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XXXI

Damit schloß der Brief. Indrek wandte das letzte Blatt immer und immer wieder um und um, prüfte alle Blätter immer wieder aufs neue und las sie immer wieder durch, in der kalten Klasse sitzend, wohin er sich zurückgezogen hatte, um ganz allein und ungestört zu sein, aber die in Aussicht gestellte Unterschrift konnte er nicht entdecken. Was konnte wohl so plötzlich mit ihr geschehen sein? fragte er sich immer wieder, als stehe er tatsächlich vor einem Rätsel. Aber es war ja gar kein Rätsel, vielmehr war das Allergewöhnlichste geschehen, was es auf dieser Welt gibt: Ramilda war gestorben, bevor sie den Brief hatte unterzeichnen können. Sie hatte wohl geglaubt, mit dem Tode könne man ebenso umspringen wie mit Dr. Rotbaum, diesem Christus des Sanatoriums, aber mit dem Tode war das nicht möglich gewesen. Dr. Rotbaum konnte man an der Nase herumführen, aber nun hatte der Tod sie selbst an der Nase herumgeführt: hatte versprochen, ihr bis morgen oder übermorgen Zeit zu geben, und war anstatt dessen schon heute erschienen, als sie ihn am allerwenigsten erwartet hatte, ebensowenig wie vermutlich auch Dr. Rotbaum.

Der Tod macht es ganz so wie der Blitz, der den Menschen immer zur unrechten Zeit erschlägt, wie Herr Maurus neulich scherzweise bemerkt hatte. So auch der Tod: er kommt zu dir, wenn du noch jung bist, vielleicht gerade dann, wenn du zum ersten Male wähnst, geliebt zu werden und selbst lieben zu können. Ach, der Tod, der ist wohl gerade die rechte Mathematik, die jede Liebe besiegt, aber das hatte Herr Molotow wohl nicht gewußt. Er vertraute auf Gleichungen und Logarithmen, auf Integrale und Differentiale, und so mußte er natürlich hereinfallen. Darum mußte er auch mit seinem »Schweißfuchs« fliehen, denn was bleibt einem »anständigen, ehrlichen Kerl« anderes übrig, wenn er hereingefallen ist. Aber wenn es die richtige Mathematik ist, die echte Todesmathematik, dann fällt man nie herein, dann braucht man auch nicht zu fliehen ...

Wie lange Indrek mit dem Brief und seinen Gedanken dort im kalten Klassenzimmer saß, das wußte er selbst nicht, aber es mußte wohl Stunden gewährt haben, denn als er sich erhob, waren ihm die Glieder steif, und die Zähne drohten ihm im Munde zu klappern, ob vor Kälte oder sonst aus einem Grunde, das wußte er nicht. Als er Mantel und Mütze genommen und gerade durch die Hofpforte auf die Straße wollte, sagte ihm Jürka, den er auf dem Hofe traf, daß es gleich Mittagessen geben würde. So hatte er denn immerhin einige Stunden in der Klasse verbracht, denn der Brief war gegen zehn Uhr eingetroffen, und Mittagessen gab es zwischen zwei und drei. Aber das berechnete Indrek erst viel später, als er an alles das zurückdachte.

Draußen war es kalt und windig, und es ging ein feiner, scharfer Staubschnee nieder. Die Hände in die Taschen des Mantels vergraben, schritt Indrek dahin. Wohin? Das merkte er selbst nicht recht, denn er hatte gegenwärtig Besseres zu tun, als darauf zu achten. Das war ja übrigens auch ganz gleich. Die Hauptsache war, nur gründlich auszuschreiten, um sich zu erwärmen.

Nach einer Weile fand er sich an der Peripherie der Stadt auf offener Straße, wo ihm der scharfe Wind gerade ins Gesicht blies, so daß es zu brennen und dann zu schmerzen begann. Als er diesen Schmerz empfand, machte Indrek halt. Drüben hinter dem Blachfelde zog sich der Saum eines Waldes hin. »Dort müßte es stiller sein«, dachte Indrek und richtete seine Schritte direkt auf den Wald zu, ohne auf Weg oder Steg zu achten. Er watete quer durch den Schnee, der im Gebüsch am Waldrande so tief wurde, daß er ihm bis an die Knie reichte, ja stellenweise noch höher. »Im Walde selbst wird der Schnee niedriger sein, dort ist er immer niedriger«, dachte Indrek und watete unverdrossen weiter.

Der Schnee schob ihm die Hosen in die Höhe und drängte sich in die Gummi-Zuggamaschen, wo er zu tauen begann, die Füße gänzlich durchnässend. Endlich stand er unter der ersten großen Kiefer, deren knorriges Wurzelwerk frei von Schnee war. Hier setzte er sich und zog sich die Gamaschen von den Füßen, um sie von Schnee zu säubern. Nachdem er die Gamaschen wieder angezogen hatte, nahm er sein Taschentuch und band damit das eine Hosenbein unten am Knöchel zusammen. Als er gerade dabei war, den letzten Knoten zu schlingen, kam ihm in den Sinn, daß dies dasselbe Tuch sei, das er im vorigen Frühling dort unten im großen Zimmer in der Tasche getragen hatte, als er fürchtete, Ramilda würde ihm die Hand reichen und er hätte nichts, um sich die schwitzende Hand abzuwischen, weil sein Taschentuch damals so schmutzig war, daß er nicht wagte, es aus der Tasche zu ziehen. Aber heute war es rein.

Daran mußte Indrek denken. Aber dann wurden seine Gedanken von einem Ast der Kiefer, auf deren Wurzeln er saß, abgezogen, der sich auffallend glatt und gerade, wie eine ausgestreckte Hand mit gespreizten Fingern waagerecht vom Stamm zur Seite reckte. Solch einen Ast meinte er früher schon mal irgendwo gesehen zu haben, solch einen Ast und solch eine Kiefer. Ach ja, richtig! Im Moor in Wargamäe stand ein ähnlicher Baum, steht vielleicht noch jetzt da, aber der Ast an ihm war viel dünner, so dünn, daß er keinen Menschen tragen konnte. Unter dieser Kiefer lag eine breite glatte Bülte, auf der Indrek sich mal eine Sonnenuhr konstruiert hatte: zwei aufrechte Stäbchen, die so zueinander gestellt waren, daß ihre Schatten um zwölf Uhr zusammenfielen. Mehr brauchte er nicht, denn dann war es Zeit, die Tiere zur Mittagspause heimzutreiben. Diese Sonnenuhr lag gerade unter diesem Ast, der einen Menschen nicht tragen konnte. Aber dieser Ast hier, der würde das bestimmt. Er würde vielleicht ein wenig schwanken, wenn ein Mensch an ihm hinge, aber er würde ihn tragen, brechen würde er nicht.

Indrek erhob sich und reckte die Hände nach dem Aste empor. Nein, er war nicht zu erreichen. Auch im Springen nicht. Nun fiel ihm die Wurzel ein, und in der Tat, wenn er von dieser aus emporsprang, erreichten seine Finger den Ast, ohne ihn jedoch fassen zu können. Immer und immer wieder versuchte er es, sprang aus aller Kraft empor, als sei es von allergrößter Wichtigkeit, daß er den Ast endlich erwische. Endlich gelang es ihm, und da hing er nun zwischen Himmel und Erde, das eine Hosenbein zugeschnürt, das andere offen. Und als er da so hing, kam ihm plötzlich ein sonderbarer Gedanke, er hatte selbst deutlich die Empfindung, daß es ein sonderbarer Gedanke sei: wie wäre es, wenn er sich hier aufhängen würde, nur versuchsweise, für eine ganz kurze Zeit; womit würde er das ausführen? Das meinte er natürlich nicht im Ernst, sondern bloß so, nur um zu sehen, ob und wie ein Mensch das fertigbringen könne, wenn ihn die Lust dazu anwandeln sollte. Und als er da so hing, fiel ihm ein, daß er ja nichts habe, um diesen Versuch zu machen, weder einen Hosenriemen noch auch richtige Hosenträger, die ihm ein altes buntes, wollenes Band ersetzte, ein altes Strumpfband vermutlich, das er quer über den Rücken gezogen trug. Aber das würde ihn natürlich nicht tragen können. Und es war überdies auch so kurz, daß es gar nicht gereicht hätte, allenfalls für einen Hund, der sich da mit den Zähnen festbeißen und hängen könnte, wie er sich entsinnen konnte, einmal einen Hund haben hängen zu sehen, der sich in die Schlinge verbiß und diese eine Weile festhielt, bevor sie sich zusammenzog. Wie deutlich sieht er eben diesen Hund vor sich, der sich mit aller Kraft in die Schlinge verbissen hat.

Er ließ den Ast fahren und stürzte mit den Füßen in den tiefen Schnee, wo er eine Weile stehenblieb, bis ihm einfiel, daß sein anderes Hosenbein, in das der lockere Schnee hereindrang, noch unverschnürt sei. Und wieder setzte er sich auf die Wurzel, zog die Gamasche ab und reinigte sie von Schnee. Dann überlegte er, womit sie zuschnüren. Endlich kam ihm eine gute Idee: er band das Taschentuch vom andern Knöchel ab und riß es zur Hälfte. »Das ist dafür, daß ich deinetwegen im vorigen Frühling Ramilda nicht die Hand geben konnte«, murmelte er vor sich hin.

Endlich waren beide Hosenbeine verschnürt, und er erhob sich. »So, nun kann es weiter gehen«, sagte er. Und richtete seine Schritte direkt dem Walde zu, obgleich das diesige Halbdunkel des bewölkten Winterabends schon allgemach in der Dämmerung zu ertrinken begann. Er schlug ein immer schnelleres Tempo an, als fürchte er, irgendwohin zu spät zu kommen. Aber in Wirklichkeit tat er das nur, weil die Kälte ihm immer mehr zusetzte, so daß ihm Frostschauer über den Leib liefen.

Erst jetzt merkte er, daß ihm sowohl der Mantel als auch der Rock offenstanden. »Wie habe ich das nur vergessen können?« fragte er. Aber als er dann begann, die Knöpfe zu schließen, fühlte er, daß seine Hände völlig erstarrt waren. »Wo sind denn eigentlich meine Handschuhe?« fragte er und begann in den Taschen nach ihnen zu suchen. So stand er eine Weile da, alle seine Taschen sorgfältig durchsuchend, und versuchte, sich in Erinnerung zu rufen, ob er die Handschuhe angehabt hätte, als er im scharfen Winde querfeldein nach dem Walde hinübermarschiert war, aber es wollte ihm nicht einfallen. Dann begann er, rüstig ausschreitend, wiederum seine Knöpfe zu schließen, und nachdem er damit zustande gekommen, schlug er den Mantelkragen hoch, schob die Hände tief in die Taschen und schlug ein immer lebhafteres Tempo an.

Der Wald wurde dichter und dichter, und es begann stark zu dunkeln. Indrek stolperte über Wurzeln, Zweige schlugen ihm ins Gesicht und rissen ihm mehrfach die Mütze vom Kopf, aber er schritt unverdrossen immer weiter. Wie lange er so gegangen war, das wußte er nicht, aber dann plötzlich erblickte er vor sich ein Licht, ein gewöhnliches rötliches Licht, wie es des Abends durch die trüben Scheiben einer Bauernhütte zu scheinen pflegt. »Ein Bauernhof«, dachte Indrek, »hinter einem Walde ist immer ein Bauernhof und hinter dem Bauernhof ein Wald«, phantasierte er weiter.

Unter einer dicken Fichte machte Indrek halt und lugte angestrengt nach dem Licht aus. Schließlich setzte er sich in den Schnee nieder, den Rücken an den Stamm der Fichte gelehnt, die Augen dem Lichte zugekehrt. Links vom Licht war am Himmel ein heller Schein zu erblicken, wie von einem beginnenden Nordlicht oder einer entfernten großen Feuersbrunst. Was das wohl sein mag? fragte Indrek sich ohne sich weiter mit der Beantwortung dieser Frage abzumühen, denn ihn überfiel eine zunehmende Mattigkeit. Der Schlaf drohte ihn zu übermannen, und er wäre sicherlich eingeschlafen, wenn ihn nicht plötzlich der Gedanke durchzuckt hätte: »Das kommt ja von der Stadt. Städte geben des Abends immer solch einen Schein am Himmel, wie von einer entfernten Feuersbrunst.«

Er öffnete die Augen und erhob sich, während ihm Frostschauer über den Rücken liefen. Und dann setzte er sich wieder in Bewegung, aber nicht in der Richtung auf den Feuerschein hin, sondern seitlich an diesem vorüber.

Der Schnee fiel nun schon in großen Flocken, die das Gesicht nicht mehr so scharf peitschten wie vorhin, als Indrek nun wieder über freies Feld im Winde dahinschritt. Von Zeit zu Zeit warf er einen Blick nach dem Widerschein am Himmel, als fürchte er, dieser könne verschwinden oder zu nahe heranrücken. So schritt er immer weiter, durch tiefe Schneewehen manchmal, bis er endlich auf eine Art Weg herauskam, den er aber, ohne ihn zu beachten, überquerte.

Erst als er schließlich auf eine größere Straße kam, die von tiefen Gräben und hohen Wällen umsäumt war, und er auch diese wieder zu überqueren versuchte, merkte er, daß er nicht mehr weiterkonnte. Er watete durch den tiefen Schnee, versuchte irgendwo emporzuklettern, sank zurück, versuchte es nochmals und blieb dann schließlich liegen, während Wind und Schnee über ihn hinzogen. So lag er eine Weile, aber als er auf dem Gesicht den Schnee auftauen fühlte, richtete er sich auf und öffnete die Augen: gerade vor ihm leuchtete am Himmel der Lichtschein der fernen Stadt.

Nun versuchte er, sich zu erheben, die Fäuste fest in die Taschen gepreßt, sank aber wieder zusammen, um sich dann wieder zu erheben und endlich auf die Füße zu kommen, worauf er seinen Weg in der Richtung auf den Lichtschein fortsetzte. Immer wieder versagten ihm die Beine den Dienst, stolperten und wateten, vom Wege abirrend, durch tiefen Schnee, um dann aber immer wieder auf festeren Boden zurückzufinden und ihren Weg fortzusetzen. In der Stadt auf den Bürgersteigen kamen ihm Menschen entgegen, mit denen er hier und da zusammenprallte, namentlich mit Frauen. »Frauen weichen nie aus«, dachte Indrek und bog mitten auf den Fahrdamm aus, wo er aber unter die Pferde zu geraten drohte, deren Kutscher fluchten. Aber darum kümmerte Indrek sich auch nicht im geringsten, setzte vielmehr seinen Weg unbeirrt fort.

Schließlich kam er auf einem dreieckigen Platz heraus, in dessen Mitte sich eine Laterne erhob, unter der ein einsamer Mietschlitten stand mit einem Pferdchen davor, mitten in Sturm und Schneetreiben, – Pferd und Kutscher tiefgebeugten Hauptes, beide von ferne alt und elend anzusehen. Und plötzlich erfaßte Indrek eine namenlose Wehmut. Und er konnte nicht anders, er mußte sich auf die Stufen einer Haustreppe nebenan setzen und weinen, weinen über diesen alten Kutscher und seine Mähre, die dort so einsam in Sturm und Schnee vor sich hindösten.

Ach, wie schön ist es zu leben, wenn es noch etwas gibt, um das man sich die Seele so recht aus dem Leibe weinen kann! Was würde man wohl anfangen, wenn es nicht mehr einen solchen Sturm und Schneetreiben gäbe, einen solchen dreieckigen Platz und inmitten des Platzes eine Laterne und unter der Laterne einen Mietkutscher mit seinem alten Schlitten und seiner elenden Mähre! Dann hätte man nichts mehr auf dieser weiten Welt, dann bliebe einem weiter nichts übrig als nur eins: der Tod. Lange saß Indrek auf der Holztreppe, so lange, daß er den Kutscher und sein Pferd ganz vergaß. Erst als er sich endlich erhob, bemerkte er, daß diese immer noch unter der Laterne vor sich hindösten, das Haupt gesenkt. Er ging direkt nach dem Schlitten hinüber und setzte sich hinein. Aber als sich der Kutscher umwandte und fragte, wohin er fahren solle, da erkannte Indrek ihn augenblicklich. Und ohne ein Wort stieg er aus und machte, daß er davon kam, als sei er einem Mörder begegnet. Der Kutscher rief ihm irgend etwas nach und gab dem Pferde die Peitsche, dessen Beine aber so steif waren, daß es zur Antwort nur ein wenig Schwanz und Ohren bewegte. Und als es dem Kutscher endlich gelungen war, sein durchfrorenes Tier in Bewegung zu setzen, war Indrek schon im Schneesturm verschwunden, während er vor sich hinbrummte: »Dreckschule, keine hübsche Uniform und gar nichts!« Und wegen dieses widerlichen Alten und seiner Schindmähre hatte Indrek so lange da auf der Treppe gesessen, daß der Frost ihm nun schon durch Mark und Bein ging.

»Einen ordentlichen Trab müßte man nun anschlagen«, dachte er, »aber in der Stadt darf man nicht laufen, da muß man hübsch ordentlich gehen. Wenn er nun noch im Widerschein der Stadt draußen auf freiem Felde wäre, dann würde er schon zeigen, wie man sich warm läuft; aber nun bleibt wohl nichts anderes übrig, als hübsch nach Hause zu gehen, sonst wird man es überhaupt nicht mehr warm kriegen.« Es flimmerte ihm vor den Augen, der Kopf schwindelte ihm, und die Beine versagten immer mehr und mehr den Dienst. Zu Hause kam er noch durch die Hofpforte herein, es konnte also noch nicht zehn Uhr sein. Aber das Abendessen war schon gewesen, das war das erste, was Wainukägu ihm sagte, als er fragte, wo Indrek denn eigentlich gewesen sei. Aber Indrek war nirgends gewesen, er fror bloß, fror entsetzlich und wollte schlafen.

»Türm alle meine Kleider über mich«, sagte er zu Wainukägu, als er schon im Bett lag, »alles, was sich nur irgend findet, sonst erfriere ich.«

Und so tat Wainukägu auch. Ja, er tat noch mehr, denn Gott hatte ihn mit einem verständigen Sinn begabt, nicht nur mit dem Wunsche, Seelenhirt zu werden, sondern auch mit dem Verständnis dafür, daß man die Seele am besten durch Vermittlung des Körpers hütet. Als Indrek sich nun so schrecklich über Frost beklagte, rannte Wainukägu in die Apotheke, von wo er mit irgendeinem Pulver zurückkehrte. Dann verschaffte er von irgendwoher auch eine Kanne heißen Wassers und gab es Indrek zu trinken, soviel der nur irgend konnte. Selbst aber war er sorgsam und umsichtig um Indreks Lager beschäftigt, das er glättete und aufklopfte, damit alles hübsch in Ordnung sei.

»Das brauchst du nicht zu fürchten, daß wir mit dem Frösteln nicht fertig werden«, sagte er tröstend. »Das werden wir schon machen. Wenn nur sonst nichts dazu kommt.«

Und so war es auch: mit dem Frösteln wurde Indrek fertig, aber fiebern tat er noch viele Tage, nicht gerade so hoch, als ginge es zum Tode, aber hoch genug, um jeden Versuch, Nahrung zu sich zu nehmen oder aufzustehen, im Keime zu ersticken. So mußte er denn geduldig liegenbleiben. Und als er dann endlich so weit war, daß er sich im Bett aufsetzen konnte, da fühlte er, daß seine Kräfte gänzlich geschwunden waren. Seine Knochen kamen ihm vor wie ausgehöhlt und drängten sich so sonderbar unter dem zusammengesunkenen Fleisch hervor. »Ganz wie Vogelknochen«, dachte er, während er seine scharf gewordenen Schienbeine betastete.


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