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Unter den hübschen Porzellanfigürchen, die die königliche Manufaktur in Kopenhagen fertigt, ist eines der reizvollsten der schreitende Eisbär. Das glatte, glänzende, weiße Fell dieses »Amtmanns von Spitzbergen« – so nennen ihn die norwegischen Walroßfänger – kommt dem Material freilich auch wie nur noch wenige andre Naturgebilde entgegen, verlangt förmlich, in dem leichten und lebhaften Porzellan dargestellt zu werden. Der langgestreckte, etwas tolpatschig wirkende Körper, der langgereckte Hals mit dem spitz zulaufenden Kopf, der dem massigen Hinterteile nickend das Gleichgewicht zu halten scheint, die kurzen, runden Säulen der Beine, die langen, breiten platten, glatten Füße, all das vereinigt sich zu künstlerischer Harmonie. Das Schwarz der Nase und der Augen setzt dem blendenden Weiß des Ganzen kokette Lichter auf. Hier ist nichts von der plumpen, humoristischen Zutunlichkeit des braunen Bären: das ist ein elegantes Raubtier. Elegant und kokett, das ist auch die besondere Note, die das Eisbärfell hat, und darum ist es ein bevorzugter Schmuck des Damenboudoirs, wozu in seltsamem Kontrast steht, daß in Island und Norwegen Eisbärfelle in der Kirche vor dem Altare liegen. Bis heute noch gilt das Eisbärfell einen hohen Preis, wennschon auch schwerlich heute noch ein König das Geschenk eines lebenden Eisbären mit einer lebenslänglichen Pension vergelten wird, wie es im Jahre 1060 der Dänenkönig Sven dem Isländer Audur tat.
Der Eisbär ist dem Europäer schon früh bekannt geworden; im 10. Jahrhundert machten die ersten isländischen Kolonisten in Grönland seine Bekanntschaft und setzten eine gewisse Ehre darein, mit einem Bären gekämpft zu haben. Von solchem Bärenkampf früherer Tage gibt uns das Tagebuch de Veers Kunde, der den niederländischen Polarfahrer und Entdecker Willem Barents 1595 begleitete. »Den 6. September«, erzählt er, »gingen einige unsrer Leute an Land, um Steine, eine Art von Diamanten, zu suchen, die dort (auf Staaten-Eiland) in großer Menge vorhanden. Während zwei, hiermit beschäftigt, dicht beieinander knieten, kam ein großer, magerer Eisbär ganz still auf sie zu und packte den einen im Nacken. Nicht wissend, wer ihn faßte, rief dieser laut: »Wer greift mir da ins Genick?« – worauf der andre, sich aufrichtend und den Bären erblickend, schrie: »Kamerad, es ist ein Bär!« und davonlief. Aber der Bär zerbiß den Kopf des Menschen und sog ihm das Blut aus. Nun eilten die übrigen am Land befindlichen Leute, ungefähr zwanzig, zur Stelle, um den Unglücklichen zu befreien oder den Bären von dem toten Körper zu verjagen, und fielen ihn mit Piken und Gewehren an. Der Bär fraß ruhig an dem Gefallenen weiter; als er aber merkte, daß man auf ihn zukam, stürzte er in wilder Wut auf die Leute zu und zerriß noch einen von ihnen, worauf die übrigen die Flucht ergriffen. Als wir auf dem Schiffe die am Strande Fliehenden wahrnahmen, warfen wir uns eiligst in die Boote, um ihnen zu Hilfe zu kommen. Wie wir an Land kamen, erblickten wir ein schreckliches Schauspiel: die beiden vom Bären zerrissenen Leichname. Wir forderten nun die Leute auf, mit uns zu gehen und mit Flinten, Säbeln und Piken den Bären anzugreifen. Sie weigerten sich aber, indem sie sagten: »Zwei von uns sind schon tot, und wir werden noch genug Bären antreffen, ohne so große Gefahr zu laufen. Wenn wir unsern Kameraden das Leben retten könnten, würden wir uns gewiß eilen; aber dazu ist es zu spät, vielmehr müssen wir auf bessere Zeiten warten; denn wir haben es mit einem grimmigen, wilden und blutdürstigen Tiere zu tun.« Da gingen drei von uns auf den Bären los, der noch immer fraß und uns durchaus nicht fürchtete, obwohl wir dreißig Mann stark waren, und die drei waren: Cornelis Jakobs, Steuermann auf Willem Barents' Schiff, Willem Gijsen, Lotse auf der Pinasse, und Hans von Nuffelen, Barents' Schreiber. Und nachdem der Steuermann und der Lotse dreimal auf den Bären geschossen hatten, ohne ihn zu treffen, ging der Schreiber noch weiter vor, und als er dem Bären nahe genug war, legte er an und traf ihn in den Kopf, gerade zwischen den Augen. Aber der Bär hielt noch immer den Toten im Nacken fest, hob seinen Kopf auf, den Leichnam im Maule, und begann dabei etwas zu taumeln. Da zogen der Schreiber und ein schottischer Matrose ihre Säbel und schlugen damit so heftig auf den Bären los, daß sie entzweibrachen. Aber auch da wollte der Bär den Mann nicht fallen lassen. Schließlich kam Willem Gijsen hinzu und schlug mit aller Macht mit seiner Büchse dem Bären auf die Schnauze. Da fiel er endlich unter furchtbarem Gebrüll zu Boden, und Willem Gijsen sprang auf ihn und schnitt ihm die Kehle durch. Den 7. September begruben wir unsre beiden Leute auf Staaten-Eiland, zogen dem Bären das Fell ab und nahmen es mit uns nach Amsterdam.«
Nur in den seltensten Fällen aber findet die Eisbärenjagd einen so üblen Ausgang. Das Tier scheint sich längst Falstaffs Grundsatz: »Das bessere Teil der Tapferkeit ist Vorsicht« zur Richtschnur genommen und im Lauf der Jahrhunderte seiner Bekanntschaft mit dem Menschen seinen Charakter geändert zu haben. Das klingt seltsam, ist aber gar nicht unbegründet. In Gegenden, wie den Polargebieten, wo die Tiere noch nicht die Bekanntschaft mit dem Menschen, dem »größten und grausamsten Raubtier«, gemacht haben, zeigen sie keinerlei Scheu vor ihm, betrachten ihn als ihresgleichen, als das »Zweibein« in des dänischen Dichters Carl Ewald geistvollem Märchen. Kleine Vögel setzen sich auf den Lauf seiner Flinte, die Pinguine bewegen sich arglos um den Jäger, der ihnen die Eier aus dem Neste nimmt, und folgen ihm in langer Prozession aus das Schiff, die Robben kriechen neugierig näher herzu oder schwimmen um das Boot, den Ankömmling zu betrachten, und fallen ihm so leicht zum Opfer. Nur durch viele Erfahrung gewitzigt, lernen die Tiere ihn fürchten. So wird auch der Eisbär, der Tyrann der Polarwelt, zunächst das »Zweibein« wie irgendein andres Beutetier betrachtet, d. h. geringgeschätzt haben, bis er den Menschen fürchten lernte und ihm hinfort aus dem Wege ging. Nur den Fliehenden scheint das Tier regelmäßig zu verfolgen. Die sibirischen Tschuktschen greifen den Eisbären mit Lanze und Messer an, die amerikanischen Eskimos stellen ihn, wenn er in die Fjorde kommt, um die jungen Seehunde zu fressen, mit ihren Hunden und töten ihn mit der Lanze oder durch Pfeilschüsse. Der amerikanische Polarforscher Elisha Kent Kane beschreibt solche Eskimojagd folgendermaßen: Die Hunde werden sorgfältig darauf abgerichtet, daß sie sich mit dem Bären in keinen Kampf einlassen, sondern nur seine Flucht aufhalten. Während der eine die Aufmerksamkeit des Bären von vornher auf sich zieht, fällt ihn der andere von hinten an, und da sie beständig auf der Hut sind und einer den andern schützt, geschieht es selten, daß sie ernstlich Schaden nehmen, oder daß es ihnen mißlingt, den Bären so lange aufzuhalten, bis der Jäger da ist. Sind der Jäger zwei, so wird der Bär mit Leichtigkeit erlegt; der eine tut, als wollte er ihm den Speer in die rechte Seite stoßen, das Tier wendet seine Tatzen nach der bedrohten Flanke, läßt dadurch die Linke ungedeckt und empfängt hier die Todeswunde. Aber auch ein einzelner Jäger bedenkt sich nicht. Die Lanze fest in den Händen haltend, reizt er das Tier zur Verfolgung, indem er ihm rasch über den Weg springt und so tut, als ob er fliehe. Kaum hat der Bär sich in dieselbe Richtung eingestellt, so springt der Jäger mit raschem Satz in die frühere Stellung zurück. Indes der Bär sich nun abermals wenden will, fährt ihm die Lanze unter der linken Schulter in die Seite. Es gehört aber so viel Geschick zu diesem Stoße, daß selbst ein geübter Jäger oft die Lanze stecken lassen und um sein Leben rennen muß. Selbst dann jedoch mißlingt es einem geschickten und kaltblütigen Manne, wenn ihn die Hunde gut unterstützen, selten, das Tier vollends zu erlegen.
Der auf den höchsten Norden der Erdkugel beschränkte Eisbär ( Ursus marîtimus) ist der weitaus größte und stärkste der Bären; er wird bis zweiundeinhalb Meter lang und erreicht ein Gewicht von sechzehn Zentner. Er ist noch recht zahlreich, und neuere Polarexpeditionen haben ihn in ganzen Rudeln hie und da angetroffen. Die weiße, dem Schnee angeglichene Farbe seines dicken, wollig-zottigen Fells erlaubt ihm ein unauffälliges Beschleichen der Beute, die in allem besteht, was die Polarländer Genießbares bieten. Zwischen den Haaren des Pelzes finden sich große Lufträume, die, da die Luft ein schlechter Wärmeleiter ist und also die Körperwärme nicht ausstrahlen läßt, ebenso wie die dicke Fettschicht unter dein Pelze das Tier gegen die Kälte zur Genüge schützen. Dichte Behaarung stumpft die Sohlen, so daß der Bär bei schnellem Laufen über das Eis nicht ausgleitet. Zahlreiche Drüsen fetten das Haarkleid ein und schützen es gegen das Eindringen des Wassers. Und er ist mehr Wasser- als Landtier. Schon der auf langem, dünnem, sehr beweglichem Halse sitzende, langgestreckte, glattstirnige Kopf eignet durchaus einem Wasserraubtier. Seine breiten, durch Schwimmhäute zwischen den Zehen zu Ruderplatten verbundenen Tatzen erleichtern dem Eisbären das Schwimmen, die Luftschicht im Pelze und die Speckmassen unter der Haut verringern das Gewicht des Körpers im Wasser. Ohne sichtliche Ermüdung schwimmt er viele Stunden lang, oder er treibt auf den »natürlichen Flößen der Polarmeere«, den Eisschollen, wie ein kühner Seefahrer über das Meer. Seehunde verschiedener Art, schildert Pechuel-Loesche, bilden sein bevorzugtes Jagdwild, und er ist schlau und geschickt genug, diese klugen und behenden Tiere zu erlangen. Wenn er eine Robbe von fern auf dem Eise liegend erblickt, senkt er sich still und geräuschlos ins Meer, schwimmt gegen den Wind ihr zu, nähert sich ihr mit der größten Vorsicht und taucht plötzlich von unten nach dem Tiere empor, das fast jedesmal seine Beute wird. Die Robben pflegen in jenen eisigen Gegenden nahe an Löchern und Spalten des Eises zu liegen, die ihnen den Weg ins offne Wasser vermitteln. Diese Öffnungen findet der zunächst unter der Oberfläche des Meeres, sodann unter dem Eise dahinschwimmende Eisbär mit erstaunlichem Spürsinn auf, und plötzlich erscheint der gefürchtete Kopf des entsetzlichen Feindes der unbehilflichen Seehunde sozusagen in deren eigenem Hause oder in dem einzigen Fluchtgange, der sie möglicherweise retten könnte. Bei einer Wanderung über Eisfelder erhebt sich der Bär von Zeit zu Zeit auf die Hinterbeine, um weiter sehen zu können. »In dieser Stellung«, erzählt Kane, »sah ich ihn oft mit den Vordertatzen in der Luft herumfechten, als wollte er sich auf einen bevorstehenden Kampf einüben; aber nur wenn er völlig umstellt ist, oder wenn eine Bärin ihr Junges zu verteidigen hat, ficht der Eisbär auf den Hacken sitzend.« Während der männliche Eisbär ein Rasten nicht kennt, hält die Bärin gleich dem braunen Bären eine Art von Winterschlaf. Sie sucht, wie der schottische Naturforscher Wood berichtet, und wie auch die Eskimos erzählen, gegen Ende des Jahres einen schützenden Felsen, scharrt sich hier eine Art von Grube und läßt sich dann einschneien. In dieser Zelle harrt sie der Stunde ihres Werfens und verweilt mit den Jungen unterhalb der Schneedecke bis zum März, zu welcher Zeit sie den Winterschlupf verläßt. Die Jungen haben dann etwa die Größe mittlerer Kaninchen. Das Atmen der Bärin, verbunden mit der dem Körper entströmenden Wärme bewirkt allmählich eine Erweiterung dieser Schneehütte und schafft nach obenhin eine Art von ganz schmalem Kamin. Durch diese kleine, häufig vereiste Öffnung verrät sich die Bärin dem Jäger.
Alles am Eisbären ist nutzbar. Das Fleisch und der Speck wird von allen Polarvölkern als Leckerbissen geschätzt. Das Fell liefert ihnen Kleidung und Schuhzeug, die Sehnen Fäden zum Nähen, das ausgekochte Fett Öl für die Lampe. Wie gelehrig der gefangene Eisbär bei geschickter Dressur ist, haben uns die prachtvollen Eisbärgruppen Hagenbecks gezeigt.