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O'Brien erhält seine Bestallung als Leutnant, und wir nehmen französischen Urlaub von Givet.
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Zweifelte ich schon an der Ausführbarkeit der Entweichung, als ich die Außenwerke der Festung besichtigte, so hielt ich solche, nachdem ich in das Innere derselben geführt wurde, für unmöglich und teilte O'Brien meine Ansicht mit. Wir wurden in einen mit einer hohen Mauer umgebenen Hof geführt; die für die Gefangenen bestimmten Gebäude waren mit Dächern, die sich auf einer Seite gegen die Mauern anlehnten, versehen, und von jeder Seite des Vierecks schaute eine Schildwache auf uns herab. Der Hof glich sehr den Gräben, die man für die Bären anlegt, nur daß er bedeutend größer war.
O'Brien antwortete mir mit einem: »Pst, Peter! 's ist g'rad die große Sicherheit des Platzes, die uns instand setzen wird, hinauszukommen. Aber sprich nichts, denn es giebt überall Spione um einen herum, die Englisch verstehen.«
Wir wurden in ein Gemach geführt, das man für sechs von uns angewiesen hatte; unser Gepäck ward untersucht und uns dann zurückzugeben.
»Kommt immer besser, Peter!« sagte O'Brien, »sie haben's nicht gefunden.«
»Was?« fragte ich.
»Ach, nur eine kleine Sammlung von Gegenständen, die uns später nützlich sein dürften.«
Dann zeigte er mir, wovon ich bisher nichts gewußt, daß sein Koffer einen falschen Boden hatte; aber dieser war, wie der übrige Teil des Koffers, mit Papier überzogen und ganz sinnreich verborgen.
»Und was ist da, O'Brien?« fragte ich ihn.
»Laß Dir's aus dem Kopf; ich hab's in Montpellier gemacht und Du wirst's schon später sehen.«
Jetzt kamen die übrigen, die im gleichen Gemache einquartiert waren, herein, gingen aber nach einem viertelstündigen Aufenthalte wieder fort, als die Glocke zum Mittagessen rief.
»Jetzt, Peter, sagte O'Brien, »muß ich mich meiner Last entledigen. Dreh den Schlüssel um.«
O'Brien entkleidete sich nun, und als er das Hemd und die Unterhosen auszog, gewahrte ich eine seidene Schnur, an der sich alle zwei Fuß lang ein etwa einen halben Zoll dicker Knoten befand, und die ganz um seinen Körper herumgewunden war. Ihre Länge betrug volle sechzehn Fuß. Als ich sie abwickelte, sagte er, indem er sich ringsherum drehte:
»Peter, ich habe diese Schnur, seit ich Montpellier verließ, stets getragen, und Du kannst Dir keine Vorstellung von den Schmerzen machen, die ich erlitten; aber wir müssen nach England gehen, das ist fest beschlossen.«
Als ich O'Brien ansah, nachdem die Schnur abgebunden war, konnte ich mir leicht denken, daß er in der That große Schmerzen zu erleiden hatte, denn an einigen Stellen war sein Fleisch durch die fortwährende Reibung ganz wund; und als er nach dem Abwickeln seine Kleider wieder anzog, fiel er in Ohnmacht nieder. Ich war sehr bestürzt hierüber, doch faßte ich mich so weit wieder, die Schnur vorher in den Koffer zu legen, und den Schlüssel abzuziehen, ehe ich um Hilfe rief. Er kam bald wieder zu sich, und als ich ihn fragte, was es denn eigentlich gewesen, sagte er mir, daß er seit seiner Kindheit solchen Anfällen unterworfen sei. Er sah mich sehr ernsthaft an, ich zeigte ihm aber den Schlüssel und dies war genug.
O'Brien, der nun in der That ganz unwohl war, hütete einige Tage das Zimmer. Während dieser Zeit untersuchte er oft den Plan, den ihm der Gendarm gegeben hatte. Eines Tages sagte er zu mir:
»Peter, kannst Du schwimmen?«
»Nein,« antwortete ich, »aber laß Dich das ja nicht bekümmern.«
»Aber ich muß mich darum bekümmern, Peter; denn bedenk, daß wir über die Maas zu setzen haben, und daß nicht überall Boote bei der Hand sind. Du bemerkst, daß die Festung auf einer Seite vom Flusse bespült wird, und da diese, als die stärkste, am wenigsten bewacht, so müssen wir auf ihr entfliehen. Meinen Weg kann ich ganz deutlich sehen, bis wir zum zweiten Wall am Flusse kommen; aber wenn wir uns in diesen hineinlassen, so muß ich darüber nachsinnen, Dich auf irgend eine Weise flott zu halten.«
»Bist Du fest entschlossen, zu entweichen, O'Brien? Ich kann nicht begreifen, wie wir über diese Mauer hinauskommen sollen, deren vier Schildwachen uns ins Auge sehen.«
»Kümmere Dich nicht um das, Peter; sorg' für Deine eigenen Angelegenheiten und sag' mir zuerst, ob Du Dein Glück mit mir versuchen willst?«
»Ja,« erwiderte ich, »gewiß, wenn Du Vertrauen genug zu mir hast, mich als Deinen Genossen anzunehmen.«
»Dir die Wahrheit zu sagen, Peter! – ich wollte keinen Heller für ein Entkommen ohne Dich geben. Wir wurden mit einander gefangen genommen, und so Gott will! machen wir uns auch mit einander davon; aber das muß nicht gerade in diesem Monat geschehen; unsere größte Hilfe werden dunkle Nächte und schlechtes Wetter sein.«
Unsere Haft war in jeder Beziehung von der in Verdun und anderwärts ganz verschieden. Es wurde uns keine Freiheit auf Ehrenwort und nur wenig Verkehr mit den Einwohnern der Stadt bewilligt. Einige derselben durften hereinkommen und uns verschiedene Gegenstände liefern; aber ihre Körbe wurden streng untersucht, daß sie nichts enthielten, was zu einer Flucht von seiten der Gefangenen führen könnte. Ohne die Vorsichtsmaßregeln, welche O'Brien getroffen hatte, wäre jeder Versuch unnütz gewesen. Übrigens, sobald O'Brien wieder das Zimmer verließ, verschaffte er sich mancherlei kleine Gegenstände, hauptsächlich Knäuel Bindfäden, denn eine der Unterhaltungen der Gefangenen waren fliegende Drachen. Dem jedoch wurde ein Ende gesetzt, weil eine der Schnüre, ob absichtlich oder nicht, kann ich nicht sagen, das Schloß an der Muskete einer der Schildwachen, die auf uns herabsahen, faßte und sie ihm aus der Hand herausschnellte; hierauf wurde vom Kommandanten Befehl erlassen, daß keine Drachen mehr gestattet seien. Dies war ein Glück für uns, denn O'Brien brachte nach und nach alle die Bindfaden an sich, welche andern Gefangenen gehörten; und da wir mehr als dreihundert an der Zahl waren, so belief sich das Quantum schon auf eine solche Höhe, daß es ihm möglich war, heimlicher Weise einen starken Strick, oder vielmehr eine Art viereckiges Geflecht, das nur die Matrosen kennen, daraus zu fertigen.
»Jetzt Peter,« sagte er eines Tages, »brauche ich nichts mehr als einen Regenschirm für Dich.«
»Wozu einen Regenschirm für mich?«
»Um zu verhüten, daß Du nicht an zu viel Wasser ertrinkst; das ist's, Junge.«
»Regen wird mich nicht ersäufen.«
»Nein, nein, Peter, aber kauf' nur einen neuen Schirm, so bald Du kannst.«
Ich that's. O'Brien sott ein Quantum Öl und Wachs und bestrich den Schirm mehrmals mit diesem Präparate; hierauf verbarg er ihn sorgfältig in seinem Bettüberzug. Ich fragte ihn, ob er seinen Plan einem der anderen Gefangenen mitteilen wolle; er gab mir aber eine verneinende Antwort, indem er sagte, es seien so viele unter ihnen, denen man nicht trauen könne, daß er gar keinem trauen wolle.
Wir waren ungefähr zwei Monate in Givet, als eine Steelsliste an einen daselbst im Haff befindlichen Leutnant geschickt wurde. Dieser kam auf O'Brien zu und befragte ihn um seinen Taufnamen.
»Terenz,« antwortete O'Brien.
»Dann,« sagte der Leutnant, »darf ich Ihnen zu Ihrer Beförderung gratulieren, denn Sie stehen hier auf der Liste vom August.«
»Das muß gewiß ein kleiner Irrtum sein; lassen Sie mich's einmal sehen … Terenz O'Brien – ganz richtig; aber nun ist die Frage, hat nicht irgend ein anderer Kerl mir meinen Namen und meine Beförderung zugleich gestohlen? Pah, was kann damit gemeint sein? Ich glaub's nicht – kein Titelchen davon – geht mich so wenig an, als den Hund das Fleisch, das er zu Markte führt.«
»In der That, O'Brien,« bemerkte ich nun, »ich kann nicht einsehen, weshalb Du nicht befördert sein solltest; ich bin dessen ganz gewiß, daß Du diese Beförderung verdienst durch Dein Benehmen bei dem Vorfalle, bei welchem Du gefangen wurdest.«
»Aber, was that ich denn da anderes. Du einfältiger Peter, als daß ich Dich auf meinen Rücken lud, wie die Schiffsmannschaft ihre Hängematten, wenn hinunter gepfiffen wird; und überdies – allen Anspruch beiseite gesetzt, wie konnte außer Dir und mir und dem Rüstmeister, der tot dalag, irgend jemand wissen, was in der Schanze vorfiel? Erklär' mir doch das, Peter, wenn Du kannst!«
»Ich denk', ich kann's«, antwortete ich, nachdem der Leutnant weggegangen war; und nun erzählte ich O'Brien, wie ich an Kapitän Savage hatte schreiben und den Thatbestand durch den Major, der uns zu Gefangenen gemacht, bezeugen lassen.
»Gut, Peter«, sagte O'Brien nach einer Pause, »'s giebt 'ne Fabel vom Löwen und von der Maus. Wenn ich meine Beförderung durch Deine Beihilfe erlangt habe, nun, so ist die Maus ein kostbarer Tier denn der Löwe; – aber anstatt vergnügt zu sein, werde ich mich nun elend fühlen, bis die Wahrheit auf die eine oder andere Weise bekannt ist, und dies ist ein Grund weiter, warum ich so bald als möglich nach England muß.«
Mehrere Tage von jetzt an war O'Brien ganz unruhig, doch trafen glücklicherweise um diese Zeit Briefe an uns ein, einer an mich von meinem Vater, der mich aufforderte, so viel Geld auf ihn zu ziehen, als ich nur bedürfe, indem er sagte, daß sich die ganze Familie auf jede Weise einschränken wolle, um mir all die Behaglichkeit zu verschaffen, die in meiner unglücklichen Lage erlangt werden könne. Ich weinte ob seiner Güte, und mehr denn je sehnte ich mich, in seine Arme zu fliegen und ihm zu danken. Er schrieb mir ferner, daß mein Onkel William gestorben sei und daß nur noch einer zwischen mir und dem Titel stehe; daß übrigens mein Großvater sich wohl befinde und in neuester Zeit sehr freundlich gegen ihn gewesen sei. Meine Mutter war sehr betrübt darüber, daß ich zum Gefangenen gemacht worden war, und bat mich zu schreiben, so oft ich nur könne.
O'Briens Brief war vom Kapitän Savage; die Fregatte war mit Depeschen nach Haus geschickt und dann O'Briens Benehmen der Admiralität geschildert worden, die ihn infolge dessen zum Rang eines Leutnants beförderte. O'Brien kam mit dem Briefe auf mich zu und sein Angesicht strahlte vor Freude, als er ihn mir übergab; ich hingegen gab ihm meinen Brief, den er durchlas.
»Peter, mein Junge, ich habe große Verbindlichkeiten gegen Dich. Als Du verwundet warst und im Fieber lagst, dachtest Du an mich – zu einer Zeit, da Du völlig genug an Dich selbst zu denken hattest; doch ich danke keineswegs mit Worten. Wie ich sehe, ist Dein Onkel William gestorben; wie viele Oheime hast Du noch?«
»Meinen Onkel John, der verheiratet ist und bereits zwei Töchter besitzt.«
»Segen über ihn, möge er bei der weiblichen Linie des Geschäftes verbleiben! Peter, mein Junge, Du sollst ein Lord werden, bevor Du stirbst.«
»Unsinn, O'Brien; ich habe keine Aussicht. Setz' mir doch keine thörichten Gedanken in den Kopf.«
»Welche Aussichten hatte ich, ein Leutnant zu werden, und bin ich nicht einer! Wohlan, Peter, Du hast geholfen, einen Leutnant aus mir zu stutzen, aber ich will einen Mann aus Dir machen, und das ist noch mehr. Peter, ich sehe wohl, daß Du mit all Deiner Einfachheit gar nicht einfältig bist, und daß Du bei all Deinen Fragen um Rat im Notfall für Dich selbst denken und handeln kannst. Nun, Peter, sind das Fähigkeiten, die in diesem verfluchten Loch nicht weggeworfen werden dürfen, und deshalb, mein Junge, bereite Dich vor, diesen Ort in einer Woche zu verlassen, sofern uns Wind und Wetter begünstigen – das heißt, nicht guter Wind und schönes Wetter, sondern je schlechter desto besser. Willst Du zu was immer für einer Stunde der Nacht meines Aufrufs gewärtig sein?«
»Ja, O'Brien, und will noch obendrein mein bestes thun.«
»Viel mehr kann niemand thun, wie ich immer gehört habe. Aber, Peter, erweis' mir einen Gefallen; da ich wirklich Leutnant bin, so lang' mal nach der Ordnung an Deinen Hut, nur einmal, das ist alles; aber ich wünsche die Begrüßung, damit ich sehe, wie sich's ausnimmt.«
»Leutnant O'Brien«, sagte ich, die Hand an den Hut legend, »haben Sie noch weitere Befehle?«
»Ja, Sir«, erwiderte er, »daß Sie sich niemals wieder unterstehen, vor mir die Hand an den Hut zu legen, außer wenn wir miteinander segeln; denn dann ist's ein ander Ding.«
Ungefähr eine Woche später kam O'Brien zu mir mit den Worten:
»Der Neumond ist mit stürmischem Wetter in sein Viertel getreten; wenn es anhält, so bereite Dich zum Ausflug vor. Was wir bedürfen, habe ich in Deinen kleinen Tornister gelegt; es könnte vielleicht heute Nacht geschehen. »Geh nur zu Bette und schlaf, wenn Du kannst, für eine Woche, denn in der nächsten wirst Du nur wenig zum Schlafen kommen, wenn wir in der Ausführung glücklich sind.«
Dies war etwa um acht Uhr. Ich ging zu Bette und gegen Mitternacht wurde ich von O'Brien geweckt, der mir sagte, ich solle mich behutsam anziehen und zu ihm in den Hof hinabkommen. Ich that dies, ohne irgend jemand zu stören; es war, wie ich nun fand, stockfinstere Nacht (im Monat November) und der Regen goß in Strömen herab. Der Wind blies heftig, heulte durch den Hof und schleuderte den Regen nach allen Richtungen im Wirbel herum. Es dauerte einige Zeit, bevor ich O'Brien finden konnte, der fest an der Arbeit war. Da er mich bereits mit all seinen Plänen bekannt gemacht hatte, so will ich solche hier auseinandersetzen. In Montpellier hatte er sich sechs breite Stücke Eisen verschafft, jedes ungefähr achtzehn Zoll lang, an einem Ende mit einer Schraube und am andern mit einem viereckigen Knopf versehen, der in eine Handhabe paßte, welche losgemacht werden konnte. Zur Vorsicht hatte er eine weitere Handhabe, und jede von beiden paßte auf alle Eisen. Eines derselben hatte er nun zwischen die Spalten der Steine, aus denen die Mauer erbaut war, hineingeschraubt; auf dieses setzte er sich (reitend) und befestigte ein anderes etwa drei Fuß höher. Nachdem dies geschehen, stellte er sich aufrecht auf das untere Eisen und schraubte, indem er sich auf das zweite, das etwa bis an seine Hüfte ging, stützte, ein drittes ein, wobei er sie immer in der Entfernung von sechs Zoll seitwärts, und nicht eines gerade über dem andern anbrachte. Als er seine sechs Eisenstücke eingeschraubt hatte, war er auf der Hälfte der Mauerhöhe; er befestigte nun seinen Strick, den er um den Hals herumgetragen, an dem obersten, ließ sich daran herab, schraubte die vier untern Stück los, klomm damit am Seile hinauf, stellte sich auf das fünfte Eisen und begann, indem er sich auf das oberste stützte, von neuem seine Arbeit. Auf diese Weise gelangte er im Laufe von einer und einer halben Stunde an die Zinne der Mauer, wo er sein letztes Eisen einschraubte; hier befestigte er seinen Strick und ließ sich wieder herab.
»Nun, Peter«, sagte er, ist nicht mehr zu befürchten, daß uns die Schildwachen sehen; selbst wenn sie Katzenaugen hätten, so könnten sie dies nicht, ehe wir auf der Mauerzinne sind, und dann müssen wir auf dem Bauch bis zu den Wällen hinkriechen. Ich will mit allen Werkzeugen hinaufgehen. Gieb mir Deinen Tornister – Du wirst so leichter fortkommen; und sei darauf bedacht, falls mir ein Unglück begegnen sollte, wieder in Dein Bett zu eilen. Wenn ich dagegen den Strick drei- oder viermal herauf- und hinunterlasse, so mußt Du, so schnell Du nur kannst, Dich herauf begeben.«
O'Brien belud sich nun mit dem andern Stricke, den zwei Taschen, mit eisernen Brechstangen und den andern Werkzeugen, die er sich verschafft hatte, und zuletzt noch mit dem Regenschirme.
»Peter, wenn der Strick mich mit all diesen Sachen trägt, so ist's klar, daß er so 'n Geschöpf, wie Du bist, tragen wird; deshalb sei unbesorgt.«
Während er mir dies zuflüsterte, begann er hinauf zu steigen; in etwa drei Minuten war er oben und zog den Strick. Unverzüglich folgte ich ihm, wobei ich fand, daß es ganz leicht war, hinauf zu klimmen; denn die Knoten, die je zwei Fuß weit angebracht waren, gaben mir einen Anhaltspunkt für meine Füße, und so war ich in eben so kurzer Zeit oben als er. Er faßte mich am Kragen, legte seine nasse Hand auf meinen Mund und ich streckte mich neben ihm hin, während er den Strick heraufzog. Wir krochen nun auf dem Bauch über das Glacis, bis wir an die Wälle kamen. Der Wind stürmte fürchterlich und der Regen fiel so dicht herab, daß die Schildwachen uns nicht gewahrten; übrigens lag die Schuld nicht an ihnen, denn es war ganz unmöglich, uns zu sehen. Es verging einige Zeit, ehe O'Brien den rechten Punkt über die Zugbrücke des Hauptgrabens auffand; endlich traf er ihn, befestigte seine Brechstange und ließ den Strick hinab.
»Jetzt, Peter, halt' ich fürs beste, daß ich wieder zuerst gehe; wenn ich unten am Strick ziehe, ist alles richtig.«
O'Brien stieg hinab und rüttelte nach einigen Minuten wieder am Strick; ich folgte ihm nach und sah mich auf dem Einfügungsbalken der Zugbrücke in seinen Armen; aber die Zugbrücke selbst war hinaufgezogen. O'Brien ging längs der Ketten voraus und ich folgte ihm. Als wir über dem Graben waren, fanden wir ein Thor in der Mauer geschlossen; dies setzte uns in Verlegenheit. O'Brien zog seine Dietriche heraus, um es aufzubrechen, aber ohne Erfolg; da saßen wir fest.
»Wir müssen das Thor unterminieren, O'Brien, wir müssen das Pflaster aufbrechen, bis wir unten hindurch kriechen können.«
»Peter, Du bist ein kostbarer Junge; an das dachte ich nicht.«
Wir arbeiteten nun tüchtig darauf los, bis die Höhlung groß genug war, indem wir uns der Brechstange, die noch übrig war, sowie des kleinen Schraubendrehers, den O'Brien bei sich hatte, bedienten. Auf diese Weise kamen wir im Laufe von einer Stunde oder etwas mehr unter dem Thore hindurch. Dies Thor führte zu dem untern Walle, aber wir mußten durch einen bedeckten Weg, ehe wir dort hinkamen. Wir schritten ganz sorgfältig vorwärts, als wir ein Geräusch hörten: wir hielten an und fanden, daß es eine Schildwache war, die in tiefem Schlafe lag und schnarchte. Da wir hier kaum jemand anzutreffen erwarteten, so waren wir darüber verlegen; an ihm vorbeiziehen konnten wir nicht wohl, weil er sich gerade an dem Fleck befand, wo wir unsere Brechstange befestigen wollten, um den unteren Wall hinab in den Fluß zu kommen. O'Brien dachte einen Augenblick nach.
»Peter«, sagte er, »jetzt ist die Zeit da, wo Du Dich als Mann bewähren kannst. Er liegt zwar in tiefem Schlaf, aber er muß verhindert werden, Lärm zu machen. Ich will seinen Mund stopfen, aber in demselben Augenblicke, da ich es thue, mußt Du die Pfanne seiner Muskete aufreißen, dann kann er sie nicht abfeuern.«
»Ich will, O'Brien; sei unbesorgt um mich.«
Wir krochen ganz vorsichtig zu ihm hin, und da O'Brien mir bedeutete, meinen Daumen auf die Pfanne zu setzen, so that ich es, und in demselben Moment, als O'Brien seine Hand auf den Mund des Soldaten drückte, riß ich die Pfanne auf.
Der Bursche bemühte sich nun, abzudrücken und ein Signal zu geben, aber, natürlich ohne seine Muskete abfeuern zu können, und in einer Minute war er von O'Brien unter meinem Beistand nicht nur geknebelt, sondern auch gebunden. Dann verließen wir ihn und gingen nach dem Wall; wir befestigten hier wieder das Brecheisen und O'Brien stieg hinab; ich folgte ihm und traf ihn schon im Fluß am Stricke hängend; der Regenschirm wurde nun aufgemacht und verkehrt hingelegt; durch den erwähnten Überzug war derselbe wasserdicht gemacht worden, und wie mir O'Brien auseinander gesetzt hatte, durfte ich mich nur auf Armeslänge an den zwei Schnüren halten, die er an der unter Wasser befindlichen Spitze des Schirmes befestigt hatte. An derselben Stelle war für O'Brien ein Zugseil angebracht, das er zwischen die Zähne nahm und mich so stromabwärts ungefähr hundert Yards weit außerhalb der Festung fortzog, wo wir landeten. O'Brien war so erschöpft, daß er einige Minuten ganz bewegungslos verblieb und auch ich war von Kälte erstarrt.
»Peter«, sagte er, »Gott sei Dank, so weit sind wir glücklich gewesen; aber jetzt müssen wir, so schnell als wir können, davon eilen, denn in zwei Stunden bricht der Tag an.«
O'Brien nahm seine Branntweinflasche heraus und wir tranken beide wenigstens ein halbes Glas, aber in unserem damaligen Zustande hätte uns selbst eine Flasche nicht angegriffen. Wir gingen nun an der Seite des Ufers hinab, bis wir auf ein kleines Fahrzeug stießen, an dessen Stern ein Boot gebunden war. O'Brien schwamm zu demselben hin, schnitt das Tau, ohne hinein zu gehen, ab, und zog das Boot ans Ufer. Die Ruder befanden sich glücklicherweise darin. Ich stieg hinein, wir stießen ab und ruderten den Fluß hinunter, bis der Tag graute.
»'s ist alles recht, Peter, jetzt wollen wir landen; das ist der Ardennenwald.«
Wir landeten, legten die Ruder wieder in das Boot und stießen dasselbe in den Strom hinein, um die Leute glauben zu machen, es habe sich zufällig losgerissen; dann eilten wir in das Dickicht des Waldes. Es regnete fortwährend heftig; mich schauderte und die Zähne klapperten mir vor Kälte, aber es war nichts dagegen zu machen. Wir nahmen wieder einen Schluck Branntwein und fielen bald, von Anstrengung und Aufregung erschöpft, auf einem Lager von Laub, das wir miteinander zusammengetragen hatten, in tiefen Schlaf.