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Südliche Göttin

.Der Frühling scheint auf die steilen Gassen. Der Nebel ist gesunken. Glanz liegt über dem Land. Drunten schäumt laut der Fluß, über den Dächern fliegt, eine einzige blitzende Schwinge, ein weißer Taubenschwarm.

Ille und His gehen eine der stillen Gassen hinab zur Brücke.

»Du bist ein toller Hecht!« sagt Ille und schaut auf den hochgehenden Fluß, der Stämme und Treibholz vom Oberland mit sich führt. »So ein Stück Stamm hätte dich erledigt!«

»Gut, daß ich fahre!«

»Doch in einer Woche bist du wieder hier! Ich habe Karten bis Genua bestellt! Verstanden!« Sie nimmt seine Hand, schaut ihn mit ihren klaren Augen an, schüttelt ihn und ist mit schnellem Schritt verschwunden.

Mit ihr könnte ich wochenlang ohne Not kampieren, denkt His. Doch Lucia? Wie war sie entfesselt gestern! Wie ein Erdfeuer, wie ein Vulkan, der plötzlich die dünne Kruste wie ein Nichts emporschleudert und im Glutquell zerschmilzt! Und doch klar und zielwärts … nicht nebelwogend und verhangen wie die gigantische Gewalt der bäuerlichen Welt. Er fürchtet beide nicht!

So geht er zu Lucia, sich für diese Woche vor der großen Fahrt zu beurlauben.

Betty, die Zofe, führt ihn auf den Söller. Die gnädige Frau ruhe noch.

Er wartet.

Er setzt sich auf einen Rohrstuhl und läßt sich die Sonne ins Nasenloch scheinen.

Nieswolkenbruch.

Er fühlt die Strahlen durch die Kleider auf seiner Haut, er streckt die Beine von sich wie ein müder Hund, lehnt den Kopf an die warme Mauer und rührt sich nicht. Wie leicht ist das Leben, wie einfach! Friede ist, Arbeit, keiner braucht zu verhungern, jeden Morgen wird Tag, jedes Jahr wird Frühling! Im Grunde sind alle Menschen glücklich!

Was hat Lucia ihm gestern offenbart? Traumhaft … er solle der Herr sein ihres Lebens, dieser kühnen, klugen Frau, dieser riesigen Besitze?

Er? His?

Doch er hat sich in der Hand! Er will kein Leben des Genusses und des Reichtums, kein Dasein des Erraffens! Sein blanker Sieg wiegt ihm auch! Und doch! Es liegt sich gut hier droben, in der Frühlingsfeierstunde des Tages, da in den Fabriken die Webstühle zittern und die Stanzeisen klirren.

»Die gnädige Frau läßt bitten!«

His fährt hoch. Sein Kopf ist wieder hell.

»Verzeih, His, wenn ich mich gestern vergaß!« sagt Lucia und reicht ihm aus dem Bett die Hand. »Aber der Schrecken macht sinnlos; und den ersten Schreck jagtest du mir ein, du Wasserpudel!«

»Es tut mir leid!« spricht His leise und küßt ihre Hand.

»Unsinn, du Raubautz!« lacht sie jetzt. »Nichts tut uns leid und nichts wird widerrufen! Aber alles ging etwas sprunghaft … nichts wird widerrufen von mir, und du hast volle Freiheit und nimmst dir Zeit da drunten, hörst du!«

»Ich danke dir, Lucia!«

»Kindskopf!« lacht Lucia und schlägt die Arme unter den Kopf. »Was bist du so feierlich?«

His sitzt wie auf Feuer, er kann nicht aufstehen, will nicht fliehen, er muß auf diese Frau schauen, auf dies seidendünne Schlafgewand, er sieht die steilen herben Spitzen der Brüste und die knabenhaften Arme, er betet in Gedanken: Herr schütze mich! Ich habe mich in der Hand … habe mich in der Hand! Aber schon braust sein Blut im Ohr, schießt in seine Schläfe.

Lucia scheint nichts zu merken. Ruhig ordnet sie an, daß er mit ihrem Wagen fahre! Er lehne ab? Gut, sie habe Verständnis dafür. Sie freue sich seiner Festigkeit. Sie selbst habe ebenfalls Sinn für einfaches Leben und die Nöte der Arbeiterschaft. Sie plane schon lange, einen ihrer Betriebe versuchsweise in eine Werkgenossenschaft umzustellen! Die kommenden Jahre seien angefüllt mit neuen Plänen! Er möge nur viel Kraft sammeln!

In His' Kopf braust es wie ein Mühlrad. In seiner Hand soll diese riesige Macht einst vereint sein, die Webereien, die Spinnereien, die Knopffabriken, die Landgüter, die Villen in Deutschland und Italien; und dieser gewaltige Wirbelsturm des Besitzes ruht in dem einen Punkt, in diesem jungen Weib, das vor ihm liegt, keusch und schamlos wie eine südliche Göttin.

»Das sollen Jahre werden, His! Du wirst sehen! Fort die Sorgenwülste auf deiner Stirn! Du bist jung, auf dich ist Verlaß, ja, du wirst wiederkommen und mir helfen!«

»Ich werde bleiben!« stöhnt His und wirft seinen heißen Kopf an des Weibes Brust, mit beiden Armen ihren Rumpf umklammernd.

»Was hast du, mein Junge … was sagtest du … du erstickst mich!« Vergebens sucht Lucia seinen Kopf zu heben. »Mein Lieb, giovinetto, mignone!« Sie streicht ihm übers Haar: »Vernünftig sein, giovannino! Wir haben noch viel Arbeit zu tun vor unseren Freuden!« Und nun lächelt sie mit dem siegreichsten Lächeln einer Frau, die das Spiel gewonnen hat.

»Wahrhaftig,« spricht His, der sie angestarrt, »wir wollen vernünftig sein!«

Er erhebt sich, küßt ihre Hand, legt sie schnell auf die Daunendecke und fegt hinaus.


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