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Die Transfusion

.Sie blühen ja förmlich auf, meine Gnädige!« lächelt der Medizinalrat und liebkost seinen weißen Kinnbart.

»Sagen Sie Marie diese Artigkeiten!« wehrt Frau Hunschringer. »Sie schenkt mir ihr Leben!«

»Zugegeben! Aber dann hat sie noch viel Leben zu verschenken, nicht wahr, Marie?« Er klopft ihr auf die Schulter wie einem Roß.

Marie sieht den Arzt ruhig von oben bis unten an, wie einen Untergebenen, der sich eine Dreistigkeit erlaubt. Sie streift ihren Arm hoch und sagt nur: »Bitte!«

»Geduld! Geduld! Es ist das vorletzte Mal!« spricht der Medizinalrat, legt seinen Rock ab und beginnt sich über einem Waschbecken sorgfältig zu reinigen. »Diese, und in vier Tagen die letzte Transfusion, dann ist's geschafft!« brummt er vergnügt. »Ist alles nicht glänzend verlaufen?«

Triumphierend schaut er über seine Gläser auf Marie.

Marie hält die Hand der Frau. Beide schweigen. Die langen gelben Vorhänge sind zugezogen. Stumpf strahlt die Nachmittagssonne durch den lichten Stoff. Eine schwere Wärme, von dem süßen Lysoformgeruch gesättigt, lagert in dem Raum.

Die Frau liegt mit entblößtem linken Arm auf ihrem turmartigen Bett. Ihr Gesicht ist voller, ihre Lippen zeigen wieder Farbe, ihr Haar hat wieder Glanz. Sie schaut mit großen Pupillen wie ein Fiebernder, der den Wärter mit dem Becher kommen hört, zur Decke. Ihre linke Hand hält krampfhaft Marie. Die blickt gerade zur Tür, ruhig, trotzig, starr. Sie scheint noch stärker und röter, wohl durch die Ruhe und kräftige Nahrung. Ein Barbarenweib.

Der Arzt hat den Sterilisator abgestellt, die Instrumente auf ein mullbedecktes Tischchen gelegt und beginnt die Venen an Maries und der Frau Arm abzutasten. Dann legt er die Staubinden an, und nun kreuzen sich die drei Arme: der mächtige blaurote Maries, des Medizinalrats greisenhaft grauer und zu unterst der rosa sich färbende der Frau. Man wünscht keine Zeugen und kein Gerede.

So sind die drei allein.

Jetzt stößt der Arzt schnell die Hohlnadel in Maries Ader, zieht auf eine Sekunde den Mandrin heraus – ein dicker Strahl – schnell sticht er in der Frau Arm die zweite Nadel. »Gut! Prachtvoll!« Der Schlauch mit dem gläsernen Zwischenstück wird angeschlossen, die Staubinden sind gelöst: die mächtige rubinrote Blutwelle Maries jagt in die Vene und den durstigen Leib der Kranken.

Die liegt mit geschlossenen Augen und fieberroten Wangen.

Die Uhr in der Hand wartet der Arzt.

Marie starrt unbewegt zur Tür.

Stimmen!

»Stillhalten!« mahnt der Arzt, ohne von der Uhr aufzusehen.

»Sollen wir absetzen, Marie?«

Ein wildes Lachen schüttelt das Weib, ein Lachen aus tiefster Kehle, unbändig, krampfhaft, wie einst auf der Brücke. Es wirft sie, sie muß sich krümmen, das Blut saust aus der losgerissenen Kanüle in dickem Strahl auf das weiße Bett, des Arztes Hose, Maries Kleid, den Teppich.

»Sind Sie toll!« fährt sie der Medizinalrat an zieht schnell die Nadel aus der Frau Arm und verbindet.

Es klopft.

Jetzt bricht Marie ab, sie ist ganz still.

Eine Stimme!

»Darf man eintreten?« fragt eine zweite.

»Draußen geblieben!« donnert der Medizinalrat, springt zur Tür und wirft den Riegel vor.

»Auch gut!« meint Hunschringer zu His und führt ihn aus dem Vorzimmer fort durch all die Korridore, bis zu einer breiten Veranda. »Setzen Sie sich!« Er schaut nochmals auf den Kartenbrief, den His ihm gereicht. »Sie haben da eine mächtige Gönnerin, junger Freund! Weshalb sagen Sie das nicht gleich? Man hätte Sie durch die einzelnen Kategorien schneller hindurchgehen lassen und Ihnen eine Sonderbeschäftigung geben können.«

»Ich wünschte keine Sonderstellung, Herr Direktor.«

»Gut!« sagt Hunschringer und zündet sich eine Importe an. »Bitte!«

»Ich rauche nicht.«

»So, so!« seufzt er. »Sie wollen also unsere Betriebe kennenlernen, studieren sozusagen?«

»Die Betriebe und was dazu gehört, die Arbeiter.«

»Weshalb sah ich Sie nie bei mir im Haus?«

»Ich möchte …«

»Frei weg von der Leber!«

»Ich wollte mich nicht so weit von den Arbeitern entfernen, es war mein Wunsch, diese Zeit ganz mit ihnen zu leben.«

»So, so … ja, ja … so also läuft der Hase! Doch was verstehen Sie darunter: mit ihnen zu leben! Meinen Sie etwa, wir wissen nicht, wo die Leute der Schuh drückt, ohne daß wir unter derselben Decke mit ihnen schlafen? Verzeihen Sie, ist das nicht doch eine romantische Laune?«

»Glauben Sie, Herr Direktor!«

»Oder was versprechen Sie sich davon?«

»Ich verspreche mir davon, daß ich einmal am eigenen Leibe erlebte, wie es tut, wenn man bei zwei Stunden Anmarsch und karger Nahrung acht bis zehn Stunden an den Stanzen stehen muß, daß ich einmal aus nächster Nähe sah, wie die Bauern von ihrem Feld und Acker hinweggesaugt werden in die Fabriken, wie sie sich selbst unterbieten und ihre vierzehnjährigen Kinder an die Näh- und Steppmaschinen zwängen vom Morgen bis zum Abend!«

»Das klingt ja wie eine Anklage gegen uns! Wer zwingt denn diese Kinder heran, junger Freund? Sie wollen die Betriebe studieren, bitte bemühen Sie sich auf unsere Bureaus. Fragen Sie unsere Vorstände und Werkmeister! Täglich kommen vor der Schulentlassung jetzt Väter und Mütter und betteln, daß man ihre Halbwüchsigen einstellt. Sie sollten das sehen! Aber dann jammern die Eltern, man müsse diese Würmer, die oft zu schwach sind, einen Korb zu heben, um des Herrgotts willen einstellen, damit sie sich ihr Brot verdienen könnten, das Feldgeschäft trüge nichts mehr! Na, und dann läßt man sich immer wieder erweichen!«

»Das wird ein herrliches Geschlecht nach uns!« knirscht His.

»Auch das ist eine Art Auslese! Die Schwachen gehen hier wie überall zugrunde. Das ist Naturgesetz!«

»Naturgesetz!« fährt His jetzt auf. Das Wort hat seinen Zorn entflammt. »Was sind für Sie Naturgesetze?«

»Ich höre: Naturgesetze!« spricht der Medizinalrat, der durch die seitliche Flügeltür mit Marie auf den Balkon getreten. »Wer hat sich an den Naturgesetzen vergangen?«

His steht starr, während der Direktor ihn vorstellt.

Er schaut auf Marie.

Sie hält an der Tür, ist sehr verändert, gleicht einer Dame in ihrem dunklen Tuchkleid.

»Sie kennen sich doch?« spricht Hunschringer.

»Grüß Gott, Herr Fischöder!« sagt Marie lächelnd und bietet His die Hand.

»Grüß Gott!« entgegnet His noch ganz benommen; plötzlich besinnt er sich auf seinen Plan. »Dein Mann ist nicht wohl, hat wieder Fieber. Du sollst ein paar Tage heim!«

His sieht, wie Marie auf Hunschringer blickt; der kneift die Lippen und schaut zu dem Arzt.

Der Medizinalrat massiert erregt seinen Bart: »Laienfurcht! Wieder solch Schreckschuß! Eintagsattacke! Sie sind ja auch Akademiker! Unsere hiesige therapeutische Aktion ist vor Ostern beendet, noch eine Transfusion, dann ist alles geglückt! Wir können Frau Nädele jetzt nicht entbehren! Sie werden das verstehen!«

»Es kommt nicht auf mich an!« versetzt His und schaut unverwandt auf einen großen tief dunklen Fleck auf Maries Kleid. »Frau Nädele muß selbst entscheiden, ob sie zu ihrem kranken Mann will.«

Auch Marie hat jetzt den dunkeln Schatten auf ihrem Kleid gewahrt, sie sucht ihn mit den Händen zu decken, eine Blutwelle schießt über ihr Gesicht: »Kommen Sie!« sagt sie zu His; und zu den andern: »Morgen wieder hier!«

»Nehmen Sie den Wagen!« ruft Hunschringer ihr nach.

*

Sie fahren durch das Land, in langen Schrägen von der Spätsonne überstreift. Sie sitzen in den Polstern, ein vornehmes schweigendes Paar.

His schaut mit halbem Blick den schweren wolligen Stoff, der wie geschaffen, die Glieder dieses Weibes zu umschließen. Sie blinzelt über seinen hellen neuen Anzug und denkt: er ist doch ein Herrensohn! So sausen sie dahin.

Der Chauffeur wendet sich: Das Verdeck hoch?

Marie winkt: weiter!

Auf der sonnigen Straße sagt sie, den Blick geradeaus: »Tonys ist nicht krank!«

»Nein.«

»Was wollen Sie von mir?«

»Das weißt du selber!«

»Was gehen Sie unsere Sachen an?« Ihr Auge droht.

»Eure Sache ist meine Sache!«

»Danke! – – Wie haben Sie sich die letzten Wochen erholt?«

»Marie,« spricht His leise, obwohl der Fahrtwind seine Worte verweht, »urteile nicht, höre! Ich ließ euch warten, ich habe euch verraten, glaubt ihr. Gut! Aber noch ist nichts zu spät! Laß das furchtbare Geschäft, Marie! Ihr braucht Geld, Marie, ich weiß; hier ist es, genug, nur für euch bestimmt, ohne Rückgabe, ohne Gegenleistung, Dreihundert!« Er hat die Scheine hastig hervorgezogen und drückt sie ihr in den Schoß.

»Fort!« Sie stößt ihn zurück. »Ich brauche Ihr Geld nit!«

»Es gehört dir, Marie!« eifert His. »Es ist mir für euch gegeben!«

»Will nix geschenkt! Ich will mir das Meine redlich verdienen!«

»Redlich?«

»Redlich! Mit eigener Kraft, Gab um Gab, Zapf um Zapf! Nit Bettellohn von einem fremden Rock, mit dem Ihr …«

»So nehm's der Teufel!« schreit His und wirft die Handvoll Scheine in den sausenden Fahrtwind. Wie sturmgepeitschte Falter fliegen sie dahin, auf und ab, und lagern sich über Feld und Straße.

Der Chauffeur hat sich gewendet.

»Tempo!« gellt His. »Hören Sie nicht!«

Der vierte Gang wird eingeschaltet, der Wagen saust jetzt mit dem hohen giemenden Ton eines Flugzeuges zu Tal.

»Was haben Sie getan?« fragt Marie heftig atmend und faßt seine Hand.

»Laß! Ist alles umsonst!«


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