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3.

Am nächsten Morgen, noch ehe er gefrühstückt hatte, ging Manasse aus, um dem wunderlichen Bruder behilflich zu sein. Die Tür Rubens hatte er nur eine Ritze breit aufgemacht, ehe er fortgegangen. Er hatte nur sehen wollen, ob er auch schliefe. Er schlief.

Wie wollte er helfen? Er wußte es selbst noch nicht, aber er wußte, daß in Triest ein Mensch vorhanden wäre, der für jedes schwierige Ding Rat schaffen konnte. Dieser Mensch war der Moses.

Manasse kannte die Schlafstelle – mehr traute er ihm nicht zu – des Moses nicht, aber er war sicher, sie beim Antiquar Veitl zu erfragen. Dahin ging er und war sehr ärgerlich, als er den kleinen Bücherladen noch verschlossen fand. Für diesen Fall hatte jedoch der umsichtige Moses gesorgt, er hatte auf die Ladentür einen kleinen Zettel geklebt, welcher besagt: Moses schläft im Hinterhause, drei Treppen hoch, rechts.

Es war eine steile Wendeltreppe, und Manasse hatte wenig Atem, als er oben war, und rechts neben einer schmalen Tür einen Briefkasten aus Pappe entdeckte mit der Inschrift: Moses, ein Mädchen für alles.

Er klopfte gar nicht an, sondern trat ein. In ein winzig kleines Zimmerchen mit einem kleinen Fenster. An diesem Fenster stand Moses in einem derben Negligé, will sagen in ein Paar ledernen Unterhosen – sie konnten für ein Menschenleben halten – und in einem grobleinenen, aber ganz saubern Hemde. Er fütterte einen Kanarienvogel und bot ein Genrebild dar, als er sich umwendete mit seinem rotgrauen Kopfe und Barte. Die kleinen Augen stachen frisch wie Lichtstrahlen auf Manasse los. »Still!« rief er dem piependen Kanarienvogel zu. »Herr Manasse kommt wegen des Ruben und der schönen Kamilla.«

»Woher weißt du das?«

»Ich hab' mir die Dummheit schon gestern abend vorgestellt, und der Karst hat sie mir heute wiederholt. Schauen Sie nur, welch hübsche Lücke mir da die Dächer und Schornsteine gelassen haben, so daß ich die Karstberge sehen kann, über welche die Morgensonne herüberkommt. Ist das nicht schön? Na, ist die Welt für den garstigen Moses schön, warum sollte sie's nicht auch für den schönen Ruben sein? Erst recht. Setzen Sie sich da auf den kleinen Strohsessel, er ist noch nicht zerrissen. Hier hab' ich noch einen zweiten – ja, ich bin möbliert! – auf den setz' ich mich. Nun reden Sie! Was Sie wollen, darüber hab' ich mich gestern beim Einschlafen zersonnen: wie wir nämlich die Villa draußen erstürmen können ohne Mord und Totschlag. Denn totschlagen dürfen wir den Cavaliere doch nicht, obwohl er's verdient, aber beseitigen können wir ihn, und das muß Nummer eins werden.«

Manasse verstand nicht alles, aber er setzte sich, und sah sich um in dem kleinen Raume, welcher eine dürftige Lagerstätte zeigte und einen Tisch mit Büchern, Notenheften, Papierblättern, Kuverts, Briefmarken, Tintenfaß und Stahlfedern.

»Was für ein Cavaliere?« fragte er.

»Sie kennen ihn nicht? Gut. Ich kenne ihn, und ich sag' Ihnen: wenn wir den nicht fortschaffen, dann kann ich Ihren Bruder nicht in die Villa bringen. Denn dafür sind Sie doch hier herauf zu mir gekraxelt.«

»Ja. Mein Bruder ist wie betäubt.«

»Ich war's auch, als ich das Mädchen zum ersten Male sah.«

»Du?«

»Ja, ich. Auch ein häßlicher Mensch ist ein Mensch. Das sollten Sie eigentlich wissen. So 'ne Schönheit – Gott Israels, ist das eine! – schlägt einen empfindlichen Menschen durch und durch. Ich kann sie nicht kriegen, nicht wahr?«

»Was?«

»Lassen wir's gut sein, ich kenn' den Kurs, und ich hab' mir's abgewöhnt, eifersüchtig zu sein. Zum Verlust noch 'ne Plage? Nein. Es freut mich, die Schönheit an den schönen Mann zu bringen, und Ihr Herr Bruder ist ein schöner Mann. Er ist der Schönste in Israel von ganz Triest. Aber von Israel. Waih geschrien, da liegt der Hund begraben. Na gut, wir kommen eben, so weit wir kommen. Damit wir aber überhaupt zu was kommen, muß, wie gesagt, der Nota weg – Nota heißt er, der Cavaliere. Der kennt den Herrn Ruben gewiß, schon aus Neid. Vom Kaffeehause kennt er ihn, von überallher kennt er den Ruben Schmuel. Denn es ärgert die Italiener, daß ein Jude schöner sein soll, als sie. Wenn er den Ruben draußen in der Villa findet, da schreit er: Jesus Maria! der Kerl ist ja ein Jüd! Signora Molitore, das ist ein veritabler Jüd! Und dann schreit die Signora: Hinaus! Hinaus! Denn sie haßt unser Volk. Also das bleibt Nummer eins, den Nota aus Triest zu verjagen. Bezahlen Sie mir drei Stadtpostbriefe, und ich bring' ihn fort bis heut abend. Gut. Was dann? Dann soll der Ruben in die Villa gebracht werden, wenn er sicher ist vor dem Nota. Aber wie? Wissen Sie's?«

»Nein.«

»Aber ich werd's wissen. Neulich, abends, bin ich an Ihrem Hause vorbeigegangen, an Ihres Herrn Vaters Hause, und bin stehen geblieben, weil ich einen Gesang gehört habe, einen Gesang aus der Synagoge. Gott Abrahams, war das ein Gesang! Unser Vorsänger muß sich davor verstecken. Das war Herr Ruben, ja?«

»Ja!«

»Na, da haben wir's, das wird der Weg. Sie müssen wissen, daß ich den Veitl dahin gebracht habe, jeden Monat sich neue Musikalien aus Wien kommen zu lassen auf meine Rechnung. Er bezahlt mir fünf Perzent vom Verkaufe. Ich verkauf sie, und sie bringen mehr als die beste alte Hose. Die vornehmen Frauenzimmer kaufen sie heftig, 's ist Mode. Und draußen die Kamilla denkt an nichts, als an Klavierspielen, Singen und neue Musikalien. Der Schafskopf von Bedienter draußen hat mir's gesteckt, und ich hab' schon zweimal meine Noten draußen angebracht für gutes Geld. Verstehen Sie?«

»Noch nicht ganz.«

»Also ganz. Heut trag' ich ein neues Notenheft hinaus und laß fragen, ob mich das Fräulein eine Minute lang anhören wollte. Ich hätt' was zu verzählen von einem neuen italienischen Sänger, der gestern angekommen und im ›Hotel de la Ville‹ gesungen hätte zur Verstaunung aller Leute. Phänomenal nennten sie's. Er wollte nur ein paar Tage hier bleiben und nur in Privatzirkeln singen, er eile nach Wien. Er kenne hier niemanden, und es wäre ihm einerlei, wer ihn einladen wolle. Singen aber möcht' er im Privatzirkel, um hier bekannt zu werden, weil er später, von Wien zurückkehrend, im hiesigen Theater gastieren wollte. – Da wird sie schrein: ›Tante, Sie haben's gehört!‹ Und die Tante wird schrein: ›Ja, ich hab's gehört, und bei uns, bei uns soll er singen, nur bei uns!‹ Und ich werde schrein: ›Aber gleich, gleich, sonst holt ihn die Frau des Podesta! Geben Sie mir eine Karte, ich besorg's, er kommt heut abends und singt, singt, Gott, so gewaltig!‹ – Da gibt sie mir die Karte, und mit dieser Karte geht der Ruben des Abends hin, sieht sie, spricht sie, singt und bleibt da als ein Liebhaber, der auch phänomenal ist. Na, bin ich der Moses?«

»Ja, wenn's gelingt.«

»'s wird gelingen, sag' ich Ihnen. Nur muß der Nota heute noch fortgeschafft werden. Den Brief, vor dem er auf der Stelle ausreißt, schreibe ich gleich, und den für die Frau Molitore, und noch einen – nein, den schreiben Sie, damit es zweierlei Handschriften sind, und die drei Briefe geben wir geschwind auf die Stadtpost, das sind die ersten Auslagen, Summe neun Kreuzer.«

Manasse zog sein Portemonnaie heraus und gab ihm ein Zwanzigkreuzerstück.

Moses wendete es um und um, schnalzte mit der Zunge und sagte: »Sie sind eben nicht Ihr Bruder, sind nicht der Herr Ruben.«

Manasse verstand's und reichte ihm einen Guldenzettel.

»Aber ich bitte,« sagte Moses halblaut, »für die Zukunft kein Vermittler, nein, sondern direkter Verkehr mit Herrn Ruben, ja?«

»Ja doch.«

»Jetzt schieben Sie sich den Sessel hieher und schreiben Sie, was ich Ihnen vorsage. Ein kleines Papierblatt, nur ein kleines, das tut's, ich muß ja doch ein Kuvert daran wenden, neue Auslage. Und drücken Sie nicht zu stark auf mit der Stahlfeder, es tut ihr weh und nützt sie ab. Also!«

Er diktierte, Manasse schrieb: »Cavaliere Nota, zur Irredenta gehörig, wird gesucht, wird verhaftet. Wo er verkehrt, folgt Hausuntersuchung. Ein Freund.«

»Gut. Aber nein! Was ich vorhin gesagt, ist nicht gut. Mir, dem abgeschabten Trödeljuden, gibt die Molitore keine Karte. Die müssen Sie holen.«

»Ich?«

»Sie. Haben Sie nicht gestern gesagt, daß Sie Geschäfte machen mit dem Abbate? Ja, Sie haben's gesagt. Zu dem also müssen Sie jetzt, noch Vormittags, gehen mit einer dummen Börsennachricht und müssen eilig tun. Sie wollten einen wunderbaren Sänger hören, der um die Mittagsstunde vor dem Theaterkomitee singen werde. Sie hätten ihm eine kleine Geldanweisung auszuzahlen und bei der Gelegenheit könnten Sie zuhören. Da hört's die Frau Molitore zum zweiten Male – dumm, dumm, dumm, mit der Stadtpost geht's nicht so schnell. Sie müssen also den Brief mit einem Dienstmanne hinausschicken, damit er gelesen ist, wenn Sie kommen. Da geben sie Ihnen die Karte. Basta. Jetzt muß ich schreiben und laufen. Nein, wieder nein! Auch für den Nota geht's nicht mit der Stadtpost. Der Brief käme erst zu ihm, wenn er ausgegangen wäre, das wär' gefehlt, da könnt' er abends draußen sein, der Nota. Er wohnt im ›Hotel de la Ville‹ und schläft, der Taugenichts, bis um elf. Der Brief muß an den Portier des Hotels abgegeben werden. Das darf ich nicht. Ein Brief von mir hat kein Ansehen beim Portier. Das müssen Sie tun, so im Vorbeigehen. Ich schreibe darauf › pressante‹. Bleiben Sie sitzen, ich schreibe gleich.«

Und er schrieb: »Machen Sie, daß Sie fortkommen. Augenblicklich. Telegramme über die Irredanta sind angekommen. Nachmittags sollen Sie verhaftet werden. Uno socio.«

Den Zettel steckte er in ein Kuvert, adressierte an den Cavaliere Nota, setzte pressante hinzu, gab den Brief an Manasse und drängte diesen fort mit den Worten: »Um ein Uhr bin ich auf dem Zimmer Ihres Bruders, dort das Weitere.«

Kopfschüttelnd ging Manasse. Die Sache kam ihm doch bedenklich vor, und er wollte erst mit Ruben darüber reden. Der Teufelskerl, der Moses, triebe es doch zu frech.

Moses, immer noch bloß in den ledernen Unterhosen, machte nun seine einfache Toilette und schrieb dann noch einen Zettel für Kamilla, in welchem es hieß: »Der Nota ist ein liederlicher Mädchenverführer, ein unehrlicher Mensch und verschuldet bis an die Nasenspitze. Er sucht die Erbschaft der Tante durch Sie zu fischen. Elvira.« – Moses war Operngänger und kannte den »Don Juan«. – Den Zettel steckte er in ein Kuvert und als er die Marke darauf klebte, sagte er lachend: »Zwei Dreiermarken hast du doch erspart.« Und nun ging er nach zärtlichem Abschiede von seinem Kanarienvogel, um den Brief in den Postkasten zu werfen, vor sich hin murmelnd: Ein Liebesdienst, der ein Geschäft werden kann. Dabei wirst auch du sie öfter sehen. Aber piff, paff! Wenn auch der Anfang gelingt, wie dann weiter? Er bleibt ja doch ein Jüd. Was geht's dich an? Und am Ende bleibt er kein Jüd. Gott der Gerechte!«


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