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»Der Affe sehr possierlich ist, zumal wenn er vom Apfel frißt«, stand bekanntlich auf dem im Halstuch des Grünwieseler Orang-Utans verborgenen Pergamentstreifen, jenes Orang-Utans, der als »junger Engländer« in Hauffs lustigem Märchen die neugierigen und zudringlichen Grünwieseler so lange mit seinen absonderlich feinen, fremdländischen Manieren genarrt hatte, und den die jungen Leute als Muster guter Lebensart nachgeahmt hatten. Man kommt nun einmal nicht darüber hinweg, und darum waren ja auch die Spießbürger auf den Orang »hineingefallen«: die großen Menschenaffen haben etwas durchaus Menschliches, vielleicht »allzu Menschliches«, will sagen Karikaturhaftes, wie denn auch die lustige Luciane in Goethes »Wahlverwandtschaften«, ein Buch mit Affenbildern betrachtend, ausruft: Sieht der nicht aus wie der Onkel? Der wie der Galanteriehändler M., der wie der Pfarrer S., und dieser ist der Dings – der – leibhaftig! »Orang-Utan« ist ein malaiisches Wort und heißt zu deutsch der »Waldmensch«, und die Battak auf Sumatra behaupten fest und steif, die Affen könnten schon reden wie die Menschen, wenn sie nur wollten; sie täten's aber nicht, um nicht arbeiten zu müssen. Welchen man freilich von den vier Anthropoiden als den menschenähnlichsten bezeichnen soll, das ist sehr schwer zu entscheiden. Jedenfalls ist der Schädel des jugendlichen Orang-Utans außerordentlich, ja, mit Selenka zu reden, »erschreckend« menschenähnlich. Man kann jede Wette halten, daß der Laie, dem die Schädel eines Orangs und eines menschlichen Säuglings vorgelegt werden, den Menschen für den Affen und den Affen für den Menschen erklären wird. Das ändert sich aber mit zunehmendem Alter, und der Kopf des erwachsenen männlichen Orang-Utans mit seinen Knochenkämmen, den sich von den Schläfen bis fast zur Kehle herab ziehenden Fettwülsten, seinem wie ein häßlicher Kropf zu schauenden, schallverstärkenden Kehlsack, der zurückfliehenden Stirn, den kleinen tiefliegenden, »tückisch funkelnden« Augen unter dem geschwungenen Knochenwall der Augenbrauen, der ganz platten Nase, der rundlich vorgetriebenen, dünnlippigen Schnauze mit ihren gewaltigen Eckzähnen hat ganz und gar nichts mehr von dem »friedlichen Kindergesicht« des jungen Tiers. Das grauschwarze Gesicht erhält durch die fuchsig rostbraune, genial zerzauste Künstlertolle und den ebenso gefärbten, wie ungeschickt angeklebt wirkenden Backenbart, zu dem sich bei einzelnen Formen noch ein echter, rechter Sarmatenschnauzbart gesellt, die besondere Note. Dazu das zottige, rostbraune Fell, dessen Haare wüst umherstehen – das alles macht, wie Hartmann urteilt, einen »widrig wilden«, jedenfalls durchaus tierischen Eindruck. Der Orang-Utan ( Sîmia sâtyrus) wird bis zu 1,80 Meter groß, klaftert dabei aber mit ausgestreckten Armen über 2 Meter. Breitschultrig und breithüftig wirkt er plumper als der Schimpanse, aber doch wieder nicht so massig wie der Gorilla. Die Arme sind weit länger als die Beine. Bei aufrechter Haltung berühren die Fingerspitzen fast den Boden. Die Finger sind klammerähnlich gebogen und lang, nur der Daumen ist auffallend kurz. An den langen, schlanken Füßen steht die kurze Großzehe weit ab, merkwürdigerweise trägt sie keinen Nagel.
Bewohner der sumpfigen Urwälder Borneos und Sumatras, ist der Orang-Utan vorwiegend ein Baumtier. Für Bewegung auf dem Boden ist er wenig geeignet; mühsam und wackelnd geht er hier auf allen vieren, kann aber, verfolgt, auch sehr behende laufen. In Gefangenschaft gehaltene Tiere gehen wohl auch von selbst aufrecht. Flüsse zu überschreiten, ist dem Orang-Utan nicht möglich; daher kommt es, daß sich auf Borneo, in den verschiedenen, durch Ströme getrennten Gebieten, voneinander sehr beträchtlich abweichende »Lokalformen« gebildet haben, Lokalformen, die von einzelnen Forschern geradezu als besondere Rassen betrachtet werden. Auch zwischen dem Orang-Utan auf Borneo und dem auf dem benachbarten Sumatra bestehen auffällige Verschiedenheiten. Eine große Fläche ununterbrochenen und gleichmäßig hohen Urwalds, schildert der berühmte englische Forscher A. R. Wallace, ist für das Wohlbefinden unsres Affen Bedingung. Solche Wälder bilden für ihn ein offenes Land, in dem er sich nach allen Richtungen hin bewegen kann, mit derselben Leichtigkeit, wie der Indianer durch die Steppe und der Araber durch die Wüste zieht. Ohne auf die Erde hinabzusteigen, geht er von einem Baum zum andern. Vorsichtig klettert er in halb aufrechter Stellung, zu der ihn die Länge der Arme und die Kürze der Beine nötigen, einen der Hauptäste entlang. Stets scheint er solche Bäume zu wählen, deren Äste mit denen des nächststehenden verflochten sind, streckt, wenn er nahe genug ist, die Arme aus, faßt die Zweige mit beiden Händen, als wollte er ihre Stärke prüfen, und schwingt sich dann bedächtig auf den nächsten Ast hinüber. Ohne je zu hüpfen oder zu springen, kommt er oben in den Baumwipfeln doch so schnell vorwärts, wie jemand unter ihm durch den Wald laufen könnte. Gewöhnlich leben die alten Männchen für sich allein, die jungen und die Weibchen dagegen sieht man meist in Gesellschaft. Die Mutter trägt das Junge beim Klettern an der Brust, wobei das Kleine sich (wie bei allen Affen) am Fell der Mutter festhält. Der Orang-Utan ist sehr langsam und bedächtig; der Hunger allein scheint ihn zu Bewegungen zu veranlassen, und ist er gestillt, so gibt sich das Tier wieder träger Ruhe hin. Zur Nahrung dienen ihm Früchte und junge Schößlinge, Blätter, Knospen u. a. m. Wenn der Orang-Utan sitzt, schildern die holländischen Naturforscher Müller und Schlegel, so beugt er den Rücken und senkt den Kopf derart, daß er gerade nach unten schaut; manchmal hält er sich mit den Händen an den Zweigen über ihm fest, manchmal läßt er die Arme phlegmatisch an den Seiten herabhängen, und in solcher Stellung bleibt er stundenlang auf demselben Fleck, fast ohne jede Bewegung und nur dann und wann ein tiefes Brummen hören lassend. Wie der Gorilla und Schimpanse baut sich auch der Orang-Utan ein Schlafnest. Der Baseler Zoologe Schneider hat uns jüngst darüber aus Sumatra genaue Angaben gemacht. Danach befinden sich die Nester 12-20 Meter über dem Boden, auf einem schlanken, dicht belaubten Baum, der sich an einen größeren, womöglich noch dichter belaubten, anlehnt. Fast immer war das Nest in einer Astgabel errichtet; befand es sich aber auf einem freistehenden Baum, so war es regelmäßig bedeutend höher über dem Boden erbaut, die Höhe betrug dann 30 Meter und mehr. Die Bäume mit Orang-Utan-Nestern stehen gewöhnlich an Abhängen, überhaupt an schwer zugänglichen Orten, namentlich in ausgedehnten Sümpfen. Das Wasser reichte dem Forscher dort immer weit über die Knie. Das Nest selbst gleicht in Form und Größe einem Storchnest. Es ist ein Lager aus übereinandergelegten und lose miteinander verbundenen Zweigen; die dünnen, laubreichen Zweige liegen in der Mitte als eine Art von Polsterung. Kurz vor Anbruch der Dunkelheit geht der Orang-Utan an die Errichtung dieses Nestes. Er steht dabei aufrecht in seiner gewöhnlichen Haltung aus einem Gabelzweige; den linken Arm benutzt er als Stütze, während er mit der rechten Hand weit entfernt stehende Äste zu sich heranzieht, abbricht und kreuz und quer hinter sich und seitwärts aufhäuft, bis er ringsum von einem wohl halbmeterhohen Kranz abgebrochener Zweige umgeben ist. Nachdem die äußere Form vollendet ist, wird das Nest mit abgestreiften Blättern ausgepolstert. Der ganze Bau erfordert etwa eine halbe Stunde Zeit. Dann legt sich der Orang-Utan halb auf die Seite, zieht nun überall die stehengelassenen, feinen Zweigenden über sich her und verflicht sie derart mit seinem Neste, daß eine kuppelartige Deckung entsteht. Hier und da bricht er auch noch einzelne Zweige ab und legt sie auf sich, so daß er vollständig damit zugedeckt ist. Das tut er wahrscheinlich, um sich gegen den starken Taufall und die nächtliche Kälte zu schützen. In diesem Schlafnest verbleibt der Orang-Utan, bis die Sonne die Nebel zerstreut hat. Auch wenn er verwundet ist, baut und flicht er solch Nest, und zwar in unglaublich kurzer Zeit. Feinde hat der Orang-Utan nur wenige. Der Malaienbär und der Leopard dürften ihn schwerlich aus eigenen Stücken angreifen; eher mag dies auf Sumatra mit dem Königstiger der Fall sein. Die Dajaks, die Eingeborenen Borneos, erzählen, daß gelegentlich das Krokodil seine Kräfte mit denen des Orang-Utans messe, indem es den am Ufer stehenden Affen angreife. Der Orang-Utan erschlage aber gewöhnlich das Krokodil oder reiße ihm die Kiefer auseinander. Einem Kampf mit dem Menschen scheint der »Maias«, wie die Eingeborenen den Orang-Utan nennen, wenn es irgend möglich ist, auszuweichen. Die Dajaks versichern aber, daß alte Männchen, wenn sie verwundet sind, die Bäume verlassen und wütend auf die Angreifer losgehen, deren einzige Rettung dann in schleuniger Flucht liege. Ein weiblicher Maias unterhielt einmal, wie Wallace berichtet, ein langdauerndes Bombardement mit den schweren, dornigen Früchten des Durianbaumes, die »so groß wie ein 32-Pfünder und äußerst wirksam uns fernhielten«. Für die Mutterliebe des Orang-Utans hat uns Kapitän Hall ergreifendes Zeugnis abgelegt. Er jagte einmal eine Orang-Utan-Mutter, die ihr Kind im Wipfel eines Baumes im Arme hielt. Dem ersten Schuß, der sie traf, folgte ein lauter Schmerzensschrei, aber ohne ihrer Wunde zu achten, dachte sie nur daran, das Junge auf die höchsten Zweige emporzuziehen. Aufmerksam verfolgte sie die Bewegungen der Jäger, die sich anschickten, aufs neue zu zielen. Die Bewegungen und Töne des Tiers schienen darauf berechnet, das Junge zu schneller Flucht anzutreiben. Ein zweiter Schuß wirkte tödlich, während das Junge Gelegenheit fand, zu entschlüpfen.
In der Gefangenschaft sind Orang-Utans sehr häufig gehalten worden, wennschon sie gleich allen Menschenaffen bei uns nicht lange ausdauern, sondern meist an Lungen- oder Darmkrankheiten bald zugrunde gehen. In seinem ganzen Wesen gibt sich der Orang-Utan viel bedächtiger, ja, phlegmatischer als der Schimpanse, dem er an Intelligenz und Lernfähigkeit jedoch kaum nachstehen dürfte. Wir wollen hier aus dem Leben gefangener Orang-Utans zum Beweise dafür ein paar Züge erzählen. Ein junger Orang-Utan, den der große französische Naturforscher Cuvier in Paris beobachten konnte, hatte mit zwei jungen Kätzchen besondere Freundschaft geschlossen. Er hielt sie oft im Arme oder setzte sie sich auf den Kopf, obschon die Tierchen sich dann mit ihren scharfen Krallen an ihn anklammerten. Einige Male betrachtete er ihre Pfoten, entdeckte die Krallen und suchte diese mit seinen Fingern auszureißen. Da ihm das nicht gelang, ergab er sich in das Unvermeidliche und ertrug lieber die Schmerzen, als daß er auf das Spiel mit seinen Lieblingen verzichtet hätte. Der Wiener Orang-Utan »Singha« erhielt einmal von einem Beobachter ein Stimmpfeifchen, wie es die Musiker zum Tonangeben benutzen. Es wurde ihm das Hineinblasen vorgemacht. Singha faßte aber zunächst die Sache anders auf, obschon er scharf Obacht gab, und sog an dem Pfeifchen wie an einer Zigarette. Plötzlich aber fand er den Zusammenhang zwischen dem Ton und dem Hineinblasen, und da gab's eitel Freude, die nur noch übertroffen wurde, als der Affe die Harmoniefreuden einer Mundharmonika kennenlernte. – Wie der Orang-Utan in der Freiheit große Sorgfalt auf den Bau seines Schlafnestes verwendet, so bewiesen auch die in Gefangenschaft gehaltenen Tiere ein gleiches. Ein Orang-Utan, den Dr. Abel nach Europa brachte, pflegte auf der Spitze des höchsten Mastbaumes zu schlafen. Mit dem ihm zu Gebote stehenden Material an Tauwerk und dergleichen baute er sich eine Art von Nest, das er immer sorgfältig glättete und zu dessen Vervollständigung er sich einer Decke von Leinwand bediente. So oft sein Herr ihm das Laken wegnahm, versuchte er sich auf alle mögliche Weise wieder in Besitz des Leinentuches zu setzen. Kapitän Smitt erzählt von seinem Orang-Utan, er habe sich auf dem Schiffe sein Bett mit der größten Umständlichkeit zurechtgemacht: er schlief nie, ohne vorher seine Matratze mit dem Handrücken geklopft und geglättet zu haben. Während der Mahlzeit wandte »Bobi« alle erdenkbare List an, um sich eine gewisse Menge Fleisch zu sichern; 3-4 Pfund Fleisch aß er mit Leichtigkeit auf einmal. Das Mahl holte er sich täglich aus der Küche und wußte dabei immer eine augenblickliche Abwesenheit des Kochs zu benutzen, um die Mehltonne zu öffnen, seine Hand tüchtig voll zu nehmen und sie hernach auf dem Kopf abzuwischen, so daß er stets gepudert zurückkam. Dienstags und Freitags, sobald zum Essen geläutet wurde, stattete er den Matrosen unwandelbar seinen Besuch ab, weil die Leute an diesen Tagen Sago mit Zucker und Zimt erhielten. Ebenso regelmäßig stellte er sich um 2 Uhr in der Kajüte ein, um am Mahle teilzunehmen. – Von der Intelligenz seiner im Stellinger Tierpark gehaltenen Orang-Utans weiß Hagenbeck folgendes zu berichten: Die Tiere hatten von ihren Turngeräten ein Stück Holz losgebrochen. »Jakob« steckte dieses Werkzeug nun mit der Spitze durch den Henkel des Hängeschlosses am Käfig, probierte damit herum und sprengte schließlich das Schloß auf. Dann entfernten die Affen das Schloß, und hinaus ging's in die Freiheit. Auch die Drahtumzäunung des sommerlichen Außenkäfigs hielt ihren Befreiungsversuchen nicht stand. »Rosa« wußte äußerst geschickt den Draht an seinen Befestigungsstellen am Rahmen zu brechen und zu lösen, so daß dadurch eine Öffnung entstand, durch die sie bequem ins Freie gelangen konnte. »Gewiß ein Beweis von der Denkkraft dieser Tiere«, schließt Hagenbeck seine Mitteilung.