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Marie hütet ihren Mann.
Er liegt im Bett, fiebernd noch, rotstirnig, schwer atmend, doch hellköpfig. Es ist ein lichter Tag, der Nebel ist gefallen. An den Gräsern hängt glitzernder Reif. Die Berge stehen weißzackig gegen den grünen Himmel.
Dionys und sein Weib sind allein im Haus. Sie ist so freudig heut, gestählt, trotz der überwachten Nacht. Das Leben nimmt eine Wendung! Endlich kommt Fahrt in ihr Dasein! Sie ist nicht zum Schneckentempo geboren! – Jetzt hebt sie den Mann in seinen Decken empor und trägt ihn zu ihrem eigenen frischgerüsteten Bett. Sie reicht ihm Milch mit einem gequirlten Ei. Doch er weist es ab: Kein Hunger!
»Willst einen Wein, Tonys?« fragt sie und schlägt die rot- und gelbgestreiften Decken am Fenster aus, daß sie wie Fahnen flattern.
»Nein.«
»Nein? Du Malefizungewitter, freu dich doch! O Mann, jetzt kann ich dir alles kaufen!«
»Marie?«
»Ja?«
»Was war das?«
»Was?«
»Das … gestern?«
»Du warst fiebernarret, sollst heut nit fragen!«
»Fiebernarret … doch … sie han dir … was … genommen?«
»Ein Spritzer Blut.«
»Dein Blut?«
»Nit umsonst!«
»Gekauft?«
»Was redst!«
Sie nimmt ihn wieder in die Arme, unbekümmert, helläugig, freudig, und trägt ihn zu seinem frischgebetteten Lager zurück. Diese Flut gewaltiger Gesundheit und Frische strömt auf den fieberzerdörrten, nervengepeitschten Leib, er klammert sich an diese Lebensquelle, an die Übermacht dieses Rumpfes, er dürstet mit dem rasenden Trieb des Kranken. Sie spürt es. Auch sie durchfährt wie ein weißglühend Eisen der Gedanke der Lust. Der Mann brennt. Es ist so still. Zwei Flammenspitzen, die sich gipfeln … hauchen. Doch sie will nicht! Noch nicht …
»Dann!« sagt sie, mit letzter Beherrschung an das Bett gestützt und drückt des Mannes Schulter in die Kissen.
»Aber dann … sollst du all dein Blut noch han!«
»Dann! Dann!« triumphiert sie jetzt jubelnd, setzt sich auf sein Bett und preßt seinen Kopf an ihre Brust.
»All dein Blut sollst du han … wie jetzt, Marie … all dein Blut! Kein Zapf gönn ich wem anderen! Du sollst es nit hergeben, sag ich, nit ausschenken, nit vermünzen, Marie, ich verbiet's, will es nit, dein Mann … ich … hörst du?!«
»Du bist narret!« spricht sie, läßt ihn fallen und geht zur Küche.
In diesem Augenblick tönt eine Hupe. Der Medizinalrat tritt ins Haus. Er schlägt vergnügt seine Hände gegeneinander, sein Gesicht strahlt Morgenluft, Zufriedenheit und Wohlwollen.
Er tritt zu Dionys: »Na, ausgeschlafen, Sie kleiner Siouxindianer? Führt uns da einen regulären Kriegstanz vor!« Er horcht und klopft schon. »Das rasselt und faucht ja wie in einem Dampfkessel! Schwitzpackung, Antipyrin und Digalen!« Er schreibt und instruiert die Frau.
Es klopft.
Ein strohblonder Kopf mit einem Ziegenbart, der sogleich wieder zurückfährt, schaut durch den Türspalt.
»Das paßt ja!« ruft der Doktor. »Der rechte Samariter für ein Krankenbett! Herein, Freund Balthas, Robespierre, Marat und Lenin unter einem Schopf! Näher getreten, Flammenspeier und Skorpionenzüchter!«
»Wie Sie befehlen, Herr Doktor!« spricht der blonde Faun und tritt humpelnd ein. »Es kommt mir auf ein Bein mehr oder weniger nicht an, Herr Oberstabsarzt! Der Dank des Vaterlands ist uns gewiß!«
Hinter ihm erscheint Meister Ruoff. Er hält die Mütze in der Hand wie einer der Hirten auf dem Felde und blickt betrübt und fragend auf Dionys.
»Grippige Sache, Bronchialkatarrh, Meister Ruoff!« wirft der Medizinalrat hin. »Die Jugend ist nicht mehr, was wir waren!«
»Sicher nit, Herr Doktor Hausch,« meint der Lahme, »sicher nit, nachdem ihr Alten uns durch die Knochenmühle der Somme- und Flandernschlachten getrieben habt, damit ihr daheim am Stammtisch und in den Bureaus die Fähnlein auf den Landkarten umstecken konntet! Bravo, Jungens! Mit jedem Schuß ein Ruß! Mit jedem Stoß ein Franzos!«
»Unverbesserlich, unser Robespierre! Aber ein Rednertalent, zweifellos ein Rednertalent! Wird noch in den Reichstag kommen!«
»Es wird nit lang mehr geredet sein, Herr Hausch!« Und als hab' er schon zuviel gesagt: »Im übrigen, meine Devise ist: Sp! – Sp!«
»Geheimparole?«
»Für Almosenempfänger, Kettenhund und Lahmgeschossene … Sp! Sp! Universalheilmittel für alle Bresthaften und Betrogenen unserer Zeit … Sp! – Sp! Zu deutsch: Spar deine Spucke!«
»Famos! Großartig! Dieser Volkswitz! Spar deine Spucke! Philosophieextrakt im Fingerhut, einfach glänzend, Herr …«
»Hoppfuß! Wenn ich bitten darf!«
»Warum immer einen Tropfen Gift in den köstlichen Wein?«
»Gift, keine Rede, Herr Hausch! Hoppfuß ist ein Ehrenname, eine Auszeichnung, mir redlich im zerschossenen Geschützstand der Somme verdient, Hoppfuß, das ist mein Pour le mérite, mir ehrlich erworben, als der Lafettenschwanz meiner treuen Haubitze mir aufs Kreuz schlug!«
»Schlecht, Balthas, die Walze ist abgespielt! Jetzt werden Sie Parteimensch! Das alles ist ja Tendenz!«
»Meinetwegen! Das ist ja Tendenz! so rufen die Biedermänner und glauben die Sache damit abgetan. Der Ostwind weht, Kindlein, hütet euch, bleibt hinterm Ofen, es gibt leicht Halsschmerzen! Ja, der Wind weht schärfer und schafft Halspein den Mümmelgreisen, aber er macht auch die Fahnen flattern und füllt die Segel!«
»Welche Fahnen läßt er flattern, nun? Und welche Segel füllt er?« fragt der Medizinalrat mit Betonung.
Der Hoppfuß schweigt plötzlich.
»Seht Ihr … Worte! Nichts als Worte! Sie blähen sich mit Ihrer Verwundung auf, als gehöre das Leben und alle Erfahrung Ihnen allein! Glauben Sie denn, Verehrtester, ich habe nichts mitgemacht? Ich als Feldchirurg! Sie haben eine Ahnung! Aber man hat eben noch Disziplin im Leibe! Selbstzucht der alten Garde! Man beißt die Zähne aufeinander und gewöhnt sich an alles!«
»Verdammt, ja, man gewöhnt sich an alles, selbst an ein abgeschossenes Bein: infolge Gewöhnung Rente herabgesetzt!«
»Nehmen Sie sich in acht, mein Teurer!« haucht ihn der Medizinalrat an. »Noch haben Sie vierzig Prozent! Ich warne Sie!«
»Jawohl!«
»Sie sind auf Staatskosten eingeschult?«
»Jawohl!«
»Haben Ihr orthopädisches Schuhwerk, Ihre Schreinerstelle, können dank unserer Fürsorge sich Ihr Brot wieder redlich durch ein Handwerk verdienen!«
»Jawohl!«
»Jawohl. Und nehmen Sie sich ein Beispiel hier an dem Nädele! Das ist noch Ast vom alten Holz! Er will sein Haus, seinen eigenen Boden, darin er, seine Kinder und Kindeskinder wurzeln, auf freiem Grund ein frei Geschlecht! Da ruht und rastet er nicht, da schafft er, dies klare Ziel vor Augen, von früh bis spät, ja, da geht er sogar in Nacht und Nebel hinaus, um sich …«
»Die Schwindsucht an den Hals zu holen!« spricht der Hoppfuß.
»Frivoler Bursche! Schade um jedes Wort!« Der Medizinalrat nimmt Mütze und Handschuhe: »Wer sein Unglück will, der soll es haben! – Aber es gibt zum Glück noch andere!« Er drückt Nädele die Hand. »Auf die kommt's an! Die werden durchs Ziel gehen!«
In der Küche sagt er leise zu Marie: »Gratuliere übrigens! Die Blutprobe war günstig! Sehr günstig! Wir werden übermorgen die Transfusion vornehmen!«
»Ich weiß nit, ob der Mann einverstanden …«
»Wie?«
»Ich mag keinen … Unfrieden jetzt.«
»Unfrieden? – Hört mal, was ist Euch in die Krone gefahren? Steckt Ihr all in einer Haut? Ich warne Sie, Frau, lassen Sie Ihren Mann und sich selbst von diesem Hetzbruder nicht ins Unglück treiben! Ich warne Sie!«
*
Marie tritt in die Stube: »Macht's kurz! Tonys braucht Ruh!«
»Die braucht er schon lang!« sagt der Hoppfuß.
»Bist nit gefragt!«
»Er schafft sich kaputt!« besänftigte der Alte. »Hör auf mich, Marie! Ihr seid zu interessiert, zu wuhlig! Der Mensch lebt nit vom Brot allein, sondern …«
»Sondern er legt die Kinder zu Dutzend in einen Stall und läßt sie dann leben und krabbeln, wohin sie wollen!«
»Marie!« Dionys richtet sich auf.
»Ja, hackt nur all auf mich! Jetzt, wo's Schweiß und Schwielen kostet, da wetzt ihr die Mäuler; aber hernach, wann alles blitzblank im Haus steht, abbezahlt, ohn Pfennig Schulden, dann heißt's: die Marie! Donnerschlag, ist doch ein Teufelsweib! Geht mir!«
»Macht doch langsam«, mahnt Vater Ruoff.
»Daß wir alt und grau drüber wern und doch nix han als Kinder und Sorgen! Nein, jung wollen wir's gut han!«
»Ja, das wollen wir!« nickt Dionys; das war ein lichtes Wort.
»Aber man muß dem Gaul auch nit den Schaum aus den Rippen hetzen,« meint der Hoppfuß, »man soll bergan nit Galopp fahren! Es kommt leicht anders!«
»Ach du mit deinem Anderskommen! Seit Kriegsend soll's bei dir Gespenstergucker jed Jahr anders kommen! Die Revolution, die Weltverbrüderung, die Landaufteilung, der große Untergang! Kommt es denn anders?«
»Es kommt! Tochter, es kommt!« steht Vater Ruoff jetzt auf, erschrocken, Glied um Glied. »Es kommt anders! Sehr anders! Sind nit alle Zeichen des großen Gerichtes schon unterwegs, da jetzt und da? Ist nit schon eingetroffen das Wort: Ihr werdet hören Kriege und Kriegsgeschrei; aber es ist noch nicht das Ende! Denn es wird sich empören ein Volk über das andere, und werden sein Pestilenz, Teuerung, Erdbeben hin und wieder! – Grippe, Inflation, Grubenunglück, Erdbeben, liest man das jetzt nit aller Orten? Doch weiter: Da wird sich die Not erst anheben! Ihr werdet einander verraten und hassen, und dieweil die Ungerechtigkeit wird überhand nehmen, wird die Liebe in euch erkalten! Und eure Habsucht wird die Versuchung auftürmen und eure Versuchung wird das Stockwerk zur Lüge und zum Verderb!«
»Das redst schon Jahre, Vater! Und wir han unser Haus doch gebaut!«
»Ich sag dir: Es wird kein Stein auf dem andern bleiben, der nit zerbrochen wird!«
»Und ich sag dir, ich werd's halten mit diesen Schultern und Händen!«
»Marie, Kind, wer bläst dir's ein? Steht doch geschrieben: Wenn ihr eure Hände dann ausbreitet, verberg ich meine Augen vor euch, und ob ihr schon betet, ich höre euch nicht! Denn eure Hände sind voll Bluts!«
Da schreit Dionys auf. Unbezähmt.
»Tonys!« ruft Marie und gibt ihm Wasser und eine Tablette. »Da habt ihr's! Macht mir den Mann noch hin! Das ist euer Werk!«