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Glück und Unglück kommt nie tropfen-, sondern gleich schüttweise. – Ich habe in allem Glück und komme zu allem, zu meiner Frau, meinem Titel und meiner Besitzung. – »Ende gut, alles gut.«
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Die nun folgenden Scenen will ich übergehen, um dem Leser die Geschichte meiner Schwester in ihren eigenen Worten zu geben:
»Ich schrieb Dir, mein lieber Peter, daß ich es für meine Pflicht erachtet habe, des Vaters sämtliche Schulden mit Deinem Gelde zu bezahlen, und daß nach Befriedigung aller Ansprüche nur noch sechzig Pfund übrig geblieben waren; ich bat Dich zugleich, so schnell als möglich zu mir zu kommen, um mich Deines Rates und Beistandes, betreffs meiner künftigen Einrichtung, zu bedienen.«
»Ich erhielt Deinen Brief, Ellen, und eilte zu Dir, als – doch für jetzt nichts weiter, meine Geschichte will ich später erzählen.«
»Tag für Tag erwartete ich mit ängstlicher Sehnsucht einen Brief von Dir, und schrieb endlich an die Offiziere des Schiffes, um zu erfahren, ob Dir irgend ein Unfall zugestoßen sei. Der Wundarzt antwortete mir, Du habest Portsmouth verlassen, um zu mir zu kommen, und seit der Zeit habe man nichts mehr von Dir gehört. Meinen Schmerz bei dieser Nachricht kannst Du Dir leicht denken; ich durfte nun nicht mehr zweifeln, daß dir irgend etwas Entsetzliches begegnet sein müßte, denn ich wußte nur zu gut, daß Dich in einer solchen Lage nichts abgehalten hätte, zu mir zu eilen. Der neue Vikar war bereits angekommen, hatte das Haus besichtigt und Anordnungen wegen des Einzugs seiner Familie getroffen. Er war schon früher dahin mit mir übereingekommen, das Hausgerät zum Schätzungspreise zu übernehmen, und diese Summe wurde zur Bezahlung der Schulden unseres Vaters verwendet. Man hatte mir bereits gestattet, länger als es üblich ist im Pfarrhause zu verbleiben, und es blieb mir somit keine andere Wahl, als dasselbe zu verlassen, was ich jedoch erst im letzten Augenblicke that. Meine Adresse konnte ich nicht da lassen, denn ich wußte nicht, wohin ich gehen sollte. Ich fuhr nach London, und suchte, um meinen Lebensunterhalt zu sichern, eine Stelle als Erzieherin zu erhalten, was jedoch äußerst schwer hielt, da ich natürlich keinerlei Zeugnisse aufweisen konnte, und noch nie in dieser Eigenschaft gedient hatte. Endlich wurde ich in einer Familie aufgenommen, um drei kleine Mädchen zu erziehen; aber ich fand bald, wie wenig Aussicht auf eine angenehme Stellung ich besaß. Die Dame hatte Einwendungen gegen mich erhoben, weil ich zu gut aussehe, und gerade aus demselben Grunde hatte der Herr darauf bestanden, mich anzunehmen.
»So war ich die Veranlassung häuslichen Zwistes – die Dame behandelte mich mit zu großer Barschheit, und der Herr mit zu viel Aufmerksamkeit. Endlich wurde die üble Behandlung von ihrer Seite und seine Zudringlichkeit so unerträglich, daß ich meine Stelle kündigte.«
»Ich bitte um Verzeihung, Fräulein Ellen, mögen Sie nicht die Güte haben, mir den Namen und den Wohnort dieses Herrn anzugeben?« sagte O'Brien.
»Thue das ja nicht Ellen«, antwortete ich; »fahr in Deiner Erzählung fort.«
»Ich konnte keine andere Stelle als Erzieherin erhalten; denn da ich stets sagte, wo ich gewesen war, und den eigentlichen Grund meines Austritts nicht nennen mochte (ich gab nur an, es habe mir nicht gefallen), so sprach die Dame, wenn sie über mich befragt wurde, immer in einer Weise von mir, die mich hinderte, ein Unterkommen zu finden.
»Endlich wurde ich als Lehrerin an einer Schule angestellt, aber ich hätte besser daran gethan, wenn ich ein Dienstmädchen geworden wäre. Ich sollte überall sein und alles thun – mit Tagesanbruch mußte ich aufstehen, und kam vor Mitternacht nie zu Bette; ich wurde sehr schlecht verköstigt, und eben so schlecht bezahlt – aber es war doch eine ehrliche Beschäftigung, und ich blieb da über ein Jahr. Obgleich ich übrigens so sparsam als möglich lebte, wollte mein Gehalt für Kleidung und Wäsche – meine einzigen Bedürfnisse, nicht ausreichen. Es befand sich an der Schule auch ein Lehrer der Redekunst, der jede Woche kam, und dessen Frau die Musiklehrerin war. Diese Leute faßten eine große Zuneigung zu mir, und setzten mir auseinander, wie viel besser ich daran Wäre, wenn ich auf der Bühne mit Erfolg auftreten könnte, woran sie, wie sie sagten, nicht zweifelten. Monate lang sträubte ich mich, indem ich immer noch hoffte, Nachricht von Dir zu erhalten, aber endlich wurde meine Beschäftigung so unerträglich, und meine Lage so mittellos, daß ich wohl oder übel einwilligte.
»Es waren jetzt neunzehn Monate her, seit ich nichts mehr von Dir gehört hatte, und ich betrauerte Dich als tot. Ich besaß keinen Verwandten, außer meinem Onkel, und selbst dieser kannte mich nicht einmal. Ich verließ meine Stelle an der Schule und zog zu dem Sprachmeister und seiner Frau, die mich mit vieler Güte behandelten und mich zu meiner neuen Bestimmung ausbildeten. Weder während meines Aufenthaltes in der Schule, die drei Meilen von London entfernt war, noch in meiner neuen Wohnung, die über der Westminster-Brücke lag, kam mir ein Zeitungsblatt zu Gesicht, und es ist somit nicht zu verwundern, daß ich von Deinen öffentlichen Nachfragen nichts erfuhr. Nach dreimonatlicher Vorbereitung wurde ich durch meine lieben Freunde dem Schauspieldirektor empfohlen und von diesem auch angenommen. Das übrige weißt Du.«
»Nun, Fräulein Ellen, wenn Ihnen jemand sagt, Sie seien auf dem Theater gewesen, so können Sie jedenfalls darauf erwidern, daß Sie nicht lange da waren.«
»Ich hoffe, nicht lange genug, um wieder erkannt zu werden«, antwortete sie. »Ich erinnere mich, wie oft ich meine Abneigung gegen Personen ausgesprochen habe, welche sich dazu hergeben, sich selbst zur Schau zu stellen – aber die Verhältnisse ändern auch unsere Ansichten sehr. Ich hoffe übrigens, daß ich selbst als Schauspielerin achtungswert geblieben wäre.«
»Das würden Sie, Fräulein Ellen«, erwiderte O'Brien; »was hab' ich zu Dir gesagt, Peter?«
»Du setztest Deine Ehre zum Pfande, O'Brien, so viel ich mich erinnere, daß nichts Ellen bestimmen könne, ihrer Familie Unehre zu machen.«
»Ich danke Ihnen, Sir Terenz, für diese gute Meinung«, entgegnete Ellen.
Nachdem sie etwa drei Tage bei uns war, während deren ich sie von allem Vorgefallenen in Kenntnis setzte, befand ich mich eines Abends allein mit ihr; diese Gelegenheit ergriff ich, ihr die Gesinnungen O'Briens gegen sie offen darzulegen, wobei ich ihm mit allem möglichen Nachdruck das Wort redete.
»Mein lieber Bruder«, antwortete sie, »ich habe von jeher den Charakter des Kapitäns O'Brien bewundert, und war ihm stets dankbar für seine Güte und Zuneigung gegen Dich; aber ich kann nicht sagen, daß ich ihn liebe – ich habe nie anders an ihn gedacht, als wie an einen, dem wir beide sehr verpflichtet sind.«
»Willst Du aber auch damit sagen, daß Du ihn nicht lieben könntest?«
»Nein, nein, das nicht, und ich will sogar alles thun, was ich kann, Peter – ich will's versuchen – ich will, wenn's mir möglich ist, ihn, der so gütig gegen Dich war, nicht unglücklich machen.«
»Verlaß Dich darauf, Ellen, daß Du bei Deiner Kenntnis von dem Charakter O'Briens und Deinen Gefühlen der Dankbarkeit ihn bald lieben wirst, wenn Du ihm einmal erlaubst, sich um Dich zu bewerben. Darf ich ihm sagen –«
»Du kannst ihm sagen, er solle selber reden, mein lieber Bruder, und auf jeden Fall will ich keinen andern anhören, bis er eine günstige Gelegenheit gefunden hat, seinen Vortrag zu halten; aber vergiß nur nicht, daß ich ihn für jetzt nur gern habe – ganz besonders gerne habe, das ist wahr – aber vorderhand hat's damit sein Bewenden.«
Mit diesem Erfolge war ich sehr zufrieden, wie auch O'Brien, als ich ihm Bericht erstattete.
»Bei der Allmacht Gottes, Peter! sie ist ein Engel, und ich kann nicht erwarten, daß sie ein untergeordnetes Wesen, wie mich, lieben soll; aber wenn sie mich nur gut genug leiden mag, um mich zu heiraten, so wird sich das übrige, wie ich hoffe, nach der Hochzeit von selbst geben. Liebe kommt mit den Kindern, Peter! aber davon brauchst Du ihr nichts zu sagen – den Teufel, nicht eine Silbe – zu Kindern soll sie kommen wie zum Alter, ohne daß sie's merkt.«
O'Brien verlor natürlich keinen Augenblick, von der erhaltenen Erlaubnis zu seinen Gunsten Gebrauch zu machen. Celeste und ich, wir wurden einander mit jedem Tage immer teurer und teurer. Mein Advokat erklärte, mein Prozeß stehe so gut, daß er ohne Anstand fünfzigtausend Pfund darauf aufnehmen könnte; somit hatten in kurzer Zeit alle unsere Angelegenheiten eine günstige Wendung genommen, als ein Ereignis eintrat, dessen Einzelnheiten ich natürlich erst einige Zeit später erfuhr, das ich aber hier erzählen will.
Mein Onkel war sehr beunruhigt, als er erfuhr, daß ich aus Bedlam befreit sei – und noch viel unruhiger, als ihm die Klage wegen der Erbfolge des Titels angezeigt wurde. Auch hatten seine Kundschafter ausgespäht, daß die Säugamme auf O'Briens Fregatte nach England gekommen war, und sich in so enger Haft befand, daß sie nicht mit ihr verkehren konnten. Nun fühlte er wohl, daß alle seine Pläne zum Verderben ausschlagen würden. Sein Rechtsfreund befand sich eines Tages bei ihm; sie gingen miteinander im Garten herum, um über die Angelegenheit zu sprechen, und hielten endlich dicht unter den Fenstern des Gesellschaftssaales im Herrschaftsgebäude zu Adler-Park.
»Aber Sir«, sagte der Advokat, »wenn Sie mir nicht vertrauen mögen, so kann ich auch nicht zu Ihren Gunsten handeln. Sie behaupten fortwährend, daß nichts mit den Kindern vorgegangen sei?«
»Das thue ich«, erwiderte mein Onkel, »es ist eine schändliche Lüge.«
»Dann, mein Lord, dürfte ich Sie wohl fragen, weshalb Sie es für ratsam erachteten, Herrn Simpel in Bedlam einzusperren?«
»Weil ich ihn hasse – ihn verabscheue«, entgegnet? der Lord.
»Und weshalb, mein Lord? Sein Charakter ist doch tadellos, und er Ihr nächster Verwandter.«
»Ich sage Ihnen, Sir, daß ich ihn hasse – ich wollte, er läge jetzt hier tot zu meinen Füßen.«
Kaum waren diese Worte aus dem Munde meines Oheims, als ein augenblickliches Schwirren in der Luft gehört wurde, und in ihrer Nähe etwas mit lautem Geräusch niederfiel. Sie wandten sich ganz erschreckt um – da lag der angenommene Knabe leblos zu ihren Füßen und ihre Beinkleider wurden von seinem Blut und Gehirn bespritzt. Der arme Junge hatte den Lord im Garten gesehen, sich zu einem der obersten Fenster herausgelehnt, um ihm zu rufen, dabei aber das Gleichgewicht verloren, und war so kopfüber auf das steinerne Pflaster gestürzt, das rings um das Haus herum ging. Der Advokat und mein Onkel sahen einander ein paar Sekunden mit Entsetzen an:
»Ein Gottesurteil – ein Gottesurteil!« rief der Advokat endlich, seinen Klienten ansehend. Mein Oheim bedeckte sein Gesicht mit der Hand und fiel nieder. Jetzt kam Hilfe herbei, und deren bedurfte allerdings mein Oheim eben so sehr als das Kind; die Heftigkeit der Aufregung führte bei jenem einen Schlagfluß herbei, und obgleich noch atmend, sprach er doch kein Wort wieder.
Infolge dieses traurigen Vorfalles, über den wir das Nähere natürlich erst später erfuhren, kam am andern Morgen mein Advokat zu uns und übergab mir einen Brief mit den Worten: »Eure Herrlichkeit wollen mir erlauben, Ihnen meinen Glückwunsch darzubringen.« Wir befanden uns gerade alle am Frühstück, und als mir dieser Titel so unerwartet schnell übertragen wurde, sprangen wir, der General O'Brien und ich, vor Erstaunen so rasch auf, daß wir eine tüchtige Rechnung über zusammengeschmettertes Geschirr bekamen; und wenn Ellen die Theekanne nicht gehalten hätte, so wäre es am Ende noch ein Doktors-Konto obendrein geworden.
Der Brief wurde gierig durchflogen – er kam von meines Oheims Rechtsanwalt, der dem Auftritte beigewohnt hatte, und mir nun schrieb, daß der ganze Streit wegen der Erbfolge durch das vorgefallene traurige Ereignis sein Ende erreicht, daß er überall Siegel angelegt habe, und meiner Ankunft oder meinen Bestimmungen entgegensehe. Sobald mir der Advokat das Schreiben übergeben hatte, beurlaubte er sich mit der Bemerkung, in ein paar Stunden wieder erscheinen zu wollen, wo ich dann mehr gesammelt sein würde. Mein Erstes war, nachdem ich den Brief laut vorgelesen hatte, Celesten in meine Arme zu schließen, und O'Brien, der den Vorfall als Wink benützte, that das Gleiche mit Ellen, was ihm auch in Anbetracht der Umstände gar nicht verübelt wurde; doch machte sich Ellen, sobald sie nur konnte, von ihm los, und schlang ihre Arme um meinen Hals, während sich Celeste an den ihres Vaters hing. Nun aber drückten sich auch die Herren gegenseitig die Hände, nachdem wir mit den Damen fertig waren, und obgleich wir nicht den mindesten Appetit hatten, unser Frühstück zu beenden, so gab es doch weit und breit kein vergnügteres Quintett.
Nach einer Stunde kehrte mein Advokat zurück, wünschte mir noch einmal Glück, und nun ging's sogleich an die geeigneten Maßregeln. Ich bat ihn, sofort nach Adler-Park zu reisen, dem Begräbnisse meines Oheims, sowie des armen Jungen, der die ihm zugedachte Beförderung so teuer zahlen mußte, beizuwohnen, und alles von dem Rechtsfreunde meines Oheims, der noch fortwährend im Hause war, zu übernehmen. Das »schreckliche Ereignis in der vornehmen Welt« fand seinen Weg in die Tagesblätter, und ehe die Zeit zum Mittagessen herankam, wurde mir ein ganzes Bündel Visitenkarten hereingebracht, so daß mein Tisch völlig damit überdeckt war.
Am nächsten Tage erhielt ich einen Brief vom ersten Lord der Admiralität, worin er mir schrieb, er habe meine Ernennung zum Post-Kapitän ausgefertigt und hoffe, daß ich ihm das Vergnügen gewähren werde, mir um die Stunde des Diners, um halb acht Uhr, das Dekret persönlich zu überreichen. Schönen Dank, mein Lord: der »Familien-Gimpel« hätte wohl lange darauf warten können.
Während ich dieses Schreiben las, kam der Aufwärter und meldete, es sei ein junges Frauenzimmer unten, das mich zu sprechen wünsche. Ich ließ sie heraufkommen. Sobald sie zum Zimmer hereintrat, brach sie in Thränen aus, kniete nieder und küßte meine Hand.
»Gewiß, Sie sind's – o ja – Sie sind's, der meinen armen Mann gerettet hat, während ich zu Ihrem Verderben beitrug. Aber bin ich nicht bestraft für meine gottlose That? – ist nicht mein armer Knabe tot?«
Sie sprach nichts weiter, sondern blieb auf ihren Knieen, bitterlich weinend. Ich hob sie auf und sagte ihr, sie solle sich an meinen Advokaten wenden, um sich ihre Ausgaben vergüten zu lassen, und ihm zugleich ihre Adresse angeben. Der Leser wird in ihr bereits die Säugamme erkannt haben, welche ihr Kind vertauscht hatte.
»Aber verzeihen Sie mir, Herr Simpel? Ich selber kann mir nicht verzeihen.«
»Ich verzeihe Euch von ganzem Herzen, arme Frau. Ihr seid genug bestraft worden.«
»Das bin ich in der That«, erwiderte sie schluchzend, »aber verdiene ich nicht alles und noch mehr dazu? Gottes Segen und auch aller Heiligen Segen auf Ihr Haupt für Ihre gütige Verzeihung. Mein Herz ist leichter«, und damit verließ sie das Zimmer. Sie war kaum aus dem Hotel fort, als der Aufwärter wieder kam: »Noch eine Dame wünscht Sie zu sprechen, mein Lord; aber sie will ihren Namen nicht angeben.«
»Fürwahr, mein Lord, Sie scheinen eine ausgebreitete Bekanntschaft unter den Frauen zu haben«, bemerkte der General.
»Auf jeden Fall bin ich mir keiner bewußt, deren ich mich schämen müßte. Bring' die Dame herauf, Aufwärter.«
Sofort schwankte, ganz erhitzt vom Gehen, eine dicke, unbeholfene, kleine Person herein, setzte sich auf einen Stuhl, warf ihren Schleier zurück und rief dann aus: »Gott segne Sie, wie sind Sie gewachsen! O Jemine, kaum kann ich meinen Augen trauen, und ich sehe schon, er kennt mich nicht einmal mehr.«
»Ich kann mich in der That nicht genau entsinnen, wo ich das Vergnügen gehabt habe, Sie früher zu sehen, Madame.«
»Nun, das ist's gerade, was ich zu Jakobinen sagte, als ich in die Küche kam. ›Jakobine‹, sag' ich, ›ich bin nur begierig, ob der kleine Peter Simpel mich noch kennt‹, und Jakobine sagt, ›ich glaube, er würde den Papagei eher kennen.‹«
»Sie sind Frau Handycock, glaube ich«, – und nun erinnerte ich mich wieder an Jakobine und den Papagei, und endlich auch an Frau Handycock selbst, obgleich die früher so magere Frau jetzt so dick geworden war, daß ich sie nicht wieder hätte erkennen können.
»Ah, so haben Sie's doch noch herausgebracht, wer ich bin, Herr Simpel – mein Lord, muß ich sagen. Nun ja, nach Ihrem Großvater brauche ich Sie jetzt nicht zu fragen, denn ich weiß, der ist tot; aber da ich gerade des Weges kam, so glaubte ich, doch auch hereinkommen und nach Ihnen sehen zu müssen.«
»Wie ich hoffe, befindet sich Herr Handycock wohl, Madame. Bitte, ist er ›Bulle‹ oder ›Bär?‹«
»Gott segne Sie, Herr Simpel – mein Lord, will ich sagen – er ist seit den letzten drei Jahren weder Bulle noch Bär. Er mußte wackeln; und wenn ich auch wenig von Bullen und Bären verstand, so weiß ich doch recht gut und auf meine Kosten, was 'ne lahme Ente ist. Wir sind von der Stockbörse weg und Herr Handycock ist nun Kohlenhändler geworden.«
»In der That!«
»Ja; das heißt, wir haben keine Kohlen, sondern nehmen nur Bestellungen an, und bekommen eine halbe Krone von je sechsunddreißig Scheffeln für unsere Mühe, 's ist ein sehr gutes Geschäft, wie Herr Handycock sagt, wenn er nur genug davon hätte; vielleicht können Eure Herrlichkeit uns auch Aufträge geben, 's trägt Ihnen nichts aus, und uns etwas ein.«
»Das wird mich sehr freuen, wenn ich wieder nach London komme, Frau Handycock. Der Papagei ist hoffentlich ganz wohl?«
»Oh, mein Lord, das ist 'ne traurige Geschichte; denken Sie nur, nachdem wir uns von der Stockbörse zurückgezogen hatten, nahm Herr Handycock eines Tages meinen Papagei und verkaufte ihn für fünf Guineen, indem er sagte, fünf Guineen seien besser als ein garstiger, kreischender Vogel. Allerdings hatten wir an jenem Tage nichts zu essen, aber wie Jakobine meinte, wollten wir lieber einen ganzen Monat ohne Mittagessen bleiben, als uns von unserm Poll trennen. Seit wir wieder ein wenig in der Welt emporgekommen sind, habe ich mir auf diese und jene Art fünf Guineen zurückgelegt, und meinen Poll wieder zu bekommen versucht; aber seine gegenwärtige Herrin sagt, sie würde nicht fünfzig Guineen für ihn nehmen.« Dann sprang sie von ihrem Stuhle auf mit den Worten: »Guten Morgen, mein Lord; ich will Ihnen Herrn Handycocks Karte da lassen. Es würde auch Jakobinen so freuen, Sie wieder zu sehen.«
Sobald sie zum Zimmer hinaus war, fragte mich Celeste lachend, ob ich noch mehr solcher Bekanntschaften habe.
Ich antwortete, ich glaube das nicht; aber ich muß gestehen, daß mir Frau Trotter einfiel, und ich war etwas besorgt, sie würde am Ende auch kommen und mir ihre Aufwartung machen.
Am folgenden Tage erhielten wir einen andern unerwarteten Besuch. Wir hatten uns eben zum Essen gesetzt, als unten Lärm entstand, und bald darauf trat des Generals französischer Bedienter eilends ein und sagte, es sei ein Fremder unten, der mich zu sprechen Wünsche; einen der Aufwärter des Hotels habe er bereits durchgeprügelt, weil er ihm nicht die schuldige Achtung bezeugt habe.
»Wer kann das sein?« dachte ich, ging zur Thür hinaus und schaute über das Treppengeländer hinab, während der Lärm noch fortdauerte.
»Ihr dürft nicht hierher kommen, um Engländer zu prügeln, kann ich Euch wohl sagen«, schrie einer der Aufwärter, »was bekümmern wir uns um euch ausländische Grafen?«
» Sacre canaille!« rief verächtlich eine Stimme, die mir bekannt war.
»Ah, Kanal – im Kanal wollen wir Euch untertauchen, Wenn Ihr nicht aufpaßt.«
»Das wollt Ihr«, sagte der Fremde, der bisher Französisch gesprochen hatte; »erlaubt mir, Euch zu bemerken in der zartesten Weise von der Welt – Euch nur anzudeuten, daß Ihr ein verfluchter, Teller scheuernder, Servietten haltender, Schilling suchender, Stiegen auf- und abspringender Hurensohn seid – und da habt Ihr das für Eure Unverschämtheit!«
Stockschläge ließen sich wieder hören, und ich eilte die Treppe hinab, wo ich den Grafen Schucksen beschäftigt fand, zwei oder drei Aufwärter unbarmherzig durchzuprügeln. Sobald ich kam, zogen sich die Aufwärter, die sich zur Wehre setzen wollten, aus dem Bereich des Stockes etwas zurück.
»Mein lieber Graf«, rief ich und drückte ihm die Hand.
»Mein lieber Lord Privilege, wollen Sie mich entschuldigen? aber diese Burschen sind so unverschämt.«
»Dann will ich sie fortgejagt wissen«, antwortete ich. »Wenn ein Freund von mir, und ein Offizier von Ihrem Range und Ihrer Auszeichnung mich nicht besuchen kann, ohne beleidigt zu werden, so will ich mich nach einem andern Hotel umsehen.«
Diese Drohung, so wie mein Empfang des Grafen, brachte alles ins Geleise. Die Aufwärter schlichen sich davon, und der Besitzer des Hotels bat um Verzeihung. Es schien, man hatte den Grafen ersucht, im Gastzimmer zu warten, bis man ihn gemeldet hätte, und dies kränkte natürlich seine Würde.
»Wir haben uns gerade zum Essen niedergesetzt, Graf. Wollen Sie nicht mit uns speisen?«
»Sobald ich meinen Anzug geordnet habe, mein lieber Lord«, antwortete er. »Sie sehen ja, daß ich auf Reisen bin.«
Der Hotelbesitzer verbeugte sich und führte ihn in ein Ankleidezimmer.
Als ich wieder die Treppe hinaufkam, fragte O'Brien: »Was war denn da unten los?«
»O gar nichts – ein kleiner Streit, weil ein Fremder nicht Englisch verstand.«
Nach etwa fünf Minuten öffnete der Aufwärter die Thür und meldete den Grafen Schucksen.
»Jetzt, O'Brien, wirst Du Dich wundern«, sagte ich.
Der Graf trat ein, kam auf mich zu und faßte meine Hand mit den Worten:
»Mein lieber Lord Privilege, gestatten Sie mir, nicht der letzte zu sein, der Ihnen zu Ihrer Standeserhöhung Glück wünscht. Ich fuhr in meiner Fregatte den Kanal herauf, und da brachte mir ein Lotsen-Boot die Zeitung, aus der ich den unerwarteten Wechsel Ihrer Verhältnisse ersah. Ich gebrauchte einen Vorwand, um in Spithead diesen Morgen Anker zu werfen, und bin mit Postpferden hierher geeilt, um Ihnen die Versicherung zu überbringen, welch' innigen Anteil ich an Ihrem guten Glück nehme.«
Dann grüßte er den General O'Brien und die Damen höflich, und wandte sich hierauf zu O'Brien, der ihn ganz verwundert anstarrte.
»Graf Schucksen, erlauben Sie mir, Ihnen Sir Terenz O'Brien vorzustellen.«
»Beim Pfeifer, der vor Moses spielte, aber das ist doch kurios«, sagte O'Brien, dem Grafen scharf ins Gesicht sehend. »Blut und Donner; wenn das nicht der Chucks ist – mein lieber Kamerad, wann erstanden Sie denn aus Ihrem Grabe?«
»Glücklicherweise«, antwortete der Graf, nachdem sie sich eine Zeitlang die Hand gedrückt hatten, »glücklicherweise kam ich gar nicht hinein, Sir Terenz. Aber jetzt will ich, mit Ihrer Erlaubnis, mein Lord, ein wenig Speise zu mir nehmen, denn ich habe in der That keinen kleinen Hunger. Nach dem Essen, Kapitän O'Brien, sollen Sie meine Geschichte erfahren.«
Er vertraute sein Geheimnis der ganzen Gesellschaft an, nachdem ich für unverbrüchliches Stillschweigen mein Wort verpfändet hatte, was allerdings ein kühnes Wagestück war, wenn man bedenkt, daß sich zwei Damen dabei befanden. Der Graf verblieb einige Zeit bei uns, und wurde von mir überall eingeführt. Seine Manieren waren äußerst fein, und man konnte durchaus nicht erkennen, daß er seine Erziehung nicht in höheren Kreisen erhalten hatte. Er war ein so großer Liebling der Damen, und sein Schnurrbart, sein schlechtes Französisch und sein gutes Walzen – was er in Schweden gelernt hatte – machten ihn ganz zum Modemanne. Die Damen alle waren sehr betrübt, als der schwedische Graf seine Abreise durch Karten ankündigte.
Ehe ich London verließ, begab ich mich zum ersten Lord der Admiralität, und verschaffte Swinburne eine der besseren Stellen beim Schiffsbau, das heißt eine Aufsehersstelle. Er hatte das oft gewünscht, da er nach fünfundvierzigjähriger Dienstzeit des Seelebens müde war. Später wirkte ich ihm auch jährlich einen Urlaub aus, den er recht vergnügt bei mir im Adler-Park zu verleben Pflegte. Den größern Teil dieser Zeit übrigens brachte er mit Fischfang und Herumrudern auf dem See zu, wobei er allen denen, die ihn auf seinen Wasserfahrten begleiten mochten, lange Geschichten erzählte.
Vierzehn Tage nach Annahme meines Titels gingen wir nach Adler-Park ab, und Celeste willigte auf meine Bitten ein, daß unsere Hochzeit über einen Monat stattfinden solle. Auf diesen Wink hin sprach auch O'Brien ein Wort, und um mich zu verbinden, gab Ellen ihre Zustimmung dahin, daß die Verbindung von uns allen an demselben Tage gefeiert werde.
O'Brien schrieb an Pater M'Grath, aber der Brief kam von der Post zurück, mit der Bemerkung auf der andern Seite: »Gestorben«.
Hierauf schrieb O'Brien an eine seiner Schwestern, die ihm meldete, Pater M'Grath habe eines Abends, als er ein ziemliches Quantum Whisky zu sich genommen hatte, über das Moor gehen wollen; er sei außerhalb des rechten Weges laufend gesehen, seit dieser Zeit aber nichts mehr von ihm gehört worden.
An dem festgesetzten Tage wurden wir alle getraut, und beide Verbindungen sind von so viel Glück begleitet, als diese Welt nur bieten kann. Wir beide, O'Brien und ich, sind mit Kindern gesegnet, zu denen wir, wie O'Brien sagte, gekommen sind wie zum Alter, so daß wir jetzt in zwei Familien eine zahlreiche Weihnachts-Gesellschaft versammeln können. Der General, dessen Haupt nun ergraut ist, sitzt da und lächelt, beglückt in dem Glück seiner Tochter, und erfreut über die Sprünge seiner Enkel.
Dies, lieber Leser, ist die Geschichte von Peter Simpel, dem Viscount Privilege, der nun nicht mehr der Gimpel, sondern das Haupt der Familie ist, und Dir jetzt Lebewohl sagt.
Ende.