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Ein solches Ereignis war das Frühlingsschlußfest der letzten Klasse, zu dem der Direktor, die Lehrer und die vorletzte Klasse eingeladen waren, um den Kontakt zwischen der Lehranstalt und den Abiturienten zu betonen. Es gab auf diesem Fest ein kaltes Büfett mit Tee, Schnaps und Bier, aber diese materielle Seite spielte doch eigentlich nur eine Nebenrolle, die Hauptsache waren die geistigen Genüsse. Und für diese hatten die Abiturienten als die Veranstalter des Festes Sorge zu tragen. Wochen hindurch wurde darüber debattiert, wer reden sollte und worüber. Das brachte viel Leben mit sich, denn alle Klassen interessierten sich für die Sache, da sie ja selbst früher oder später in derselben Lage sein würden. Das Hauptthema der Debatten bildete heuer wie auch sonst die Frage, ob man dem Direktor und den Lehrern in den Reden die Wahrheit sagen oder sich auf »konventionelle Lügen« beschränken sollte.
»Wenn man nicht einmal auf dem Schlußfest die Wahrheit sagen darf, dann lohnt es sich überhaupt nicht zu reden«, meinte Wellemaa, ein poetisch veranlagter Abiturient, der namentlich gern russische Verse schmiedete. »Jahrelang haben wir hier mit der Wahrheit hinterm Berge halten müssen, denn anders war es uns ja nicht möglich, unsere Bildung zu vervollständigen. Versteht ihr, was das heißen will? Um bis zum Abiturium zu kommen, haben wir die Wahrheit verschweigen müssen. Aber nun, wo wir unsere Bildung erhalten haben und uns anschicken ins Leben zu treten, möchte man endlich einmal doch die Wahrheit reden, die volle Wahrheit, und diese volle Wahrheit soll mein Abiturientenexamen darstellen.«
»Und wenn du beim Examen durchfällst?« fragte jemand.
»Wenn ich durchfallen sollte, dann komme ich natürlich nicht mehr hierher zurück«, versetzte Wellemaa, »denn der Mensch soll nie dahin zurückkehren, wo er einmal die Wahrheit gesagt hat.«
»Aber woher weißt du denn, daß das, was du sagen willst, überhaupt die Wahrheit ist?« fragte man. »Du wirst doch nicht behaupten wollen, daß deine Meinung und die Wahrheit sich unbedingt decken?«
»Es gibt natürlich zweierlei Wahrheit«, verteidigte sich Wellemaa, »eine objektive und eine subjektive ... Selbstverständlich denke ich nicht daran, in meiner Rede die objektive Wahrheit zu verkünden, die kennen die Lehrer bester als wir. Aber unsere subjektiven Wahrheiten, die kennen sie nicht, können sie gar nicht kennen, und in diesem Sinne sind sie dümmer als wir. Mit einem Wort, sie haben uns jahrlang objektive Wahrheiten gelehrt, nun wollen wir ihnen mal subjektive Wahrheiten verkünden. Das ist meine Meinung.«
Als das Fest immer näher heranrückte, und man sich noch immer nicht darüber einigen konnte, ob man dort die reine, bittere Wahrheit verkünden oder sie mit ein wenig süßer Lüge vermengen solle, wurde eine Kommission gewählt, die vor allem Herrn Koovis Meinung über diese Sache einholen sollte. Genau genommen, wußte man freilich schon im voraus, was Herr Koovi meinen würde, aber man wollte dessenungeachtet nochmals mit ihm über die Sache reden, als hege man die Hoffnung, daß er diese Meinung in letzter Zeit vielleicht doch geändert haben könne. Aber nein, das hatte Herr Koovi nicht getan. Er sagte vielmehr, gleichsam um Erbarmen flehend, ob für den Direktor, die Lehrer oder die Wahrheit, das wußte man nicht recht:
»Lasten Sie die Wahrheit doch mal in Frieden! Jahre hindurch sind Sie ohne sie ausgekommen, können Sie sie nun nicht noch einige wenige Stunden ruhen lasten! Man kommt zusammen, um zu essen, zu trinken und ein wenig zu plaudern, aber doch nicht, um die Wahrheit zu hören. Wer die Wahrheit sucht, der mag daheim bleiben, nicht? Und was für eine Wahrheit könnten Sie denn Herrn Maurus sagen, die er nicht schon gehört hätte? Und glauben Sie, daß er diese Ihre Wahrheit ernst nehmen wird? Nein, er wird sich über Sie lustig machen.«
»Nun gut«, erklärte sich die Delegation mit diesen Einwänden einverstanden, »aber was in einer Rede nicht am Platz sein mag, das sollte doch während des Essens und Trinkens gestattet sein.«
»Das ist eine andere Sache«, meinte Herr Koovi. » In vino veritas! Wenn jemand berauschten Muts die Wahrheit redet, so schadet das nichts, das kränkt niemanden. Ein Berauschter ist gleichsam ein wenig verrückt, und Verrückte dürfen stets die Wahrheit sagen, das nimmt man ihnen nicht übel. Im Gegenteil, es ist sogar sehr spaßig, wenn Verrückte die Wahrheit reden.«
»Jungens, dann legen wir uns voll«, sagte Wellemaa als er Herrn Koovis Meinung gehört, und auch die anderen neigten der Ansicht zu, daß dieses der einzige rechte Weg zur Wahrheit sei, der bei einer so wichtigen Gelegenheit, wie sie das Schlußfest darstellte, eingeschlagen werden könne.
So war denn diese schwierige Frage zu allgemeiner Zufriedenheit entschieden, sowohl hinsichtlich der objektiven als auch der subjektiven Wahrheit.
Mit der materiellen Ausrichtung des Festes wurde Indrek betraut, der als Schüler der vorletzten Klasse auch am Fest teilnehmen sollte.
»Du bist gewohnt, mit Butter und Brot umzugehen«, meinte man, »nun zeig, was du in Herrn Maurus' Lehranstalt erster Kategorie gelernt hast. Wurst und Schinken hast du freilich weder in die Hand noch in den Mund bekommen, aber wer sich gründlich auf Butter und Brot versteht, der wird auch schon mit Wurst und Schinken und ähnlichem Kram zurechtkommen.«
Neben zahlreichen anderen Imbissen sollte auf der Festtafel auch Kaviar figurieren, und gerade auf diese Neuerung taten sich die diesjährigen Abiturienten besonders viel zugute. Nur einmal in seinem Leben macht der Mensch Abiturium, wird er reif, gleichwie er auch nur einmal im Leben geboren wird und stirbt. Darum ist das Abiturium als ein durchaus ebenso wichtiges Ereignis anzusprechen wie Geburt und Tod. Und daher ist es denn auch durchaus nicht übertrieben, wenn man dieses wichtige Ereignis mit Kaviar begeht, wie man ja auch Geburt und Tod durch außerordentliche Festlichkeiten auszeichnet.
Und so war denn dieser wichtige, bedeutsame Tag schließlich angebrochen. Aus der letzten Klasse wurden die Pulte und Schultische entfernt und durch lange Tafeln ersetzt, die in Hufeisenform aufgestellt wurden. Ursprünglich hatte man geplant, diese Tafeln mit weißem Papier zu decken, aber Indrek besorgte sich aus eigener Initiative von Frau Malmberg schneeweiße Tischtücher, die diese ihm mit der Belehrung überließ, Weinflecke, die sich beim Tafeln ergeben könnten, gehörig mit Salz zu bestreuen, eine übrigens gänzlich unnötige Ermahnung, denn wie hätten sich wohl derartige Flecke ergeben sollen, wenn es überhaupt gar keinen Wein gab, vielmehr bloß Schnaps und Bier. Und wozu auch, wo doch nur Männer am Fest teilnahmen, nicht eine einzige Frau? Und das Geschirr, mit dem die Tische gedeckt wurden, verdankte man, gleich den Tischtüchern, Frau Malmbergs Liebenswürdigkeit. Zum Sitzen dienten lange Bänke, hier und da ein hölzerner Stuhl. Nur für Herrn Woitinski wurde ein weicher Lehnsessel hingestellt, und zwar auf Wunsch Herrn Slopaschews, der ihn auch geliefert hatte, denn der kannte die namentlich bei Festlichkeiten sich bemerkbar machende Schwäche seines alten Freundes.
Das Fest sollte um sieben Uhr abends beginnen, aber die Gäste verspäteten sich so stark, daß Wellemaa seine Eröffnungs- oder Begrüßungsrede erst gegen neun Uhr halten konnte. Bekanntlich war er eigentlich grundsätzlich gegen das Reden, wenn ihm nicht gestattet wäre, seine subjektiven Wahrheiten auszukramen, und darum hatte er seine Rede in russische Verse umgegossen, womit er bei allen stürmischen Beifall erntete. So blieb er seinem Grundsatz treu, indem er nicht eigentlich eine richtige Rede hielt, da diese ja nun mal nicht die Wahrheit enthalten sollte, sondern sich mit Dichtung begnügte. Nur eins bedauerte er später: daß er in dieser Dichtung nicht die Wahrheit gesagt hatte, für die sich die Prosa nicht schicken wollte. Die Sprache der Dichtung ist doch die Sprache der Begeisterung, des Rauschs, des Wahnsinns gleichsam, und darum hätten in dieser Sprache verkündete Wahrheiten doch eigentlich niemanden beleidigen dürfen.
Aber das fiel ihm erst nach dem Fest ein. Und infolgedessen gestaltete sich der geistige Teil der Feier höchst langweilig, obgleich er doch monatelang vorbereitet worden war.
Auf die Begrüßungsrede erfolgten mehrere Antworten, die indessen mehr der Form als der Sache halber gehalten zu werden schienen. Und auch als man sich dann endlich an die leiblichen Genüsse machte, wollte keine richtige Feststimmung aufkommen, nur Herrn Slopaschews Baß ließ sich schnell immer deutlicher vernehmen, und seine Laune schien auch Herrn Woitinski auf seinem Lehnsessel anzustecken, der glucksend und mit den Händen den Takt schlagend dasaß, als weile er im Geiste gar nicht auf dem Fest, sondern auf irgendeinem Konzert, das er vor Jahrzehnten besucht.
Endlich erhob sich Slopaschew und rief aus voller Brust:
»Meine Freunde bei Speise und Trank, meine lieben Arbeitsgenossen! Hier ist über allerlei geredet worden, nur nicht über den Menschen. Aber ich frage: Was ist der Mensch? Wer ist Mensch? Wo ist der Mensch? Bin ich ein Mensch? Ist mein liebster Freund Iwan Wassiljewitsch ein Mensch? Und hier die anderen alle – sind sie Menschen? Und wenn wir alle Menschen sind, was ist dann der Mensch? Der Mensch ist eine Bombe, der Mensch ist Dynamit. Darum hüten Sie sich davor, ihn anzurühren. Mein bester Freund, unser ältester Genosse, Iwan Wassiljewitsch, der ist unsere größte Bombe. In ihm ist alles Irdische schon nahezu erstorben, nur die heilige Bombe, das fromme Dynamit ist übriggeblieben. Iwan Wassiljewitsch, in dir ist schon alles tot, was am Menschen zufällig ist, übriggeblieben ist nur das Wesentliche, das Ideal, das Ewige. Solch ein menschliches Beispiel ist mein Freund Iwan Wassiljewitsch, und ich ersuche Sie alle, Ihre Gläser auf das Wohl dieses vorbildlichen Menschen zu erheben. Es lebe Iwan Wassiljewitsch!«
Alle erhoben sich. Auch Woitinski versuchte aufzustehen und gleichzeitig sein gefülltes Glas zu fassen, griff aber vorbei, so daß das Glas umstürzte, während Woitinski selbst in seinen Sessel zurücksank.
»Der ewige Mensch ist ermattet«, scherzte man.
»Iwan Wassiljewitsch!« rief Slopaschew, »wir trinken auf Ihr Wohl.«
Aber Iwan Wassiljewitsch schien ihn nicht zu hören.
»Wachen Sie auf, Iwan Wassiljewitsch, wir wollen auf Ihr Wohl trinken!« brüllte Slopaschew aufs neue, aber als der Freund auch jetzt nichts erwiderte, leerte er sein Glas, und die übrigen folgten seinem Beispiel.
»So, nun ist die Bombe angefeuchtet, das Dynamit begossen, nun kann es im Menschen nicht mehr explodieren«, philosophierte Slopaschew. Und dann ging er zu Woitinski hinüber und fragte: »Iwan Wassiljewitsch, schlafen Sie oder sind Sie gestorben?«
Dieses Wort ließ alle unwillkürlich zusammenfahren.
»Der ewige Mensch ist gestorben«, sagte Molotow, der vor Woitinski stand und ihm forschend ins Gesicht blickte.
Nun eilte auch Herr Maurus herbei und faßte Woitinski bei der Schulter, als wolle er ihn aufrütteln, aber im selben Augenblick sank dessen Kopf kraftlos auf die Seite.
»Iwan Wassiljewitsch, um Gottes willen, was ist Ihnen?« fragte Slopaschew, den Kopf der Leiche mit beiden Händen umfassend, als suche er in seinen erloschenen Augen einen lebenden Blick. Und als er diesen nicht fand, sagte er: »So bist du also wirklich gestorben? Deine Bombe ist geplatzt.«
Und dann richtete er sich auf, wandte sich an die Umstehenden und deklamierte die Verse Dershawins:
»Dort, wo die Tafel üppig prangte.
Steht nun schwarz der Sarg.«
Und ohne sich weiter zu bedenken, hob er den Leichnam vom Sessel auf seine Arme und begann mit ihm nach der Tür zu schreiten.
»Was tun Sie?« rief Herr Maurus. »Wohin, Herr Slopaschew?«
»Heim ... zu mir, dort hat Iwan Wassiljewitsch mehr Ruhe«, versetzte Slopaschew und schritt weiter, als dürfe niemand ihn aufhalten. Herr Maurus wollte ihm den Weg vertreten, aber Ollino legte ihm die Hand auf die Schulter, und nun legte niemand mehr Slopaschew ein Hindernis in den Weg. Im Gegenteil: ihm wurden die Türen geöffnet, und man bildete im Korridor Spalier, durch das Slopaschew mit seinem toten Freunde hinausschritt. Als er durch die Hintertür die Straße erreicht hatte, von wo der nächste Weg nach seiner Wohnung führte, folgten ihm alle Jungen entblößten Hauptes. Vom mondlosen klaren Nachthimmel funkelten die Sterne, unter denen die stumme Gesellschaft barhaupt dahinzog. Aber Slopaschew konnte nicht umhin, mit seinem dahingeschiedenen Freunde durch den Mund Puschkins zu reden, indem er deklamierte:
»Leb wohl, mein Gefährte, mein treuer Genoß,
Zum Scheiden die Zeit ist gekommen.
Ruh aus nun ...«
So endete dieses großzügig geplante und lange vorbereitete Fest, denn es fand sich keiner mehr, der in dem Raume hätte bleiben mögen, den der Tod soeben erst betreten hatte. Und dann galt es ja auch, im Zusammenhang mit dem Todesfall, allerlei Vorbereitungen zu treffen. Man eilte hierhin und dahin, und das Abiturientenfest war vergessen, als hätte es überhaupt nie stattgefunden. Und gab es denn überhaupt Abiturienten? Ja, einen gab es, aber für den galt es nun, den Sarg zu bestellen.
Und sonderbar mutete es die Ausrichter des Festes an, daß sie an alles gedacht hatten, nur nicht an den Tod. Ja, sogar der Kaviar hatte ihnen mehr am Herzen gelegen als Freund Hein. Aber der stand nun nahezu unberührt da, und alle waren mit dem Tode beschäftigt, der alle anderen Vorbereitungen zwecklos gemacht hatte. Und gerade darum bedauerte Wellemaa es nun besonders tief, in seiner dichterischen Rede nicht die Wahrheit gesagt zu haben, und ebenso erging es allen, die noch allerlei Wahrheiten für den Direktor und die Lehrer auf dem Herzen gehabt hatten. Aber da war nun nichts zu machen, der Tod war ihnen zuvorgekommen, und nun würde sich ja wohl kaum mehr je Gelegenheit finden, diese sorgfältig vorbereiteten Wahrheiten an den Mann zu bringen, denn, wenn auch dieser oder jener vielleicht nächsten Frühling noch hier sein würde, so würde er nach einem Jahre von den diesjährigen Wahrheiten vielleicht nichts mehr wissen wollen. So hätten diese enttäuschten Wahrheitsapostel sich bei einigem Nachdenken leicht davon überzeugen können, daß es um Wahrheiten, die nach einem Jahre schon nichts mehr taugen, eigentlich doch nicht schade sei, aber darauf verfiel wohl keiner von ihnen. Darum konnte Wellemaa mit vollem Rechte sagen:
»Wenn der Kerl doch ein paar Stunden früher oder später gestorben wäre als gerade im allerunpassendsten Augenblick.«
»überhaupt ist der Tod eine dumme Sache«, meinte ein anderer.
Nach Indreks Meinung aber war der Tod eine sehr sonderbare Sache, wenn er bedachte, wie er heute gekommen war. Er mochte wohl der einzige sein, der seine Schritte schon einige Stunden vor seinem Eintreffen vernommen hatte, aber er hatte nicht gewußt, daß es der Tod war, der so schreitet. Er war nämlich mit Woitinski in der Badestube gewesen, um ihn und seine Kleider für das Fest einer gründlichen Reinigung zu unterziehen. Er hatte dieses sein Geschäft verrichtet wie schon viele Male früher, aber nie noch hatte Woitinski so mit ihm geredet wie dieses Mal.
»Heute waschen Sie mich vermutlich zum letzten Male«, hatte Woitinski gesagt, als er seine Flasche Bier auf der heißen Badebank ausgetrunken hatte.
»Wieso?« hatte Indrek verständnislos gefragt. »Gedenken Sie zu verreisen?«
Zur Antwort hatte Woitinski nur gelacht und gesagt:
»Ja, natürlich, oder denken Sie etwa, daß ich ewig bin?«
Erst jetzt erfaßte Indrek, daß Woitinski vom Tode geredet hatte, und nun fand er auch keine Antwort auf diese Frage, als wolle es auch ihm scheinen, daß es für den Greis Zeit gewesen sei, sich zu empfehlen.
»Dann werden Sie mich altes Aas doch endlich mal los«, hatte Woitinski nach einiger Zeit hinzugefügt. »Und wissen Sie was? Was sind Sie für ein glücklicher Mensch, bei Gott, ein glücklicher Mensch!«
»Wieso?« hatte Indrek gefragt und hierauf zur Antwort erhalten:
»Wie denn nicht? Ein junger Mensch, der meinesgleichen behilflich ist, wie Sie es tun, muß glücklich sein, muß glücklich werden, sehr glücklich. Sie müssen die Frauen lieben, und nichts macht doch den Mann so glücklich wie Frauenliebe. Ja, selbst im Unglück, das eine Frau dem Manne bringt, liegt mehr Glück als in allem anderen. Ich bin Pole, ich muß das wissen.«
So hatte Woitinski auf der Badebank geredet, nachdem er seine Flasche Bier ausgetrunken hatte, und nun war er tot. Indrek empfand gewissermaßen ein leises Bedauern, daß es diesen Greis nun nicht mehr gab, dem er beistehen, dessen Gesprächen er lauschen konnte. Nun gab es niemand mehr, der ihm sein Glück prophezeien konnte, niemand, der erklärte, er glaube an sein Glück. Und ohnedies gerät auch das eigene Vertrauen darauf nur zu leicht ins Schwanken. Das empfand Indrek schon sehr bald, als die letzten aufregenden Ereignisse vorüber waren, denn inzwischen hatte sich sein alter Schmerz ausgeruht und begann nun aufs neue an seinem Herzen zu nagen. Ja, genau genommen, hatte hierzu sogar der verstorbene Woitinski beigetragen, als er von Glück und Frauenliebe sprach.