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Elftes Kapitel.

Peter kommt um sein Kommando, weil sein Schiff umschlägt. – Fahrt auf dem großen Mast mit einem Haifisch im Gefolge. – Peter und seine Leute werden nebst einem Haufen fliegender Fische an Bord eines Negerbootes genommen. – Der Held der Erzählung regeneriert sich, indem er einen neuen äußern Menschen anzieht.

—————

 

Wir steuerten unter einer sehr leichten Kühlte auf Barbadoes zu, ohne ein weiteres Abenteuer zu erleben, und ich ging in die Kajütte hinunter, getroster Hoffnung, noch vor dem Frühstück des nächsten Morgens ankern zu können. Es dämmerte eben, als ich fühlte, daß ich aus meinem Bette nach der andern Seite der Kajütte aufs Deck flog; zugleich vernahm ich ein Rauschen von Wasser. Ich merkte hieraus, daß der Schooner auf der Seite lag, sprang auf und erreichte das Verdeck. Meine Vermutung erwies sich richtig, denn der Schooner war durch eine sogenannte weiße Bö umgestürzt worden und mußte in ein paar Minuten sinken. Die ganze Mannschaft war auf dem Deck versammelt, einige angekleidet, andere, wie ich selbst, in ihren Hemden. Swinburne stand hinten; er hatte ein Beil in seiner Hand und zerhieb das Takelwerk des großen Mastes. Ich sah, was er im Schilde führte, ergriff gleichfalls eine Axt und löste die Kinnkabel und die kleine Kardeele des Mastes ab. Wir hatten keine andere Wahl, denn unser einziges Boot, das an der Leeseite aufgehißt war, lag unter Wasser. All dies war jedoch nur das Werk zweier Minuten, und ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren, an was für Kleinigkeiten nicht oft die Rettung oder der Verlust eines Menschenlebens hängt. Hätte die Axt nicht glücklicherweise bei der Spille gelegen, so wäre es mir nicht möglich gewesen, die Kinnkabel zu zerhauen; Swinburne wäre allein nicht fertig geworden, und der Hauptmast hätte mit dem Schooner versinken müssen. Zum Glück hatten wir ihn jetzt losgemacht. Der Schooner füllte sich, stieg in die Höhe und sank dann, uns und den großen Mast für einige Augenblicke in seinen Wirbel hinabreißend; dann aber kamen wir wieder auf die Oberfläche.

Die Bö dauerte noch immer fort, aber das Wasser war glatt. Nachdem sie ausgetobt, was nicht lange währte, trat wieder fast völlige Windstille ein. Ich zählte die Matrosen, die an dem Maste hingen, und fand, daß ich keinen verloren hatte. Swinburne war am nächsten bei mir. Er hielt sich mit der einen Hand, während er mit der andern in seiner Tasche nach Kautabak suchte, den er sodann in seine Backen steckte.

»Ich war gerade nicht auf dem Decke, Herr Simpel«, sagte er, »sonst wäre dies nicht passiert. Die Ablösungsmannschaft war aufgezogen und ich sagte Collins, er solle scharf nach Böen auslugen. Dies sag' ich übrigens bloß, damit Sie nicht denken mögen, ich habe meine Pflicht vernachlässigt, wenn Sie davon kommen und ich zu Grunde gehe. Wir sind zwar nicht weit vom Lande, indessen halte ich's für wahrscheinlich, daß wir eher mit einem Haifische als mit einem Freunde zusammentreffen.«

Dies waren allerdings auch meine eigenen Gedanken gewesen, obschon ich sie nicht offenbaren mochte. Nachdem aber Swinburne des Haifisches erwähnt hatte, sah ich sehr oft über den Meeresspiegel hin, ob sich keine Finnen zeigten, und ins Wasser hinunter, ob nicht eine derartige Bestie herankomme, um uns in Stücke zu zerreißen. Es war ein schreckliches Gefühl.

»Ich weiß wohl, daß es nicht Ihre Schuld war, Swinburne. Ich hätte Sie selbst ablösen sollen; aber weil ich die erste Wache gehalten, war ich müde. Wir müssen unser Vertrauen auf Gott setzen: vielleicht werden wir noch gerettet.«

Die Windstille hielt an und die Sonne hatte sich hoch am Himmel erhoben; ihre Strahlen brannten sengend auf unsere Köpfe, da wir keine Hüte hatten, uns zu schützen. Mein Gehirn glühte wie Feuer, und ich fühlte mich fast geneigt, tief unter den Wellen Kühlung gegen die unerträgliche Hitze zu suchen. Mit dem Vorrücken des Tages nahmen auch unsere Leiden zu. Kein Lüftchen wehte und die Sonne stand senkrecht über uns, im buchstäblichen Sinne des Wortes den Teil unserer Körper bratend, der sich über Wasser erhob. Sogar ein Hai wäre mir willkommen gewesen, der mich meiner Qual überhoben hätte. Aber ich dachte an Celeste und klammerte mich ans Leben. Gegen Mittag wurde mir übel und schwindlig. Meine Entschlossenheit wich und das Licht der Augen verging mir. Da weckte mich mit einem Male Swinburne, indem er rief:

»Beim Allmächtigen, ein Boot! Haltet euch noch ein bißchen, ihr Leute, und ihr seid gerettet!«

Es war ein Boot, mit Negern angefüllt, das herausgekommen war, um fliegende Fische zu fangen. Sie hatten den Mast auf dem Wasser bemerkt und eilten hinzu, um sich die Prise zu sichern. Sie zogen uns ans Boot, reichten uns Wasser, das uns wie Nektar vorkam, und riefen uns so wieder ins Leben. Den Mast machten sie fest und schleppten ihn landwärts. Wir waren noch keine zehn Minuten auf dem Wege, als Swinburne auf die Finnen eines großen Haifisches deutete, der über dem Wasser hervorragte.

»Sehen Sie dorthin, Herr Simpel«, sagte er.

Ich schauderte und gab keine Antwort, dankte aber Gott aus dem Grunde meines Herzens.

Nach zwei Stunden landeten wir, waren aber zu unwohl, um gehen zu können. Man führte uns nach dem Hospital, ließ uns Blut ab und legte uns in Hängematten. Ich litt an einem Hirnfieber, das sechs oder sieben Tage anhielt, und während dieser ganzen Zeit kam O'Brien nicht von meinem Bette. Der Kopf wurde mir abgeschoren und die Oberhaut meines Gesichtes fiel wie eine Maske ab; ein Gleiches war mit meinem Rücken und meinen Schultern der Fall. Man setzte uns in Bäder von mit Branntwein gemischtem Wasser, und in drei Wochen waren wir alle wieder hergestellt.

»Das war ein Unglücksschooner vom Anfang bis zum Ende«, bemerkte O'Brien, nachdem ich ihm die Erlebnisse während meines Kreuzzuges erzählt hatte. »Schon bei der ersten Bekanntschaft kam er uns übel zu statten und sein Ende war ein entsprechendes. Er ist gesunken und der Teufel mag mit ihm gehen; indessen, Ende gut, alles gut, und Du, Peter, bist noch immer ein Dutzend Leichen wert. Aber wahrhaftig, Du machst mir viel Angst und Sorge, und ich zweifle sehr, ob ich Dich je durchbringen kann.«

Ich kehrte zu meinem Dienst auf der Brigg zurück, die jetzt nahezu segelfertig war. Eines Morgens kam O'Brien an Bord und sagte: »Peter, ich habe ein Stück Neuigkeit für Dich. Unser Geschützmeister ist auf den Araxes versetzt, und der Admiral hat mir eine Konstablerbestallung für den alten Swinburne ausgestellt. Laß ihn aufs Deck kommen.«

Swinburne wurde gerufen und wälzte sich die Luke herauf.

»Swinburne«, redete ihn O'Brien an, »Sie haben Ihren Dienst gut verrichtet und sind jetzt Konstabler auf der Klapperschlange. Hier ist Ihre Bestallung, und es freut mich, daß ich sie Ihnen auswirken konnte.«

Swinburne wälzte seinen Kautabak im Munde umher, und versetzte sodann:

»Darf ich so frei sein, zu fragen, Kapitän O'Brien, ob ich einen von denen langgestreckten, schwalbenschwänzigen Fräcken tragen muß? – von wegen, wenn das wäre, so wollt' ich lieber Quartiermeister bleiben.«

»Ein Konstabler kann, wenn er will, auch eine Jacke tragen, Swinburne. Haben Sie dann Lust dazu, so können Sie, wenn Sie ans Land gehen, sich den Schwalbenschwanz anheften.«

»Gut, Sir; dann, wenn das der Fall ist, will ich die Bestallung annehmen, von wegen, weil ich weiß, daß meine Alte eine Freude daran haben wird.«

Mit diesen Worten zog Swinburne seine Hosen in die Höhe und begab sich wieder in den Unterraum. Ich muß hier bemerken, daß Swinburne seine runde Jacke forttrug, bis wir in England anlangten; dort aber meinte die »Alte«, nämlich sein Weib, ihrer Würde geschehe ein Eintrag, und er mußte bald im Schwalbenschwanz umhersegeln. Von nun an hatte er jedoch selber auch eine Liebhaberei dafür, und trug ihn immer, ausgenommen wenn er zur See war.

Als ich am nämlichen Abend mit O'Brien von dem Gouverneur, bei dem ich gespeist hatte, zurückkehrte, kamen wir an einem hell erleuchteten Gebäude vorbei.

»Was mag das sein?« bemerkte O'Brien. »Ein Honoratiorenball ist's nicht; denn ich höre keine Musik.«

Unsere Neugierde veranlaßte uns, einzutreten, und wir fanden, daß es ein extemporiertes Gotteshaus war, mit Schwarzen und Farbigen angefüllt, die auf den Bänken umhersaßen, und des Predigers harrten.

»'s ist eine Methodistenversammlung«, sagte ich zu O'Brien.

»Gleichviel«, versetzte er; »wir wollen hören, was hier vorgeht.«

Einen Augenblick nachher trat kein Weißer, sondern, wie wir vermutet hatten, ein stämmiger Neger auf die Kanzel. Er war schwarz gekleidet und sein Haar, das sich natürlich nicht gerade herunter kämmen ließ, in fünf kleine Schwänze geflochten, an deren Enden sich Bleigewichte befanden, wie man dies bisweilen an Pferdemähnen bemerkt. Dadurch gewann er einigermaßen einen geistlichen Anstrich. Sein Hals war offen und der Hemdkragen herausgelegt; an den Handgelenken trug er sehr große, weiße Manschetten und mit der Rechten schwenkte er ein weißes Batisttaschentuch.

»Was für ein Stutzer!« flüsterte O'Brien.

Mich dünkte es fast zu abgeschmackt, als er sagte, er wolle sich die Freiheit nehmen, Gott in der siebzehnten Hymne zu preisen, und alle Anwesenden bitten, in den Chor einzustimmen. Dann sprach er die Verse in der seltsamsten Modulation vor. Nach Beendigung des Liedes, das von der ganzen Gemeinde im entzückendsten Mißklang gesungen wurde, – denn jeder hatte eine andere Tonart, – gab er ein Gebet aus dem Herzen zum besten, das man unglücklicherweise nicht verstehen konnte, endlich begann er seine Predigt über das Thema des Glaubens. Ich will die Einleitung seiner anstößigen Rede übergehen, da sie wohl lächerlich, aber kaum erbaulich sein dürfte. Er erinnerte mich an einen Affen, der den Menschen nachahmte. Was mich aber am meisten amüsierte, war der Schluß, in welchem er seinen Zuhörern bewies, daß es ohne Liebe keinen Glauben gebe. Eine Weile besprach er die Frage im allgemeinen, wurde aber zuletzt persönlich. Wenn ich mich recht entsinne, lauteten seine Worte folgendermaßen:

»Und nun seh Ihr, meine liebe Brüderen, wie unmöglich es ist, mit allen Glauben von der Welt in den Himmel zu gehn ohne Liebe. Liebe will sagen – Hergeben. Gesetzt, Ihr geb nicht her – so hab Ihr nicht Liebe; gesetzt Ihr hab nicht Liebe, – Ihr hab auch nicht Glaube; gesetzt Ihr hab nicht Glauben – so geh Ihr all zur Höll und sei verdammt. Nun denn laß mich seh, ob Ihr hab Liebe. Ihr seh hier, ich komm, zu retten all Euer Seel vom höllisch Feuer, und höllisch Feuer verdammt heiß, kann ich Euch sag. Da brenn Ihr all wie Kohl, bis Ihr sein weiß Pulver, und dann brenn Ihr fort, bis Ihr werd wieder schwarz; und so geht Ihr fort, brenn, brenn, bald weiß, bald schwarz für immer und ebig. Der Teufel nimmer erlaub Sangoren zu kühlen Euer Zung, nein, kein Kokosnußmilch, – nicht ein bißl Tropf Wasser; Teufel will Euch lieber verdammt sehen, eh er's thut. Gesetzt Ihr bitten, er stür im Feuer, und lach. Gut denn, hab Ihr Liebe? Nein, Ihr hab nicht. Du, Quashee, wie Du getrau, mir ins Gesicht zu sehen? Du halt Laden – Du verkauf Eier – Du verkauf Yam – Du verkauf scharf Pfeffer – aber wann gieb Du mir? He? Nie, so mir Gott helf. Gesetzt, Du nicht schick – Du hab nicht Liebe, und Du geh zur Höll. Du schwarz Sambo«, fuhr er fort, auf einen Mann in einer Ecke deutend, »hab sehr schön Boot, geh aus all Tag, fang Fliegfisch, bring ihn heim, brat ihn und verkauf für Geld; aber wann send Du mir? Nicht ein klein Fisch sind je Weg zu mir in Mund. Was ich sag Dir von Peter und Apostel – lauter Fischerleut; gute Männer, geben weg den Armen. Sambo, Du hab nicht Liebe; und gesetzt, Du nicht bereu diese Woch und send ein sehr schön Fisch in Platanlaub, so Du geh zur Höll und brenn für immer und ebig. He! so Du will weglauf, Massa Johnson?« rief er einem anderen zu, der sich nach der Thür hinbohrte; »aber Du lauf nicht weg vor dem höllisch Feuer; wenn Teufel Dich faß, er halt Dich verdammt fest. Du weißt, Du schlacht Schaf und Geiß jede Tag. Du send Klingel durch die ganz Stadt, daß komm Leut zu kauf; aber wann Du send zu mir? Nie, ausgenomm Einmal, da Du mir gab ein klein Stück Leber. Das nicht genug, Massa Johnson; Du hab nicht Liebe – und gesetzt, Du mir nicht schick morgen früh Schafkopf, so hol der Teufel Deine Leber, weiter ich nicht sag. Ich seh noch viel, aber ich seh wie sie leid sein und daß sie woll nicht mehr sündigen. Ich will deshalb sie laß geh und nichts davon sag, weil ich weiß viel Platan und Bananah (auf den einen deutend) und Pomeranz und Pompelnuß (auf einen anderen deutend), und Salzfisch (Wink für einen Vierten) und Ingwer, Brot und Sproßbier (galt einem Fünften) und ein Strohhut (einem Sechsten) und all Ding anders, die morgen komm in mein Haus. So ich sag nichts mehr davon; ich seh, Ihr alle sehr leid – Ihr nur vergeß. Ihr all hab Liebe und alle hab Glaube. So nun, meine liebe Brüderen, thu nieder knie und Gott dank für all dies, doch besonders, daß ich rett all Euer Seel vom Gehen zu Teufel, der um Barbadoes läuft wie ein brüllender Löw, such wen er erwisch und steck in sein verdammt feurig Rachen.«

»Das ist genug, Peter«, sagte O'Brien; »den Rahm davon haben wir, denke ich, schon abgeschöpft.«

Wir verließen den Saal und gingen zum Boot hinab.

»Das sollte denn doch gewiß nicht erlaubt sein, O'Brien«, sagte ich.

»Er ist nicht schlimmer als seine Nachbarn«, entgegnete mir dieser, »und richtet vielleicht das wenigste Unheil an. Die Schlauheit dieses Spitzbuben ist bewunderungswürdig; er winkte seiner Herde, wie man in Irland sagt, mit dem Zaunpfahl.«

»Allerdings, man konnte ihn nicht mißverstehen; aber ist er ein erlaubter Prediger?«

»Sehr wenig Erlaubtes in seiner Predigt, wie mir scheint; ich glaube eher, er hat einen Ruf gehabt.«

»Einen Ruf? – was meinst Du damit?«

»Ich meine, er wünscht seinen Wanst zu füllen; Hunger ist ein Ruf der Natur, Peter.«

»Nach seiner Aufzählung zu urteilen, scheint er sehr viele Dinge zu bedürfen; wie jammerschade, daß dieses arme Volk nicht besser unterrichtet wird.«

»Das wird nie der Fall sein, Peter, so lange, wie man es nennen möchte, nicht freier Handel mit der Religion stattfindet.«

»Du sprichst wie ein Katholik, O'Brien.«

»Ich bin einer«, erwiderte er; und damit endete unser Gespräch; denn wir waren nun zum Boote gekommen, welches an der Bucht unserer harrte.

Am anderen Tage traf ein Kriegsschiff aus England mit Briefen für das auf der Station befindliche Geschwader ein. Ich erhielt zwei Briefe von meiner Schwester Ellen, die mich sehr verstimmten. Sie schrieb mir, mein Vater sei bei meinem Oheim, dem Lord Privilege, gewesen und in Streit mit demselben geraten; und so viel sie hätte über den Vorfall erfahren können, habe mein Vater meinen Oheim geschlagen und sei dann von dessen Dienerschaft zum Hause hinausgeworfen worden. Er sei in einem Zustande großer Aufregung heimgekehrt, und seit der Zeit immer sehr unwohl. In ihrem Briefe sagte sie ferner, es sei viel über diese Geschichte in der Nachbarschaft gesprochen worden; die Leute haben im allgemeinen das Benehmen meines Vater höchlich getadelt und ihn für verrückt gehalten – eine Vermutung, die mein Oheim aufrecht zu erhalten sich ganz besonders bemühe. Auch sprach sie wiederholt ihre Hoffnung auf meine baldige Rückkehr aus. Ich sei nun kaum drei Jahre von Hause weg und sie fühle sich so unbehaglich, als ob ich wenigstens zehn Jahre fort wäre. Auch O'Brien erhielt ein Schreiben von M'Grath, dessen Inhalt ich dem Leser mitteilen will:

 

» Mein lieber Sohn!

Langes Leben und der Segen aller Heiligen sei mit Dir jetzt und für immerdar! Amen. Und mögest Du leben und Dich verheiraten, und möge ich tanzen auf Deiner Hochzeit, und möge es Dir nicht an Kindern mangeln, und mögen sie aufwachsen, so schön als ihr Vater und ihre Mutter (wer sie hernach auch immer sein mag), und mögest Du sterben in einem hohen Alter, und im wahren Glauben, und eine schöne Auferstehung feiern, wie Dein eigener Vater letzten Freitag vor acht Tagen, wo er es sich nämlich in den Kopf gesetzt hatte, diese Welt für eine bessere zu verlassen. Es war ein anständiges Leichenbegängnis, mein lieber Terenz, und Dein Vater muß erfreut darüber gewesen sein, sich so schön nach dem Grabe geleitet zu sehen. Nie gab jemand eine schönere Leiche ab, wenn man in Erwägung zieht, wie alt, dünn und abgemagert er war, und wie sich seine Haare gebleicht hatten. Den Blumenstrauß hielt er zwischen den Fingern über der Brust, so natürlich, als ob er lebte, und er erinnerte uns alle an den gesegneten Heiligen, Papst Gregor, der in die Herrlichkeit einging, einige Jahrhunderte, ehe wir beide, Du und ich, auf die Welt kamen.

Deine Mutter ist ganz wohl, und da sitzt sie in ihrem alten Lehnstuhl, rutscht den ganzen lieben Tag hin und her, und spricht nie ein Wort zu jemand, denn sie denkt nur an den Himmel, wie ich wohl behaupten darf; das ist's auch just, was sie thun muß in Anbetracht, daß sie die allerhübscheste Aussicht hat, im Laufe von einem Monat oder so etwas dorthin zu kommen. Kein Sterbenswörtchen hat sie je seit Deines Vaters Abscheiden gesprochen, aber geschrieen und geweint genug, daß es wenigstens für sieben Jahre hingereicht hätte. Sie hat alle ihre Sinne weggeweint, denn seit der Zeit that sie nichts als husten, husten und an ihren Paternostern herumzerren – eine ganz gesegnete Weise, den Rest ihrer Tage zuzubringen, wenn man annimmt, daß ich mit jeder Minute ihr Abfallen erwarte, wie bei einer überreifen faulenden Birne. Denk also durchaus nicht mehr an sie, mein Sohn, denn wofern Du nicht blitzschnell hierher kommst, wird ihr Leib in geweihten Boden gelegt und ihre glückliche gesegnete Seele im Fegfeuer sein. Pax vobiscum. Amen, Amen.

Und jetzt, nachdem ich Dir so viel zu Deiner Befriedigung über Deinen Vater und Deine Mutter auseinandergesetzt habe, will ich Dir auch sagen, daß Ella's Mutter im Kloster zu Dieppe gestorben ist, aber ob sie ihr Geheimnis mit ins Grab genommen hat oder nicht, ist mir unbekannt; das jedoch weiß ich, daß sie, wenn sie ihre Seele nicht durch die Beichte befreit hat, verdammt ist in alle Ewigkeit. Gott sei Dank und Preis für alle seine Gnaden, Amen. Ella Flannagan ist noch fortwährend am Leben, und befindet sich für eine Nonne so wohl als man erwarten kann. Ich sehe nun auch, daß sie durchaus nichts von der Geschichte weiß hinsichtlich des Austausches der Geschlechter von den Kindern – als das eine, daß ihre Mutter einen Eid abgelegt hat an den Pater O'Toole, der gehenkt, gerädert und gevierteilt werden sollte, anstatt der armen Bursche, die das Gouvernement Rebellen nennt, die aber nicht mehr Rebellen sind, als Pater M'Grath selbst, welcher den Prätendenten (wie sie unseren guten katholischen König heißen) aufrecht erhalten will, so lange noch ein Tropfen Blut in seinem Leib oder ein Tropfen Whiskey in Alt-Irland übrig ist, um sein Wohl damit zu trinken. – Da ich von Pater O'Toole spreche, fällt mir ein, daß der Bischof bis jetzt noch nicht über unseren kleineren Streit entschieden hat, indem er sagt, er müsse sich Zeit nehmen, darüber nachzudenken. Wenn man nun in Erwägung zieht, daß es gerade drei Jahre sind, seit der Spektakel vorfiel, so muß der alte edle Herr ein sehr langsamer Denker sein, wenn er jetzt noch nicht ausgefunden hat, daß ich mich im Recht befinde, und daß Pater O'Toole, die Bestie, das Hängen nicht wert ist.

Deine zwei verheirateten Schwestern sind charakterfeste und fleißige junge Frauen; jede von ihnen hat drei Kinder bekommen, seit Du sie zum letzten Male gesehen hast. Saubere Jungens, jeder Mutter Sohn von ihnen, mit hübschen breiten Gesichtern und merkwürdig großen Mäulern, um ganze Kartoffeln hineinzuschieben. Beim Allmächtigen, die Sprößlinge von dem Stamme O'Briens beginnen gleich Lärmen ins Land zu machen, wie Du sagen würdest, wenn Du sie nur einmal um ihr bißchen Abendessen schreien hörtest.

Und jetzt, mein lieber Sohn Terenz, zum eigentlichen Zwecke dieses Schreibens, welches eben der ist, Dir auf Seele und Gewissen zu binden, ob Du nicht als ein pflichtgetreuer Sohn mir etwas weniges an Geld schicken müßtest, um Deines armen Vaters Seele aus Angst und Pein zu retten – denn 's ist kein Spaß, im Fegfeuer zu sein, kann ich Dir wohl sagen; und Du würdest Dich nicht lang darin wünschen, sondern möglichst schnell wieder hinaus zu kommen suchen. Ich wünschte mir, Du hättest Deine kleine Zehe darin, dann würdest Du vor Ungeduld brennen, sie wieder herauszuziehen. Aber Du bist ein pflichtgetreuer Sohn, und ich will deshalb nichts weiter darüber sagen – bei einem blinden Gaul hilft ein Nicken so viel als ein Wink.

Wenn Deine Mutter abfährt, was unter dem Segen Gottes in sehr kurzer Zeit geschehen wird, in Anbetracht daß sie nur ihren Sinnen nachzufolgen braucht, die schon fort sind, so will ich's über mich nehmen, alles zu verkaufen, sintemalen weltliche Güter und Dinge für tote Leute nutzlos sind; und ich zweifle nicht, daß der Erlös aus dem Hausgeräte, den zwei Kühen, den Schweinen und den auf dem Felde stehenden Früchten hinreichend sein wird, ihre Seele aus den Flammen zu retten, und sie noch obendrein anständig zu begraben. Da Du übrigens gesetzlicher Erbe bist, sintemalen das ganze Eigentum Dir gehört, will ich ein Soll- und Haben-Konto über die Geschichte führen; und sollte je sich ein Überschuß ergeben, so will ich denselben ganz auf Messen verwenden, um so ihre Seele durch Expressen in Himmel hinauf zu schicken: wenn es aber nicht genug ist, so muß sie bleiben, wo sie ist, bis Du zurückkommst und das Fehlende darauf legst. Indessen bin ich Dein liebender Beichtvater

Urtagh M'Grath

 

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