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Das Kamel

Welche Fülle von Bildern wird in uns nicht lebendig beim Klange des Wortes »Kamel«? Die endlos weite Wüste dehnt sich vor unserm Blick, und der Samum treibt seine Wirbel auf. Tausendundeine Nacht entsendet ihre Gestalten. Der Räuber Orbasan erscheint und Kalif Storch. In wilder Flucht jagt Mohammed gen Medina, und mit Paukendröhnen und flatternder grüner Seide kehrt die Karawane der frommen Pilger aus Mekka heim. 6000 Kosenamen und Bezeichnungen hat der Beduine für das Kamel, das »Schiff der Wüste«, den »Sohn der Geduld«, und nur 700 für das edle Pferd, vermelden die arabischen Grammatiker. Pferd und Kamel – es gibt keine größeren Gegensätze zwischen zwei Wesen, die Natur und Kultur den gleichen Zwecken dienstbar machten. Klagend war das Pferd, erzählt uns Lessings Fabel, vor den Thron des Zeus getreten und hatte höhere und schmächtigere Beine, einen langen Schwanenhals, eine breitere Brust und einen anerschaffenen Sattel begehrt. Der Vater der Götter und Menschen sprach das Wort der Schöpfung. Da quoll Leben in den Staub, und plötzlich stand vor dem Throne das häßliche Kamel. Ja, häßlich ist das Kamel, von einer geradezu abenteuerlichen Häßlichkeit, und selbst der Araber, der nicht müde wird, es in jeder Weise zu idealisieren, erzählt, Gott habe sich, als er das Werk seiner Hände am letzten Schöpfungstage überschaut, über dieses sein eigenes Gebilde höchlich verwundert.

Man kann sagen, schildert Masius wunderbar anschaulich, das Kamel vereinige gleichsam in groteskem Gesamtbilde die Typen der verschiedenen Wiederkäuer. Aus dem großen, plumpen Rumpfe dringt vorn, fast zwischen den Beinen, der mächtige, oben mit wolliger Mähne bedeckte Giraffenhals. Aber er steigt nicht stolz und steil empor wie bei diesem Wüstenrenner, sondern gesenkt und in langer Biegung krümmt er sich heraus, um dann erst mühsam sich aufzurichten, als strecke er sich erwartend dem Joche entgegen. So scheint hier schon der dienende und duldende Charakter des Tieres ausgesprochen. Auf diesem Halse sitzt ein unverhältnismäßig kleiner Kopf von entschiedenem Schaftypus. Die Stirn kurz, die Nasenlinie einfältig langgezogen und gebogen, die bärtige Oberlippe gespalten, die Unterlippe hängend und beim Fressen immer höchst ernsthaft nach dem Takte malmend, das Ohr klein, das Auge in großer Halbkugel gläsern hervorstechend, die ganze Physiognomie gähnend, stupid. Auch die starr geradeaus gekehrte Stellung des Kopfes trägt dazu bei, diesen geistlosen Ausdruck zu verstärken. Der Rumpf schiebt in seiner Masse nach vorn, mehr dem Hirsch- als dem Stierleib ähnelnd. Der breiten, zottigen Brust mit den stämmigeren Vorderfüßen steht das hagere Kreuz mit den hohen Hinterbeinen entgegen, über die ein kärglich bequasteter Kuhschweif hinabfällt. Mitten aus dem Rücken erhebt sich der Höcker, der Turm dieses seltsamen Gebäus; er ist der Sattel des Reiters und der Vorratsspeicher des Tiers, die unschönste und zugleich die nützlichste Mitgift der Natur. Von Brust und Kinn hängt ein Bart herab. Die Fußgelenke und den Bug bezeichnen kahle Schwielen. Eckig ungetüm steht die ganze Gestalt auf den knochigen Beinen, kaum daß ihr der lenkende Beduine bis an die Hüfte reicht. Eine solche Erscheinung ist imposant nur durch die groteske Häßlichkeit. Doch wie anders wird das Bild, wenn sich die monströse Gestalt in Bewegung seht! Die Haltung freilich bleibt unbeholfen. Keine Spur von dem frei ausgreifenden, stolz die Scholle zurückwerfenden Schritt des Pferdes. Schaukelnd schwankt das Tier auf und ab, dem Schiffe ähnlich, aber gleichmäßiger, sicherer und oft auch schneller als der Kiel die Wellen teilt es die Sandwogen, vom Aufgang bis zum Niedergang des Tagsgestirns unermüdlich dahinziehend. Seine breiten, schwieligen Sohlen tragen es, ohne zu versinken, über den rieselnden Sand; sein herannahender Schritt ist kaum zu hören, so leicht bewegt sich der plumpe Fuß. Über Sand, Trümmer und Felsen sieht man plötzlich ein hochgerecktes, weitgestrecktes Tier daherkommen, still und fast feierlich wie eine wandelnde Wolke. Schon in diesem Gange liegt etwas von dem sanften, ernsten Wesen des Kamels. Weiß doch der arabische Sänger die festlichen Tanzbewegungen der Braut nicht würdiger zu vergleichen als mit dem gemessenen Schritt des Kamelweibchens. Und mit der Gestalt hebt und belebt sich zugleich die Physiognomie. Das Auge, das unter den hohen Brauenknochen so dumpf und ausdruckslos hervorstarrte, blickt ruhiggroß umher: es sucht vertrauend den Menschen. Und wenn es nun unter dem Schatten der Wimpern langsam umrollt, und der vielfarbige Stern bald in Schwarz, bald in Weiß zu schimmern scheint, dann leuchtet aus ihm Milde und Langmut, ein seelenvoller Ausdruck. Das kleine, scharfhörende Ohr richtet sich auf, die Nase öffnet gleichsam saugend ihre Spalten, der Hals reckt sich höher: das ganze Tier ist ein anderes.

siehe Bildunterschrift

Dromedare

Die Familie der Kamele, zu der das einhöckrige Dromedar ( Camelus dormedarius), das zweihöckrige Trampeltier ( Camelus bactriânus) und das Lama gehören, bildet innerhalb der paarzehigen Wiederkäuer die Gruppe der sogenannten Schwielensohler oder »Tylopôden«: die beiden, langen und kräftigen Zehen der Füße sind in ein breites, unempfindliches Schwielenpolster eingebettet und tragen vorn unscheinbare Hufe. Zu dieser Eigentümlichkeit gesellt sich als weitere Besonderheit ein Gebiß, das eher an ein Raubtier als an einen Wiederkäuer denken läßt. Dieses Gebiß zeigt nämlich ursprünglich im Ober- und Unterkiefer je sechs Schneidezähne. Während die unteren bestehen bleiben, fallen die vier mittleren des Oberkiefers frühzeitig aus; die übrigbleibenden zwei aber gestalten sich eckzahnartig um, sind kegelförmig und wachsen hauerartig gekrümmt. Die eigentlichen Eckzähne, durch eine Lücke von den Schneidezähnen getrennt, ähneln in Größe und Gestalt den Reißzähnen der Raubtiere und bewegen sich wie Messerschneiden gegen die des Unterkiefers. Auch die Backenzähne sind abweichend gestattet. Dieses Gebiß ist dem Tiere im Kampfe mit seinesgleichen eine furchtbare Waffe; auch soll das gereizte Kamel, wie Graf Pückler u. a. berichten, gelegentlich damit den Menschen töten können. In Marokko richtete man ehedem Kamele so zu Henkersdiensten ab; sie packten den zum Tode Verurteilten mit den Zähnen, schleuderten ihn in die Luft und zerstampften ihn beim Niederfallen mit den Füßen. Die Nahrung des Kamels, das außerordentlich genügsam ist, bilden die Gräser, Kräuter und Sträucher der Wüste. So unempfindlich sind Lippen, Zunge und Gaumen des Tieres, daß ihm die scharfen Gräser und spitzen Dornen nichts anhaben. »Ich habe mir einmal,« erzählt ein Afrikareisender, »einen Dorn durch die Sohle des Fußes, die große Zehe und auch noch durch das Oberleder des Schuhs gestochen: und solche Dornen zermalmt das Tier mit der größten Seelenruhe.« Den Überschuß der Nährstoffe in guten Zeiten spart das Kamel in seinem Höcker für die Tage der Not auf: hier lagert er sich als Fett ab. Beim wohlgenährten Tiere hat der Höcker die Form einer Pyramide und erreicht ein Gewicht bis zu dreißig Pfund; während der Hungermonate und nach anstrengenden Reisen andrerseits schrumpft er sichtbar zusammen und wiegt nur etwa noch fünf Pfund. Beim baktrischen Kamel oder »Trampeltier« – der Name ist vom Volke aus dem unverständlichen griechischen »Dromedar« (d. h. Renner) verstümmelt; ursprünglich verwechselte man im Deutschen sogar das Kamel mit dem Elefanten und hieß es »Olband« – liegt der eine Höcker auf dem Widerriste, der andre vor der Kreuzbeingegend. Merkwürdig ist, wie lange das Kamel das Wasser entbehren kann. Hat es saftiges Grünfutter, das ja eben reichlich Wasser enthält, so braucht es überhaupt nicht zu trinken. Aber auch bei schlechtem Futter vermag es, wie zuverlässige Beobachtungen gezeigt haben, bis zu zwei Wochen auf Wasser zu verzichten. Wittert es nach langer Durstzeit aus Stundenweite den fast unwahrnehmbaren, feuchten Dunst eines Quells, so hebt es plötzlich den Kopf, legt die Ohren an, läßt ein wieherndes Schreien hören und stürzt in wilder Hast, die den Reiter fast aus dem Sattel wirft, zu dem Quell, um sich voll zu trinken, daß der Leib zusehends schwillt. Die hornigen Schwielen an der Brust und den Gelenken sind dem Tier ein wertvoller Schutz beim Lagern gegen die Schärfe und Glut des Wüstensandes. Ein Schutz gegen die Raubtiere der Wüste ist das Gelb oder Braun des Haarkleides, das als »Kamelhaarwolle« sich großer Wertschätzung erfreut. Diese Farbe ändert übrigens wie bei allen Zuchttieren beträchtlich ab: es gibt fast weiße und fast schwarze Kamele.

Gezähmt hat der Mensch das Kamel schon seit Jahrtausenden, als Haustier ist es aber gleichwohl noch nicht so alt, als man gewöhnlich annimmt. Die erste geschichtliche Erwähnung findet sich auf dem berühmten, heut in London bewahrten, schwarzen Obelisk aus dem Zentralpalast in Nimrud. Sie erzählt uns in Bild und Keilschrift, daß nach dem Siege von Karkar (883 v. Chr.) zweihöckrige Kamele aus Westasien als Tribut an den Assyrerkönig Salmanassar II. gelangten. Weder Abraham noch Hiob besaßen Kamele trotz der Bürgschaft der Bibel. Im Pharaonenreiche wurde man erst unter griechischer Herrschaft, also im 4. Jahrhundert vor unsrer Zeitrechnung, mit dem Kamele vertraut. Das Heer des Xerxes begleiteten aber bereits Karawanen von Lastkamelen nach Europa, und Herodot erzählt uns, daß Nacht für Nacht die thessalischen Löwen die Kamele anfielen, »ein Tier, das sie zuvor gar nicht gesehen, noch sein versucht hatten«. Mit dem Siegeszug des Islam jedoch erst beginnt das Kamel, sich die Welt zu erobern. Mit dem Koran breitet es sich über Nordafrika aus, dringt noch einmal in Europa ein, zieht hinab zum Ganges und Indus. Wie die Mohammedaner das einhöckrige Kamel, verbreiteten die Mongolen das zweihöckrige durch ganz Mittelasien bis hinauf nach Sibirien. Es lagert vor den Jurten der Kirgisen, deren höchster Stolz es ist; der Tatar spannt es vor seinen Karren; der Kalmyke zieht, Weib und Kind und Zeltgerüst auf dem geduldigen Rücken des Tiers, durch die Salzsteppen; dem Burjaten am Amur führt es sogar den Schlitten. Der Araber kennt mehr als zwanzig Zuchtrassen des Kamels, und die beiden wichtigsten: Reitkamel und Lastkamel unterscheiden sich voneinander so stark wie etwa das schlanke Vollblutpferd von dem massigen Brauerpferde; in Vergleichung mit dem Lastkamel ist das schnellfüßige Reitkamel mit seinen längeren Beinen, dünnerem Leib, bogenartig gespanntem Rücken, längerem Hals, weiteren Nüstern und größeren Augen ein »wahrhaft edles Tier«. Solch ein »Hedjin«, wie es namentlich die Bischari, Tuareg, Tubu und andre Beduinenstämme der mittleren und südlichen Sahara züchten, vermag an einem Tage 150 und mehr Kilometer zurückzulegen und hält das drei bis vier Tage lang aus. Kuriere haben (nach Burckhardt) den 45 Tagereisen weiten Weg zwischen Kairo und Mekka mehrfach in 18 Tagen zurückgelegt. Zu jenem eigentümlichen Trab im wiegenden Paßgange vom zweiten Jahre an abgerichtet, fliegt es wie ein Pfeil dahin, ausdauernder als das Pferd. »Sein Rücken ist so weich,« sagt der Araber davon, »daß du eine Tasse Kaffee trinken kannst, während du auf ihm reitest.« Das Lastkamel dagegen legt in der Stunde nur drei bis vier Kilometer zurück, trägt aber dabei eine Last von rund drei Zentner. Zum Auf- und Abladen kniet das Kamel nieder. Wer zum ersten Male der Bepackung der Höckertiere beiwohnt, schildert Junker, müßte glauben, daß die Tiere die tollsten Schmerzen und Mißhandlungen erleiden; denn sie brüllen in allen Arten von Verzweiflungs- und Klagetönen. Sobald die Last aber auf dem höchst einfachen, über und auf dem Höcker liegenden Sattel, zu beiden Seiten möglichst gleichmäßig verteilt, aufgeladen ist, und das Kamel sich in drei ruckweisen Absätzen von den Knien auf seine breiten, dicken Sohlen gestellt hat, schweigt es plötzlich gänzlich still und läßt den ganzen Tag keinen Laut mehr vernehmen. Im Augenblick, da es entlastet wird, schon beim Niederhocken zu diesem Zwecke, geht die Jammermusik von neuem an und wiederholt sich jedesmal, wenn an dem Gepäck gerührt wird. Das kann einem die Wüstenreise wahrhaft verleiden. Von einem wohlerzogenen Kamel verlangt der Araber deshalb auch, daß es nicht schreie. Nur mit Kosewort und Scheltruf lenkt der »Huddi« sein Kamel, neben ihm dahinschreitend, und wollen die Treiber das ermattende zu höchster Anstrengung spornen, so heben sie ihre schwermütigen Wechselgesänge an. Und das »tonsinnige« Kamel preßt die Kinnladen zusammen, knirscht mit den Zähnen, dreht den Kopf nach dem Sänger hin und leckt ihm dankbar die Hand. Von dem Musiksinn des Trampeltiers erzählt der alte Pallas eine merkwürdige Geschichte. Wenn das Muttertier sein Junges verstößt, was freilich selten vorkommt, so wenden die Mongolen und Tungusen folgendes Mittel an. Sie binden das Füllen an einen Pflock und die Stute einige Klafter davon an einen andern. Dann setzt sich ein Mann mit seiner »Chur«, einer dreisaitigen Geige, zu dem Jungen und stimmt darauf die kläglichste Melodie an, die nur zu erdenken ist, und die mit dem Klagen des jungen Kamels große Ähnlichkeit hat. Das alte Kamel beginnt die Ohren zu spitzen, blickt unablässig nach dem Füllen und sucht sich endlich loszureißen. Nun braucht man es nur freizulassen, und es säugt das Füllen von neuem und verläßt es nicht mehr. Die Geburt eines Füllens ist dem Beduinen ein festliches Ereignis, das er mit dem Rufe: »Es ist uns ein neues Kind geboren« begrüßt. Das auf der Wanderung geworfene nimmt er liebkosend auf den Arm und läßt es bis zum nächsten Halt auf dem Rücken der Mutter ruhen; dann aber muß es neben jener einherlaufen. Mit dem dritten oder vierten Jahre gewöhnlich beginnt die Abrichtung: das Tier lernt auf gewisse Zeichen und Worte niederknien und aufstehen. Seine volle Größe und Kraft hat das Kamel etwa im zehnten Jahre erreicht. Dreißig Jahre und länger bleibt es als Lastkamel nutzbar, und ein hartes orientalisches Sprichwort sagt: »Je älter das Kamel, desto gewohnter die Bürde«; ohne Murren trägt es die Last, Hunger und Durst mißachtend, und erst wenn es völlig erschöpft ist, bricht es nieder und ist durch nichts mehr zum Erheben zu bewegen. Den Hals lang auf den Boden streckend, erwartet es gefaßt den Tod. Manche Wüstenstraßen sind auf Meilen hin mit den bleichenden Gerippen verendeter Kamele gezeichnet.

Alles an dem Tiere wird verwertet: die Milch, die Wolle – die gegen Ende des Frühjahres mit der Hand ausgerupft oder ausgekämmt wird, und von der das einzelne Tier im Durchschnitt etwa zwei Pfund nur liefert –, das Leder, ja, selbst der Mist, der als Brennmaterial Verwendung findet. An Versuchen, das Kamel auch außerhalb seines Verbreitungsgebietes anzusiedeln, hat es nicht gefehlt. Ferdinand II. von Medici hat 1622 Kamele in Toskana eingeführt: aus einem Kamelgestüt bei Pisa wurden früher die europäischen Menagerien mit Kamelen versehen. In Nordamerika wurden um 1850 Kamele für die Einöden von Texas, Arizona, Neumexiko usw. eingeführt; Alexander v. Humboldt hatte den Gedanken dazu ursprünglich angeregt. Ungünstige Umstände – zumal der Bürgerkrieg mit seinen Folgen – verhinderten die rechte Entwicklung der Zucht. Wir Deutschen haben in Südwestafrika im Jahre 1906 Versuche mit der Einbürgerung des Kamels gemacht: der Weltkrieg hat diesen aussichtsreichen Versuchen leider ein vorzeitiges Ende bereitet.


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