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Es ist Nacht.
Marie ruht in der oberen Kammer. Ihre Glieder sind wie Blei. Ihr Hirn ist wie harte Erde. Jedes Sichrühren, jeder Entschluß, und wär's nur, sich zur Seite zu wenden, kostet ungeheure Mühe. Und doch findet sie keinen Schlaf: Unter ihr liegt der Tote!
Noch eine, zwei Nächte, dann ist auch das vorbei. Was fragt das Gericht, ob sie bei ihrem Mann wachen will diese Stunden; sie gehorcht.
Nur eine Bretterdiele trennt sie von seinem Anblick, sie braucht nur die vier Nägel aus dem Holz zu lösen und das Brett hochzuziehen. Doch sie schaut ihn auch so: Da liegt er mit seinem feinen blassen Gesicht, mit weit offenen Augen, das Haar vom Schweiß über die Stirn geklebt, die Hände in gebannter Kraft längs des Leibes.
Jetzt spricht er mit einem rötlichen Menschen, der in ganzer Größe vor ihm steht: »Weshalb hast du meinen Tod verleugnet? War er nichts wert?«
»Ich habe die Wahrheit gesagt!« erwidert der rötliche Mensch.
»Du hast die Wahrheit gesagt!« lächelt der blasse Mann. »Und du hast die Wahrheit verschwiegen!«
»Willst du dich rächen?«
»Wofür? Für den Tod? Kameraden, kenntet ihr den Tod! – Du hast beteuert, daß du nicht dabei warst. Ich klage dich nicht an, daß du dich retten wolltest. Aber ein Wort von dir: Sein Tod hätte auch der meine sein können! Ein einziges solches Wort wäre mir ein frohes Erinnern gewesen an diese Erde!«
Der rötliche Mensch senkt das Haupt. Dann fragt er: »Hast du kein Weib?«
An dem Leinentuch hält sich mit Händen der Erblaßte: »Wie könnte ich diese Erde so lieben, daß ich einen Teil auch ins Körperlose mitnehmen möchte, ohne ein geliebtes Geschöpf! Aber so sehr ich selbst an Qual und Hoffnung verhaftet war, über diesen Erdenstrich fuhr mein Wolkenschiff ohne Schatten!«
»So wirst du nicht an sie denken?«
»Was dem Nutzen bloß diente und nicht der ewigen Macht, wandert nicht mit auf den ewigen Weg!«
»Wer rief mich?« dröhnt eine tiefe Stimme vom Fenster; ein schwarzer riesiger Kopf schaut hinein: »Bist du schon auf dem Totenpfad und siehst doch nicht, was geschah?«
»Ich sehe, daß ihr fliehet!«
»Hier sind wir!!« stemmt sich der Gigant jetzt ins Zimmer, daß die Wände sich neigen: »Und der Nutzen? Ho, ho … danach sind wir alle reif für den Sechsbretterweg!?«
»Wer bist du?«
»Ich sollte heim in mein Land, war schon im Zug, da hörte ich deinen Namen! Nutzen? Was treibt mich her zu dir und dem Weib? Ein Wort noch, das ich dir schuldig bin!«
»Dein Wort ist weniger als die Tat, daß du kamst! Das erlöst von allen Taten und erlöst die Toten!«
»Du weißt es?« staunt der schwarzköpfige Riese: »So werde ich bei dir wachen und dir lauschen!«
Und wieder hört Marie die leise dahinfahrende Stimme des Bleichen, sie tönt wie ein Nachtwind über den Wiesen, doch ferner werden die Worte, verwehter. – Nur noch ein kleines kindhaftes Klappern vernimmt sie, als sei der Tropf aufgestanden und mache sich drunten zu schaffen.
Dann kommt der Schlaf.
*
Ist's Morgen?
Weht Sturm?
Steigen die Raketen des abendlichen Festes? Es zischt, windet, bläst, knattert, Funken stieben, Licht schießt zum Himmel!
Feuer!!
Das Haus brennt! Balken ächzen! Drunten poltern gewaltige Schritte, eine Tür wird eingestoßen, winzige helle Schreie, turmhoch faucht eine Flammengarbe aus dem Holzschopf, daß die Ziegel auf dem Dach wie Schüsse krepieren … jetzt prasseln die Fenster ein! Mit hundert Flügeln braust die Flamme durch die Rahmen und Luken, ein Wind peitscht sie zu wildem Gesang: in immer neuen Stößen durchtoben Luft und Brand, Brand und Luft das schon eroberte Haus!
In der Kammer, reglos und starr, mit versengtem Haar, liegt Marie, längst erwacht, doch machtlos, sich zu regen … gelähmt, furchtlos und still liegt sie da, feierlich, entrückt über den braunen Wolken des Dampfes.
Plötzlich teilt sich vor ihr der Schleier.
Eine Diele ist eingebrochen.
Gerade unter sich schaut sie in der Stube den Mann! Ganz in Brände gehüllt ist sein Leib, doch das Gesicht noch erkennbar, freudig, zornlos, kühn, so wie sie ihn kannte, ohne Hadern, zu jedem Weg bereit, nur noch entschlossener, als riefe er: »Endlich ist die Stunde da! Unsere Stunde!«
Da neigt sie sich – gezogen von der durchflammten Schönheit dieses Gesichtes – weit über die Feuerlücke, in der Brett um Brett jetzt zergeht, und umfangen, umglutet, hingerissen von der entschwindenden, endlich vernommenen Stimme stürzt sie mit geöffneten Armen in das brennende Grab.
*
Das Haus ist niedergebrannt bis zum Grund.
Wieder muß der Untersuchungsrichter an den Ort. Man hat vier Leichen in dem Schutt gefunden; sie sind völlig verkohlt. Die eine, die eines Kindes; zwei – wohl Mann und Frau – dort, wo einst die Stube stand: Dionys, Marie und der Tropf.
Doch über die vierte, eine Männerleiche von riesenhaftem Knochengerüst, herrscht gänzliche Ungewißheit.
»Einer der Komplicen!« triumphiert der Richter.
»Doch weshalb der Brand?« fragt der Ortsvorstand.
»Verschleierungsversuch, Verehrtester!«
»Und wer ist dieser riesige Vierte?«
»Langsam mit den jungen Pferden! Wir haben ja noch zwei lebende Täter!«
Drei Tage bleiben auch diese Leichen unter gerichtlicher Hand. Doch weder die Brandursache noch die Identität des »Vierten« ist zu ermitteln. Als »Unbekannt« wird er vergraben.