Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Mit Geld kann man in dem neuen Lande alles kaufen. – Auf amerikanische Auskunft darf man sich nicht immer verlassen. – Ein nächtlicher Angriff; wir werden abgeschlagen, retten aber doch zuletzt noch etwas aus dem Feuer.
—————
Am andern Morgen lichteten wir die Anker und kehrten nach unserer Station von Martinique zurück. Wir hatten noch etwa drei Meilen bis Saint Pierre, als wir ein Fahrzeug unter Notmasten herauskommen sahen. Es steuerte auf uns zu, und wir erkannten die amerikanische Brigantine, mit der wir vor einiger Zeit zusammengetroffen waren. O'Brien setzte ein Boot aus, um den Schiffer zu uns an Bord zu holen.
»Wie ist das, Kapitän?« fragte er; »haben Sie eine Bö durchgemacht?«
»Schätze wohl nicht«, versetzte er.
»Was zum Teufel haben Sie aber dann getrieben?«
»Je nun, ich habe meine ganze Ladung, und was noch mehr ist, auch meine Masten verkauft.«
»Ihre Masten verkauft? und an wen?«
»An einen mächtig netten französischen Kaper, der in Saint Pierre liegt; er hatte seine Spieren verloren, als er von einer der kupferbodenen englischen Schlangen gejagt wurde – und ich hab' 'n Gedanken, daß ich einen hübschen Handel gemacht habe.«
»Aber wie gedenken Sie wieder nach Hause zu kommen?«
»Schätz' wohl, ich komme in die Strömung und dann wird's schon gehen. Giebt's einen Nordwester, so mache ich ein Notsignal, und da wird mich, denke ich, wohl jemand ins Schlepptau nehmen.«
»Ah, so«, versetzte O'Brien. »Wollen Sie aber nicht in die Kajütte treten und etwas zu sich nehmen, Kapitän?«
»Mit absonderlichem Vergnügen«, entgegnete dieses seltsame Menschenkind; und sie gingen hinunter.
In einer halben Stunde kehrten sie wieder aufs Deck zurück, und das Boot brachte den Amerikaner an Bord seines Schiffes. Bald nachher berief O'Brien mich und Osbaldistone nach der Kajütte. Die Karte des Hafens Saint Pierre lag auf dem Tische und O'Brien sagte:
»Ich habe mich lange mit dem Amerikaner unterhalten, und er giebt an, der Kaper liege hier an dieser Stelle vor Anker.« (Er deutete dabei auf einen mit Bleistift bezeichneten Punkt in der Karte.) »Wenn dem so ist, so liegt er weit genug außen, und ich finde keine Schwierigkeit, ihn zu nehmen. Wie man sieht, liegt er in vier Faden tiefem Wasser und so dicht unter der äußern Batterie, daß das Geschütz nicht auf unsere Boote gerichtet werden kann. Ich habe auch gefragt, ob man guten Lugaus hält, und der Amerikaner sagt, man betrachte sich dort für so sicher, daß man dies ganz vernachlässige; der Kapitän und die Offiziere, welche zum Kaper gehören, seien die ganze Nacht über am Ufer, um daselbst zu trinken, zu rauchen und mit ihren künftigen Heldenthaten groß zu thun. Nun fragt sich's, ob es mit dieser Angabe seine Richtigkeit hat. Der Amerikaner ist von uns gut behandelt worden, und ich sehe nicht ein, warum ich Zweifel in ihn setzen sollte; in der That berichtete er dies ganz freiwillig, als ob er uns zu dienen wünsche.«
Ich ließ Osbaldistone zuerst sprechen. Schon der Umstand, daß der Kaper neue Masten brauchte, ließ mich die Wahrheit der Angabe in betreff der Lage bezweifeln, und wenn ein Teil der Geschichte falsch war, warum nicht auch das Ganze? O'Brien schien diese Bemerkung einzuleuchten, und es wurde beschlossen, die Boote sollten zuvörderst nur rekognoszieren und bloß dann einen Angriff machen, wenn der Kaper auf dem von dem amerikanischen Schiffer angedeuteten Punkte liege. Jedenfalls aber sollte die Rekognition schon in der nächsten Nacht statthaben, denn wenn der Kaper an dem mutmaßlichen Platze vor Anker lag, so blieb er aller Wahrscheinlichkeit nach nicht liegen, sondern begab sich weiter hinein, um seine neuen Masten aufzusetzen. Die Kunde, daß eine Unternehmung beabsichtigt werde, lief bald durch das ganze Schiff, und alle Matrosen hatten ihre Seitengewehre vom Gangspill geholt, um zum Gefecht bereit zu sein. Die kampflustige Mannschaft beschäftigte sich ohne Auftrag mit den Booten, indem sie einige alte Decken zerschnitten, um die Ruder zu belegen, andere aber neue Handhaben anfertigten. Das ganze Schiffsvolk bewegte sich so geschäftig auf den Decken hin und her, wie ein Bienenhaufen, der zu schwärmen im Begriffe ist. Endlich kam Osbaldistone herauf, und erteilte Befehl, die Bootsmannschaft abzupfeifen, damit sie sich für den Dienst bereit halte. Er sollte das Kommando des Langboots übernehmen; mir wurde der erste Kutter, O'Farell der zweite und Swinburne die Jolle zugewiesen. Sobald es dunkel war, wurde der Schnabel der Brigg wieder Saint Pierre zugekehrt und wir segelten langsam dem Lande zu. Um zehn Uhr legten wir bei, und um elf Uhr erhielten die Boote Befehl aufzuholen, wobei O'Brien Herrn Osbaldistone nochmal einschärfte, keinen Angriff zu versuchen, wenn der Kaper in der Nähe der Stadt geankert hätte. Die Leute wurden sämtlich auf dem Halbdeck versammelt, damit man sich überzeugen konnte, ob sie befohlenermaßen die viereckigen Flecke Segeltuch auf den linken Jackenärmel genäht hätten, und so in der Lage wären, den Freund vom Feind zu unterscheiden – eine bei nächtlichen Unternehmungen sehr nöthige Vorsichtsmaßregel; dann bestiegen sie ihre Boote und erhielten Ordre zur Abfahrt. Die Ruder bewegten sich unter phosphoreszierendem Lichte (einer in diesem Klima sehr gewöhnlichen Erscheinung) durch das Wasser, und es ging vorwärts. Nach einer Stunde ließ Osbaldistone die Ruder des Langboots einziehen und wir schlossen uns ihm an.
»Wir sind nun an der Mündung des Hafens; es muß daher das größte Stillschweigen beobachtet werden.«
»An der Mündung des Hafens, Sir?« versetzte Swinburne, »ich denke, wir sind fast schon in der Mitte desselben. Wir haben die Spitze schon vor zehn Minuten passiert, und das vor uns ist allbereits die zweite Batterie.«
Osbaldistone war nicht dieser Ansicht, und auch ich glaubte nicht, daß Swinburne recht hatte; er bestand jedoch darauf und deutete auf die Lichter in der Stadt, die nun offen vor uns lagen, was nicht hätte der Fall sein können, wenn wir bloß am Eingange des Hafens gewesen wären. Dessenungeachtet aber blieben die Ansichten geteilt, und Swinburne schwieg aus Achtung vor seinen Offizieren.
Wir ruderten wieder mit der größten Vorsicht weiter. Die Nacht war pechfinster, und wir konnten nichts unterscheiden. Nach weiteren zehn Minuten befanden wir uns augenscheinlich dicht vor den Lichtern der Stadt, konnten aber weder einen Kaper, noch ein sonstiges Schiff bemerken. Wir zogen abermals die Ruder ein und hielten Kriegsrat. Swinburne erklärte, wenn der Kaper an dem Ort läge, wo wir ihn vermuteten, hätten wir längst an ihm vorbeikommen müssen.
Aber während wir noch debattierten, rief O'Farrell: »Ich sehe ihn«, und er hatte recht, denn er lag kaum eine Kabellänge von uns ab. Ohne auf Ordre zu warten, ließ O'Farrel wieder rudern und langte an der Seite des Kapers an. Aber ehe er die Hälfte der Schiffsseite erstiegen hatte, flogen in allen Richtungen Lichter umher und ein Dutzend Musketen wurden abgefeuert. Jetzt konnten wir nichts anderes thun, als ihm folgen, und in ein paar Augenblicken befanden wir uns gleichfalls an der Seite des Feindes, der aber gut vorbereitet und auf seiner Hut war. Enternetze waren rund umher aufgesteckt, und die Kanonenmündungen so tief als möglich niedergedrückt; auch schien der Kaper voll von Leuten zu sein. Eine Scene der Verwirrung und des Gemetzels begann, wie ich sie nie wieder zu schauen hoffe. Alle unsere Versuche, an Bord zu gelangen, waren vergeblich; versuchten wir's bei einer Geschützpforte, so stießen uns Dutzende von Piken zurück, wollten wir uns der Enternetze bedienen, so wurden wir, tot oder verwundet, in die Boote geworfen. Aus jeder Stückpforte und von den Decken des Kapers herab tönte ohne Unterlaß das Knallen der Musketen. Pistolen wurden uns in die Gesichter abgefeuert, während hin und wieder eine der Karronaden losging, uns mit ihrem Knalle betäubte und die Boote in dem bewegten Wasser schwingen machte, wenn auch sonst keine andere Wirkung dadurch erzielt wurde.
Zehn Minuten lang kämpften wir ohne Unterlaß fort. Die Hälfte unserer Leute lag tot oder verwundet in den Booten, während die ermatteten und durch ihre vergeblichen Angriffe entmutigten Streiter sich größtenteils auf die Duchten der Boote niedersetzten, ihre Musketen luden und damit in die Geschützpforten hineinfeuerten. Osbaldistone war unter den Verwundeten. Da ich bemerkte, daß er sich nicht in dem Langboot befand, von dessen Mannschaft nur noch sechzig übrig waren, rief ich dem neben mir liegenden Swinburne zu, er solle den andern Booten bedeuten, sie möchten so schnell wie möglich aus dem Hafen zu kommen suchen. Dies war den noch Lebenden bald mitgeteilt: sie würden den ungleichen Kampf bis auf den letzten Mann fortgesetzt haben, wenn ich nicht Gegenordre gegeben hätte. Das Langboot und der zweite Kutter, dessen Befehlshaber, O'Farrell, gleichfalls gefallen war, fuhren ab, und sobald sie aus dem Bereich des Kapers waren, schickte ich mich an, ihrem Beispiele zu folgen, freilich unter dem zeternden Jubelgeschrei der Franzosen, die nun höhnend und neckend auf ihr Schanddeck sprangen und uns ihre Musketenkugeln nachschickten.
»Halt, Sir«, rief Swinburne, »wir müssen doch ein bischen Rache nehmen.«
Mit diesen Worten legte er den Bug des Langbootes gegen den Kaper um, und richtete die darauf befindliche Karronade, von welcher der Feind keine Ahnung hatte, da sie nicht gebraucht worden war, dahin, wo die Franzosen im dichtesten Haufen standen.
»Einen Augenblick Geduld, Swinburne; laden Sie eine zweite Kartätschenbüchse hinein.«
Dies geschah, und das Geschütz wurde abgefeuert. Es that eine mörderische Wirkung, indem die Feinde in Massen auf das Deck niederstürzten. Das Rufen und Stöhnen, welches nun folgte, überzeugte mich, wir hätten, wenn uns noch mehr Mannschaft geblieben wäre, umkehren und den Kaper nehmen können, aber es war zu spät. Die Batterien füllten sich mit Lichtern, und obgleich man keines der Boote sehen konnte, entlud sich das Geschütz doch in der Richtung, wo man uns vermutete, denn aus dem Jubel am Bord des Schiffes konnte man wohl annehmen, daß wir zurückgeschlagen waren. Auf dem Langboote befanden sich nur noch sechs Matrosen, die ein Ruder führen konnten, in dem ersten Kutter nur noch vier, in dem meinigen fünf, und Swinburne hatte in der Jolle, ihn selbst ausgenommen, noch zwei diensttüchtige Personen.
»Das ist eine betrübende Geschichte, Sir«, sagte Swinburne. »Was wird wohl das Beste sein? Ich bin der Ansicht, man sollte alle Verwundeten ins Langboot schaffen, die beiden Kutter, nebst der Jolle, bemannen, und dann das Langboot ins Schlepptau nehmen. Und dann, Herr Simpel, sollten wir nicht diese Seite einhalten, denn hier suchen uns die Batterien. 's wäre wohl besser, wir hielten uns dicht ans nächste Ufer, damit die Schüsse über uns hingehen.«
Dieser Rat war zu gut, um nicht befolgt zu werden. Es war jetzt zwei Uhr, wir durften keine Zeit mehr verlieren und hatten noch weit zu rudern; die Toten und Verwundeten wurden schleunigst aus den Kuttern und der Jolle ins Langboot geschafft. Ich hatte keine Zeit zur Untersuchung, bemerkte aber, daß O'Farrell tot war, desgleichen auch ein junger Mensch, Namens Pepper, der sich in die Boote eingeschmuggelt haben mußte. Osbaldistone fand ich auf den Hinterplanken des Langbootes. Er hatte eine tiefe Wunde in der Brust, augenscheinlich die Wirkung einer Pike. Er war bei Besinnung und bat mich um etwas Wasser, das ich ihm aus einer Tonne des Langbootes holte. Bei dem Worte »Wasser«, noch mehr aber, als sie es aus der Tonne fließen hörten, riefen viele der Verwundeten um die gleiche Labung. Da ich jedoch keine Zeit übrig hatte, so ließ ich zwei Mann zurück, den einen am Steuer, den andern am Wasserfaß, nahm das Langboot ins Schlepptau und ruderte, Swinburne's Rat zufolge, dessen Boot dicht neben dem meinigen lag, geradewegs auf die Batterie zu.
Sobald wir nahe genug am Ufer waren, ließ ich, mit keineswegs beneidenswerten Gefühlen, fortrudern, bis wir den Hafen im Rücken hatten. Swinburne sagte mit gedämpfter Stimme zu mir:
»Dies wird ein schwerer Schlag sein für den Kapitän, Herr Simpel. Ich habe immer sagen hören, daß ein junger Befehlshaber, der seine Leute verliert, ohne dem Admiral Dollars zu bringen, keine gute Aufnahme zu gewärtigen habe.«
»Ach, ich bedaure ihn mehr, als ich wohl ausdrücken kann, Swinburne«, versetzte ich; »aber – was ist das dort vorne – ein Schiff unter Segel?«
Swinburne richtete sich im Sterne des Kutters auf, und betrachtete sich den Gegenstand einige Augenblicke.
»Ja, ein großes Schiff, unter Oberbramsegeln einwärtssteuernd – es muß ein Franzmann sein. Jetzt ist's Zeit, Sir; so lange wir nicht mit leeren Händen kommen, ist alles recht. Darauf losgerudert, ihr Leute. Sollen wir das Langboot fallen lassen, Sir?«
»Ja«, versetzte ich, »und nun, meine Jungen, wenn wir nur dieses Schiff kriegen, so geht alles noch gut. 's ist ein Kauffahrer, das ist klar. (Freilich konnte ich dies mit Gewißheit nicht behaupten.) Swinburne, ich glaube, 's ist besser, wir lassen ihn zwischen uns und der Küste vorbei; sie werden alle auf der andern Seite auslugen, denn sie müssen das Feuern gesehen haben.«
»Gut ausgedacht, Sir«, entgegnete Swinburne. Wir zogen unsere Ruder an, und ließen das Schiff vorbei; seine Bewegung war nicht schneller, als etwa zwei Meilen in der Stunde. Das Langboot zurücklassend, ruderten wir nun in drei Booten gegen die Windvierung der Fremden und enterten.
Wie wir vermutet, befand sich die Mannschaft auf dem Deck, und zwar auf der andern Seite des Schiffes, wo sie ängstlich nach der Batterie hinsah, die noch immer aufs Geratewohl feuerte. Wir wurden nicht bemerkt, bis wir so nahe waren, daß es die Zeit nicht mehr erlaubte, zur Wehr zu greifen. Es befanden sich auch mehrere Damen an Bord, zu deren Schutz sich einige versammelten, die übrigen aber liefen in den Unterraum. In zwei Minuten hatten wir Besitz genommen und gaben nun dem Schnabel eine andere Richtung. Zu unserem Erstaunen fanden wir, daß das Schiff vierzehn Kanonen führte. Wir ließen eine Luke für die Damen offen, welche zum Teil ohnmächtig geworden waren, und daher hinuntergebracht werden mußten; die übrigen ließ Swinburne zuschlagen. Sobald wir das Verdeck für uns hatten, bemannten wir einen der Kutter und schickten ihn nach dem Langboote fort; bis dieses angelegt war, hatten wir Zeit, umherzuschauen. Die Brise frischte auf und nach einer Stunde befanden wir uns außer der Schußweite sämtlicher Batterien. Ich ließ dann die Verwundeten aus dem Langboot nehmen, worauf ihnen Swinburne nebst den übrigen Unbeschädigten Verbände anlegten und alles zu ihrer Bequemlichkeit einrichteten.