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Das gute Werk

.Ein sonniger Morgen. Die Fenster der Stube stehen offen. In blauen Bannern hat der Himmel geflaggt. Das Gebirg' liegt noch verschleiert im schimmernden Licht. Die Wiesen prangen. Das Grün ist ganz vom Bunt der Blumen überwuchert, dem Gelb der Batenken, dem Weiß der Margueriten, der Schafgarbe und der Taubnessel, dem Lila des Schaumkrauts, dem Blau des Salbeis; noch fehlt das Rot. Die Meisen und Finken schlagen um die Wette in den Kirschbäumen, vom Waldrand lockt der Pirol und trällert die Spottdrossel. Von der Erde steigt zitternd die erwärmte Luft. Hoppfuß durchquert die Stube mit kurzen sprunghaften Schritten. Dionys sitzt schweigend auf dem Bett, die Hände auf den Knien und schaut vor sich hin. Auch im Zimmer beginnt die Luft vor Wärme zu funkeln.

»Also fortgefahren?«

»Fortgefahren!«

»Beide?«

»Ja.«

»Feiner Betrieb! Sache!« meint der Lahme und hält plötzlich vor dem Genesenden. »Und du läßt das zu?«

Dionys sieht ihn hilflos fragend an. Seine Haare fallen über das schmale Gesicht in hellen Bündeln, wie Garbenbüsche über einen steinigen Acker, eine feuchte Strähne klebt über der Stirn und berührt fast die Brauen. Er schaut stumm auf den Lahmen.

Der zürnt: »Recht hat sie! Seid ihr denn noch Mann und Weib? Was tust du an Freud und Lieb, sie an dich zu bannen? Ein Weib muß begossen und beliebelt sein wie ein Blum im Sommer!«

»Was soll ich denn tun?«

»Wenn das ein Mann nit weiß … behüt dich Gott, blauer Himmel!« Der Lahme wendet sich zur Tür.

»Hopper!« ruft ihn Dionys. »Es ist ein Schandtat!«

»Und wär's ein Verbrechen!! Der Pfarrer selbst hat gesagt, es kommt auf die Absicht an, und die ist, Freud zu machen und dein Weib dir zu retten! Pfennig um Pfennig auf die Sparkass' tragen wie ein Kuhknecht, das könnt ihr, aber mal ein Opfer bringen – durch Sünd und Tod hindurch – da fehlt's!«

»Ich han nie so was tan, bei Gott!«

»Glaub dir's, ohn Eid, Tonys … drum läuft dein Weib dir weg!«

»Hopper!«

»Weil dein Lieb zu ihr nit stärker ist als dein Leutfurcht!«

»Ich tu's!« fährt Dionys auf.

»Gib acht!« schielt der Lahme. »Es steht Gefängnis und Zuchthaus drauf!«

»Scheiß drauf!« stößt der hervor und steht jetzt wie ein Springer vor dem Kopfsprung.

»Nein, so nit in Hitz! Verschlaf's noch, der Mungo ist scharf! Es könnt auch 's Leben kosten!«

»Scheiß drauf!« fährt ihn Dionys an, ganz verändert, mit straffem Gesicht und einer Haltung wie ein Pirat, der von Feinden umstellt ist. »Morgen, Karfreitag auf Samstagnacht geht's! Da denkt kein Seel dran, auch der Mungo nit und sein Hund, da glückt's, da schleppen wir gleich die Rollen zur Stadt und …«

»Das andere her! Bist doch ein Kerl, Tonys!« strahlt der Hoppfuß, ganz stolz auf sein Werk. »Wirst sehen, was die Marie für Augen macht!«

Dionys hat seinen blauen Arbeitskittel angezogen, zum erstenmal wieder, und geht zur Tür.

In der Küche steht Genovef und schält Kartoffeln. Der Tropf kniet auf einem Schemel und hilft eifrig der Bas.

»Feste! Feste!« spricht der Hoppfuß. »Der Herr und die gnädige Frau wollen zu Mittag zurück sein!«

Genovef wendet sich und schaut ihn mit einem kurzen Blick an.

»Wohin ist er denn wieder?« fragt der Lahme wie unter einem Zwang und schleicht hinaus.

Genovef tritt zur Bank, sinkt plötzlich nieder und weint, den Kopf in den Händen, stöhnend, wimmernd, bebend, daß das Holz in seinen Fugen ächzt.

»Was schreist du, Bas?« fragt ängstlich der Tropf, der von seinem Schemel geklettert.

*

Gegen Abend kehren His und Marie heim.

Marie steigt aus Lucias großem hellen Wagen, in einen neuen Staubmantel gehüllt. His ist ihr wie ein Kavalier behilflich. Beide lachen und sind in bester Laune.

Lucia hat sich trefflich mit dem Bauernweib verstanden, auf den ersten Blick, nach dem ersten Wort. »Das ist gutes Erz, nicht Alpaka!« spricht sie, da His in ihrem Kabinett die Scheine empfängt. »Doch für dich zuviel Gewicht!«

»Sie ist nicht die meine!« entgegnet His.

Nun stehen sie beide und schauen auf die blauen kantigen Kämme, hinter denen ein grüner Abendhimmel emporsteigt Ein Gefühl der Überlegenheit, des Glückes, des guten Werkes wiegt sie beide: Das Vertiko ist bezahlt, es kommt Ostersamstag! Wie wird Dionys Augen machen!

Der liegt in seinem Bett und schaut zur Decke.

»Ha, hier ist's kühl!«

»Gut gefahren?«

»Gut!« seufzt Marie, wirft ihren Mantel auf einen Stuhl, nimmt die Haube ab und ordnet ihr Haar. »Was guckt die Vef, hu, wie sie spinnt, bekommst auch deines zu Ostern, wenn erst alles für die Gnädige eingekauft!«

»Die han's gut!« stöhnt Dionys. »Da geht's so!«

»Was geht so?« fragt Marie und steigt in ihr Arbeitskleid.

»Die … die kaufen und zahlen!«

»Sollen sie's vielleicht stehlen?«

Da stützt sich Dionys hoch: »Wer hat das gesagt? Wer soll stehlen!« Glührot sitzt er im Bett.

»Warst zu lang auf, Tonys?« fragt His und fühlt seinen Puls.

»Was hat er tan?« forscht Marie von Genovef.

»Nix, gar nix!« lächelt auf einmal der Mann.

*

Nach dem Nachtessen gehen Marie und His in den Garten. Sie gießen die jungen Setzlinge und Bohnen, die mit festen Sproßkeilen den Boden spalten. Die Erde saugt gierig das Naß; es verzischt in der heißen Krume. Von den Spitzen der Keimlinge löst sich der graue Staub, sie wachsen förmlich unter dem Strahl. Schweigend wird dies Geschäft verrichtet. Dann reinigen sie die Hände und gehen noch einmal durch den jungen Umbruch, nebeneinander schreitend wie Mann und Weib. Vor dem Haus schauen sie hinauf zu den Bergen, die gleich einer mächtigen Schutzmauer ringsum das Land wie ein Gehöft und Eigentum umschließen.

Unter dem Küchenfenster ruft Marie hinauf: »Vef!«

Keine Antwort.

»Sie ist schon heim!«

Die beiden treten ins Haus, in die Küche; sie zünden, da sitzt Genovef am Tisch, den Kopf auf den Armen und schläft.

»Sie hat sich überschafft!« meint Marie. »Das wird jetzt anders! He, Vef, mach die Augen auf, wie sie guckt, die Schleiereul! Marsch, jetzt heim und ins Bett! Übermorgen hat all Plag ein End!«

Genovef steht auf und schaut auf His.

»Schau,« ruft jetzt Marie, »wie sie alles noch hergestellt hat für morgen früh, da den Kaffee und 's Brot! Doch nur eine Tass' für's ganze Geschirr? Ist wohl für den Herre?«

»Für dich!« antwortet Genovef und wendet sich noch einmal. »Für dich, weil du zuerst fort mußt und gleich wegfahrest!«

»Recht!«

Sie geht.

Es ist Sitte der Bauern und Arbeitsleut', schon am Abend alles für den kommenden Tag zu richten. Am Morgen ist jede Minute kostbar, das Vieh ist zu füttern, die Kinder sind fertigzumachen, das Essen muß aufgekocht und in die Kessel gefüllt sein; diese Vorsorge liegt im Blut. Dennoch, wie Genovef jedes so handgerecht hingestellt hat, den Kaffee schon in der Blechkanne, die Tasse genau davor, das alles verrät besondere Sorgfalt und Liebe.

»Sie ist ein rechter Mensch!« meint Marie, und dann mit einem Gedankensprung: »Ihr bleibt doch bis Samstag?«

»Ja, das Vertiko muß ich erleben! Aber am Abend geht's fort!«

»Weit?«

»Frag nit!«


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