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Zwanzigstes Kapitel.

O'Brien und ich thun pari passu einen Schritt. – Eine Familienzusammenkunft, die alles, nur keine Einigkeit erzielt. – Ein Onkel – nicht immer der beste Freund.

—————

 

Einige Tage später gab ich meine Karte bei dem ersten Lord ab, und erhielt Tags darauf ein Schreiben von seinem Sekretär, worin mich dieser zu meinem großen Vergnügen benachrichtigte, daß mein Ernennungsdekret schon vor einigen Tagen ausgefertigt worden sei. Ich habe kaum nötig, zu sagen, daß ich mich beeilte, dasselbe entgegenzunehmen, und als ich dem Schreiber die Sportelgebühren bezahlte, wagte ich, ihn auf gut Glück zu fragen, ob er die Adresse des Leutnant O'Brien kenne.

»Nein«, erwiderte er, »aber ich wünsche sie ausfindig zu machen, denn er ist heute zum Rang eines Schiffsbefehlshabers befördert worden.«

Ich hüpfte fast vor Freuden in die Höhe, als ich diese gute Nachricht vernahm. Ich gab dem Schreiber O'Briens Adresse und eilte mit meiner unschätzbaren Pergamentrolle in der Hand fort, und schnurstracks meinem elterlichen Hause zu. Aber da wartete meiner tiefer Kummer; meine Mutter war sehr bedenklich krank geworden, und ich traf das ganze Haus in Aufruhr – Ärzte, Apotheker und Krankenwärterinnen sprangen ab und zu, mein Vater war in einem Zustande großer Aufregung und meine teure Schwester fand ich in Thränen. Ein Krampfanfall folgte bei meiner guten Mutter auf den anderen, und obgleich jedes nur erdenkliche Mittel angewendet wurde, gab sie doch am nächsten Abend ihren Geist auf. Ich will nicht versuchen, den Gram meines Vaters zu beschreiben, der wegen seines vor kurzem so unfreundlichen Benehmens gegen sie sowohl als gegen meine Schwester und mich Reue zu fühlen schien. Von solchen Auftritten können sich nur diejenigen eine Vorstellung machen, die von ähnlichen Verlusten getroffen wurden. Ich gab mir alle Mühe, meine arme Schwester zu trösten, die nun in mir ihre einzige Stütze zu finden hoffte; nach dem Leichenbegängnisse wurden wir wieder ruhiger, aber in unseren Herzen waltete fortwährend tiefere Trauer als aus unserem Äußern sprach. Ich hatte an O'Brien geschrieben, um ihm diese schmerzliche Nachricht mitzuteilen, und als ein treuer Freund war er unverzüglich herbeigeeilt, um mich zu trösten.

Er hatte das Schreiben von der Admiralität, wodurch ihm seine Ernennung angezeigt wurde, erhalten, und zwei Tage nach seiner Ankunft bei uns begab er sich in die Stadt, um das Dekret entgegenzunehmen. Ich sagte ihm unumwunden, auf welche Weise ich seine Beförderung erlangt habe, und er schloß wiederum seine Danksagung mit einer Anspielung auf den Irrtum der früheren Vermutung, die mich für den Familiengimpel hielt.

»Beim Allmächtigen, es würde für jeglichen Mann gut sein, wenn er ein paar solcher gimpelhaften Freunde um sich herum hätte«, fuhr er fort, »doch ich will Dir nichts vorschwatzen, Peter, Du weißt, was von jeher meine Meinung war; deshalb wollen wir auch nicht weiter darüber reden.«

Nach meiner Zurückkunft hielten wir eine lange Beratung, wie wir am schnellsten eine Dienstanstellung bekommen könnten; denn O'Brien wünschte so sehr als ich, wieder unter Segel zu gehen. Ich bedauerte, meine Schwester verlassen zu müssen, aber mein Vater war so mürrisch und mißgestimmt, daß ich kein Vergnügen zu Hause fand, außer in ihrer Gesellschaft. Selbst meine Schwester war der Meinung, es sei besser, wenn ich mich entfernte, da der Menschenhaß meines Vaters, der nun nicht mehr durch die Vorstellungen meiner Mutter gezügelt wurde, zugenommen hatte, und er mich mit wirklicher Abneigung anzusehen schien. Es wurde demnach zwischen meiner Schwester, mir und O'Brien, der immer unseren Beratungen beiwohnte, einstimmig beschlossen, daß es rätlich für mich sei, wieder in See zu gehen.

»Ich kann besser mit ihm zurechtkommen, wenn ich allein bin, Peter; ich habe dann nichts, was mich in Anspruch nimmt und ihm entzieht, wie gegenwärtig Deine Gesellschaft; und so schmerzlich es mir auch ist, mich von Dir zu trennen, so bestimmt mich doch die Pflicht gegen meinen Vater und der Wunsch für Deine Beförderung zu der Bitte, daß Du, auf welche Weise es nur immer möglich ist, Mittel ausfindig machen mögest, um Deine Dienstanstellung zu erhalten.«

»Gesprochen wie eine Heldin, Miß Ellen, und die sind Sie, trotz Ihres niedlichen Gesichtes und Ihrer sanften Augen«, sagte O'Brien. »Doch jetzt, Peter, laß uns sehen, wie wir's anzugreifen haben. Wenn ich ein Schiff bekommen kann, so ist für Dich schon gesorgt, denn ich werde Dich zu meinem Leutnant wählen; aber wie ist das zu bewerkstelligen? Glaubst Du, daß Du den alten Herrn in Adlerpark noch einmal herumkriegen könntest?«

»In jedem Falle will ich's versuchen«, antwortete ich; »es kann mir höchstens fehlschlagen, O'Brien.«

Ich machte mich also am nächsten Tag auf den Weg nach dem Landsitze meines Großvaters, und befand mich um die gewöhnliche Stunde, gegen elf Uhr Morgens, an dem Häuschen beim Eingang. Ich ging die Allee hinauf und klopfte an die Hausthür; als diese geöffnet wurde, sah ich einen zweifelhaften Ausdruck auf den Gesichtern der Bedienten, und ein gezwungenes Wesen, das mir nicht gefiel. Auf meine Frage nach Lord Privilege antwortete man mir, daß er ziemlich wohl sei, aber niemand sprechen wolle.

»Ist mein Oheim da?« fragte ich.

»Ja, Sir«, antwortete der Bediente mit einem bedeutungsvollen Blick, »und seine ganze Familie mit ihm.«

»Seid Ihr gewiß, daß ich meinen Großvater nicht sehen kann?« fragte ich, und legte dabei einen Nachdruck auf das Wort.

»Ich will ihm melden, daß Sie hier sind«, erwiderte der Diener, »aber selbst das geht gegen meine Befehle.«

Ich hatte meinen Onkel seit meiner Kindheit nicht wieder gesehen, und konnte mir ihn durchaus nicht vorstellen – auch mit meinen Muhmen und meiner Tante war ich nie zusammengekommen. Nach einer Minute ward mir die Antwort gebracht, daß ich in das Bibliothekzimmer hineingehen sollte; ich wurde hingeführt und traf da den Lord Privilege, der an seinem gewöhnlichen Platze saß, und einen großen Gentleman, in dem ich auf einmal aus seiner Ähnlichkeit mit meinem Vater meinen Oheim erkannte.

»Hier ist der junge Gentleman, Mylord«, sagte mein Onkel, mich streng anblickend.«

»He, was – o ich erinnere mich. Also, Kind, Du hast Dich recht übel betragen – thut mir leid, dies zu hören. Lebe wohl.«

»Übel betragen, mein Lord?« erwiderte ich; »ich wüßte nicht, wenn das vorgekommen wäre.«

»Es sind allerdings sehr ungünstige Gerüchte über Sie im Umlauf, Neffe«, antwortete mein Oheim gleichgültig. »Man hat Ihrem Großvater Sachen erzählt, die ihm sehr mißfallen haben. Ich weiß übrigens nichts Näheres darüber.«

»Dann hat mich irgend ein Schurke verleumdet, Sir«, antwortete ich.

Bei dem Worte Schurke sprang mein Oheim auf; doch faßte er sich wieder und sagte:

»Nun ja, Neffe, was wünschen Sie von Lord Privilege, Ihr Besuch ist denn doch wohl nicht ohne Ursache?«

»Sir«, antwortete ich, »mein Besuch bei Lord Privilege hat zum Zwecke, ihm erstens dafür zu danken, daß er mir zu meiner Ernennung als Leutnant behilflich war, und ihn sodann um die Gunst zu bitten, meine Anstellung im aktiven Dienste auszuwirken, was durch ein paar Zeilen augenblicklich geschehen könnte.«

»Ich wußte nicht, Neffe, daß Sie Leutnant geworden sind; aber ich stimme Ihnen darin bei, daß es nur um so besser für Sie ist, je länger Sie zur See sind. Seine Herrlichkeit wird den Brief unterzeichnen, setzen Sie sich nieder.«

»Soll ich ihn schreiben, Sir?« fragte ich meinen Onkel; »ich weiß schon, was zu sagen ist.«

»Ja, und bringen Sie ihn mir, wenn Sie damit fertig sind.«

Ich hielt mich überzeugt, daß der einzige Grund, der meinen Oheim bestimmte, sich für meine Ernennung zu verwenden, der war, weil er dachte, ich sei so besser aus dem Wege geschafft und jedenfalls auf der See mehr Gefahren ausgesetzt als auf dem Lande.

Ich nahm einen Bogen Papier und schrieb, wie folgt:

 

»Mein Lord!

Dürfte ich bitten, daß es Eurer Herrlichkeit gefällig wäre, den Überbringer dieses, sobald thunlich, auf ein Schiff zu ernennen, denn ich wünschte seine Anstellung im aktiven Dienste.

Ich bin, mein Lord etc.«

 

»Warum führen Sie Ihren Namen nicht an?«

»Das hat nichts zu sagen«, antwortete ich, »da der Brief persönlich abgegeben wird, wodurch ich mir meine baldige Ernennung zu sichern gedenke.«

Das Schreiben wurde nun Seiner Herrlichkeit zur Unterschrift vorgelegt. Es ward ziemlich schwer, dem Lord begreiflich zu machen, daß er diesen Brief unterschreiben solle. Der alte Herr schien jetzt viel geschwächter als damals, als ich ihn zum letzten Male sah. Ich dankte ihm, legte den Brief zusammen und steckte ihn in meine Tasche. Zuletzt sah er mich an; da schien ein plötzlicher Anflug früherer Erinnerungen seinen Kopf zu durchkreuzen.

»Gut, Kind – Du entkamst also aus der französischen Gefangenschaft – he, und wie geht's Deinem Freunde; wie heißt sein Name, he?«

»O'Brien, mein Lord.«

»O'Brien!« schrie mein Onkel, »das ist Ihr Freund; dann, Sir, darf ich wohl glauben, daß Sie es sind, dem ich für die Nachforschungen und die Gerüchte zu danken habe, die so sorgfältig in Irland verbreitet wurden – für die Verführung meines Gesindes und sonstige Unverschämtheiten?«

Ich mochte keineswegs die Sache ableugnen, obgleich ich ein wenig verwirrt war durch die Schnelligkeit, mit der sie zur Sprache gebracht wurde. Ich antwortete:

»Ich lasse mich nie in geheime Unterhandlung mit anderer Leute Gesinde ein, Sir.«

»Das nicht«, sagte er, »aber Sie stellen andere auf, es zu thun. Ich entdeckte Ihr ganzes Verfahren, nachdem der Schurke nach England abgereist war.«

»Wenn Sie das Wort Schurke auf Kapitän O'Brien beziehen, so muß ich in seinem Namen widersprechen.«

»Wie es Ihnen gefällig ist, Sir«, antwortete mein Onkel mit leidenschaftlicher Heftigkeit; »aber Sie werden mich verbinden, wenn Sie dieses Haus unverzüglich verlassen und nichts mehr, weder vom gegenwärtigen noch zukünftigen Lord Privilege erwarten, außer den Lohn, den Ihr schmachvolles Benehmen verdient hat.«

Dadurch fühlte ich mich sehr aufgeregt, und antwortete mit Bitterkeit: »Von dem gegenwärtigen Lord Privilege erwarte ich gewiß nichts mehr, und eben so wenig von seinem Nachfolger; aber nach Ihrem Tode, Onkel, erwarte ich, daß diejenige Person, auf welche der Titel übergeht, alles, was sie nur kann, für ihren ergebenen Diener thun wird. Ich wünsch' Ihnen guten Morgen, Onkel.«

Meines Oheims Augen sprühten Feuer, als ich meine Rede endete, die allerdings sehr kühn, aber auch sehr thöricht zugleich war, wie sich später zeigte. Ich eilte aus dem Zimmer fort, nicht bloß aus Furcht, von allen Dienern zum Hause hinaus gejagt zu werden, sondern hauptsächlich, weil ich fürchtete, daß mir mein Brief an den ersten Lord mit Gewalt entrissen werden möchte; aber nie werde ich den Racheblick vergessen, der aus den Augen meines Onkels auf mich blitzte, als ich mich noch einmal umdrehte und ihn ansah, während ich die Thür zumachte. Ich fand meinen Weg ohne Hilfe der Dienerschaft und eilte, so schnell ich konnte, nach Hause.

»O'Brien«, sagte ich bei meiner Rückkehr, »hier ist keine Zeit zu verlieren; je früher Du mit diesem Empfehlungsschreiben nach der Stadt eilst, desto besser wird es sein; denn, verlaß Dich darauf, mein Onkel wird mir schaden so viel er kann.« Dann erzählte ich den ganzen Hergang, und es wurde beschlossen, daß O'Brien den Brief zu sich nehmen solle, der, weil er auf den Überbringer lautete, eben so gut für ihn, als für mich benützt werden konnte; und wenn O'Brien eine Anstellung erhielt, so war ich ja gewiß, nicht bloß einer seiner Leutnants zu werden, sondern auch mit einem lieben Freunde zu segeln. Am nächsten Morgen ging O'Brien nach London ab und sprach glücklicherweise gleich den Tag nach seiner Ankunft, der ein Audienztag war, den ersten Lord. Dieser nahm O'Brien den Brief ab, und lud ihn ein, sich zu setzen. Nachdem er das Schreiben durchgelesen hatte, erkundigte er sich nach Lord Privilege, fragte, ob er sich wohl befinde und dergleichen. O'Brien erwiderte: »Seine Herrlichkeit könne mit der Gnade Gottes noch viele Jahre leben, und er habe noch nie den Lord über Unwohlsein klagen hören«, was alles zwar keine Lüge, aber auch nicht ganz richtig war.

Als O'Brien nach Hause zurückkehrte und mir das Vorgekommene mitteilte, konnte ich nicht umhin, ihm zu bemerken, daß es mir in Anbetracht dessen, was er einmal über weiße und schwarze Lügen geäußert habe, scheine, als ob er in neuester Zeit seinem eigenen Glaubensbekenntnisse nicht treu geblieben sei.«

»Das ist ganz richtig, Peter, aber mein Glaubensbekenntnis ist und bleibt nichts desto weniger stets dasselbe. Wir alle wissen, was recht ist, aber wir thun es nicht immer. Das Ganze ist dies, ich fange an zu glauben, daß es durchaus notwendig ist, die Welt mit ihren eigenen Waffen zu bekämpfen. Ich habe mit Pater M'Grath über diesen Gegenstand gesprochen, und er antwortete mir, wenn jemand ein Unrecht begehe, und dadurch einen andern nötige, sich gleichfalls ein Unrecht zu schulden kommen zu lassen, um den Feind zu überlisten, so sei der erstere durchaus verantwortlich, und zwar nicht blos für seine eigene Sünde, sondern auch für die vom andern zum Zwecke der Selbstverteidigung begangene.«

»Übrigens, O'Brien, möchte ich dem Pater M'Grath nicht so unbedingt Glauben schenken, und manche seiner Lehren gefallen mir gar nicht.«

»Mir eben so wenig, Peter, wenn ich darüber nachdenke; aber warum soll ich mir über solche Gegenstände den Kopf zerbrechen? Ich weiß nur so viel, daß es, wenn man zwischen seiner eigenen Neigung und der Pflicht schwankt, sehr bequem ist, einen Priester zu haben, der sich für einen entscheidet und noch überdies die Sorge für die Seele übernimmt.«

Da fiel mir ein, daß ich selbst, als ich O'Brien tadelte, in betreff der beiden Briefe des Lord Privilege ähnlich gedacht und mich so gleichfalls des Betruges schuldig gemacht hatte. Ich machte ihm also Vorwürfe wegen eines Vergehens, das ich doch selbst begangen hatte, und befürchte, daß ich nur gar zu geneigt war, mich mit dem Ausspruche Pater M'Graths zu trösten, »daß es erlaubt sei, Böses zu guten Zwecken zu thun.« Doch nun zurück zu dem Gespräche O'Briens mit dem ersten Lord.

Nach kurzer Unterredung sagte der letztere: »Kapitän O'Brien, ich bin immer gerne bereit, den Lord Privilege zu verpflichten, um so mehr, wenn seine Empfehlung einem so verdienten Offizier gilt, wie Sie sind. Kommen Sie in einigen Tagen auf die Admiralität und Sie werden das Weitere hören.«

O'Brien schrieb uns dies sogleich, und wir sahen nun mit Ungeduld seinem nächsten Briefe entgegen; aber statt eines Schreibens kam er am dritten Tage selbst, schloß mich zuerst in seine Arme, dann ging er auf meine Schwester zu, umarmte auch diese, und hüpfte und tanzte fortwährend im Zimmer herum.

»Was ist denn los, O'Brien?« sagte ich, während Ellen verlegen zurücktrat.

Da zog er ein Pergament aus der Tasche mit den Worten: »Sieh, Peter, mein lieber Peter; jetzt auf nach Ehre und Ruhm! Eine Achtzehn-Kanonenbrigg, Peter. Die Klapperschlange – Kapitän O'Brien – Station Westindien. Beim heiligen Vater: mein Herz zerspringt vor Freude!« und damit sank er in einen Armstuhl. »Bin ich nicht fast außer mir?« fuhr er nach kurzem Schweigen fort.

»Ellen denkt das von Dir, möchte ich wohl sagen«, antwortete ich, meine Schwester ansehend, die in der Ecke des Zimmers stand und glauben mochte, daß O'Brien in der That den Verstand verloren habe; sie war vor Verlegenheit ganz rot geworden.

O'Brien, der sich nun besann, welchen Verstoß er gegen den Anstand begangen hatte, erhob sich augenblicklich von seinem Stuhle, nahm wieder seine gewöhnliche ungekünstelte Höflichkeit an, trat auf meine Schwester zu und ergriff ihre Hand mit den Worten:

»Verzeihen Sie mir, meine teure Miß Ellen: ich muß mich bei Ihnen entschuldigen wegen meiner Roheit; aber mein Entzücken war so groß und meine Dankbarkeit gegen Ihren Bruder ist so lebhaft, daß ich fürchte, im Ausdruck meiner Gefühle zu weit gegangen zu sein und Sie beleidigt zu haben, die Sie ihm so lieb und an Gemüt und Charakter so gleich sind. Wollen Sie bedenken, daß Sie einzig das überströmende Gefühl eines gegen Ihren Bruder dankerfüllten Herzens mitangehört haben, und mir um seinetwillen verzeihen?«

Ellen reichte ihm lächelnd die Hand. Dann führte er sie zum Sopha, aus dem wir uns alle drei niederließen, und nun begann O'Brien eine verständlichere Mitteilung des Vorgefallenen zu machen. Er hatte sich am bestimmten Tage auf der Admiralität eingefunden und seine Karte abgegeben; der erste Lord konnte ihn nicht sprechen, sondern verwies ihn an seinen Sekretär, der ihm das Ernennungsdekret auf die Achtzehn-Kanonenbrigg, Klapperschlange, übergab. Mit einem höchst verbindlichen Lächeln sagte der Sekretär zu O'Brien im Vertrauen, er werde, sobald sein Fahrzeug bemannt und segelfertig sei, nach Westindien abzugehen haben. Dann fragte er, welchen Offizier er zu seinem ersten Leutnant wünsche. O'Brien antwortete, er wünsche mich; da ich aber höchst wahrscheinlich nicht das gehörige Dienstalter für den Posten eines ersten Leutnants haben würde, so möge die Admiralität nach Belieben über diese Stelle verfügen, vorausgesetzt, daß ich auf dem Schiffe jedenfalls eine Anstellung erhalte.

Der Sekretär besann sich einen Augenblick über O'Briens Wunsch und bat dann, im Falle eine Seekadettenstelle offen sei, um die Erlaubnis, einen jungen Mann an Bord senden zu dürfen; dies bewilligte O'Brien gern, drückte ihm die Hand und eilte von der Admiralität fort, um uns diese erfreuliche Nachricht zu bringen.

»Und jetzt«, sagte er, »habe ich auch bei mir selbst beschlossen, was zu geschehen hat. Ich will zuerst nach Plymouth hinab und mein Wimpel aufhissen; dann gedenke ich, um vierzehntägigen Urlaub nachzusuchen und nach Irland zu gehen, um zu sehen, wie es dort steht und was Pater M'Grath treibt. Also laß uns, Peter, den heutigen Abend so vergnügt zubringen als wir können. Denn obgleich wir beide bald wieder Zusammentreffen, so können doch Jahre vergehen, bis wir alle drei wieder so wie jetzt auf diesem Sopha beisammensitzen – und vielleicht sind wir nie wieder so beisammen.«

Da blickte Ellen, die seit dem Tode meiner Mutter fortwährend sehr angegriffen war, zur Erde nieder, und ich sah, daß ihr bei der Bemerkung O'Brien's: »wir würden vielleicht nie wieder so beisammen sein«, Thränen in die Augen traten. Der Abend war übrigens für mich in der That ein sehr glücklicher: mein Vater speiste auswärts und störte uns somit nicht. Zur einen Seite saß mir eine geliebte Schwester, und zur andern ein treuer Freund. Fürwahr, es lassen sich wenige Lagen denken, die beneidenswerter wären.

O'Brien verließ uns am andern Morgen bald, und um die Zeit des Frühstücks erhielt mein Vater einen Brief. Er kam von meinem Oheim, der ihm mit kalten Worten die Anzeige machte, daß Lord Privilege in der vorigen Nacht ganz unerwartet schnell gestorben sei, daß das Begräbnis über acht Tage stattfinden, und das Testament sogleich nach dem Leichenbegängnisse eröffnet werden solle. Mein Vater gab mir den Brief ohne ein Wort zu sprechen, und schöpfte seinen Thee mit dem Theelöffel aus.

Ich konnte nicht sagen, daß mich dieser Vorfall sehr traurig gestimmt hätte; doch fühlte ich mich ergriffen, denn mein Großvater hatte sich gütig gegen mich gezeigt. Was die Gefühle meines Vaters anbelangt, so konnte ich, oder, um es richtiger zu sagen – wollte ich dieselben nicht genauer zergliedern. Sobald er mit seiner Tasse Thee fertig war, stand er vom Tische auf und ging in sein Studierzimmer. Nun teilte ich auch diese Nachricht meiner Schwester Ellen mit.

»Mein Gott«, sagte sie nach einer Pause, die Hand vor ihre Augen haltend, »zu welchem entfremdeten unnatürlichen Zustande der Gesellschaft müssen wir gekommen sein, wenn mein Vater die Nachricht von dem Tode eines Verwandten auf eine solche Weise empfangen kann! Ist das nicht schrecklich?«

»Allerdings, mein teuerstes Mädchen«, antwortete ich, »aber jegliches Gefühl wird weltlichen Rücksichten und einem leeren Titel geopfert. Die jüngern Söhne werden vernachlässigt, wenn nicht verlassen. Tugend, Talent und alles gilt für nichts – der innere Wert wird verschmäht – und nur der darf Ansprüche machen, geachtet zu werden, der in direkter Linie Erbe ist. Ganz richtig bemerktest Du, es sei dies ein abscheulicher Zustand der Gesellschaft.«

»Ich sagte nicht abscheulich, mein lieber Bruder, sondern seltsam und unnatürlich.«

»Auch wenn Du gesagt hättest, wie ich eben, Ellen, so würdest Du Dich nicht falsch ausgedrückt haben. Ich möchte nicht um den Titel und den davon abhängenden Reichtum das herzlose, vereinzelte, und ich darf sagen vernachlässigte Wesen sein, das mein Großvater war; und wenn man mir heute dieses alles anböte, so wollte ich Ellens Liebe dagegen nicht vertauschen.«

Ellen warf sich in meine Arme; wir gingen miteinander in den Garten, wo wir uns lange über unsere Zukunft, Wünsche, Hoffnungen und Aussichten besprachen.

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