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Kapitän Kearney macht Verwandtschaftsansprüche an mich geltend. – Geschicklichkeitsversuch zwischen dem ersten Leutnant und dem Kapitän mit »langen Messern.« Das »lange Messer führen«, d. h. aufschneiden. – Der Haifisch, der Mops und das Testament. – Ein Halbdeckgemälde.
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Da der Admiral keiner von denen war, welche den Schiffen unter ihrem Kommando gestatten mögen, müßig im Hafen zu liegen, so ging schon wenige Tage nach dem soeben beschriebenen Honoratiorenballe das ganze Geschwader nach den verschiedenen Bestimmungsorten ab. Es that mir nicht leid, die Bucht verlassen zu müssen, denn man wird bald des Reichtums überdrüssig, und kümmert sich nichts mehr, weder um Orangen, Bananas und Pompelmus, noch selbst um die guten Diners und die feinen Weine des Offiziertisches und der sonstigen Bewohner der Insel. Die frische Seeluft erschien uns kostbarer, als irgend etwas anderes, und wenn wir hätten baden können ohne Furcht vor Haifischen, so würden wir diese erfrischendste aller Üppigkeiten unter der glühenden Zone im gleichen Maße hochgeschätzt haben. Mit großem Vergnügen vernahmen wir deshalb auch die Kunde, daß wir am nächsten Tage zum Kreuzen an der französischen Insel Martinique abgehen sollten. Kapitän Kearney war so lange Zeit am Land gewesen, daß wir nur wenig von ihm sahen, und das Schiff stand ganz unter der Aufsicht des ersten Leutnants, dessen ich bisher noch nicht näher gedachte. Er war ein kleiner, blatternarbiger Mann mit rotem Haar und Backenbart, ein guter Seemann und kein übler Offizier; das heißt, er war ein praktischer Seemann und konnte jedem Matrosen selbst zeigen, was er in seiner Stellung zu thun hatte, und wie er es machen mußte – und dies schätzen die Matrosen sehr hoch, da es selten der Fall ist. Übrigens lernte ich nie einen Offizier kennen, der auf seine praktischen Kenntnisse stolz sein durfte, und zugleich in wissenschaftlicher Beziehung ein guter Seemann gewesen wäre, und nur zu oft vermindern sie durch ein den Teerjacken nachgeahmtes Benehmen den ihnen schuldigen Respekt, und werden in Manieren und Ausdrücken grob und gemein. Dies war der Fall bei Herrn Phillott, unserem ersten Leutnant, der sich auf seine Bekanntschaft mit den Matrosenausdrücken nicht wenig einbildete, und einmal ganz bon ami mit ihnen war, mit ihnen plauderte und so vertrauliche Antworten von ihnen hinnahm, als wären sie seines gleichen, während er ein anderes mal, wenn ihm etwas mißfiel, dieselben Leute mit einer Handspeiche niederschlug. Er war durchaus nicht bösartig, aber außerordentlich vorschnell, und seine Ausdrücke waren den Offizieren gegenüber bisweilen, gegen die Seekadetten aber immer höchst unpassend; übrigens war er im ganzen genommen nicht unbeliebt; obgleich er allerdings nicht so geachtet wurde, wie es bei einem ersten Leutnant der Fall sein sollte. Die Gerechtigkeit erfordert noch zu bemerken, daß er sich gegen seine Vorgesetzten ebenso benahm, wie gegen seine Untergebenen, und die Derbheit, mit der er Kapitän Kearney's Erzählungen gern widersprach und seinen Unglauben ausdrückte, führte oft eine merkliche Erkaltung der Beziehungen zwischen ihnen auf mehrere Tage herbei.
Den Tag nach unserer Abfahrt aus Carlislebucht erhielt ich eine Einladung, in des Kapitäns Kajütte zu speisen. Das Essen wurde in plattierten Schüsseln aufgetragen, die sehr großartig aussahen, aber nicht viel enthielten.
»Diese Schüsseln«, sagte der Kapitän, »wurden mir von einigen Kaufleuten zum Präsent gemacht, wegen meiner Anstrengungen zum Schutze ihres Eigentums gegen die Dänen, zur Zeit, da ich vor Helgoland kreuzte.«
»Wie? Ihr Steward, der Lügner, sagte mir, Sie hätten es in Portsmouth gekauft«, erwiderte der erste Leutnant. »Ich fragte ihn diesen Morgen in der Küche darüber.«
»Wie kommt Ihr dazu, eine solche verfluchte Lüge zu sagen, Sir?« sagte der Kapitän zu dem Manne, der hinter seinem Stuhle stand.
»Ich sagte nur, ich glaube so«, erwiderte der Steward.
»Wie, sagtet Ihr nicht, die Rechnung sei sieben oder achtmal durch Euch eingeschickt worden, und der Kapitän habe sie mit fliegendem Segel bezahlt?«
»Sagtet Ihr das, Sir?« fragte der Kapitän höchst ärgerlich.
»Herr Phillott verstand mich falsch, Sir«, erwiderte der Steward; »er fluchte so heftig über die Matrosen, daß er mich nicht recht hörte. Ich sagte, die Seekadetten hätten ihre Rechnung für Porzellanwaren mit dem Vormarssegel bezahlt.«
»Ja so«, erwiderte der Kapitän, »das ist wahrscheinlicher.«
»Nun, Steward«, erwiderte Herr Phillott, »ich will verdammt sein, wenn Ihr nicht ein ebenso großer Lügner seid, als Euer –« (»Herr« wollte ihm herausschlüpfen, aber glücklicherweise korrigierte er sich selbst, und sagte statt dessen) – »als Euer Vater vor Euch gewesen ist.«
Der Kapitän ging nun zu einem andern Gegenstande über, und fragte mich, ob ich nicht ein Stückchen Schinken nehmen wolle.
»'s ist echt westfälischer, Herr Simpel, Graf Troningsken, ein ganz vertrauter Freund von mir, der seine eigenen Eber im Harzwalde erlegt, schickt mir ihn direkt zu.«
»Wie den Teufel bekommen Sie denn diese Schinken herüber, Kapitän Kearney?«
»Es giebt für alles Mittel und Wege, Herr Phillott, und der erste Konsul ist gar nicht so schlimm, als man von ihm sagt. Die erste Sendung kam mir mit einem sehr artigen eigenhändigen Schreiben von ihm, das ich Ihnen dieser Tage zeigen will, zu. Ich erwiderte ihm dasselbe und sandte ihm durch einen Schmuggler zwei Chester Käse, und seit der Zeit treffen die Sendungen regelmäßig ein. Aßen Sie schon einmal westfälischen Schinken, Herr Simpel?«
»Ja, Sir«, antwortete ich; »einmal versuchte ich welchen bei Lord Privilege.«
»Lord Privilege! das ist ja ein weitläufiger Verwandter von mir, eine Art fünfter Vetter«, erwiderte Kapitän Kearney.
»In der That, Sir?« entgegnete ich.
»So erlauben Sie mir, Kapitän Kearney, Ihnen einen Verwandten vorzustellen«, sagte der erste Leutnant; »denn Herr Simpel ist des Lords Enkel.«
»Ist's möglich? Ich kann nur sagen, Herr Simpel, daß ich mich sehr glücklich schätzen werde, Ihnen jede Aufmerksamkeit zu erzeigen, und sehr erfreut bin, Sie als einen meiner Offiziere zu besitzen.«
Obgleich nun dies alles erlogen war, denn Kapitän Kearney stand nicht in der entferntesten Beziehung zu meiner Familie, so konnte er doch, nachdem er es einmal gesagt hatte, sein Wort nicht zurückziehen, und so zog ich aus seiner Lüge wesentlichen Vorteil; denn er behandelte mich nun äußerst gütig und nannte mich immer Vetter.
Nachdem der Kapitän diese seine Anrede an mich geendet hatte, winkte mir der erste Leutnant lächelnd zu, als wollte er sagen: »Sie sind nun geborgen«, und die Unterhaltung ging zu etwas anderem über. Kapitän Kearney wußte erstaunlich gut bewunderungswürdige Begebenheiten zu erzählen, und trug seine Geschichten mit einem solchen Ernste vor, daß ich wirklich glaube, er meinte selbst die Wahrheit zu reden. Nie kam mir ein Fall solch' eingewurzelter Gewohnheit vor. Bei der Erzählung über das Herausholen eines feindlichen Schiffes sagte er:
»Der französische Kapitän wäre von meiner Hand gefallen, aber gerade, als ich mein Gewehr auf ihn anlegte, kam eine Kugel und nahm den Hahnen vom Schlosse weg, so glatt, als ob er mit einem Messer abgeschnitten worden wäre – – ein höchst bemerkenswerter Vorfall.«
»Nicht so sehr als das, was auf einem Schiffe sich ereignete, worauf ich mich befand«, erwiderte der erste Leutnant; »da wurde der zweite Leutnant von einem Kartätschenschusse abgegrast, der ihm die eine Seite des Backenbartes wegnahm, und als er den Kopf umdrehte, um nachzusehen, was denn los sei, kam eine zweite Kartätsche, und nahm ihm auch die andere Seite des Bartes weg. Nun, das heiß' ich glatt geschoren.«
»Freilich«, antwortete Kapitän Kearney, »ganz glatt, in der That, wenn es wahr ist; aber nehmen Sie mir es nicht übel, Herr Phillott, Sie erzählen bisweilen so seltsame Geschichten. Ich selbst kehre mich nicht daran, aber ein solches Beispiel ist nicht gut für meinen jungen Verwandten da, für Herrn Simpel.«
»Kapitän Kearney«, sagte hierauf der erste Leutnant, ganz unmäßig lachend, »wissen Sie, wie der Topf den Kessel nannte?«
»Nein, Sir, ich weiß es nicht«, entgegnete der Kapitän im Gefühl gekränkter Würde. »Herr Simpel, wollen Sie ein Glas Wein nehmen?«
Ich dachte, daß diese kleine Neckerei dem Kapitän einen Zügel angelegt haben würde; dies war auch allerdings der Fall, aber nur für einen Augenblick; denn nach einigen Minuten schon begann er aufs neue. Der erste Leutnant sagte, es werde wohl nötig sein, jeden Morgen Wasser in das Schiff zu lassen, und dies wieder auszupumpen, um den Geruch des Leckwassers zu entfernen.
»Das hat allerdings einen schlechten Geruch, dieses Leckwasser«, entgegnete der Kapitän. »Was sagen Sie aber dazu, daß beinahe einmal die ganze Mannschaft eines Schiffes durch Rosenessenz vergiftet wurde? Das kam mir im Mittelmeere vor. Ich lag vor Smyrna, nach einem französischen Schiffe kreuzend, das mit einem Pascha als Gesandten an Bord nach Frankreich segeln sollte. Ich wußte, daß es eine gute Prise abgeben würde, und sah mich deshalb scharf um, als wir dasselbe eines Morgens an der Leeseite entdeckten. Wir setzten alle Segel bei, aber das Schiff entfernte sich immer mehr von uns, und segelte allmählich ganz von uns weg, bis wir beide vor dem Winde waren; des Nachts kam es ganz aus dem Gesichte. Da ich wußte, daß es nach Marseille bestimmt war, setzte ich alle Segel bei, um dasselbe wieder aufzufinden. Der Wind war schwach und veränderlich; aber fünf Tage später, als ich in meiner Hängematte lag, spürte ich gerade vor Tagesanbruch einen ziemlich starken Geruch, der von der Windseite durch die offenstehende Luftklappe hereindrang, und nachdem ich denselben einigemal stark beschnüffelt hatte, merkte ich, daß es Rosenessenz war. Ich ließ den Offizier der Wache kommen und fragte ihn, ob er nicht irgend etwas sehe. Er verneinte dies, und ich befahl ihm deshalb, am ganzen Horizont mit seinem Fernrohre herumzustreifen, und namentlich recht scharf windwärts zu sehen. Sobald der Wind auffrischte, wurde auch der Geruch stärker. Ich befahl ihm die Vorober-Bramraaen ins Kreuz zu legen und alles zu raschem Segeln bereit zu lassen, denn ich wußte, daß das feindliche Fahrzeug uns nun nahe sein müßte. Bei Tagesanbruch sahen wir es auch gerade drei Meilen vor uns gegen den Wind. Aber obgleich es bei günstigem Winde uns an Schnelligkeit übertraf, so konnte es doch gegen den Wind nicht mit uns standhalten, und vor neun Uhr bemächtigten wir uns des Schiffes und seines ganzen Harems. Bei dieser Veranlassung könnte ich Ihnen eine hübsche Geschichte über die Frauenzimmer erzählen. Das Schiff war eine sehr kostbare Prise, und hatte unter andern Gegenständen ein Faß mit achtzig Gallonen Rosenessenz am Bord –«
»Was?« schrie der erste Leutnant, »ganze achtzig Gallonen!«
»Ja«, erwiderte der Kapitän, »achtzig türkische Gallonen – vielleicht nicht so groß, als die an Bord unserer Schiffe, denn sie haben dort anderes Maß und Gewicht. Ich ließ den größeren Teil der kostbaren Schätze auf die Brigg, die ich kommandierte, bringen – ungefähr zwanzigtausend Zechinen – Teppiche nebst anderem, auch das Gefäß mit Rosenessenz, das wir drei Meilen weit gerochen hatten. Wir brachten es glücklich an Bord, als der Schiffsmeistersgehilfe, der die Schlingen nicht recht gut befestigt hatte, es aus dem Kielraum in die Vorratskammer für die geistigen Getränke hinunterfallen ließ, wo es in tausend Stücke zerbarst. Nie sah ich eine ähnliche Scene, mein erster Leutnant und mehrere Matrosen auf dem Verdeck fielen in Ohnmacht; aus dem Schiffsraum herauf wurden ein paar Leute leblos gebracht, und es dauerte einige Zeit, bis sie sich wieder erholten. Wir ließen Wasser in die Brigg, und pumpten es wieder heraus, aber es gelang uns durchaus nicht, den Geruch wegzubringen, der so betäubend war, daß ich vierzig Mann auf der Krankenliste hatte, ehe ich nach Malta kam. Nach meiner Ankunft daselbst entließ ich den Schiffsmeistersburschen wegen seiner Nachlässigkeit. Erst nachdem wir die Brigg geräuchert, und da wir fanden, daß dies wenig fruchtete, drei Wochen lang versenkt hatten, wurde der Geruch etwas erträglich; aber er konnte durchaus nicht gänzlich ausgerottet werden, und der Admiral schickte deshalb die Brigg nach Hause, wo sie außer Dienst gesetzt und verkauft wurde. In den Seemagazinen konnten sie nichts mit ihr anfangen. Sie wurde abgebrochen, und dann das Holzwerk an die Bewohner von Brighton und Tunbridge-Wells verkauft, die allerlei Gegenstände daraus verfertigten, und damit, weil sie so stark nach Rosenessenz rochen, ein hübsches Geld verdienten. Waren Sie schon einmal in Brighton, Herr Simpel?«
»Noch nie, Sir.«
In diesem Augenblicke kam der Offizier von der Wache herunter, um zu melden, daß sich ein großer Haifisch unter dem Heck zeige, so wie um anzufragen, ob der Kapitän etwas dagegen hätte, wenn die Offiziere denselben zu fangen versuchten.
»Keineswegs«, erwiderte Kapitän Kearney; »ich hasse die Haifische wie den Teufel, denn während ich mich auf dem Mittelmeere befand, verlor ich beinahe vierzehntausend Pfund Sterling durch eine solche Bestie.«
»Dürfte ich fragen, Kapitän Kearney«, sagte der erste Leutnant mit ganz treuherziger Miene, »wie das zuging? ich möchte es doch gar zu gerne wissen.«
»Nun die Geschichte ist einfach folgende«, erwiderte der Kapitän. »Ich hatte eine alte Verwandte in Malta, die ich durch Zufall auffand – eine alte Jungfer von sechzig Jahren, die ihr ganzes Leben auf dieser Insel zugebracht hatte. Durch ein reines Ungefähr erfuhr ich, daß sie überhaupt in der Welt war. Ich ging in der Strada Reale auf und ab, als ich einen großen Pavian sah, der dort in einem der Häuser gehalten wurde und einen kleinen fetten Mopshund am Schwanze gefaßt hatte, welchen er mit sich fortzog, während eine alte Dame um Hilfe schreiend dastand; denn so oft sie herbeisprang, ihrem Hunde zu helfen, stellte sich der Pavian in Positur, auch sie zu packen, und faßte mit der einen Pfote ihre Röcke, während er mit der anderen den Mopshund festhielt. Ich war dem Vieh ohnehin noch etwas schuldig, denn es hatte mich einmal nachts im Vorbeigehen angepackt; sobald ich also sah, was da vorging, zog ich meinen Degen, und versetzte dem Meister Jocko einen solchen Hieb, daß er heulend und blutend wie ein Schwein davonsprang, und mir den kleinen Hund überließ, den ich aufhob und seiner Herrin zustellte. Die alte Dame zitterte sehr und bat mich, sie nach Hause zu geleiten. Sie besaß eine schöne Wohnung, und sobald sie sich auf dem Sofa niedergesetzt hatte, dankte sie mir sehr lebhaft für meinen tapferen Beistand, wie sie sich ausdrückte, und sagte mir auch, daß sie Kearney heiße; auf dies hin bewies ich ihr sogleich meine Verwandtschaft mit ihr, worüber sie sehr erfreut war und mich bat, ihr Haus als das meinige zu betrachten. Ich blieb noch zwei Jahre nach diesem Vorfalle auf der dortigen Station und spielte meine Karten außerordentlich gut, so daß mir die alte Dame zu verstehen gab, ich solle ihr Erbe sein, da sie von keinen anderen Verwandten etwas wisse. Endlich wurde ich nach Hause beordert, und da ich mich von ihr nicht zu trennen wünschte, so lud ich sie ein, mich zu begleiten, wobei ich ihr meine Kajütte anbot. Vierzehn Tage vor unserer Abfahrt wurde sie ernstlich unwohl und machte ein Testament, worin sie mich zu ihrem Universalerben einsetzte; doch sie genas und wurde wieder so dick als je. – Herr Simpel, der Wein steht bei Ihnen. Ich zweifle, ob Lord Privilege Ihnen besseren vorsetzen konnte; ich schmuggelte ihn vor zehn Jahren selbst ein, als ich die Koquette befehligte.«
»Das ist doch ganz sonderbar«, bemerkte der erste Leutnant; »wir kauften welchen in Barbados, von dem Flaschen und Pfropfen die gleichen Zeichen trugen.«
»Das mag wohl sein«, erwiderte der Kapitän; »längst bestehende Handlungshäuser behalten alle die gleichen Zeichen bei, aber ich zweifle, ob Ihr Wein mit diesem verglichen werden kann. Sie haben vermutlich nie älteren Wein getrunken, Herr Phillott.«
»Ich bitte um Verzeihung, Sir, ich kann Ihnen das Gegenteil beweisen; denn als Noa seine Arche vom Stapel ließ, kaufte mein Ahnherr seinen Seevorrat ein, und der ist auf meinen Vater übergegangen: es mögen jetzt ungefähr noch drei Dutzend Flaschen da sein.«
»Fürwahr, Herr Phillott, Sie treiben den Scherz fast zu weit. Mögen Sie etwas Maccaroni nehmen? Es ist eine der besten Speisen, die man auf der See haben kann. Ich wünschte nur, Sie hätten meine Küche in Walkot Abbey gesehen.«
»Ich zweifle nicht daran, daß sie ausgezeichnet gut eingerichtet war«, erwiderte Herr Phillott; »doch würde ich am liebsten das gegessen haben, was darin gekocht wurde. Ich wünschte nur, auch etwas von der Kunst zu verstehen, die einer meiner Freunde besitzt – eine neue Wissenschaft möchte ich sie heißen.«
»Bitte, was ist das wohl?«
»Sie wird Fumographie genannt.«
»Fumographie! Davon habe ich noch nie gehört.«
»Das ist die Kunst, vermittelst der Untersuchung des Rauches aus dem Kamin genau zu wissen, welche Speisen Ihr Nachbar kocht.«
»Auf meine Seele, das wäre höchst zweckmäßig, wenn man sich so im letzten Augenblicke entschuldigen lassen könnte.«
»Mein Freund ist ein ganzer Zaubermann; er kann die Nebengerichte zwischen dem ersten und zweiten Auftragen bezeichnen und sogar sagen, ob die verschiedenen auf die Tafel bestimmten Gegenstände gehörig zubereitet sind oder nicht.«
»Nun, Herr Simpel, was halten Sie davon?« fragte mich der Kapitän.«
»Ich glaube, Sir, das ist alles Rauch.«
»Bravo, Herr Simpel, Sie haben sich da sehr gut ausgedrückt.«
Das glaubte ich selbst auch; doch da ich meiner Sache nicht ganz sicher war, so mochte ich nicht lachen, bis die ganze übrige Gesellschaft es that.
Da Herr Phillott das Ende von der Geschichte des Kapitäns zu hören wünschte, so wollte er ihm in betreff des Weines nicht etwa dadurch widersprechen, daß er ihm gesagt hätte, es sei ihm genau bekannt, wie der Kapitän diesen Wein in Barbados an Bord geschickt habe, und der letztere fuhr nun in seiner Erzählung weiter fort.
»Ich räumte also der alten Dame meine Kajütte und ließ meine Hängematte während der Heimfahrt nach der Konstabelkammer bringen. Zwei Tagreisen von Ceuta entfernt wurden wir von einer Windstille betroffen. Die alte Dame war außerordentlich besorgt um ihren Mops, und ich hatte das zweimal in der Woche stattfindende Waschen desselben zu überwachen; doch zuletzt wurde ich der Sache überdrüssig und gab ihn meinem Beischiffsführer zum Baden. Dieser aber, der ein fauler Schlingel war, pflegte das kleine Vieh ohne mein Wissen in eine Tauschlinge zu befestigen und so ein paar Minuten über Bord zu halten. Dies that er auch einmal während der Zeit der Windstille, als plötzlich ein verfluchter Haifisch unter dem Heck heraufkam und den Mops mit einem Bissen verschlang. Der Beischiffführer meldete mir diesen Verlust als eine unbedeutende Sache; ich wußte aber besser, was es zu bedeuten habe, und ließ den Burschen in Eisen legen. Dann ging ich hinab, um Miß Kearney diesen höchst traurigen Vorfall zu melden, und sagte ihr zugleich, daß ich den Kerl in Fesseln gelegt hätte und ihn tüchtig durchpeitschen lassen wolle. Die alte Dame brach bei dieser Nachricht in die heftigste Aufregung aus und behauptete, das sei meine Schuld, ich sei eifersüchtig auf den Hund gewesen, und habe das absichtlich gethan. Je mehr ich mich verteidigte, desto rasender wurde sie, und zuletzt sah ich mich genötigt, auf das Verdeck zu gehen, um ihrem Geschimpfe auszuweichen und meine Ruhe zu bewahren. – Ich war noch keine fünf Minuten auf dem Verdeck, als sie auch heraufkam – oder vielmehr heraufgeschoben wurde, denn sie war zu schwerfällig, um ohne Hilfe heraufgehen zu können. Sie wissen, wie die Elephanten in Indien die Kanonen von hinten mit ihren Köpfen durch den Morast hindurchschieben, und gerade so pflegte auch mein Steward die Dame die Schiffsleiter heraufzuschieben, wobei sein Kopf ganz in ihre Röcke vergraben war. Sobald er sie oben hatte, zog er seinen Kopf heraus, der dann allemal rot und erhitzt, wie ein frisch gesottener Hummer, aussah. Gut also, sie kam herauf, mit ihrem Testament in der Hand und sagte, mich ganz wütend ansehend: ›da der Haifisch meinen lieben Hund genommen hat, so soll er auch mein Testament haben‹, warf es über Bord und fiel auf die Karronadenschleife hin. ›Ganz gut, Madame‹, sagte ich, ›wenn Sie aber allmählich wieder ruhiger geworden sind, so werden Sie ein anderes Testament machen.‹ ›Das werde ich nun und nimmermehr thun, so wahr ich selig zu werden hoffe!‹ erwiderte sie. ›Sie werden es doch thun‹, entgegnete ich. ›Nie, so wahr mir Gott helfe, Kapitän Kearney: Mein Vermögen mag nun an meinen nächsten Erben übergehen, und der sind Sie nicht, wie Sie wohl wissen.‹
Nun kannte ich die alte Dame genau, und wußte, daß sie entschieden in ihrem Willen und das Gesagte so gut als schriftlich war: deshalb war ich nur darauf bedacht, das Testament wieder zu bekommen, welches, ohne daß sie es jedoch wußte, etwa fünfzig Ellen hinter dem Schiffe noch fortwährend herumschwamm. Ich besann mich einen Augenblick, ließ dann den Unterbootsmann kommen und alle Mannschaft zum Baden pfeifen. ›Entschuldigen Sie, Miß Kearney‹, sagte ich, ›die Leute wollen jetzt baden gehen und ich glaube nicht, daß Sie dieselben werden alle nackt sehen wollen.‹ Jetzt warf sie einen vorwurfsvollen Blick auf mich, erhob sich von der Karronadenschleife und wackelte der Leiter zu, mit den Worten: ›diese Beleidigung sei ein neuer Beweis, wie wenig ich irgend eine Güte von ihr verdiene.‹ Sobald sie unten war, wurden die Hinterboote herabgelassen, ich bestieg selbst eines derselben und fing das Testament auf, das noch fortwährend herumschwamm. Da Briggen keine Sternfenster haben, so konnte sie auch mein Manöver nicht gewähren, sondern glaubte, ihr Testament sei für immer zernichtet. Das schlechte Wetter, das jetzt eintrat, der Gram über den Verlust ihres Lieblingshundes, sowie die fortwährenden Zänkereien mit mir – denn von nun an that ich alles, um sie zu ärgern – machten sie krank, und vierzehn Tage nach unserer Landung in Plymouth wurde sie begraben. Die alte Jungfer hatte ihr Wort gehalten und kein anderes Testament gemacht. Das wieder aufgefischte legte ich bei den bürgerlichen Gerichten vor und erhielt ihr ganzes Vermögen.«
Da wir, der erste Leutnant und ich, nicht untersuchen konnten, ob die Geschichte wahr oder erlogen sei, so drückten wir ihm unsere Glückswünsche zu dem erfreulichen Ereignisse aus und verließen bald darauf die Kajütte, diesen sonderbaren Vorfall auch unseren Kameraden mitzuteilen. Als ich auf das Verdeck kam, sah ich, daß der Haifisch soeben in den Haken gebissen hatte und an Bord heraufgezogen wurde. Auch Herr Phillott kam auf das Verdeck. Die Offiziere waren alle mit dem Haifische beschäftigt und sahen, einander zurufend und den Leuten Befehle erteilend, über die Seite hinab. Nun war dies allerdings ein Mangel des Anstandes auf dem Hinterdeck, aber der Kapitän hatte einmal seine Erlaubnis gegeben, und die Sache konnte somit entschuldigt werden; Herr Phillott dagegen war anderer Ansicht und fing nun in seiner üblichen Redeweise zuerst mit dem Marineoffizier folgendermaßen an:
»Herr Westley, ich will Sie nicht gerade damit bemühen, auf den Hängematten herumzulaufen. Sie gehen sogleich fort, Sir. Wenn das einer Ihrer Leute thäte, so würde ich ihm seinen Grog für einen Monat entziehen, und ich sehe nicht ein, warum Sie ein schlechtes Beispiel geben sollen; Sie sind zu lange in den Kasernen gewesen, um die Hälfte zu lang, Sir. Wer ist das? ah, Herr Williams und Herr Moore, auch alle beide auf den Hängematten; sogleich beide auf die Spitze der Fockstenge. Herr Thomas, auf den Hauptmast hinauf, und ich sage Ihnen, Sie Jüngelchen, der Sie sich fortstehlen wollen, setzen Sie sich auf den Spankerbaum und lassen Sie's mich wissen, wenn Sie nach London geritten sind. Bei Gott! der Dienst geht zum Teufel. Ich weiß es auch gar nicht, was für Leute heutzutage zu Offizieren gemacht werden. Von Euch, jungen Gentlemen, will ich demnächst ein paar mit des Konstabels Tochter vermählen. Das Hinterdeck ist nicht besser, als ein Bärengarten; 's ist aber auch kein Wunder, wenn die Leutnants mit dem Beispiel vorangehen.«
Diese letztere Bemerkung konnte sich nur auf O'Brien beziehen, der im Hinterboote stand und da seine Anordnungen traf, ehe die Tirade des Herrn Phillott das Vergnügen der Gesellschaft störte. O'Brien ging sogleich aus dem Boot heraus und trat auf Herrn Phillott, seinen Hut lüftend, mit den Worten zu: »Herr Phillott, wir hatten des Kapitäns Erlaubnis, den Haifisch zu fangen, und ein Haifisch wird nicht dadurch an Bord gebracht, daß man auf dem Hinterdeck auf- und abspaziert. Was mich selbst betrifft, so halte ich mich, so lange der Kapitän an Bord ist, nur diesem allein für mein Benehmen verantwortlich, und wenn Sie glauben, ich habe einen Fehler begangen, so bringen Sie dort Ihre Klage vor; wenn Sie aber gegen mich dieselbe Sprache zu führen im Sinne haben, wie das gegen andere Ihre Gewohnheit ist, so werde ich Sie dafür verantwortlich machen. Ich bin hier, Sir, als Offizier und Gentleman, und will auch demgemäß behandelt werden; und erlauben Sie mir nur, Ihnen bemerklich zu machen, daß ich das Hinterdeck durch eine unedle und unanständige Sprache mehr entwürdigt glaube als dadurch, wenn ein Offizier zufällig auf den Hängematten steht. Da Sie übrigens einmal für gut befunden haben, sich einzumischen, so mögen Sie auch den Haifisch selbst an Bord bringen.«
Herr Phillott kehrte sich ganz rot um, denn er war noch nie mit O'Brien auf solche Weise in Berührung gekommen. Die sämtlichen übrigen Offiziere hatten seine unziemliche Rede mit stillschweigender Ergebenheit hingenommen. »Ganz gut, Herr O'Brien; ich werde Sie für Ihre Worte verantwortlich machen«, erwiderte er, »und Ihr Benehmen unfehlbar dem Kapitän melden«.
»Die Mühe will ich Ihnen ersparen; Kapitän Kearney kommt gegenwärtig herauf, und da will ich mich ihm selbst melden.«
Dies geschah auch von O'Brien, sobald der Kapitän seinen Fuß auf das Hinterdeck setzte.
»Nun ja«, sagte der Kapitän zu Herrn Phillott, »worüber beklagen Sie sich denn?«
»Über Herrn O'Briens Worte, Sir. Darf ich auf dem Hinterdeck so angeredet werden?«
»Ich muß Ihnen in der That sagen, Herr Phillott«, entgegnete Kapitän Kearney, »daß ich in allem, was Herr O'Brien gesprochen hat, nichts finden kann, was nicht richtig und Passend wäre. Ich führe hier den Befehl, und wenn ein Offizier, der Ihnen im Range so sehr nahe steht, sich vergangen hat, so dürfen Sie nicht selbst richten. Die Wahrheit ist, Herr Phillott, Ihre Sprache ist nicht so dienstlich, als ich es wünschen dürfte. Ich hörte jedes Wort, das gewechselt wurde, und bin der Ansicht, daß Sie Ihrem vorgesetzten Offizier, d. h. mir, nicht die schuldige Achtung bezeigt haben. Ich gab die Erlaubnis, den Haifisch zu fangen, und gestattete eben damit die kleinen Abweichungen von der Dienstordnung, die unvermeidlich eintreten mußten. Sie aber haben für gut gefunden, sich in meine Erlaubnis, die einem Befehle gleichkommt, einzumengen, haben sich einer barschen Sprache bedient und haben die jungen Gentlemen bestraft, weil sie meine Anweisungen befolgten. Sie werden mich verbinden, Sir, wenn Sie alle wieder herunterrufen und für die Zukunft Ihrem heftigen Benehmen Schranken setzen. Ich werde immer, wenn Sie im Rechte sind, Ihr Ansehen unterstützen; aber es thut mir leid, daß Sie mich in diesem Falle genötigt haben, dasselbe zu mindern.«
Dies war eine sehr harte Zurechtweisung für Herrn Phillott, der nun die Leute von ihren Strafplätzen wieder herunterrief und dann unverzüglich in die Kajütte hinab ging. Sobald er fort war, standen wir alle wieder auf den Hängematten; der Haifisch wurde herbeigezogen, an Bord gehißt und jede Bratpfanne auf dem Schiffe in Beschlag genommen. Wir waren alle sehr erfreut über Kapitän Kearneys Benehmen bei dieser Veranlassung, und O'Brien sagte zu mir: »Er ist in der That ein guter Mann und tüchtiger Offizier. Wie jammerschade, daß er so 'n verfluchter Lügner ist!«
Herrn Phillott muß ich die Gerechtigkeit widerfahren lassen, zu sagen, daß er uns von diesem Vorfalle her keinen Groll nachtrug, sondern uns gerade wie vorher behandelte, was sehr viel heißen will, wenn man bedenkt, welche Macht ein erster Leutnant hat, die Leute zu Plagen und zu strafen.