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His stößt den Spaten in die schwere Scholle. Er schneidet mit jedem Stich eine saubere Scheibe der schwarzen Erde ab, wiegt sie mit langem Arm und schwankem Spatenstiel und wirft den Batzen auf das schon umgeschorte Beet. Eine klare und freudige Arbeit, man sieht den Erfolg, man spürt den Fortgang: hier das regellose Land, dort das geschichtete Beet. Jeder Spatenstich führt vorwärts, von den endlosen, noch wintersgrauen Wiesen und Feldern fort in den Bereich dieses vorgeschobenen Hauses und Gartens.
His schafft als Werkstudent.
Er ist ein rötlichblonder, bleicher, junger Mann, hochgeschossen, von kräftigem, eckigem Knochenbau. Er hört auf der Hochschule der nahen Stadt. Er muß in den Ferien sich das Geld für das kommende Semester verdienen. Ihn verdrießt die Arbeit nicht, sie ist für ihn Anschauung, Lehrstoff, Probe. Volkswirtschaft ist sein Fach. So arbeitet er als Stanzer sechs Stunden in einer der Schuhfabriken des Nachbarortes, drei Stunden schuftet er in den Büchern, drei Stunden gräbt er in dem Krautland. Es ist alles wohlgeordnet und durchdacht. Er ist guter Dinge. Er sieht ein Ziel für sich und den Stand, dem er dienen will.
Der Neubau, dessen jungen Garten His umbricht, gehört dem Stepper Dionys Nädele.
Auch Nädele werkt in der Fabrik.
Er hat nach dem Krieg jeden Pfennig des Zahltags in Bruchstein, Ziegeln und Brettern angelegt und mit Bauzuschüssen und mit seiner und seiner Frau Hände Arbeit das Haus fast ohne fremde Hilfe hingestellt. Jede freie Viertelstunde haben Mann und Weib auf ihrem Acker verbracht, geschachtet, gemörtelt, gemauert, gezimmert, gehobelt, genagelt und geschindelt. Bis auf den Glaser brauchten sie keine fremde Hand.
Nun steht das kleine feste Haus aus Bruchstein und Holz mit dem roten Schindeldach wie eine Koralle in dem grauen Wiesen- und Feldermeer. Der Garten ist roh umzäunt, ein Geißenstall im Bau. Auch innen ist alles noch im Werden. Doch an weitere Anschaffungen ist vorerst nicht zu denken. Um dennoch schneller vorwärts zu kommen, fährt der Mann nach Fabrikschluß in die nahe Stadt kellnern.
Sie brauchen das Geld.
Drum auch hat man den Studenten aufgenommen. Er schläft droben in der halbfertigen Speicherkammer auf Holzpritsche und Strohsack. Er hilft im Feld. Er ißt zwar kräftig, aber er hat außer dem Kostgeld manch freiwillige Gabe der Familie gestiftet, so: eine prächtige Figur, einen Arbeiter aus Terrakotta, der sich mit halbentblößtem, muskulösem Arm auf einen mächtigen Schmiedehammer stützt; auf dem Sockel steht Herweghs unzweideutiger Vers:
»Alle Räder stehen still,
Wenn dein starker Arm es will!«
Dann noch ein Bild: Der Sonne entgegen! Diese beiden Kunstwerke sind neben einem Kruzifix vorerst der einzige Schmuck der Wohnung. Ungehindert schaut der auf den Schmiedehammer sich stützende Werkmann aus Terrakotta durch die blanken Scheiben auf die weiten Felder und den werdenden Garten. Hier steht ihm jetzt der neue Kollege entgegen, ganz in seiner eigenen Haltung mit halbentblößtem, etwas dürrem, weißem Arm auf den Spaten gestützt. Ihre Blicke kreuzen sich. His muß auflachen und verändert schnell seinen Stand.
Er strafft jetzt den Buckel, greift den Spaten. Wieder fliegen die Erdbatzen. Er hat noch nicht die rechte Trägheit, das sture Tempo. Die Ermüdung kommt. Die Sonne steht schon hinter dem Gebirg'. Die Kämme zacken in hartem Schwarzblau. Der Arbeiterzug ist längst eingelaufen. Die Rauchfahne liegt schwer über den Wiesen.
»Gucket! Gucket! Der Herre macht Nachschicht! Was gibt's die Überstund?« ruft ein Trupp Burschen, die der Zug herangebracht. »Den hat die Marie gut im Geschirr!«
»Sollt euch schämen, ihr Lauser!« schilt hinten ein großes Weib. »Könnt noch kein Lederroll lupfen, ihr Zuguckbuben … ich sollt euch lehren!«
Die Burschen sind still geworden, vorn beginnt man ein Lied, die Nachhut fällt grölend jetzt ein.
Das Weib tritt in den Garten und hält die jüngere Schwester fest am Handgelenk, als wolle sie das Mädchen verwahren. »Sagt doch, Herr, ist das ein Anstand?«
His blickt ihr in das rote Gesicht, aus dem drohend zwei graue Augen leuchten, er blickt auf die Schwester, die bleich, gedankenlos und gehorsam mit breitem Kindergesicht vor sich hinsieht; er ist zu freudig, um zu eifern.
»Laßt sie toben, Marie! Ist noch Jungvieh!«
»Anständig sollen sie tun, Herr, toben wir?«
»Warum sollt ihr toben?« schaut His froh. »Habt ja alles!«
»Denen«, droht das Weib, »fehlt die Geißel! Die Arbeit! Strangarbeit!«
»Arbeit? Arbeit? Jetzt heißt's Feierabend!« His stößt den Spaten ins Beet. Fast trotzig schaut er auf das Weib, das mit breiten Backenknochen und starkem Rumpf vor ihm steht, er schaut schräg auf das Mädchen. Auch sie hat ein breites, grobknochiges, großes Gesicht, nur sehr bleich wie das der Kinder, die zu früh ins Joch gespannt sind. Eine Strähne strohblondes Haar fällt aus dem Kopftuch auf die runde Stirn. Das Ungewöhnliche in diesem blassen Mädchenantlitz ist die Stellung der sehr hellen Augen; sie stehen etwas schräg zur Nasenwurzel, nicht viel, nur angedeutet, das rechte mehr. Das Antlitz erhält durch diese winzig abweichende Linie den Schein des Fremdartigen, Hilflosen, Nichtzugehörigen in dieser gleichbeschaffenen robusten Menschenlawine der Arbeiter.
»Feierabend!« bietet His noch einmal. »Was schaust du so traurig, Genovef?«
»Sie ist eine Gans! In ein blaues Seidentrikot ist sie verschossen, als gäb's nix Blutnötigeres auf der Welt! Drei Mark soll ich ihr leihen bis zum Zahltag!«
»Da!« sagt His, greift in die Tasche und gibt ihr drei Scheine. »Bis zum Zahltag, ohn Zinsen!«
»Nein, Herr! So eine Schand! Sie soll sparen und nit betteln!«
»Betteln …« da hat die Genovef ihre Hand losgerissen, ihr Auge flammt groß und furchtsam.
Die Gartentür schlägt ins Schloß!
»Ihr seid zu genau, Marie!« meint His, wie er das Gerät in den Stall trägt.
»Alles muß verdient sein und sein Richtigkeit han! Es fällt nix vom Himmel!« Sie geht ins Haus.
*
Ihr Mann ist gleich zur Stadt durchgefahren. Er hat bei den Abschiedskneipen und Bällen der Studenten bis nach Mitternacht zu kellnern, die Frühstunden schläft er auf dem Billard, mit dem ersten Zug morgens geht's wieder zur Arbeit. Am nächsten Abend kann er dann vier, ja fünf Mark Trinkgeld in die »Möbelkasse« legen. Es häuft sich förmlich! Es gilt ja dem Haus! Ihrem Himmel auf dieser Erde! Mit aller Kraft gehen sie auf das Ziel los! Sie erstreben gleich das Höchste, das ein Fabrikler zur Wohnlichmachung dieser Erde sich ersehnt: ein Sofa und ein Vertiko! Sie gleichen dem Rennfahrer, der sofort mit schärfstem Tempo startet, sie wollen das Schwierigste zuerst: das Vertiko!
An einem Samstagnachmittag hatte man mehrere Exemplare in der Stadt besichtigt, solche aus »dunkeleichen« gebeizter Tanne mit hellen und grünen Glasscheiben, solche mit und ohne Auszug, eines mit Spiegel im hinteren Mittelfeld und eines mit gepreßten Fruchtgewinden in der Füllung der Türen und Engelsköpfen auf den Seitenstollen.
Marie stieß Dionys in die Seite, wie der Möbelhändler sie an dem Prachtstück vorbeiführte. Es kam eigentlich für sie gar nicht in Frage. Und doch zog gerade dieses dunkle, spiegelnde, blinkende Wesen sie mit aller Macht an. Sie hatte gar kein Aufmerken für die anderen Anrichten in ihrer nüchternen, bloß nützlichen Bauart. Dies schwarze Stück saß ihr im Auge wie der Teufel; schon wünschte sie es. Sie blieb auf dem Rückweg durch den Laden wie zufällig an dem dunklen Ungetüm hängen und fragte so nebenbei: »Was kostet denn … das da?«
»Das da?« wiederholte der Möbelhändler, ein kleiner Mann mit Zwirbelbart und Kneifer und schaut sie mißbilligend an: »Das da? Das ist ein herrschaftliches Stück!«
Was es koste?
Zweihundertundzwanzig.
Zweihundertundzwanzig?
Zweihundertundzwanzig!
Ob man an- und abzahlen könne?
Dionys erschrickt. Er weist sein Weib auf die vorderen Stücke, die um die Hälfte zu haben sind. Auch der Möbelhändler erklärt streng, die einfachen Vertikos seien ebenso dauerhaft.
Ob man an- und abzahlen könne? beharrt das Weib und hält ihre Pupillen auf das schwarze Wesen geheftet.
Der Händler spürt die Kraft dieses Wunsches und den Ernst des Handels. Plötzlich wird er ganz gefügig: Selbstverständlich! Die Herrschaften brauchten die Hälfte anzuzahlen und den Rest in Monatsraten im Verlauf eines halben Jahres! Er werde das Stück für die Herrschaften reservieren!
Sie gehen wie im Taumel zur Bahn.
In Marie ist die Begierde erwacht. Sie muß das Vertiko haben, ohne ein Verzögern, in diesem Jahr, um jeden Preis! Das Vertiko wird ihr Haus sogleich auf eine andere Stufe heben, es wird einen Glanz über das bloß Nützliche, Bäuerliche, Arbeitermäßige verbreiten, es ist der erste Schritt nach oben. Dionys geht beklommen und schweigend daher. Er spürt die furchtbare Wunschkraft des Weibes.
Sie ist schön und mächtig, dies Bauernweib, die Fabrikjahre haben sie nicht zerbrochen; aber auch das ist ein stiller Fraß in ihm: sie hatte sich ihm bisher versagt, sie will zuerst ihr Haus, blink und blank, bis zum kleinsten gerichtet; dann soll ihr Kind kommen! Man wirft nicht das Korn auf unbereiteten wilden Acker! Das war ihr einmal geschehen: ein Krüppel kam von fremdem Mann zur Welt und hing ihr jetzt – eine lebendige Schande – am Rock! Das alles war klar!
Dionys hat sich längst gefügt. Die erste Hälfte ist angezahlt und damit das Stück gesichert. Er kellnert jetzt jede Woche drei- bis viermal, um diese Last, die wie ein finsterer Berg auf ihm liegt, so schnell wie möglich abzutragen. Er will vor der Raff- und Schaffgier, die ihn wie eine Teufelsklaue gepackt hält, endlich Ruhe haben und in Stille und Freude mit seinem Weib leben.
Auch Marie sehnt sich danach, sie sehnt sich nach ihrem Mann. Je rauher und härter sie vor ihm ist, um so mehr brennt ihr Blut nach ihm, wenn er draußen in der Stadt. Diese Ehe hat ihnen außer der Lust am Gewinn noch keine Freude des Herzens und keine Sättigung der Nächte gebracht. Sie sind zwei Gäule unter dem gleichen Joch, sie haben sich das Joch selbst aufgelegt und liegen mit heißem Nacken und gespannten Sehnen in den Sielen.
*
Auch jetzt denkt Marie ohn' Entrinnen an ihr schwarzes und weißes Gelüst. Sie denkt an ihren Mann, der diese Nacht wieder mit übermüdeten roten Augen im rauchigen Lokal für Studenten oder Kaufmannsgehilfen kellnert. Sie sieht das Kind, das von ihm kommen soll, ein etwas blasses, kleines, aber lächelndes süßes Kind. Ihr wird ganz schwer in den Gliedern. Sie hält an, im Brotteig zu kneten. Ihre starken roten Arme stehen wie tote mächtige Kolben in der weißgelben Masse.
Draußen gibt es Gekreisch, lustiges Gekreisch! His hat Genovef den Friederle, den der Ahne tagsüber verwahrt, entrissen und galoppiert mit ihm in die Stube.
»Guck auch, Mamme! Guck auch, Mamme!« schreit der Bub.
»Guck auch!« schreit His und trabt wildschnaubend daher:
»Reiter, Reiter, Rosse,
Zu Balingen stoht e Schlosse,
Gucke drei schöne Fraue heraus:
Die eine die spinnt Seide,
Die zweite klopfet Kreide,
Die dritte ruft meinem Friederle,
Ho, hoppe Reiter, he!«
Marie sieht seltsam auf die beiden und spricht kein Wort. Der Bub bekommt seinen Brei und wird nebenan in die Bettkiste gelegt.
»Gute Nacht, Friederle!« sagt Genovef leis, gibt ihm einen Kuß und geht.
His steht in der Stube und schnitzt an einem Stock. Marie schiebt ihm das Essen hin: Dampfnudeln, Mus und Kaffee. Sie hat ein weißes Tuch untergebreitet; er ist doch ein Herr. Sie knetet weiter, ihr breiter Rücken stemmt, spannt und wölbt sich wie der eines Ruderers in einem Rennboot.
»Setz dich, Marie! Iß!« gebietet His.
»Esset!«
»Wovon Ihr nur lebt?«
»Weiß nit.«
»Ich glaub, du sparst und hungerst, Marie!«
»Seh ich so aus?«
»Du siehst aus, wie das ewige Leben! Doch er …«
Marie knetet, daß der Teig quietscht und die Blechschüssel wie ein Kreisel sich dreht.
»Es hat keinen Wert, Marie, er schuftet sich kaputt; tags acht Stunden in der Fabrik, nachts noch das Kellnern …«
»Wir brauchen das Geld; das kommt Euch, Herr, nit an!«
»Ihr braucht das Geld nit, das Kellnergeld … das braucht Ihr zum Leben nit, Marie!«
»Zum Leben? Ja, Fressen und Saufen, ist das das Leben? Das tut's Vieh auch! Wir aber wollen weiter! Fehlt viel noch am Haus!«
»Am Haus?«
»Im Haus!«
»Ah … das?«
»Ja, das, Herr!« bricht sie los und schaut drohend auf ihn. »Das! Grad das! Wie hochmütig Ihr seid! Meint, wir wollen wie Ochs und Kuh stehen vor Trog und Lagerstatt … o Herr, Ihr wollt mit uns leben … was wißt Ihr von uns!«
His schaut vor sich hin; alle Fröhlichkeit ist aus ihm gewichen. Er spürt, wie das Rad der Arbeit die Menschen weitertreibt, unerbittlich, atemlos, ohne Rettung. Plötzlich fragt er: »Wie lange seid Ihr verheiratet?«
Marie schweigt.
»Weißt du's nit?«
»Vier Jahr … wohl.«
»Ich bin euer Freund, Marie …« beginnt er zögernd, »ist … das Vertiko wirklich not?«
Sie stößt die Schüssel von sich und steht jetzt hart vor ihm: »Ja!« schreit sie fast. »Ja, ist's not! Das Vertiko! Es kommt her! Unser Kind soll es gut han! Und wenn Ihr den Mann mir verdreht und spinnig macht, so wird's Euch leid sein!«
Sie wendet sich schnell, nimmt den Teig und geht zur Küche.