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Fünfzehntes Kapitel.

Ich trete den Dienst an und werde von einer alten Lady zum Gefangenen gemacht, welche nicht imstande, meine Hand zu erlangen, meinen Finger nimmt zum Andenken. – O'Brien befreit mich. – Eine Seeküste und knappes Einkommen.

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Zwei oder drei Tage nach dieser Unterhaltung mit Herrn Chucks lief der Kapitän mit der Fregatte ans Land; als wir noch fünf Meilen davon entfernt waren, entdeckten wir zwei Fahrzeuge. Wir machten mit allen Segeln Jagd darauf, und wollten ihnen die Flucht um eine Sandbank abschneiden, welche sie zu umsegeln suchten. Als sie sahen, daß sie ihr Vorhaben nicht ausführen konnten, liefen sie unter eine kleine Batterie von zwei Kanonen ans Land, und fingen an, auf uns zu feuern. Der erste Schuß, welcher durch die Masten schwirrte, hatte für mich einen schrecklichen Klang; aber die Offiziere und Matrosen lachten darüber, und ich versuchte natürlich das Nämliche, obwohl ich in der Wirklichkeit nichts zum Lachen sehen konnte. Der Kapitän befahl, die Steuerbordwache aufs Verdeck zu pfeifen und die Boote zu reinigen, damit sie zum Auslaufen bereit wären; wir ankerten nun eine Meile von der Batterie entfernt und erwiderten das Feuer. Mittlerweile lief die übrige Schiffsmannschaft aus, und es wurden hier Boote ausgesetzt, welche zum Sturm auf die Batterie bemannt und ausgerüstet waren. Ich sehnte mich sehr, ins Feuer zu kommen, und O'Brien, welcher das Kommando über den ersten Kutter hatte, erlaubte mir, mitzugehen, unter der Bedingung, daß ich mich unter den Vordersegeln verborgen halte, damit mich der Kapitän nicht sehe, ehe die Boote vom Lande abstießen.

Ich befolgte dies und wurde nicht entdeckt. Wir segelten gerade auf die Batterie los; in weniger als zehn Minuten liefen die Boote auf den Strand und wir sprangen heraus. Die Franzosen feuerten eine Kanone auf uns ab, da wir nahe an die Küste hinfuhren, und liefen dann davon, so daß wir ohne Kampf Besitz nahmen, was, um die Wahrheit zu gestehen, mir nicht leid that, da ich mich nicht für alt oder stark genug halten konnte, um mit einem erwachsenen Mann handgemein zu werden. Nahe bei der Batterie fanden sich einige Fischerhütten, und während zwei von den Booten an Bord der Schiffe gingen, um zu sehen, ob sie wieder flott gemacht werden konnten, andere die Kanonen vernagelten und die Lafetten zerstörten, ging ich mit O'Brien zu den Hütten, um sie zu untersuchen. Sie waren von den Leuten verlassen, wie vorauszusehen war, aber es lag eine große Menge Fische darin, welche, dem Anschein nach, erst den Morgen gefangen worden waren. O'Brien wies auf eine sehr große Glattroche.

»Alle Hagel,« rief er aus, »das ist wahrhaftig der Geist meiner Großmutter, wir müssen sie haben, wenn es auch nur wegen der Familienähnlichkeit wäre. Peter, stecke Deinen Finger in die Kieme und schleppe sie zum Boote hinab.«

Ich konnte meinen Finger nicht in die Kieme einzwängen, und da das Tier ganz tot schien, so krümmte ich denselben in sein Maul; aber ich machte einen dummen Streich, denn das Tier war noch am Leben, und schloß sogleich seine Kinnladen, indem es meinen Finger bis aufs Bein durchbiß und ihn so fest hielt, daß ich ihn nicht zurückziehen konnte; auch war der Schmerz zu groß, als daß ich ihn mit einem Ruck herauszureißen vermochte. So war ich nun in einer Falle, und von einem Plattfische zum Gefangenen gemacht. Zum Glücke schrie ich laut genug, so daß O'Brien, welcher, mit einem großen Stockfisch unter jedem Arm, schon nahe bei den Booten war, wieder umkehrte und mir zu Hilfe kam. Zuerst konnte er mir vor Lachen nicht helfen, aber endlich öffnete er die Kinnlade des Fisches gewaltsam mit seinem Messer, und ich zog meinen Finger heraus, aber sehr schlimm zugerichtet. Ich nahm alsdann mein Strumpfband ab, band es um den Schwanz der Glattroche und zog sie nach dem Boote, welches gerade im Begriff war, abzustoßen. Die übrigen Boote hatten es unmöglich gefunden, die Schiffe flott zu machen, ohne sie auszuladen, daher wurden sie auf Befehl des Kapitäns in Brand gesteckt, und waren, ehe wir sie aus dem Gesicht verloren, schon bis zum Wasserspiegel herabgebrannt. Mein Finger war drei Wochen lang sehr schlimm, aber die Offiziere lachten sehr über mich, indem sie sagten, ich sei beinahe von einer alten Jungfer gefangen worden.

Wir setzten unsere Fahrt der Küste entlang fort, bis wir in die Bai von Arkason einliefen, wo wir zwei oder drei Fahrzeuge wegnahmen und mehrere auf den Strand zu laufen nötigten. Hier hatten wir einen augenscheinlichen Beweis, wie wichtig es ist, daß ein Kapitän von einem Kriegsschiffe ein guter Seemann ist und sein Schiff so in der Zucht hält, daß ihm die Mannschaft strenge gehorcht. Ich hörte, nachdem die Gefahr vorüber war, die Offiziere einstimmig behaupten, nur die Geistesgegenwart, welche Kapitän Savage gezeigt, habe das Schiff mit der Mannschaft retten können. Wir hatten ein Geschwader von Fahrzeugen bis an das Ende der Bai verfolgt; der Wind wehte sehr frisch, als wir, nachdem wir sie ans Land getrieben hatten, umlegten; die Brandung am Strande war gerade damals so stark, daß die Schiffe in Stücke gehen mußten, ehe sie wieder flott gemacht werden konnten. Wir waren genötigt, die Topsegel doppelt zu reffen, sobald wir dem Winde entgegen fuhren. Das Wetter sah sehr drohend aus. Eine Stunde nachher bedeckte sich der Himmel mit einer schwarzen Wolke, welche so niedrig stand, daß sie fast unsere Mastspitze berührte; eine furchtbare See, welche wie durch Zaubergewalt sich zu erheben schien, rollte auf uns los und trieb das Schiff hart gegen eine Seeküste. Mit einbrechender Nacht wütete ein schrecklicher Sturm; das Schiff wurde durch den Druck der Segel beinahe begraben. Hätten wir offene See gehabt, so würden wir unser Sturmstagsegel beigelegt haben, aber wir mußten auf alle Gefahr hin Segel führen, um die Küste zu vermeiden. Die See brach sich, wenn wir zwischen ihren Hohlwellen lagen, über uns, und überschüttete uns mit Wasser von dem Vorderkastell bis zu den Binakeln. Sehr oft, wenn das Schiff in die Tiefe hinabstürzte, geschah es mit solcher Gewalt, daß ich wirklich glaubte, es werde durch die Heftigkeit des Stoßes entzwei gehen. Wir banden doppelte Anhalt-Taue an die Kanonen, auch wurden sie überdies mit Takelwerk versehen; denn wir legten oft so sehr an die Seite, daß die Kanonen nur durch die Anhalt-Taue und das Takelwerk gehalten wurden, und wäre eine davon los gegangen, so wäre sie gerade durch die Leeseite des Schiffes gebrochen und das Schiff wäre gescheitert. Der Kapitän, der erste Leutnant und die meisten übrigen Offiziere blieben die ganze Nacht auf dem Verdeck, und wirklich glaubte ich bei dem Heulen des Windes, bei der Gewalt des Regens, dem Überfluten der Verdecke, bei dem Arbeiten der Kettenpumpen und dem Krachen und Ächzen der Balken, daß wir unfehlbar verloren seien; ich sagte wenigstens zwölfmal während der Nacht meine Gebete her, denn es war mir unmöglich, zu Bette zu gehen. Ich hatte, oft aus Neugierde gewünscht, einen Sturm zu erleben, aber ich hielt es für keine Scene dieser Art und nicht für halb so furchtbar. Was unsere Lage noch schrecklicher machte, war, daß wir uns an einer Leeküste befanden, und die Beratungen des Kapitäns mit den Offizieren, sowie die Sehnsucht, mit welcher sie nach dem Tageslicht ausschauten, sagten uns, daß wir außer dem Sturme noch andere Gefahren zu bestehen hatten. Endlich brach der Morgen an und der Wächter auf dem Gange rief aus: »Land an der Leeseite!« Ich bemerkte, daß der Schiffsmeister, wie aus Unwillen, mit seinen Füßen gegen das Hängemattengeländer stampfte und, ohne ein Wort zu sagen, mit sehr ernsthaftem Aussehen wegging.

»Hinauf, Herr Wilson«, sagte der Kapitän zu dem zweiten Leutnant, »und sehen Sie, wie weit das Land sich vorstreckt, und ob Sie die Spitze unterscheiden können.«

Der zweite Leutnant stieg die Haupttakelung hinan und zeigte mit seiner Hand auf ungefähr zwei Windstriche vor dem Maste.

»Sehen Sie zwei Hügel im Binnenlande?«

»Ja, Sir«, versetzte der zweite Leutnant.

»Dann ist es so«, bemerkte der Kapitän dem Schiffsmeister, »und wenn wir es umsegeln, so werden wir mehr offene See haben. Haltet den Schnabel voll und laßt ihn durchs Wasser gehen, hört Ihr, Quartiermeister?«

»Ja, Sir.«

»So und nicht näher, Mann. Hebt mit eine oder zwei Speichen, wenn das Schiff aufwirft; aber gebt acht, oder es nimmt Euch das Rad aus der Hand.«

Es war in der That ein furchtbarer Anblick. Als das Schiff in der hohlen See daherfuhr, konnten wir nichts als eine stürmische Wasserwüste unterscheiden, aber wenn es auf der Spitze der ungeheuern Wogen tanzte, sah man unter sich, scheinbar ganz nahe, eine niedrige sandige Küste, mit Schaum und Brandung bedeckt.

»Die Fregatte hält sich gut«, bemerkte der Kapitän, indem er an dem Steuerhäuschen Halt machte und auf den Kompaß schaute. »Wenn der Wind sich nicht gegen uns dreht, so können wir herumkommen.«

Der Kapitän hatte kaum Zeit, diese Bemerkung zu machen, als die Segel sich füllten und gleich dem Donner krachten.

»Hinauf mit dem Steuer! wie steht es, Quartiermeister?«

»Der Wind weht uns ins Gesicht, Sir«, versetzte der Quartiermeister kaltblütig.

Der Kapitän und der Schiffsmeister blieben an dem Steuerhäuschen, um den Kompaß zu beobachten; als die Segel sich wieder füllten, war die Fregatte um zwei Windstriche abgewichen und die Landspitze nur ein wenig an der Leeseite.

»Wir müssen umlegen, Herr! Hand angelegt! Wendet das Schiff – fertig, he, fertig!«

»Es kommt wieder herauf«, schrie der Schiffsmeister, welcher an dem Binnakel stand.

»Haltet fest hier eine Minute. Wie steht nun seine Spitze?«

»Nordnordost, wie sie war, ehe sie abwich, Sir.«

»Pfeift zum Belegen«, sagte der Kapitän. »Falkon«, fuhr er fort, »wenn sie noch einmal abweicht, so haben wir keinen Raum zum Vieren mehr, es ist in der That so wenig Raum hier, daß ich es auf die Gefahr hin wagen muß. Welches Kabel wurde letzte Nacht aufgerollt – der beste Buganker?«

»Ja, Sir.«

»Dann eilen Sie hinab, und sehen Sie, daß er doppelt umschlungen und auf dreißig Faden gestoppt wird. Sehen Sie zu, daß es sorgfältig geschieht, unser Leben hängt davon ab.«

Das Schiff hielt fortwährend seinen guten Lauf; wir waren eine halbe Meile von der Spitze entfernt und hofften zuversichtlich, sie zu umsegeln, als die nassen und schweren Segel wieder im Winde kappten und das Schiff wie vorher um zwei Striche abwich. Die Offiziere und Matrosen erblaßten, denn das Schiff ging gerade auf die Brandung los.

»Angeluvt, so viel als möglich, Quartiermeister!« schrie der Kapitän, »die Mannschaft sogleich aufs Hinterdeck! Meine Jungen, jetzt ist keine Zeit zum Sprechen, ich will das Schiff klubholen, denn zum Vieren ist kein Raum; die einzige Möglichkeit eurer Rettung besteht darin, daß ihr kaltblütig seid, in meinen Augen lest und meine Befehle genau vollzieht. Auf eure Posten zum Schiffwenden! Den besten Buganker herbei. Herr Wilson, Sie bleiben unten mit dem Zimmermann und seinem Gehilfen, und sind bereit, sogleich das Tau zu kappen, wenn ich den Befehl gebe. Alles still vorn wie hinten! Quartiermeister, haltet das Schiff voll für die Stagsegel. Laßt das Steuer nach, wenn ich es sage.«

Ungefähr eine Minute verging, ehe der Kapitän weitere Befehle gab. Das Schiff hatte sich ungefähr eine Viertelmeile dem Strande genähert, die Wogen umschäumten und berührten uns, indem sie uns der Küste zuführten, welche eine zusammenhängende Oberfläche von Schaum darstellte, und sich ungefähr eine halbe Kabellänge von unserem Standorte erstreckte, bis zu welcher Entfernung die ungeheuren Wogen sich auftürmten und mit Donnergeräusch niederfielen. Der Kapitän winkte dem Quartiermeister am Rade schweigend mit der Hand, und das Steuerruder wurde niedergelassen. Das Schiff wandte sich langsam dem Winde zu, und stürzte, sobald man die Segel luvwärts brasste. Als es seinen Weg verloren hatte, gab der Kapitän Befehl: »den Anker los! wir wollen alle auf einmal ziehen, Herr Falkon.«

Kein Wort wurde gesprochen, die Matrosen gingen an die Vorderbrassen, welche nicht bemannt waren; die meisten derselben wußten (was bei mir nicht der Fall war), daß, wenn das Schiff sich nicht anders wende, wir in einer halben Minute an der Küste mitten in der Brandung sein würden. Ich glaubte, der Kapitän hätte gesagt, er wolle alle Raaen auf einmal anziehen lassen; hierbei schien sich auf dem Gesichte des Herrn Falkon Zweifel oder eine andere Meinung auszudrücken, und man sagte mir nachher, daß er nicht mit dem Kapitän übereinstimmte; aber er war ein zu guter Offizier und wußte, daß jetzt keine Zeit zu Erörterungen sei, um eine Bemerkung zu machen, und der Erfolg bewies, daß der Kapitän recht hatte. Endlich wandte sich das Schiff gegen den Wind und der Kapitän gab das Zeichen. Die Raaen flogen mit solchem Krachen herum, daß ich dachte, die Masten seien zerbrochen, und im nächsten Augenblick hatte der Wind die Segel gefaßt; das Schiff, welches ein paar Minuten auf ebenem Kiel gewesen war, legte sich durch seine Gewalt bis ans Schanddeck auf die Seite. Der Kapitän, welcher auf dem Wetterseiten-Hängemattengitter stand, hielt sich an der Takelung fest, befahl, das Steuerruder in der Mitte des Schiffes zu halten, sah fest auf die Segel und dann auf das Kabel, welches breit auf der Luvseite hervorkam, und hielt das Schiff ab, sich der Küste zu nähern. Endlich rief er aus: »Kabel gekappt!« Es wurden ein paar Streiche von den Äxten gehört und dann fuhr das Kabel infolge der Reibung mit heller Flamme durchs Ankertauloch und verschwand unter einer furchtbaren Welle, welche uns an den Halsenblock warf, und vorn und hinten mit Wasser überschüttete. Das Schiff hatte nun eine andere Wendung und hielt seinen Lauf wieder, während unsere Entfernung vom Lande offenbar zunahm.

»Meine Jungen«, sagte der Kapitän zu der Schiffsmannschaft, »ihr habt euch gut gehalten, ich danke euch, allein ich muß auch ehrlich bekennen, daß wir noch mehr Schwierigkeiten durchzumachen haben. Wir müssen in dieser Richtung eine Spitze der Bai umsegeln, Herr Falkon, splissen Sie die große Brasse und rufen Sie die Wache. Wie steht der Schnabel, Quartiermeister?«

»Südwest bei Süd, südlich, Sir.«

»Sehr wohl; laßt ihn durchs Wasser gehen.«

Mit diesen Worten ging der Kapitän, indem er dem Schiffsmeister winkte, ihm zu folgen, in die Kajütte hinab. Da die augenblickliche Gefahr vorbei war, begab ich mich ebenfalls in die Kajütte, um zu sehen, ob ich nicht etwas zum Frühstück erhalten könnte, und fand daselbst O'Brien mit einigen andern.

»Bei Gott, es war ein so hübsches Ding, wie ich je eines ausführen sah«, bemerkte O'Brien; »das geringste Versehen in der Zeit oder Behandlung – und die Plattfische würden jetzt an unsern häßlichen Leichnamen nagen. Peter, mein Junge, bist Du Liebhaber von Plattfisch? Danken wir dem Himmel und dem Kapitän, das kann ich euch sagen, meine Jungen; aber wo ist die Karte, Robinson? Reich mir das Parallellineal und den Zirkel, Peter; sie liegen in der Ecke des Simses. Wir sind nun verteufelt nahe an dieser höllischen Spitze. Wer weiß, wie die Richtung ist?«

»Ich, O'Brien; ich hörte den Quartiermeister zum Kapitän sagen, Südwest bei Süd, südlich.«

»Laß mich sehen«, fuhr O'Brien fort, »Abweichung 2¼ Strich Leeseite, zu viel angenommen, fürchte ich; doch will ich ihm 2½ Strich geben. Die Diomede würde erröten, unter allen Umständen mehr als diese zu machen. Den Zirkel her, ich will sehen;« und damit rückte O'Brien das Parallellineal von dem Zirkel an die Stelle, wo das Schiff auf der Karte verzeichnet war; »potz tausend, ich hoffe, es ist so viel, als es thun kann, wenn es in dieser Richtung die andere Spitze umsegelt, und dies meinte der Kapitän damit, als er sagte, wir hätten noch mehr Schwierigkeiten zu überwinden. Ich könnte einen Eid auf die Bibel schwören, daß wir ganz aus der Klemme sein werden, wenn der Wind hält.«

»Sieh nach der Entfernung, O'Brien«, sagte Robinson.

Man maß und fand sie dreizehn Meilen.

»Nur dreizehn Meilen; wenn wir herumkommen, haben wir gewonnen; denn die Bai ist weiter draußen tief, 's ist eine Felsenspitze, wie ihr gerade bei der Abweichung seht. Nun, meine Jungen, ich habe immerhin noch eine Art Trost für euch. Ihr werdet nicht lang im Ungewissen sein: denn um ein Uhr Mittags werdet ihr entweder einander wegen eures guten Glücks gratulieren, oder es wird Matthäus am letzten sein. Kommt, rollt die Karte auf, ich hasse den melancholischen Anblick; Proviantmeister, seht, was Ihr zur Stärkung finden könnt.«

Etwas Brot und Käse mit den Überresten des gekochten Schweinefleisches von gestern wurde aufgetischt nebst einer Flasche Rum, eigens dazu aufbewahrt, »einen auf die Lampe zu gießen«; allein wir fühlten uns nicht sehr zum Essen aufgelegt; einer nach dem andern kehrte aufs Verdeck zurück, um nach dem Wetter zu sehen, und ob der Wind uns günstig sei. Auf dem Verdecke besprachen sich die höheren Offiziere mit dem Kapitän, der dieselbe Besorgnis ausgedrückt hatte, welche O'Brien in der Kajütte äußerte. Die Matrosen, welche wohl wußten, was sie zu erwarten hatten, traten haufenweise zusammen, ernsten Blickes, ohne jedoch die Zuversicht zu verlieren. Sie wußten, daß sie auf den Kapitän vertrauen konnten, soweit als Einsicht und Mut ihnen helfen konnte, und Seeleute sind zu sanguinisch, um selbst im letzten Augenblicke zu verzweifeln. Was mich betrifft, so fühlte ich nach dem, wovon ich diesen Morgen Zeuge gewesen, solche Bewunderung für den Kapitän, daß, als mich der Gedanke beschlich, ich werde sehr wahrscheinlich in einigen Stunden verloren sein, ich mir trotzdem eingestehen mußte, der Verlust eines solchen Mannes sei für sein Vaterland viel trauriger. Ich will damit nicht sagen, daß mich dieser Gedanke tröstete, aber er trug gewiß dazu bei, daß ich das Unglück, womit wir bedroht waren, noch mehr bedauerte.

Vor dem Schlag zwölf Uhr war die Felsenspitze, welche wir so sehr fürchteten, breit auf der Leeseite sichtbar; wenn nun schon die niedrige Sandküste furchtbar erschien, um wie viel mehr diese, selbst in der Entfernung! Schwarze Felsmassen waren mit Schaum bedeckt, welcher jede Minute höher spritzte als die Spitzen unserer niedrigen Masten. Der Kapitän betrachtete einige Minuten in stillschweigender Überlegung dieses Schauspiel.

»Herr Falkon,« sagte er endlich, »wir müssen das Hauptsegel aufziehen.«

»Die Fregatte kann es nicht tragen, Sir.«

»Sie muß es tragen,« war die Antwort. »Schicken Sie die Mannschaft nach hinten zu dem großen Segel, und sehen Sie, daß die Leute die Bauchgurten sorgfältig bedienen.«

Das Hauptsegel wurde aufgezogen, und die Wirkung desselben auf das Schiff war furchtbar. Es legte sich so sehr über, daß seine Leerusten unter Wasser gingen; wenn eine Woge darauf fiel, wurde die Leeseite des Hinterdecks und der Gang überflutet. Das Schiff gemahnte mich an ein feuriges Roß, welches durch den angelegten Sporn wild geworden ist; es erhob sich nicht wie früher, sondern erzwang sich seinen Weg mitten durch die Wogen, und zerteilte die Wellen, welche in beständigem Strom vom Vorderkastell auf das Verdeck herabstürzten. Vier Männer wurden an das Rad befestigt, die Matrosen mußten sich anklammern, um nicht weggeschwemmt zu werden, die Taue wurden in Verwirrung leewärts geschleudert. – Die Kugeln rollten aus ihren Behältern hervor, und aller Augen waren auf die Masten geheftet, welche jeden Augenblick über Bord geworfen werden konnten. Eine schwere Welle legte uns auf die Batterieseite. Es stand einige Minuten an, bis das Schiff sich wieder zu erholen schien; es schwankte, zitterte, und hielt seinen Lauf inne, als ob es betäubt wäre. Der erste Leutnant sah den Kapitän an, als ob er sagen wollte: das wird nicht gehen.

»Es ist unser einziges Rettungsmittel,« antwortete der Kapitän auf die Mahnung.

Daß das Schiff schneller durch das Wasser ging, und einen besseren Wind hielt, war gewiß, aber gerade, bevor wir an die Spitze kamen, nahm die Gewalt des Sturmes zu.

»Wenn etwas bricht, sind wir verloren, Sir,« bemerkte der erste Leutnant wieder.

»Ich bin vollkommen davon überzeugt,« erwiderte der Kapitän in ruhigem Tone, »aber wie ich vorhin sagte, und Sie nun einsehen müssen, es ist unsere einzige Rettung. Die Folge einer Sorglosigkeit oder Nachlässigkeit beim Ansetzen und Befestigen des Takelwerks wird sich nun fühlbar machen, und wenn wir aus dieser Gefahr entrinnen, dürfen wir nie vergessen, wie viel wir zu verantworten haben, wenn wir unseren Dienst vernachlässigen. Das Leben einer ganzen Schiffsmannschaft kann durch die Nachlässigkeit oder Unfähigkeit eines Offiziers im Hafen geopfert werden. Ich muß Ihnen das Kompliment machen, Falkon, daß ich überzeugt bin, die Masten des Schiffes sind so fest, als Einsicht und Sorgfalt sie nur machen konnten.«

Der erste Leutnant dankte dem Kapitän für seine gute Meinung, und hoffte, es werde nicht das letzte Kompliment sein.

»Ich hoffe auch nicht, aber in ein paar Minuten wird es entschieden sein.«

Das Schiff war nun nur noch zwei Kabellängen von der Felsenspitze entfernt. Ich bemerkte einige Matrosen, welche ihre Hände zusammenschlugen, aber die meisten legten stillschweigend ihre Jacken ab und zogen ihre Schuhe aus, um keine Gelegenheit zur Rettung zu verlieren, im Falle das Schiff stranden sollte.

»Es wird scheitern und untergehen, Falkon,« bemerkte der Kapitän (ich hatte mich nämlich in der letzten halben Stunde, seitdem das große Segel aufgezogen war, nahe bei ihnen, an die Hebehölzer angeklammert). »Kommen Sie, Sie und ich müssen das Steuer führen – wir werden dort unsere Kraft brauchen, und für jetzt nur dort.«

Der Kapitän und der erste Leutnant gingen nach hinten, nahmen die Vorderspeichen des Rades, und O'Brien faßte auf ein vom Kapitän gegebenes Zeichen die Hinterspeichen. Ein alter Quartiermeister nahm als der vierte seinen Posten ein. Das Brausen der Wellen an den Felsen, verbunden mit dem Heulen des Windes, war furchtbar, allein der Anblick war noch schrecklicher als das Getöse. Einige Minuten schloß ich meine Augen, doch die Angst zwang mich, sie wieder zu öffnen. So viel ich beurteilen konnte, waren wir noch zwanzig Ellen von den Felsen entfernt, als das Schiff nahe an ihnen vorbeifuhr. Wir befanden uns mitten im Schaume, welcher uns rings bespritzte, und als das Schiff dem Riffe näher getrieben wurde, und durch den Andrang einer Woge sich umlegte, kam es mir vor, unsere große Nocke müsse den Felsen berührt haben. In diesem Momente erhob sich ein Windstoß, welcher das Schiff auf die Seite legte, und seinen Lauf durchs Wasser hemmte, während das erhöhte Getöse betäubend war. Das Schiff trieb einige Minuten weiter dahin; da fiel eine andere Woge über dasselbe her, und brach sich an den Felsen, während der Schaum von ihnen zurückspritzte und auf das Verdeck herabfiel. Der vorderste Felsen war etwa zehn Ellen von seinem Buge entfernt, als ein anderer Windstoß uns auf die Seite warf; das Vordersegel und das große Segel zerrissen und wurden aus ihren Leiken geworfen, das Schiff richtete sich vorne und hinten zitternd wieder auf. Ich blickte nach hinten – die Felsen lagen windwärts an unserem Hinterdecke, und wir waren in Sicherheit. Ich dachte damals, das von seiner Anstrengung befreite und wieder auf den Wogen dahin hüpfende Schiff wäre kein übles Gleichnis von der Erleichterung, welche wir alle in diesem Augenblicke empfanden, denn wie jenes zitterten wir mit klopfendem Herzen, infolge der plötzlichen Rückwirkung, und fühlten das Weichen der beklemmenden Ängstlichkeit, welche auf unserer Brust lastete.

Der Kapitän verließ das Steuer und ging nach hinten, um die Spitze zu betrachten, welche nun deutlich an der Wetterseite lag. Nach ein paar Minuten befahl er Herrn Falkon, neue Segel ansetzen und aufbinden zu lassen, und dann gingen wir in seine Kajütte hinab. Ich bin überzeugt, er dankte Gott für unsere Befreiung; ich that es auch mit inbrünstigem Gebete, nicht nur damals, sondern auch, als ich nachts in meine Hängematte stieg. Wir waren nun vergleichungsweise sicher; in einigen Minuten vollkommen, denn sonderbar – sogleich, nachdem wir die Felsen umsegelt hatten, ließ der Sturm nach, und ehe der Morgen anbrach, hatten wir schon ein Reff aus den Topsegeln. Ich war auf meiner Nachmittagswache, und da ich Herrn Chucks auf dem Vorderkastell wußte, so begab ich mich zu ihm und fragte ihn, was er davon denke.

»Was ich davon denke, Sir,« versetzte er, »wie ich immer übles davon denke, wenn die Elemente mein Pfeifen nicht hören lassen, und ich halte das nicht gerade für günstige Wetterchancen. Ich kümmere mich wenig darum, wenn es gilt, sich in eigener Person anzustrengen, aber wie ist es einer Schiffsmannschaft möglich, ihre Schuldigkeit zu thun, wenn sie die Bootsmannspfeife nicht hören kann? Doch, Gott sei gedankt, und möge er uns alle zu besseren Christen machen! Aber der Zimmermann ist verrückt; gerade bevor wir die Spitze umsegelten, sagte er mir, es seien nun just siebenundzwanzigtausend sechshundert und etliche Jahre seither. Ich glaube, er wird auf seinem Totenbette (und gestern war ihm ein sehr hartes nicht gerade ferne) uns erzählen, wie er vor so vielen tausend Jahren an der nämlichen Krankheit starb. Und unser Feuerwerker ist auch ein Narr. Können Sie es glauben, Herr Simpel, er ging weinend auf dem Verdecke herum: ›O meine Kanonen, was wird aus ihnen werden, wenn sie losbrechen.‹ Es schien ihm von gar keiner Bedeutung, ob das Schiff mit seiner Mannschaft zu Grunde ging, wenn nur seine Kanonen glücklich an den Strand gebracht würden. ›Herr Dispart,‹ sagte ich endlich, ›erlauben Sie mir, auf die zarteste Weise von der Welt zu bemerken, daß Sie ein verdammt alter Narr sind.‹ Sie sehen, Herr Simpel, es ist die Pflicht eines Offiziers, das Allgemeine im Auge zu behalten, und dem Einzelnen nur insofern Aufmerksamkeit zu schenken, als es die Sicherheit des Ganzen erfordert. Ich schaue nach meinen Ankern und Tauen, so wie nach dem Takelwerk, nicht als ob ich sie besonders lieb hätte, sondern weil die Sicherheit eines Schiffes von ihrem guten Zustand abhängt. Ich hätte gerade so gut weinen können, weil wir gestern Morgen einen Anker und ein Tau opferten, um das Schiff vom Stranden zu retten.«

»Sehr wahr, Herr Chucks,« erwiderte ich.

»Privatgefühle,« fuhr er fort, »müssen immer dem öffentlichen Dienste aufgeopfert werden. Wie Sie wissen, das untere Verdeck war voll Wasser, und in unseren Kajütten schwammen die Koffer umher, doch damals dachte ich nicht an meine Hemden; aber nun sehen Sie dieselben an, wie sie in der vorderen Takelung aufgehängt sind, ohne ein bischen Stärke in den Krägen oder Krausen. Ich werde die ganze Fahrt durch nicht imstande sein, zu erscheinen wie es einem Offizier geziemt.«

Während er so sprach, ging der Küfer an ihm vorbei und stieß ihn an.

»Bitte um Verzeihung, Sir,« sagte der Mann, »das Schiff hat sich geneigt.«

»Hat sich geneigt, wirklich?« versetzte der Bootsmann, welcher, wie ich vermute, wegen seiner Garderobe nicht in der besten Laune war. »Verzeiht, Herr Küfer, wozu hat der Himmel Euch zwei Beine beschert nebst Gelenken an den Knieen, als um es Euch möglich zu machen, der horizontalen Abweichung zu begegnen. Glaubt Ihr, sie seien zu nichts bestimmt, als ein Faß fortzurollen? Hört, Sir, hieltet Ihr mich für einen Pfosten, um daran Eure Sauhaut zu reiben? Erlaubt mir, Euch gerade zu bemerken, Herr Küfer, nur so anzudeuten, daß, wenn Ihr an einem Offizier vorbeigeht, es Eure Pflicht ist, Euch in ehrfurchtsvoller Entfernung zu halten, und nicht seine Kleider mit Eurer eisenrostigen Jacke zu besudeln. Versteht Ihr mich, Sir, oder soll Euch dies in Zukunft ins Gedächtnis rufen?«

Der Rohrstock erhob sich und fiel mit einem Hagel von Schlägen herab, bis der Küfer durch die Vorderluke entwischte.

»Da nimm dies, Du schmutziger Faßklopfer, Du bohrerführender Ausbund von einer Mistpfütze! Ich bitte um Verzeihung, Herr Simpel, daß ich die Unterhaltung unterbrach, allein wenn die Pflicht ruft, müssen wir gehorchen.«

»Allerdings, Herr Chucks, man läutet soeben Glock sieben, und ich muß es dem Schiffsmeister melden. Also guten Tag.«

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