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Wir erhalten Ordre zum Auslaufen und sonstige Befehle jeder Art. – Ein Geräusch auf dem Hinterdeck. – Der Horcher an der Wand hört stets die eig'ne Schand.
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Bei meiner Ankunft in Portsmouth meldete ich mich dem Kapitän, der in einem Gasthofe wohnte. Ich wurde in sein Zimmer geführt, wo ich auf ihn warten mußte, da er sich gerade ankleidete, um beim Admiral zu speisen. Meine Blicke richteten sich natürlich nach den auf dem Tische umherliegenden Gegenständen, weniger aus einem Gefühl der Neugierde, als infolge des einfachen Wunsches, mir die Zeit zu vertreiben; und da sah ich zu meinem Erstaunen einen Haufen Briefe liegen, von denen der oberste das Frankozeichen des Lord Privilege führte. Dies nun konnte freilich zufällig sein, aber meine Neugierde war einmal erregt; ich hob deshalb den Brief auf und fand, daß der zweite, dritte und in der That wenigstens zehn dieser Briefe das Frankozeichen meines Oheims trugen. Ich konnte mir nicht denken, was für eine Vertraulichkeit zwischen beiden herrsche, und dachte gerade darüber nach, als Kapitän Hawkins – so hieß er nämlich – ins Zimmer hereintrat. Er war sehr gütig und höflich gegen mich, und entschuldigte sich, daß es ihm nicht möglich gewesen sei, meinen Urlaub zu verlängern, weil er, wie er sagte, sich mit dem Admiral darüber besprochen habe, und dieser die Abwesenheit des ersten Leutnants nicht gebilligt, auch meine schleunigste Zurückberufung aufs entschiedenste verlangt hätte. Damit war ich zufriedengestellt; er drückte mir die Hand und wir trennten uns.
Unsere Brigg war fortwährend auf der Werft, und ich begab mich also an Bord des erwähnten »Holks«, wo ich von meinen Gefährten aufs herzlichste empfangen wurde. Sie sagten mir, der Kapitän sei im ganzen genommen sehr höflich geworden, bisweilen sei jedoch der Pferdefuß zum Vorschein gekommen.
»Webster«, sagte ich zum zweiten Leutnant, »wissen Sie etwas über seine Familie oder Verbindungen?«
»Diese Frage habe ich auch schon an solche gerichtet, die früher mit ihm gefahren sind; alle sagen, er habe nie von seiner eigenen Familie gesprochen, sich aber sehr oft mit seiner vertraulichen Bekanntschaft mit dem Adel gebrüstet. Einige sagen, er sei ein Ableger von irgend einem vornehmen Manne.«
Dies machte mich sehr nachdenklich, und wenn ich es in Verbindung brachte mit den vielen Frankobriefen des Lord Privilege, die ich auf dem Tische gesehen hatte, so bekam ich mancherlei üble Ahnungen: indessen war mir bewußt, daß ich meinen Dienst kannte und also niemand zu fürchten brauchte. Ich beschloß bei mir selbst, mich in allem streng vorschriftsmäßig zu benehmen, und so jedem unmöglich zu machen, mir irgend etwas zur Last zu legen; dann dachte ich nicht weiter über den Gegenstand nach.
Die Brigg war jetzt ausgebessert und von der Werft gebracht; ich hatte daher einige Tage vollauf zu thun, dieselbe segelfertig zu machen. Ich kam nie von ihr fort, und hatte auch in der That gar keinen Wunsch dazu. An schlechter Gesellschaft und mitternächtlichen Orgien fand ich von jeher durchaus keinen Geschmack, und unter dem achtbaren Teile der Bewohner von Portsmouth erfreute ich mich keiner Bekanntschaft. Endlich wurde die Schiffsmannschaft auf die Brigg hinübergebracht; wir fuhren aus dem Hafen und ankerten vor Spithead.
Kapitän Hawkins kam an Bord und gab mir ein Befehlbuch mit den Worten: »Herr Simpel, ich habe einen großen Widerwillen gegen geschriebene Befehle, weil ich der Ansicht bin, daß die Kriegsartikel völlig hinreichend sind, um auf einem Schiffe die Ordnung zu erhalten. Inzwischen ist ein Kapitän in einer höchst verantwortlichen Lage, und wenn irgend ein Zufall eintritt, so wird eben er zur Rechenschaft gezogen. Ich habe deshalb einige eigene Befehle für den innern Dienst des Schiffes entworfen, die mich wahrscheinlicherweise rückenfrei stellen dürften, im Falle ich einmal ›über die Kohlen geholt‹ werden sollte – keineswegs in der Absicht, die Behaglichkeit der Offiziere zu stören, sondern einzig deshalb, um mich gegen jeden Unfall zu schützen, der mir zur Last gelegt werden könnte.«
Ich nahm das Befehlbuch in Empfang und der Kapitän ging ans Land zurück. Ich begab mich in die Konstabelkammer hinab, um es zu durchlesen, und da sah ich gleich, daß die strenge Befolgung dieser Befehle jedem Offiziere des Schiffes große Unbehaglichkeit bereiten müßte, während hingegen im Falle der Nichtbefolgung ich der verantwortliche Teil sein würde. Ich zeigte das Befehlbuch dem Leutnant Webster; dieser stimmte mir vollkommen bei, und äußerte sich dahin, daß des Kapitäns gutmütiges und liebenswürdiges Benehmen nur Verstellung gewesen sei, und daß er im Sinne habe, uns seine Gewalt fühlen zu lassen, sobald es ihm nur möglich wäre. Ich berief deshalb alle Offiziere des Schiffes zusammen und teilte ihnen meine Ansicht mit; Webster unterstützte meinen Vortrag, und es wurde einstimmig beschlossen, die Befehle zu befolgen, jedoch nicht ohne eine Gegenvorstellung zu machen.
Der größere Teil der Befehle bezog sich übrigens nur auf die Zeit, welche die Brigg im Hafen zubrachte, und da wir im Begriffe standen in See zu gehen, so war es kaum der Mühe wert, jetzt etwas darüber zu sagen. Der Befehl zum Auslaufen traf ein, und mit derselben Post erhielt ich ein Schreiben von meiner Schwester Ellen, worin sie mir anzeigte, daß sie durch den Kapitän Fielding in den Besitz von Nachrichten gekommen sei; dieser habe nämlich unverzüglich nach Bombay, dem Stationsort des Regiments, geschrieben, aber die Antwort erhalten, daß kein verheirateter Soldat Namens Sullivan in dem Regimente diene, und auch keine verheiratete Frau dieses Namens dem Regimente gefolgt sei. Dies setzte nun auf einmal allen unsern Nachforschungen nach der Säugamme, die in meines Oheims Hause niedergekommen war, ein Ende. Es war durchaus nicht möglich, zu erfahren, wohin sie geschickt worden sein mochte, und ich verzichtete auf jede Aussicht, den Betrug meines Oheims entdecken zu können. Als ich daher an Celeste gedachte, seufzte ich bei dem kleinen Reste von Hoffnung, die mir noch blieb, je mit ihr vereinigt zu werden. Ich schrieb einen langen Brief an O'Brien, und am andern Tage segelten wir auf unsere Station in der Nordsee ab.
Der Kapitän fügte jetzt dem ersten noch ein weiteres, ein Nacht-Ordrebuch bei, das er jeden Abend heraufsandte, und das ihm morgens, mit der Unterschrift der sämtlichen Offiziere der Nachtwache versehen, wieder zugestellt werden sollte. Auch verlangte er, daß wir alle sein allgemeines Befehlbuch unterschreiben sollten, damit wir ja nicht sagen könnten, wir hätten dasselbe nicht gelesen. Ich hatte die erste Wache und Swinburne kam zu mir mit den Worten:
»Ach, Herr Simpel, ich glaube nicht, daß wir bei unserem Kapitänstausch viel gewonnen haben, und ich habe so 'ne schlimme Ahnung, daß wir in nächster Zeit Windstöße bekommen werden.«
»Wir müssen nicht zu schnell urteilen, Swinburne«, antwortete ich.
»Nein, nein – das sag' ich auch nicht; aber man muß in der Welt doch immer 'n bißchen nach dem Aussehen und den Blicken der Leute urteilen, und darüber bin ich ganz gewiß – sein Blick und Aussehen würde ihm nicht weit helfen. Er ist g'rad wie ein Wintertag, kurz und schmutzig; und auf dem Verdeck läuft er herum, als ob die Planken nicht gut genug wären für seine Füße. Herr William sagt, er sehe aus, als ob er ›schwanger ginge mit dem Geschicke von Cato und Rom‹; was das heißt, weiß ich nicht – denk' aber, 's wird ein Scherz sein, denn die jungen Leute spaßen immer gerne. Waren Sie schon einmal in der Ostsee, Herr Simpel? Ach nein, ich besinne mich eben, Sie sind noch nie dort gewesen; ich habe dort manchem harten Kampfe mit den Kanonenbooten beigewohnt, und dazu würden wir jetzt auch kommen, wenn O'Brien unser Kapitän wäre; aber bei diesem kleinen Männchen da, glaube ich, wird's mehr Worte als Arbeit absetzen.«
»Sie scheinen eine sehr große Abneigung gegen unsern Kapitän zu haben, Swinburne. Ich weiß nicht, ob ich Sie als erster Leutnant anhören darf.«
»Gerade weil Sie erster Leutnant sind, sage ich's Ihnen, Herr Simpel. Ich habe mich, im ganzen genommen, noch nie in eines Offiziers Charakter geirrt, wenn ich ihm ins Gesicht sehen und ihn eine halbe Stunde sprechen hören konnte; und ich kam in der Absicht herauf, Ihnen zu sagen, daß Sie auf Ihrer Hut sein möchten: denn ich fühle mich überzeugt, daß er gegen Sie Böses im Schilde führt. Was beabsichtigt er damit, daß er den Marinesergeanten mit seinem schmierigen Gesichte jeden Morgen eine halbe Stunde in der Kajütte bei sich hat? Seine Rapporte als Waffenmeister müßten eigentlich durch Sie, da Sie erster Leutnant sind, an den Kapitän gelangen; aber dieser gedenkt ihn als Spion gegen alle und gegen Sie insbesondere zu gebrauchen. Der Kerl hat auch schon angefangen, sich ein patziges Ansehen zu geben, und spricht zu den jungen Gentlemen, als ob sie ihm untergeordnet wären. Ich dachte, Sie wüßten es vielleicht nicht, und darum hielt ich für gut, es Ihnen zu sagen.«
»Ich bin Ihnen sehr verbunden, Swinburne, für Ihre freundlichen Gesinnungen; aber ich bin meinem Dienst gewachsen, und wie sollte ich da irgend etwas zu befürchten haben?«
»Ein Mann mag seinem Dienste noch so gut nachkommen, Herr Simpel, wenn einmal ein Kapitän die Absicht hat, ihn ins Verderben zu stürzen, so hat er auch die Macht dazu. Ich bin länger im Dienste als Sie, und habe stets die Augen offen gehalten: seien Sie nur auf Eines bedacht, Herr Simpel; – verzeihen Sie, daß ich so frei spreche, aber verlieren Sie ja Ihre Ruhe nie.«
»Das ist nicht zu befürchten, Swinburne«, antwortete ich.
»'s ist leicht gesagt, ›das ist nicht zu befürchten‹, aber bedenken Sie, Herr Simpel, daß Ihre Gemütsruhe sich noch nicht so erprobt hat, wie bei andern Offizieren. Sie sind immer als ein Gentleman behandelt worden; wenn Sie sich aber einmal anders behandelt sehen, so haben Sie zu gutes Blut in Ihren Adern, als daß Sie nicht auch ein Wort sprechen wollten – davon bin ich überzeugt. Ich habe mit angesehen, wie Offiziere bis zu solchem Grade beschimpft und gereizt wurden, daß kein Engel die Behandlung hätte aushalten können – und dann, wegen eines einzigen unvorsichtigen Wortes, dessen Zurückhaltung nur Tröpfen möglich gewesen wäre, wurden sie aus dem Dienste entlassen und zum Teufel gejagt.«
»Aber Sie vergessen, Swinburne, daß die Kriegsartikel so gut für den Kapitän als für jeden sonstigen Mann auf dem Schiffe gemacht sind.«
»Ich kenne das; aber gleichwohl machen bei einem Kriegsgerichte die Kapitäne einen großen Unterschied zwischen dem, was ein Vorgesetzter zu einem Untergebenen und dem, was ein Untergebener zu seinem Vorgesetzten sagt.«
»Ganz richtig«, antwortete ich, Shakspeare's Worte zitierend:
»Beim Kapitän heißt nur cholerisch Wort,
Was beim Soldaten krasse Meuterei.«
»Ganz meine Meinung – glaube ich fast«, sagte Swinburne; »wenn ein Kapitän Ihnen sagt, Sie seien kein Gentleman, so dürfen Sie ihm nicht das gleiche sagen.«
»Allerdings nicht«, antwortete ich, »aber ich kann ein Kriegsgericht verlangen.«
»Ja, das wird man Ihnen zugestehen, aber was werden Sie dabei gewinnen? 's ist gerade so als gegen heftigen Wind und eine Leeströmung anfahren – unter tausend Fällen werden Sie gewiß nur einmal den Hafen erreichen; und selbst dann ist Ihr Fahrzeug in Stücke zerschlagen, die Segel sind so dünn geworden wie eine Zeitung, das Takelwerk ist halb durchgerieben und muß neu gesetzt werden; aber der Befehl zur Ausbesserung trifft nicht ein, und in der Regel bleiben Sie für den Rest Ihrer Lebenszeit beiseite gelegt. Nein, mein Herr Simpel, das beste ist, zu grinsen und es zu ertragen, dabei aber scharf aufzupassen; denn, verlassen Sie sich darauf, Herr Simpel, auch unter der besten Schiffsmannschaft der Welt findet ein spionierender Kapitän immer seine spionierenden Helfer.«
»Beziehen Sie diese Bemerkung auf mich, Herr Swinburne?« sagte eine Stimme unter dem Bollwerk. Ich drehte mich verwundert um und sah den Kapitän, der während unseres Gespräches unbemerkt auf das Verdeck heraufgeschlichen war.
Swinburne antwortete nicht, sondern lüpfte seinen Hut und ging auf die Leeseite hinüber.
»Ich vermute, Herr Simpel«, sagte der Kapitän, sich gegen mich wendend, »daß Sie sich für berechtigt halten, über Ihren Kapitän abfällige Bemerkungen zu machen und ihn gegen einen untergeordneten Offizier auf Seiner Majestät Hinterdeck herabzusetzen.«
»Wenn Sie das vorhergehende Gespräch angehört haben, Sir«, erwiderte ich, »so müssen Sie wissen, daß wir von Kriegsgerichten im allgemeinen sprachen, und ich denke mich keines Vergehens dadurch schuldig gemacht zu haben, daß ich mit einem Offizier über Gegenstände, die sich auf den Dienst beziehen, sprach.«
»Sie wollen also behaupten, Sir, daß der Feuerwerker die Worte ›spionierender Kapitän‹ nicht auf mich bezog?«
»Ich gebe zu, Sir, daß Ihnen, der Sie unbemerkt zuhörten, der Ausdruck als auf Sie bezüglich erscheinen konnte; aber der Feuerwerker dachte damals nicht im entferntesten daran, daß Sie uns zuhorchten. Seine Bemerkung war die, daß ein spionierender Kapitän immer seine spionierenden Helfer finden würde. Dies nahm ich nur als eine allgemeine Bemerkung auf, und bedaure, wenn Sie darüber anderer Ansicht sind.«
»Ganz schön, Herr Simpel«, sagte Kapitän Hawkins – und ging die Leiter hinab in seine Kajütte.
»Nun, ist's nicht sonderbar, Herr Simpel, daß ich heraufkam, in der Absicht, Ihnen einen Dienst zu leisten, und Sie jetzt in eine solche Brühe bringen mußte? Übrigens ist's vielleicht so am besten; offener Krieg ist immer dem Auflauern im Dunkeln und meuchelmörderischen Dolchen vorzuziehen. Er hatte durchaus nicht im Sinne seine Flagge zu zeigen; aber ich traf ihn so fest, daß er sich selbst vergaß.«
»Ich argwöhne, daß es so ist, Swinburne, glaube aber, Sie würden besser daran thun, diese Nacht gar nicht mehr mit mir zu reden.«
»Wollte nur, ich hätte nicht ganz soviel gesprochen, da die Dinge nun eine solche Wendung genommen haben«, erwiderte Swinburne. »Gute Nacht, Sir.«
Ich dachte über das Vorgefallene nach und fühlte mich in meinem Innern überzeugt, daß Swinburne mit Recht bemerkte, es sei besser, daß es so gekommen sei, als wenn es anders gewesen wäre. Nun kannte ich den Boden, auf dem ich stand, und vorgewarnt war vorgerüstet.