

Draußen in der Villa aber ging alles glatt und gut. Frau Molitore war sehr erbaut, den berühmten Börsenkönig Farmer in ihrem Hause zu sehen, und sie war sehr artig gegen Ruben. Ja, sie sprach die Hoffnung aus, ihn bald wiederzusehen, wenn ihre arme verwaiste Nichte Kamilla mit dem musikalischen Abbate in die Villa zurückkehren würde. Dann werde Signor Samuele wohl wieder die Güte haben, seinen schönen Gesang hören zu lassen. Sie habe der Nichte geschrieben, das Trauerhaus in Ancona zu verlassen und sogleich nach Triest zu kommen. Der Abbate habe auch schon telegraphiert, daß sie übermorgen eintreffen würden.

Ruben, entzückt über diese Nachricht, war einschmeichelnd artig und aufmerksam für die Tante. Er machte ihr auch offenbar einen günstigen Eindruck.

Bellosi frühstückte allein an einem Ecktischchen, und als sie zu ihm trat, um Kunde zu erhalten über die Meinung des Statthaltereirates, da lobte er doch zunächst den vortrefflichen Marsalawein und setzte dann recht leise hinzu: »Dem Cavaliere di Nota müssen Sie dringend abraten, jetzt nach Triest zu kommen. Er würde verhaftet werden.«

Sie stieß nun zornige Worte gegen die Regierung aus, und Bellosi beschwichtigte sie nun seinem Charakter gemäß mit der eiligst erfundenen Nachricht: dies strenge System werde binnen vierzehn Tagen fallen, denn es komme ein verständiger neuer Statthalter, welcher die Milde selbst sein solle.

Alle drei verließen die Villa ganz zufrieden. Farmer allerdings nur deshalb zufrieden, weil er sagen zu können meinte: »Diese alte Schachtel wird unserm Ruben nicht mehr lange im Wege stehen.«

»Warum nicht?« fragte Bellosi.

»Sie hat ja die Schwindsucht!« antwortete Farmer.

»Pfui! Pfui!« sagte Bellosi, indem er sich schüttelte, »wer spricht vom Tode!«

Ruben eilte voraus nach der Stadt. Er war so voll von der nahen Ankunft Kamillas, daß er kein Gespräch anhören, noch weniger eines führen konnte.

Die Reden Farmers waren auch nur geeignet gewesen, ihn zu verstimmen. Farmer sagte: »Ich bin ja doch ganz und gar ein Sanguiniker, aber ich kann hiebei für Freund Ruben keinen glücklichen Ausgang entdecken, solange diese wälsche Närrin und Judenhasserin, diese abgeschmackte Frau Müller lebt. Sie wird nicht einmal zu gewinnen sein, auch wenn Ruben sich taufen läßt. Und kann er das? Er ist eine sentimentale Natur und will seinen Vater Abraham schonen. Deshalb genügt's nicht, daß diese Tante aus der Welt fährt, der Religionszwiespalt bleibt bestehen, sie müssen also beide sterben, die Frau Müller und der Vater Abraham.«

»Pfui! Pfui!« sagte Bellosi.


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