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Das Okapi

Der riesige von gelbbraunen Zwergnegervölkern bewohnte Kongo-Urwald, dessen Ausdehnung Deutschland um ein Vielfaches an Größe übertrifft, ist uns noch heute zu gutem Teil ein unbekanntes Gebiet. Das schier undurchdringliche Gewirr von ragenden Bäumen, zu Boden gestürzten Stämmen, Ranken und Wurzeln, von dichtem, großblättrigem Unterholz, Dornen und Schlinggewächsen, die feuchte, brütende Hitze, die wie ein Dampfbad wirkt und an Urwelttage gemahnt, das Dämmerdunkel, das das Auge schon auf wenige Meter nicht mehr zu durchdringen vermag, der herbe, dumpfige Verwesungsgeruch, der aus der dicken, ewig modernden Humusschicht des Erdreichs aufsteigt, breite, faulige Sümpfe, Wasserläufe, durch die man bis zu den Achseln einsinkend waten muß, das unbewegte grüne Einerlei und die unheimliche Stille, die wie ein Zauberspuk auf das Gemüt wirken, haben dem Eindringen des Europäers einen Riegel vorgeschoben. Wie ein Fabeltier trat so auch um die Wende des Jahrhunderts das seltsame Okapi aus dem Dunkel dieses wüsten Märchenwaldes in das helle Licht der Wissenschaft.

Der Baseler Naturforscher Adam David und der englische Gouverneur von Uganda Sir Harry Johnston waren es, die uns im Jahre 1900 von einem neuentdeckten Tiere Kunde gaben, das im Semlikiwalde am Kongo leben sollte und das die Wambuttizwerge »Oapi« oder »Ok?pi« nennen. Nach den Angaben Johnstons war das Tier den in jenem Gebiete stationierten Offizieren des Kongostaates wohlbekannt, sie hatten in den Hütten der Wambutti mehrfach Okapifelle gesehen. Eine eigene Jagdexpedition Johnstons verlief erfolglos; aber er erhielt durch Vermittlung eines schwedischen Sportsmanns ein vollständiges Fell und sandte es nach Europa. Die Entdeckung erregte außerordentliches Aufsehen, man erkannte, daß man es im Okapi mit einem noch völlig unbekannten, giraffenähnlichen Tiere zu tun habe. Jetzt machte es sich eine Reihe von englischen Expeditionen zur Aufgabe, dem Okapi in den Gründen des Kongo-Urwaldes nachzuspüren. Aber nicht einem einzigen dieser Forscher gelang es, das Tier lebend zu sehen, jedoch tauschten sie von den eingeborenen Jägern Felle, Schädel, ja ganze Skelette des Okapi ein und trugen so nicht unwesentlich dazu bei, unsre Kenntnisse von dem Wundertiere zu vermehren. Nicht besser erging es dem Herzog Adolf Friedrich zu Mecklenburg, der 1908 mit den Wambutti im Ituriwalde das Okapi jagen wollte; auch er bekam es nicht zu Gesicht. Die Wambutti, berichtet er, jagen das Okapi meist zur Regenzeit. Sie suchen sich am Morgen eine frische Fährte der Nacht. Dieser folgen sie dann durch dick und dünn, durch Blätterwerk und Lianengeschlinge. Da das Okapi viel hin und her zieht, so dehnt sich die Jagd oft tagelang aus. Nur dem fast unglaublichen Spürsinn dieser Wilden ist es möglich, an fast unmerklichen, dem Auge des Europäers gänzlich unsichtbaren Zeichen den Weg des seltenen Wildes einhalten zu können. Da das Okapi den Strahl der Sonne ängstlich meidet, so finden es die Jäger im dichtesten Buschwerk versteckt. Fast immer gelingt es ihnen, lautlos bis auf wenige Schritte heranzuschleichen und das ruhende Wild durch die geschleuderten Giftspeere zu erlegen. Das Okapi hält sich tagsüber scheu verborgen und kommt nur nachts zum Trinken an die Flußläufe.

Mehr Glück hatte der Zoologe der zweiten Expedition des Mecklenburger Herzogs, Dr. H. Schubotz: es gelang ihm nämlich, ein frisch getötetes, ausgewachsenes Okapimännchen in Angu am westlichen Rande des Kongo-Urwaldes zu sehen und zu photographieren. Hier, nach Angu, war schon 1908 ein Okapi lebend gebracht worden, ein ganz junges Tier, das nach Erlegung der Mutter mühelos von den Eingeborenen gefangen worden war; an diesem jungen Tiere, das leider nur wenige Tage am Leben blieb, hatte man u. a. festgestellt, daß das Okapi wie die Giraffe ein Paßgänger ist. Ein erfolgreicher Okapijäger, der Dorfhäuptling Etumba mingi, zu deutsch der Streitsüchtige, verschaffte Schubotz den ersehnten Anblick. Mit auf die Jagd nehmen wollte er den Europäer freilich nicht; denn die Weißen, erklärte er, machten im Urwald zu viel Geräusch. Sie könnten wohl Elefanten und Büffel schießen, die dumm sind und sich übertölpeln lassen, aber nicht das scheue und vorsichtige Okapi, das sich stets fern von menschlichen Wohnstätten aufhalte. In der Tat sah Schubotz sehr bald ein, daß sein eigenes Birschen auf das Okapi völlig aussichtslos war. Und auch die eingeborenen Jäger hatten lange Zeit kein Glück. Abend für Abend kamen sie von ergebnislosen Streifen zurück. Die Kautschuksammler hätten die Okapis verscheucht, hieß es, oder die Jäger hätten ein Tier verwundet, aber es sei entflohen. Ihr Pulver sei zu Ende, sie müßten mehr davon haben. Endlich trat eine Wendung ein. Etumba mingi schoß ein Okapi, und es gelang, das Tier zu enthäuten und das Skelett zu zerlegen – eine Aufnahme davon zu machen, war Schubotz unmöglich. Wieder vergingen Tage vergeblichen Hoffens, der Forscher dachte schon an Aufbruch, da kam eines Morgens, noch vor Sonnenaufgang, die alarmierende Botschaft: Etumba mingi hat ein zweites Okapi geschossen. »Ich wußte im Augenblick nicht,« schreibt Schubotz, »wie sich meine noch immer fehlgeschlagene Hoffnung, dieses Tier zu sehen und zu photographieren, erfüllen sollte; denn der Himmel sah bleiern aus, und Regenmassen verschleierten ihn wie an einem Novembertage in Deutschland. Schon die Wege des Dorfes hatten sich in einen knöcheltiefen Morast verwandelt, nun gar erst der sumpfige Urwald. Soldaten und Träger wurden abgeschickt, das Okapi unter allen Umständen zu dem seinem Fundorte nächsten Dorf zu schaffen. Erst am Nachmittag ließ der Regen nach, und so sehr ich mich auch beeilte, die Sonne war im Niedergehen, als ich im Dorfe anlangte. Vom Okapi war nichts zu sehen, noch zu hören, nicht einmal der Lärm, der das Herannahen eines solchen Transportes verrät. In Eile suchte ich in den wenigen Hütten nach einem Führer und fand schließlich einen jungen Burschen, der behauptete, den Wald zu kennen, und dem folgte ich. Aber Sumpf und Gestrüpp hielten uns auf, und bald überzeugte ich mich, daß es zwecklos sei, weiter vorzudringen. Denn die Sonne stand schon so tief, daß Halbdunkel den Wald einhüllte. Inmitten einer verlassenen Bananenpflanzung entschloß ich mich zu warten und schickte nur meine Leute voraus, die das Okapi suchen und die Träger zur äußersten Anstrengung anspornen sollten. Schafften sie es in einer halben Stunde nicht zur Stelle, so war wieder einmal alles vergeblich gewesen. Eine bange Minute nach der andern verstrich. Es wurde halb sechs Uhr, und um sechs Uhr würde, heute wie alle Tage, das Tageslicht verschwunden sein. Endlich erscholl in der Ferne der dumpfe Lärm von schreienden, schimpfenden Negerstimmen. Kein Zweifel, es war der Troß, der das Okapi trug. Kein ähnliches Geräusch würde um diese Stunde die Stille des unermeßlichen Waldes stören. Das Warten wurde mir unerträglich. Endlich, endlich löste sich der Zug aus der grünen Wand vor mir. Ein seltsamer Anblick! An einem jungen Baum mit den Beinen befestigt hing ein Tier, so groß und schwer wie ein mittleres Pferd, vorn und hinten von je fünfzehn taumelnden, keuchenden Schwarzen getragen, die von schimpfenden Soldaten dirigiert wurden. Ich kann nicht leugnen, daß mich noch das Bild des toten Tieres ein wenig erregte: dieser mächtige dunkelbraune Körper, der unverhältnismäßig lange Hals, die schwarzbraunen Eselsohren über dem grauen Gesicht mit der lang heraushängenden Giraffenzunge, die großen dunkeln, im Tode starren Augen und die langen, wunderschönen, schwarz und weiß gestreiften Beine.«

siehe Bildunterschrift

Okapi

Das Okapi ( Ocâpia Johnstôni), von den Eingeborenen auch Kwapi, Alabi, Ndumbe und Kenge genannt, gehört seinem Bau und Wesen nach zu den Giraffen. Das eigenartig schön gefärbte und gezeichnete Tier – der Leib ist lebhaft rotbraun und glänzend, der Kopf rehfarben, die Beine sind zebraartig weißgelb und schwarz gestreift – erreicht etwa die Größe eines mittleren Pferdes. Den Kopf des Männchens zieren zwei schwache, fellbedeckte Stirnzapfen. Der Schwanz trägt eine flache, breite Quaste. Sehr eigenartig wirken im Bilde des langgestreckten Kopfes die sehr beweglichen, großen »Eselsohren«. Das außerordentlich scheue Tier ist ein Bewohner des lichtlosen, dichtesten Urwalds, den es unablässig und meist einzeln, nur zur Brunstzeit auch paarweise oder wenn die Kuh das junge Kalb mit sich führt, nach allen Richtungen hin durchstreift. Aus der Tatsache, daß die Zwergvölker des Kongo-Urwaldes und auch die anwohnenden Negerstämme das Okapi überall kennen, darf man wohl schließen, daß es nicht so selten ist, wie man ursprünglich annahm. Die Eingeborenen fertigen aus dem Fell des Tiers Schmuckgürtel, Körbe und dergleichen.


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