Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Wir treffen mit einer holländischen Kriegsbrigg zusammen. – Kapitän Hawkins nimmt eine sehr beschauliche Stellung am Kapstan ein. – Harte Schläge und doch kein Dank. – Wer ist furchtsam? – Die Leute müssen gesprochen haben. – Die Brigg legt auf einen falschen Gang an.
—————
Am andern Morgen bei Tagesanbruch befanden wir uns auf der Höhe von Texel, und konnten die niedern Sandhügel sehen; aber kaum hatten wir dieselben bemerkt, als der Nebel vom Lande her sich aufhellte und wir ein fremdes Fahrzeug erblickten. Die Leute wurden heraufgerufen und alle Segel zur Jagd beigesetzt. Wir erkannten, daß es eine Kriegsbrigg war, und da sie ihren Lauf bedeutend veränderte, so dachten wir auch, es müsse eine feindliche sein. Wir gaben das besondere Signal, und da dasselbe unbeantwortet blieb, so machten wir alles klar zum Gefechte; die Brigg setzte alle Segel für den Steuerbordgang bei, und wir folgten ihr nach, – sie segelte etwa zwei Meilen von uns an unserem Wetterbug. – Die Brise war nicht anhaltend. Einmal schwankte die Brigg unter ihren Bramsegeln, während wir unsere Königssegel beigesetzt hatten; und ein anderes Mal waren unsere Leute an den Bramsegel-Schoten und Marssegelziehtauen, während sie jeden Zoll Segeltuch ausspannte. Übrigens waren wir ihr, im ganzen genommen, in einer Stunde um eine halbe Meile näher gerückt. Unsere Leute standen alle auf ihren Posten, ganz glücklich, bald wieder an ihre alte Arbeit zu kommen. Sie hatten ihre Hüte und Jacken abgeworfen, Bandana-Tücher um ihre Köpfe gebunden und sich ihre schwarzen seidenen Halstücher um den Leib geschürzt. Jede Kanone war gerüstet, jedes Ding an seinem Platze und jede Menschenseele voll Verlangen zum Losbrechen; aber ich glaube, daß ich den Kapitän nicht einschließen darf, der von Anbeginn an kein Zeichen des Vergnügens und alles andere, nur keine Geistesgegenwart gezeigt hatte. Zuerst als wir auf das Fahrzeug Jagd machten, wurde es für einen Kauffahrer gehalten, und erst bei vollem hellem Tageslicht entdeckten wir, daß es ein Kriegsschiff war. Eines jedoch muß zu Gunsten unseres Kapitäns gesagt werden – er hatte in seinem ganzen Leben noch keiner Schlacht beigewohnt.
Die Brise wurde nun etwas schwächer; wir hatten auf beiden Schiffen unsere Segel gesetzt, als ein dicker Nebel das feindliche Schiff unseren Blicken entzog. Der Nebel rollte ganz dicht auf uns heran, so daß wir nicht zehn Ellen weit von der Brigg wegsehen konnten. Dies war höchst ärgerlich, weil wir nun alle Wahrscheinlichkeit hatten, den Feind zu verlieren. Glücklicherweise legte sich der Wind schnell bis zu völliger Windstille, und um zwölf Uhr flappten unsere Segel gegen den Mast. Ich meldete zwölf Uhr und fragte den Kapitän, ob ich zum Mittagessen pfeifen lassen solle.
»Noch nicht, Sir«, antwortete er, »wir wollen das Vorderteil der Brigg herumdrehen.«
»Umlegen, Sir?« fragte ich mit Erstaunen.
»Ja«, sagte er, »ich bin überzeugt, daß sie auf dem andern Schiffe jetzt schon umgewendet haben, und wenn wir es nicht auch thun, so werden wir sie verlieren.«
»Wenn der Feind umlegt, Sir«, sagte ich, »so muß er zwischen die Sandbänke hineingeraten, und kann uns dann gar nicht entgehen.«
»Sir«, antwortete er, »erst wenn ich Ihren Rat verlange, werden Sie so gut sein, mir ihn zu geben, ich führe den Befehl auf dem Schiffe.«
Ich lüpfte meinen Hut, und rief die Mannschaft zum Schiffumlegen herauf, war aber fest überzeugt, daß der Kapitän das Gefecht zu vermeiden wünsche, denn des Feindes einzige Möglichkeit zum Entkommen bestand darin, daß er seinen Wind in der gegenwärtigen Richtung behielt.
»Schiffumlegen – Schiffumlegen!« schrieen die Leute, »was zum Teufel, warum legen wir um?« fragte einer den andern, als sie die Leiter heraufkamen.
»Still da! hinten und vorn«, rief ich. »Kapitän Hawkins, ich glaube nicht, daß wir sie herumkriegen können, wenn wir nicht vieren – der Wind ist sehr schwach.«
»Dann vieren Sie, Herr Simpel.«
Es giebt Zeiten, wo das Gemurre und Mißvergnügen der Seeleute auch von den Offizieren geteilt wird, obgleich sie dies auf keine andere Weise merken lassen, als daß sie von den Ausdrücken der Mannschaft keine Notiz nehmen. Dies war gegenwärtig der Fall. Die Offiziere blickten einander an, ohne ein Wort zu reden, aber unsere Leute konnten sich ganz frei aussprechen. Die Brigg trieb langsam herum, und als die Matrosen hart auf dem andern Strich die Raaen aufbraßten, ließen sie statt des »Hurrah« und »Nieder mit der Markung« mißmutige Seufzer hören.
»Braßt diese Raaen da in aller Stille an«, rief ich den Leuten zu, und dies war alles, was ich sagen konnte.
Die Taue wurden herabgeringt und das Zeichen zum Mittagessen gegeben. Der Kapitän, der sich fortwährend auf dem Verdecke befand, mußte notwendigerweise die Ausdrücke der Unzufriedenheit hören, welche von Zeit zu Zeit aus dem untern Verdecke ertönten. Er sagte nichts, sondern blickte nur zuweilen über die Seite hinab, um zu sehen, ob die Brigg durch das Wasser komme. Sie bewegte sich während zehn Minuten langsam fort, als eine völlige Windstille eintrat, so daß er, um mich eines Gemeinplatzes zu bedienen, wenig durch seine Motion gewann. Um zwei Uhr sprang eine leichte Brise auf der entgegengesetzten Seite auf – wir wandten uns um, und ihr entgegen – sie nahm zu – der Nebel wurde weggeweht, und in einer Viertelstunde war das fliehende Schiff, jetzt auf unserer Leeseite, sichtbar. Die Matrosen ließen drei Hurrahs ertönen.
»Still da hinten und vornen«, schrie der Kapitän ärgerlich. »Herr Simpel, ist das die Art, in der die Schiffsmannschaft unter ihrem vorigen Befehlshaber in Zucht gehalten wurde, daß sie aufschreit und lärmt, wenn sie es nur für gut findet?«
Ich war sehr gereizt über diese gegen O'Brien gerichtete Bemerkung und erwiderte: »Ja, Sir, sie sind von jeher daran gewöhnt, ihre Freude bei der Aussicht zu einem Gefechte mit dem Feinde laut werden zu lassen.«
»Ganz gut, Herr Simpel«, antwortete er.
»Wie sollen wir den Schnabel richten«, fragte der Schiffsmeister, seinen Hut lüpfend; – »zur Jagd?«
»Natürlich«, antwortete der Kapitän, der nun in seine Kajütte hinabstieg.
»Jetzt, Ihr Bursche«, sagte Swinburne, sobald der Kapitän hinunter war, »ich bin rings herum gelaufen und finde, daß Eure Lieblinge sich in guter Ordnung zum Fechten befinden; ich verspreche Euch daher, es soll nicht an Pulver fehlen. Sie sollen finden, hoffe ich, daß die Klapperschlange noch teufelmäßig hart beißen kann.«
»Ja, ja, und dazu noch ohne ihren Kopf«, erwiderte einer der Leute, welcher der Eulenspiegel auf der Brigg war.
Als das feindliche Schiff sah, daß es uns nicht entkommen konnte – denn wir fuhren ganz dicht zu ihm hin – kürzte es seine Segel zum Gefecht und hißte die holländische Flagge auf.
Als wir noch ungefähr eine halbe Meile von demselben entfernt waren, erschien der Kapitän wieder auf dem Hinterdeck.
»Fahren wir an seiner Seite hin, oder wie?« fragte ich.
»Herr Simpel, ich befehlige hier«, antwortete er, »und brauche keinerlei Einmischung.«
»Ganz gut, Sir«, antwortete ich und begab mich auf die Laufplanke.
»Herr Thompson«, schrie der Kapitän, der nun seinen Mut auf die rechte Höhe hinauf geschraubt zu haben schien und seine Stellung für einen Augenblick auf einer der Karronaden einnahm; »Sie werden die Brigg genau so legen –«
Puff paff – Hiß, hiß – Puff hiß – flogen drei Kugeln vom Feinde heran und schwirrten zwischen unsern Masten hindurch. Schnell sprang der Kapitän von der Karronade herab und eilte dem Kapstan zu, ohne seinen Satz zu Ende zu sprechen.
»Sollen wir abfeuern, wenn wir bereit sind, Sir?« fragte ich; denn ich sah, daß er unfähig war, die gehörigen Befehle zu erteilen.
»Ja, ja, gewiß!« antwortete er, und blieb auf seinem Platze stehen.
»Thompson«, sagte ich zu dem Schiffsmeister, »in unserer jetzigen überlegenen Stellung, denke ich, sollten wir imstande sein, ihm den Wind abzugewinnen, um seinen Klüverbaum und die Fockstenge wegzuschießen, und dann kann er uns nicht entgehen. Wir können gut zu ihm hinkommen.«
»Das will ich machen, Herr Simpel, so gewiß ich Thompson heiße«, erwiderte der Schiffsmeister, sprang in das Hinterboot hinab und rekognoszierte die Brigg in dieser ausgesetzten Stellung; denn wir empfingen die vollen Ladungen des feindlichen Feuers.
»Paßt gut auf, meine Bursche, und gebt jetzt Feuer, wie es Euch gelegen ist«, sagte ich zu den Leuten.
Die Matrosen waren übrigens zu gut diszipliniert, um nicht sofort Gebrauch von meiner Erlaubnis zu machen; sie warteten, bis wir an ihr vorüber waren, und gerade, als der Schiffsmeister das Steuerruder drehte, um den Klüverbaum des Gegners zwischen unsere Masten zu bekommen, erhielt er unsere volle Ladung in den Bug und Scherbalken. Klüverbaum und Oberbramsegel kamen herunter und die Brigg ging so tief durch's Wasser, daß wir uns von ihr losreißen, gegen den Wind umlegen und ihr vorschießen konnten. Der Feind, obgleich durch die volle Lage in Verwirrung gebracht, drehte gleichwohl sein Steuer, um an uns vorbeizufahren; aber wir gewahrten sein Manöver, thaten das Gleiche, braßten unsere Segel und rannten mit ihm vor den Wind, volle Lage gegen volle Lage austauschend.
Dies währte ungefähr eine halbe Stunde, und wir fanden bald, daß wir es mit keinem Gimpel zu thun hatten. Die Brigg hielt sich wacker im Gefecht und ihr Geschütz wurde gut bedient. Mehrere unserer Leute wurden niedergeworfen und ich hielt es für geratener, uns ihr sogar noch mehr zu nähern. Die beiden Fahrzeuge waren ungefähr noch eine Kabellänge von einander, als wir mit einer leichten rollenden Bewegung, etwa sechs Meilen die Stunde, vor den Wind hinfuhren.
»Thompson«, sagte ich, »wir wollen probieren, ob wir sie nicht von ihren Kanonen verjagen können. Richten wir das Steuerruder nach dem Backbord und nähern wir uns ihr, bis wir einen Zwieback an ihren Bord werfen können.«
»Ganz meine Meinung, Simpel, wir wollen 'mal sehen, ob sie dann nicht eine andere Art von Lauffeuer machen.«
In einigen Minuten waren wir so dicht an ihrem Bord, daß die Leute beim Laden ihrer Kanonen einander mit den Ladestöcken und Wischern berühren konnten. Unsere Mannschaft gab ein Hurrah, das vom Feind wacker erwidert wurde, und nun begann von beiden Seiten ein mörderisches Kleingewehrfeuer. Der französische Kapitän, der ein so mutiger Mann zu sein schien, als je einer auf dem Verdecke herumlief, stand einen Augenblick auf den Hängematten: auch ich hielt mich an dem Schnürseil unseres Haupttakelwerkes, als er seinen Hut lüpfte und mich artig begrüßte. Ich erwiderte diese Artigkeit, aber das Feuer wurde nun so heftig, daß ich mich unter den Schutz des Bollwerks zu begeben wünschte. Übrigens mochte ich doch nicht der erste sein, der herabginge, und auch der freundliche Kapitän schien entschlossen, den Ehrenposten nicht zuerst verlassen zu wollen. Endlich traf ihn einer unserer Matrosen in den rechten Arm: er legte seine Hand auf die verwundete Stelle, um dies mir anzudeuten, nickte und wurde dann von den Hängematten herabgehoben. Jetzt verließ ich unverzüglich meinen Standpunkt, denn ich hielt es für thöricht, mich als Zielscheibe für vierzig oder fünfzig Soldaten hinzustellen; auch hatte ich bereits eine Kugel unterhalb der Wade in den Fuß bekommen.
Nun wurde aber die Wirkung des Beschießens in solcher Nähe recht deutlich: unsere Kanonen waren nur noch halb bemannt, unsere Seitenwände schrecklich zersplittert und unsere Segel und sonstige Takelung zerfetzt. Der Feind war sogar noch schlimmer daran, und zwei Lagen, die wir ihm weiter beibrachten, warfen ihm den Hauptmast über Bord. Unsere Leute riefen ihr Hurrah und brachten ihm noch eine neue Lage bei. Der Feind fiel zurück; wir rundeten unsern Lauf, um ihn zu bestreichen; er versuchte auch zu runden, konnte dies aber nicht, bis er sein Verdeck aufgeräumt, sein Vordersegel eingezogen und sein Hauptsegel heruntergebracht hatte. Dann setzte er das Gefecht mit ungeschwächtem Eifer fort.
»Er ist ein tüchtiger Kamerad, bei Gott!« rief Thompson aus, – »ich habe nie einen gesehen, der sein Schiff besser im Gefecht gehalten hätte; aber es ist doch unser. Webster, ist gefallen, der arme Junge.«
»Ich bedaure dies«, antwortete ich, »befürchte aber, daß die Zahl unserer Tischportionen durch den Verlust von noch manch andern armen Burschen verringert werden wird. Es scheint mir nutzlos, den Vorteil auszugeben, den wir nun haben. Entkommen kann uns der Feind nicht, das Gefecht aber wird er in der bisherigen Weise so lange als möglich vorfahren, unsere Beschädigungen ausbessern, und dann muß er sich in seinem verkrüppelten Zustande ergeben, sobald wir ihn aufs neue angreifen.«
»Ich stimme Ihnen vollkommen bei«, sagte Thompson; »der einzige Umstand ist der, daß es bald dunkel wird.«
»Aus dem Gesichte werde ich ihn nicht verlieren, und fortgehen kann er nicht. Wenn er vor den Wind läuft, so wollen wir schnell wieder auf ihn los.«
Wir gaben ihm noch im Vorüberfahren die vollen Ladungen unserer Kanonen, und als wir etwa eine halbe Meile entfernt waren, legten wir bei, um auszubessern.
Der Leser wird jetzt wohl fragen: »aber wo war denn der Kapitän während dieser ganzen Zeit?« und meine Antwort darauf ist die, daß er in beharrlichem Stillschweigen am Kapstan stand und während des ganzen Gefechtes, das Thompson, der Schiffsmeister und ich führten, auch nicht ein einziges Wort dreinredete. Wie er aussah oder wie er sich in anderer Beziehung während des Gefechtes benahm, bin ich schlechterdings außer Stand zu sagen, denn ich hatte keine Zeit ihn zu beobachten. Selbst jetzt noch würde ich ihn, da ich damit beschäftigt war, die Takelung anzuknüpfen und auszuspannen, und überhaupt alles in Ordnung zu bringen, gar nicht bemerkt haben, wenn er nicht auf mich zugekommen wäre; denn sobald das Feuern aufgehört hatte, schien er wieder zu sich gekommen zu sein. Er redete übrigens nicht zuerst mich an, sondern begann mit der Mannschaft zu sprechen.
»Vorwärts, seid flink, meine Bursche, da ein Mann her, um das Blut aufzuschwabben. Sie, Jüngelchen, gehen Sie schnell zum Schiffsarzt hinab und sagen Sie ihm, daß ich einen Bericht über die Toten und Verwundeten zu haben wünsche.«
Allmählich sprach er mehr, und endlich trat er auch zu mir heran mit den Worten: »diesmal ist's denn doch lebhaft zugegangen, Herr Simpel.«
»Sehr lebhaft in der That, Sir«, antwortete ich, und lief von ihm weg, um die nötigen Anordnungen zu treffen.
»Heda! großes Mars, laßt die Hohlleine auf der Steuerbordseite herab.«
»Ja, ja, Sir.«
»Nun ja, Ihr Bursche, faßt an und macht, daß es einmal hinaufkommt.«
»Heda auf dem großen Mars«, rief er von neuem, »seid ein bißchen rascher, oder bei Gott, ich will Euch herunterrufen und Euch etwas sagen.«
Dies nun stand einem, der gar nichts gethan hatte, gegenüber von denen, welche mit ihrer ganzen Kraftanstrengung arbeiteten, schlecht an.
»Herr Simpel«, sagte der Kapitän, »ich wünsche. Sie möchten Ihren Dienst mit weniger Geräusch versehen.«
»In jedem Fall gab er uns während der Schlacht ein gutes Beispiel«, murmelte der Bruder Spaßmacher, und die andern Leute lachten herzlich über diesen Einfall.
Nach zwei Stunden, während deren wir den Feind, der noch immer an der Stelle lag, wo wir ihn verlassen hatten, sorgfältig bewachten, waren wir wieder fertig zum Gefecht.
»Soll ich den Leuten jetzt ihren Grog geben, Sir?« sagte ich zu dem Kapitän; »sie werden ihn wohl brauchen.«
»Nein, nein«, war die Antwort; »nein, nein, Herr Simpel, ich liebe das nicht, was man holländischen Mut nennt.«
»Ich denke nicht, daß er das sehr liebt, und der Kamerad dort hat uns genug davon gezeigt«, sagte der Bruder Spaßmacher leise, und die neben ihm stehenden Matrosen lachten wiederum herzlich.
»Ich bin der Ansicht, Sir«, bemerkte ich, »daß es eine Ungerechtigkeit gegen unsere tüchtige Schiffsmannschaft ist, darauf anzuspielen, daß sie Holländer-Mut bedürfe.« (Holländermut ist ein Ausdruck für diejenige Herzhaftigkeit welche durch starkes Getränk hervorgebracht wird.) »Und ich bitte ehrfurchtvollst um die Erlaubnis, bemerken zu dürfen, daß die Leute ihre Nachmittagsportion noch nicht erhalten haben, und nach den ausgestandenen Anstrengungen deren in der That bedürfen.«
»Ich führe den Befehl auf diesem Schiffe, Sir«, antwortete er.
»Allerdings, Sir, ich weiß das wohl«, entgegnete ich. »Das Schiff ist jetzt wieder fertig zur Schlacht und ich erwarte Ihre Befehle. Der Feind ist zwei Meilen von uns auf der Leeseite.«
Jetzt kam der Schiffsarzt mit seinem Berichte herauf.
»Gütiger Himmel«, sagte der Kapitän, »siebenundvierzig Mann getötet und verwundet; Herr Webster gefährlich getroffen. Nun ja, die Brigg ist verkrüppelt. Wir können nichts mehr thun, unstreitig nichts mehr thun.«
»Wir können die Brigg jedenfalls nehmen«, schrie einer aus einem Haufen Matrosen heraus, die leewärts standen und den Befehl zum erneuerten Angriff erwarteten.
»Welcher Mann sprach das?« schrie der Kapitän.
Keiner antwortete.
»Bei Gott! Dieses Schiff ist in einem Zustande von Meuterei, Herr Simpel.«
»Wird's bald sein, denk' ich«, sagte eine Stimme aus dem Haufen, die ich zwar sehr gut kannte, aber der Kapitän nicht, da er erst kurze Zeit bei uns war.
»Hörten Sie das, Herr Simpel?« rief der Kapitän.
»Ich bedaure, sagen zu müssen, daß ich es hörte, Sir; ich glaubte kaum, daß an Bord der ›Klapperschlange‹ je ein derartiger Ausdruck gebraucht werden würde.« Weil ich übrigens befürchtete, er möchte nach dem Namen des Mannes fragen, und um vorzugeben, daß ich denselben nicht erkannt habe, sagte ich: »wer von Euch hat sich dieses Ausdrucks bedient?« Aber keiner antwortete und es war so dunkel, daß man die Leute unmöglich unterscheiden konnte.
»Nach solchen meuterischen Äußerungen«, bemerkte der Kapitän, »will ich Seiner Majestät Brigg unter meinem Befehl durch erneuertes Einlassen in ein Gefecht mit dem Feinde gewiß nicht in Gefahr setzen, wie ich es sonst, selbst in ihrem verkrüppelten Zustande, gern gethan hätte. Ich kann nur bedauern, daß die Offiziere ebenso trotzig scheinen, als die Mannschaft.«
»Vielleicht mögen Sie mir sagen, Kapitän Hawkins, inwiefern und wann ich mich trotzig gezeigt habe. Ich habe mir nichts vorzuwerfen.«
»Ich hoffe, der Ausdruck bezog sich nicht auf mich, Sir«, sagte Thompson, der Schiffsmeister, seinen Hut lüpfend.
»Still, Gentlemen, wenn's Ihnen gefällig ist. Herr Simpel, drehen Sie das Schiff herum.«
Ob der Kapitän im Sinne hatte, den Feind anzugreifen oder nicht, konnten wir nicht sagen, wurden jedoch bald enttäuscht; denn sobald wir herum waren, befahl er wegzurichten, bis die holländische Brigg auf unserer Leeseite sich befand; dann befahl er dem Schiffsmeister, seinen Lauf nach Jarmouth zu richten, ging in die Kajütte hinab und ließ mir sagen, ich könne nun zum Abendessen pfeifen und den Branntwein verteilen lassen.
Die Wut und die Entrüstung unserer Leute war nicht niederzuhalten. Nachdem sie zum Abendessen herabkamen, stießen sie im Verein einen dreimaligen lauten Seufzer aus, und in der That hatten die Offiziere von der Wache die ganze Nacht hindurch die größte Mühe, die Mannschaft von einer offenen Manifestation ihrer Gefühle abzuhalten, was man in diesem Falle beinahe gerechtfertigte Meuterei hätte nennen mögen.
Was mich selbst betraf, so konnte ich meinen Verdruß kaum bemeistern. Die feindliche Brigg war unsere gewisse Beute, wie sich das am nächsten Tage schon zeigte, wo sie ihre Flagge sofort einem viel kleineren Fahrzeuge strich, das zu ihr herankam, während sie noch immer in demselben verkrüppelten Zustande dalag; der Kapitän und der erste Leutnant waren getötet und beinahe zwei Dritteile ihrer Schiffsmannschaft entweder tot oder verwundet. Hätten wir sie noch einmal angegriffen, so würde sie ihre Flagge augenblicklich heruntergeholt haben, denn unsere letzte Ladung hatte den Kapitän getötet, der so viel Mut gezeigt hatte. Ich, als erster Leutnant, hätte meine Beförderung erhalten, die nun verloren war. In meinem Bett weinte ich vor Arger, wenn ich daran dachte.
Daß dieses Benehmen von den Offizieren in der Konstabelkammer ebenso wohl als von der ganzen Schiffsmannschaft hart getadelt wurde, brauche ich wohl kaum zu sagen. Thompson war dafür, unsern Kapitän vor ein Kriegsgericht zu stellen, was ich auch äußerst gern gethan haben würde, wenn auch nur, um seiner loszuwerden; aber ich besprach mich lange darüber mit dem alten Swinburne, und der überzeugte mich, daß ich besser daran thun würde, es zu unterlassen.
»Denn sehen Sie, Herr Simpel, Sie haben keinen Beweis. Er sprang nicht hinab, sondern hielt fest Stand auf dem Verdeck, wenn er auch nichts that. Sie können ihm also Feigheit nicht beweisen, obgleich dieselbe nicht sehr bezweifelt werden kann. Dann wieder, was die Nichterneuerung des Angriffs betrifft – wie, steht es da nicht dem Kapitän zu, zu entscheiden, was das Beste ist für Seiner Majestät Dienst? Und wenn er es bei dem verkrüppelten Zustande der Brigg und so dicht an der feindlichen Küste für ratsamer hielt, nun so kann es ihm bloß als ein Irrtum ausgelegt werden. Endlich müssen Sie auch noch etwas anderes bedenken, Herr Simpel, daß nämlich die Kapitäne, welche im Kriegsgericht sitzen, wenn eine Freisprechung nur irgend möglich ist, keinen ihrer Bruder-Kapitäne der Feigheit schuldig erklären werden, und zwar deswegen, weil sie fühlen, daß es eine Schande wäre für den ganzen Stand.«
Swinburnes Rat war gut, und ich gab jeden Gedanken der Anklage auf; doch schien es mir, daß der Kapitän selbst einen derartigen Schritt in allem Ernste befürchtete, denn er war während unserer Heimfahrt äußerst höflich und artig gegen mich. Er sagte auch, er habe beobachtet, wie tapfer ich mich in dem Gefechte benommen, und er werde nicht ermangeln, davon Erwähnung zu thun. Dies war nun doch etwas, aber er hielt sein Wort nicht; denn seine Depesche wurde bekannt gemacht, noch ehe wir den Ankerplatz verließen, und da war auch nicht eines einzigen Offiziers Name genannt, sondern nur im allgemeinen gesagt, daß sie sich zu seiner Zufriedenheit benommen hätten. Er nannte das feindliche Schiff eine Korvette, bezeichnete aber nicht näher, ob es eine Schiff- oder Brigg-Korvette gewesen sei; und das Ganze war in einem so bombastischen Stile geschrieben, daß jedermann glauben mußte, er habe mit einem überlegenen Schiffe gekämpft. Am Schlusse sagte er, nach Ausbesserung feiner Schäden habe er sofort wieder herumgewandt, der Feind aber die Fortsetzung des Gefechtes abgelehnt. Dies that er allerdings – aus dem besten aller möglichen Gründe – weil er nämlich unfähig war, zu uns heranzukommen. Alles dies hätte recht gut können bestritten werden; aber die außerordentlich große Zahl von Getöteten und Verwundeten bewies, daß wir ein hartes Gefecht bestanden, so wie die nachherige Wegnahme der Brigg, daß wir dieselbe in der That überwältigt hatten.
So gewann im ganzen genommen Kapitän Hawkins bei einigen ein großes Ansehen; übrigens raunte man sich gleichwohl allerlei zu, was dann bis zu den Ohren der Admiralität gelangte, und seine Ernennung zum Postkapitän verhinderte – um so mehr, als er bescheiden genug war, nicht darum nachzusuchen.