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Ich bin erfreut über meinen neuen Kapitän. – Erhalte Urlaub, nach Hause zu reisen. – Treffe meinen Vater von einer höchst sonderbaren Krankheit befallen und zeige mich als ganz guter Arzt, obgleich die Geistesverwirrung immer wieder in einer neuen Form ausbricht.
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Den Tag nach O'Briens Abfahrt nach Ostindien kamen die Leute vom Seemagazin auf die Werft an Bord unserer Brigg, um sie zu untersuchen: sie wurde als so schadhaft erfunden, daß man ihre Abführung auf die Werft anordnete. Ich hatte Briefe erhalten von meiner Schwester, die bei der Nachricht meiner glücklichen Rückkehr und im Vorgenusse des Wiedersehens überglücklich war.
Die Berichte über meinen Vater lauteten hingegen höchst ungünstig. Meine Schwester schrieb mir, daß das Gefühl getäuschter Erwartung und ängstliche Sorgen einen solchen Einfluß auf ihn gehabt haben, daß er in seinen Sinnen verwirrt sei.
Unser neuer Kapitän traf bei uns ein; er war noch ein sehr junger Mann und hatte nie zuvor ein Schiff befehligt. Sein Benehmen als Leutnant war wohl bekannt und nicht sehr befriedigend, denn er hatte sich als ein barscher und ungefälliger Offizier gezeigt; da er jedoch nie erster Leutnant gewesen war, so konnte man durchaus noch nicht sagen, wie er sich als Befehlshaber eines Schiffes anlassen werde. Wir waren übrigens gleichwohl ein wenig besorgt darüber, und bedauerten den Verlust O'Briens ernstlich.
Er kam an Bord des Holks, auf dem unsere Schiffsmannschaft hinübergebracht worden war, und verlas da seine Ernennung. Er schien nun ein sehr gesprächiger, herablassender und gutmütiger Mann zu sein. Gegen mich war er besonders artig und sagte, er wolle sich in meine Führung des Dienstes nicht einmengen, da ich ja so gut mit der Schiffsmannschaft bekannt sein müsse. Wir glaubten jetzt, daß diejenigen, von denen uns ein Bericht über seinen Charakter gegeben worden war, entweder aus Vorurteil gesprochen, oder aber ihn falsch beurteilt haben mußten. Während der halben Stunde, die er an Bord verblieb, sagte ich ihm, da nun die Brigg in der Werft sei, so wünschte ich sehr, eine Gelegenheit zum Besuche meiner Verwandten zu bekommen, falls er mein Urlaubsgesuch genehmige.
Sehr freundlich gestand er das zu, und fügte noch das Versprechen bei, daß er diesen Urlaub auf seine eigene Verantwortlichkeit verlängern wolle. Mein Schreiben an die Admiralität wurde durch ihn befördert und mir eine willfährige Antwort zu teil. Tags darauf reiste ich zu Wagen ab und lag einen Tag später in den Armen meiner teuren Schwester.
Nachdem die ersten Beglückwünschungen vorüber waren, fragte ich nach meinem Vater; sie antwortete mir, er sei so ungestüm, daß niemand mit ihm verkehren könne. Er sei schwermütig und reizbar zugleich, und jedenfalls im Geiste verwirrt, denn einmal bilde er sich ein, aus verschiedenen Bestandteilen gemacht zu sein, und ein andermal glaube er, einen gewissen Handel zu treiben oder eine gewisse Stelle zu besitzen. In diesem Zustande bleibe er gewöhnlich vier oder fünf Tage, dann gehe er zu Bette, schlafe vierundzwanzig Stunden oder noch länger, und erwache mit irgend einer andern wunderlichen Einbildung im Kopfe. Seine Sprache sei sehr heftig, übrigens scheine er sonst sich eher vor andern Leuten zu fürchten, als geneigt Schaden anzurichten, und mit jedem Tage werde er sonderbarer und lächerlicher. Er sei gerade von einer seiner langen Schlafpartieen aufgestanden und befinde sich jetzt in seinem Arbeitszimmer; vor seinem Einschlafen habe er sich für einen Zimmermann gehalten und mehrere Stücke des Hausgeräts zusammengehauen und zersägt.
Ich ging von meiner Schwester fort, um nach meinem Vater zu sehen, und traf ihn auch in seinem Lehnstuhle sitzend. Sein Äußeres erschreckte mich sehr. Er war dünn und abgemagert, sein Auge rollte wild umher und seinen Mund hielt er fortwährend geöffnet. Eine Krankenwärterin, die meine Schwester gedungen hatte, stand neben ihm.
»Pst, pst, pst!« schrie mein Vater, »was könnt Ihr altes einfältiges Weibsbild wissen, wie's in meinem Innern aussieht? Ich sage Euch, das Gras erzeugt sich schnell, und selbst jetzt kann ich mich kaum auf meinem Stuhle halten, ich werde in die Höhe gehoben – jetzt in die Höhe gehoben; und wenn Ihr mich nicht mit Stricken festbindet, so werde ich aufsteigen wie ein Luftballon.«
»In der That, Sir«, erwiderte die Frau, »'s ist nur der Wind in Ihrem Magen; Sie werden ihm gleich Luft machen.«
»Entzündbares Gas ist's, Ihr alte Hekate! – ich weiß, das ist's. Sagt mir nur, wollt Ihr einen Strick nehmen oder nicht? Ha! wer ist das! – Peter? Wie? bist Du aus den Wolken gefallen, gerade zur rechten Zeit, um mich in dieselben hinaufsteigen zu sehen?«
»Ich hoffe, Sie fühlen sich jetzt besser, Sir«, sagte ich.
»Ich fühle mich mit jeder Minute um ein Gutes leichter. Nimm einen Strick, Peter, und binde mich an einem Tischfuße fest.«
Ich versuchte ihm beizubringen, daß er sich im Irrtume befinde, aber das war nutzlos. Er wurde ausnehmend heftig und sagte, ich wünschte ihn in den Himmel. Da ich gehört hatte, es sei besser, die Launen derjenigen, welche an Hypochondrie leiden (was offenbar die Krankheit meines Vaters war), zu befriedigen, so versuchte auch ich diesen Weg.
»Es scheint mir, Sir«, sagte ich, »wenn wir das Gas alle zehn Minuten fortschaffen könnten, so wäre das höchst zweckmäßig.«
»Ja – aber wie?« entgegnete er, sein Haupt wehmütig schüttelnd.
»Nun ja, mit einer Spritze, Sir«, sagte ich, »die man, wenn sie leer ist, in den Mund hineinsteckt, und so kann das Gas ausgezogen werden.«
»Mein lieber Peter, Du hast mir das Leben gerettet«, antwortete mein Vater; »sei übrigens schnell, sonst werde ich gerade durch die Decke hinaufgehen.«
Glücklicherweise war ein derartiges Instrument im Hause; ich setzte es an seinen Mund, zog den Stempel auf, ließ dann die Luft hinaus und setzte aufs neue an. In zwei Minuten erklärte er, daß er sich viel besser befinde; ich ließ nun die alte Wärterin mit dem Auspumpen fortfahren. Ich ging wieder zu meiner Schwester und erzählte ihr das Vorgefallene, aber wir konnten nicht darüber lachen, obgleich es uns, wenn es einer uns nicht näher stehenden Person begegnet wäre, viel Spaß gemacht hätte. Der Gedanke, sie bald wieder verlassen zu müssen – da ich nur auf vierzehn Tage Urlaub hatte – und sie durch meines Vaters unglückliche Krankheit so geplagt zu wissen, war höchst niederschlagend. Wir ließen uns nun in ein langes Gespräch ein, worin ich ihr meine Erlebnisse seit unserem letzten Beisammensein erzählte, und so vergaßen wir für den Augenblick die Quelle unseres Grams und Kummers. Drei Tage lang ließ mein Vater von der alten Frau das Gas aus dem Leibe pumpen, dann fiel er wieder in seinen festen Schlaf, der beinahe dreißig Stunden dauerte.
Als er erwachte, ging ich wieder zu ihm. Es war acht Uhr abends und ich trat mit einem Lichte in der Hand ins Zimmer.
»Nimm's weg – schnell, nimm's weg, lösch' es sorgfältig aus.«
»Nun, weshalb denn, Sir?«
»Komm mir nicht zu nahe, wenn Du mich lieb hast, komm' mir nicht zu nahe. Lösch' es aus, sage ich – lösch' es aus.«
Ich befolgte seine Befehle und befragte ihn sodann um den Grund.
»Grund?« sagte er, als wir uns jetzt im Dunkeln befanden, »kannst Du nicht sehen?«
»Nein, Vater, im Dunkeln kann ich nichts sehen.«
»Nun ja, Peter, so will ich Dir sagen, ich bin ein Magazin voll Schießpulver; der kleinste Funken von der Welt und ich fliege auf, bedenke doch diese Gefahr. Du willst gewiß nicht das Verderben Deines Vaters sein, Peter?« und damit brach der arme alte Mann in Thränen aus und weinte wie ein Kind.
Ich wußte, daß es vergebliche Mühe war, mit ihm darüber zu rechten, und sagte deshalb: »Mein lieber Vater, wenn wir am Bord eines Schiffes einer derartigen Gefahr ausgesetzt sind, überschwemmen wir stets das Magazin. Wenn Sie jetzt eine große Menge Wasser trinken wollten, würde das Pulver verdorben werden und keine Gefahr mehr da sein.«
Mein Vater war sehr befriedigt von diesem Vorschlage und trank jede halbe Stunde einen Becher voll Wasser, den ihm die alte Wärterin, so oft er danach verlangte, schleunigst bringen mußte. Damit beruhigte er sich drei oder vier Tage, die ich in Gesellschaft meiner lieben Schwester Ellen zubrachte; dann fiel er wieder in seinen Zustand der Betäubung, und wir waren gespannt, was er nun zunächst für eine Wahnvorstellung haben werde. Ich wurde plötzlich von der Wärterin gerufen, und traf meinen armen Vater, im Bette liegend und auf eine höchst sonderbare Art atmend.
»Was ist's mit Ihnen, mein lieber Vater?« fragte ich.
»Wie, siehst Du nicht, was mit mir ist? Wie kann ein kleines, neugeborenes Kind leben, wenn seine Mutter nicht bei ihm ist, es zu säugen und es abzuwarten?«
»Im Ernste, Sir, wollen Sie damit sagen, daß Sie eben geboren seien?«
»Allerdings. Ich sterbe, wenn ich die Brust nicht bekomme.«
Dies war nun doch zu abgeschmackt, aber ich antwortete ernsthaft: »Das sei allerdings ganz richtig: unglücklicherweise jedoch sei seine Mutter im Kindbett gestorben, und das einzige Mittel bleibe also, ihn künstlich aufzuziehen.«
Er stimmte mir vollkommen bei. Ich ließ nun die Wärterin etwas Haferschleim mit Branntwein kochen und ihm das eingeben; dies geschah, und er nahm das Getränk, als ob er ein kleiner Knabe wäre.
Diese Grille dauerte wenigstens sechs Tage, denn er legte sich zu Bette, weil Säuglinge viel zu schlafen pflegen, und ich hoffte, es würde noch viel länger währen, aber er verfiel wieder in seinen lethargischen Zustand, und erwachte nach einem langen Schlafe mit einer neuen Grille. Meine Zeit war nun beinahe abgelaufen, und ich hatte meinem neuen Kapitän um eine Verlängerung des Urlaubs geschrieben, erhielt aber die Antwort, daß dies nicht gestattet werden könne, und ich mich schleunigst auf meiner Brigg einzufinden habe.
Ich war sehr erstaunt darüber, aber natürlich genötigt, Folge zu leisten; ich nahm also Abschied von meiner lieben Schwester und eilte Portsmouth zu. Ich riet ihr, den Grillen meines Vaters nachzugeben, und dies that sie auch; aber sie waren bisweilen von der Art, daß es den erfindungsreichsten Kopf in Verlegenheit gesetzt hätte, sie zu bekämpfen, oder das Heilmittel auszufinden, das er gelten lassen mochte. Seine Gesundheit wurde immer schlechter, und seine Konstitution sichtlich durch ein schleichendes körperliches und geistiges Fieber untergraben. Die Lage meiner armen Schwester war eine sehr unglückliche, und ich muß sagen, daß ich sie mit melancholischen Ahnungen verließ.
Hier habe ich auch noch zu bemerken, daß man mir mein ganzes Prisengeld ausbezahlt hatte; es belief sich auf fünfzehnhundert Pfund Sterling, eine große Summe für einen Leutnant. Ich legte es in den öffentlichen Fonds an, und gab Ellen eine gerichtliche Vollmacht mit der Bitte, sich dieses Geldes als ihres eigenen zu bedienen. Wir berieten uns auch darüber, was zu geschehen habe, wenn mein Vater sterben sollte, und kamen dahin überein, daß alle seine Schulden, die sich, wie wir wußten, auf drei- oder vierhundert Pfund beliefen, bezahlt werden sollten, – ferner, daß meine Schwester mit dem, was von dem Erlös aus dem Besitztum meines Vaters übrig bliebe, und den Zinsen meines Beutegeldes auszukommen suchen müsse.