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Der Brüllaffe

»Wenn im Sommer die Strahlen der Morgensonne die Kühle der Nacht und die Nebel der Täler an den Berglehnen vertrieben haben, dann löst die kleine Gesellschaft der Brüllaffen den Klumpen auf, zu dem geballt sie die Nacht auf den Ästen eines stark belaubten Baumes zugebracht hatte. Der Trupp sucht zunächst das Nahrungsbedürfnis zu befriedigen, und ist dies geschehen, so bleibt ihm bis zum Eintritt der drückenden Tageshitze noch immer soviel Zeit übrig, um sich auch dem geselligen Vergnügen widmen zu können, das bei einem so ernsthaften Tiere selbstverständlich frei ist von aller Unziemlichkeit, die viele seiner Gattungsgenossen kennzeichnet. Die Gesellschaft hat sich jetzt eine riesige Wildfeigenart ausgesucht, deren dichtes Blätterdach gegen die Sonnenstrahlen schützt; während die gewaltigen, wagerechten Äste vortrefflich zu Spaziergängen geeignet sind. Einen dieser Äste, in dessen Nähe,« schildert der Zoologe Hensel einmal aus dem Urwald von Rio Grande do Sul (Brasilien), »sich die Mitglieder der Gesellschaft nach Belieben gruppiert haben, wählt sich das Familienoberhaupt und schreitet darauf ernst und würdig mit erhobenem Schwanze hin und her. Bald beginnt es, anfangs etwas leise, abgebrochene Brülltöne auszustoßen, wie der Löwe zu tun pflegt, wenn er sich zu einer Kraftleistung seiner Lunge vorbereitet. Immer heftiger und in immer kürzeren Abständen werden diese Laute ausgestoßen. Man hört förmlich, wie die Erregung des Sängers wächst. Endlich hat sie ihren höchsten Grad erreicht; die Zwischenpausen werden verschwindend klein, und die einzelnen Laute verwandeln sich in ein fortdauernd heulendes Gebrüll. In diesem Augenblick scheint eine unendliche Begeisterung die übrigen, bis dahin stummen Mitglieder der Familie, männliche wie weibliche, zu ergreifen: alle vereinigen sie ihre Stimme mit der des Vorsängers, und wohl zehn Sekunden lang tönt der schauerliche Chorus durch den stillen Wald. Dann schließen ihn wieder einzelne Laute und verhallen.«

Der Brüllaffe ist unter den amerikanischen Affen wohl der bekannteste. Die Affen der Neuen Welt unterscheiden sich in manchen Punkten recht wesentlich von den altweltlichen. Im Gegensatz zu diesen, den Schmalnasen, werden sie im System nach ihrem wichtigsten Merkmale zur Unterordnung der Breitnasen ( Platyrrhîni) zusammengefaßt. Die Nasenscheidewand ist bei ihnen nämlich am Ende keilförmig verdickt und verhältnismäßig breit, so daß sich die Nasenlöcher mehr nach den Seiten öffnen, nach vorn und außen schauen. Es fehlt ihnen ferner der äußere, knöcherne Gehörgang; es fehlen die Backentaschen und Gesäßschwielen. Andrerseits haben die Breitnasen einen Backenzahn in jeder Kieferhälfte mehr als die Schmalnasen und der Mensch, also 36 Zähne, und einen langen einrollbaren, muskelreichen zum Greifen sehr geschickten Schwanz. Die Schnauze der Platyrrhinen springt bei weitem nicht so vor wie bei den niederen Schmalnasen, der Kopf, zumal das Gesicht, erscheint dadurch rundlicher. Keiner der im wesentlichen auf das tropische Südamerika beschränkten Neuweltaffen erreicht die Körperhöhe der größeren Altweltaffen. Sie sind ganz ausgeprägte Klettertiere; nur im äußersten Notfall lassen sie sich auf die Erde herab, selbst zum Trinken verlassen sie die Äste der Bäume, die zum Fluß sich hinabsenkenden Schlingpflanzenausläufer nicht, sondern trinken, den Schwanz um den Ast geschlungen, im Pendeln oder Hangen. Nach der Schwanzbildung werden gewisse Arten der Breitnasen zur Gruppe der Rollaffen ( Cçbidæ) zusammengefaßt. Dieser Schwanz, sagt Brehm, ist geradezu alles in allem für viele der sonst sehr tölpischen Tiere; sie könnten ohne ihn gar nicht leben. Ihre Ungeschicklichkeit macht eine beständige Versicherung des Leibes nötig, und solche gewährt der Wickelschwanz unter allen Umständen. Die Muskelstärke des Schwanzes, die die aller übrigen Gliedmaßen weit übertrifft, und das feine Gefühl im Schwanzende ermöglicht den Rollaffen den umfassendsten Gebrauch des merkwürdigen Geschenks der Natur für ihr stilles Leben und ersetzt vielfach die ihnen fehlende geistige wie leibliche Behendigkeit ihrer altweltlichen Vettern. Nicht ganz ohne Berechtigung hat deshalb der geistvolle Gustav Jäger von diesem Universalinstrument des amerikanischen Affen als von einem »Zopf« im Sinne eines Hindernisses für die geistige Entwicklung dieser Affen gesprochen. Der Schwanz ist an der Unterseite nackt und dient zugleich, dank seinem Nervenreichtum, als wichtiges Tastorgan. Zumal dem sogenannten Klammeraffen ( Ateles), der wegen seiner langen, spindeldürren Gliedmaßen wohl auch » Spinnenaffe« genannt wird, ist der körperlange Schwanz geradezu eine »fünfte, einfingerige Hand«. Bevor der Affe beim Klettern seinen Platz wechselt, verankert er sich sozusagen erst irgendwo mit dem Schwanze und läßt den ihm derart sichren Halt gewährenden Ast nicht eher wieder los, als bis er an dem neuen Orte mit allen vieren »festen Fuß« gefaßt hat. Mit der dünnen Schwanzspitze holt er Insekten aus Baumritzen und Spalten hervor, zieht er entfernte Gegenstände zu sich heran und dergleichen mehr.

Auch der Brüllaffe ( Mycçtes nîger) macht von seinem halbmeterlangen Schwanze einen ähnlichen Gebrauch. Er ist ein etwa halbmeterhohes Tier von gedrungenem Körperbau, mit einem hohen, merkwürdig pyramidenförmig nach unten zugespitzten, von starkem, breitem Bart umgebenen Kopf. Der langhaarige Pelz ist schwarz; das Weibchen ist auf der Unterseite lichter gefärbt. Bei einer andern Art hat das Männchen einen rötlichen Pelz, während das Weibchen dunkelbraun ist. Sehr eigenartig ist der Stimmapparat des Tieres gebildet. Das Zungenbein, jener Mundhöhlenknochen, an dem die Zunge befestigt ist, ist nämlich in seinem mittleren Teile (dem sogenannten »Körper« des Zungenbeins) zu einer hohlen Schalldose gleichsam aufgetrieben, in die hinein sich vom Kehlkopf aus eine Schallblase erstreckt, ein Apparat, der der Schallverstärkung dient und dem Affen äußerlich wie ein Kropf läßt. Mit Hilfe dieses Stimmapparates vollführen nun die Brüllaffen ihre für den südamerikanischen Urwald so charakteristischen Heulkonzerte, die namentlich morgens und abends weithin erschallen, aber ebenso auch des öfteren den ganzen Tag über geübt werden. Was die Tiere zu solchem Heulen veranlaßt, ist schwer zu sagen. Jedenfalls verscheuchen sie, im Chore brüllend, damit bewußt den ihnen nachstellenden Jaguar und Puma. In kleineren Scharen die Wälder durchstreifend, nähren sie sich hauptsächlich von Blättern und Früchten. Sie sind sehr träge, gleichgültige Tiere. Schon Alexander v. Humboldt, der ihr Wesen eingehend studierte und als erster ihr Stimmorgan zergliederte und genauer beschrieb, betont: wahrhaft erstaunlich ist die Einförmigkeit in den Bewegungen dieses Affen. Sooft die Zweige benachbarter Bäume nicht zusammenreichen, hängt sich das Männchen an der Spitze des Trupps mit dem zum Fassen bestimmten, schwieligen Teil des Schwanzes auf, läßt den Körper frei schweben und schwingt ihn hin und her, bis es den nächsten Ast packen kann. Der ganze Zug macht an derselben Stelle genau dieselbe Bewegung. Ruhig dasitzende Brüllaffen sehen ernst und melancholisch würdevoll aus und verändern diesen Ausdruck auch beim Brüllen nicht. Da die Indianer das Fleisch des Brüllaffen wegen seines widerlichen Geruchs meist verschmähen, jagen sie ihn kaum. Die Karajá machen sich freilich aus den Knochen des Brüllaffen Pfeilspitzen und Zierpflöcke, die sie in die durchbohrte Unterlippe stecken. Nur in den Gegenden daher, wo die Weißen ihn mit Hunden jagen, ist der Affe scheu und vorsichtig geworden. Zu Tode getroffene Brüllaffen hängen sich oft mit der Spitze ihres Rollschwanzes noch so fest an irgendeinen Ast, daß selbst der Tod diese Schleife nicht löst und erst ein starker Wind nach Tagen die durch zwei übereinander laufende Windungen gebildete Befestigung zu lockern vermag.

siehe Bildunterschrift

Roter Brüllaffe

Als langweilige und lärmende Tiere werden die Brüllaffen nur selten in Gefangenschaft gehalten. Von ihren geistigen Fähigkeiten hat man aber bis vor kurzem doch wohl nicht die rechte Vorstellung gehabt, indem man sie für außerordentlich dumm erklärte. In einem sehr angesehenen, medizinischen Fachblatte Frankreichs berichtete jüngst ein Forscher, daß einem verwundeten Brüllaffen die Kameraden alsbald zu Hilfe eilen. »Die einen führen ihren Finger in die Wunde ein, als wollten sie deren Tiefe feststellen, die andern suchen eiligst Baumblätter, die sie in die Wunde stopfen, um das Blut zu stillen. Noch andre machen sich auf und suchen heilende Kräuter, die sie auf die Wunde legen, um so eine schnelle Heilung herbeizuführen.« Im Zoologischen Garten zu Lissabon, schreibt Matschie, klopfte ein alter Rollschwanzaffe mit einem in beiden Händen festgehaltenen großen Stein ihm dargereichte mit Saft gefüllte Zuckernüsse so vorsichtig auf, daß er keinen Tropfen der köstlichen Flüssigkeit verlor. Er neckte mit einem durch die Maschen des Käfiggitters gesteckten Strohhalm die mit ihm spielenden Buben, indem er wartete, bis sie den Halm fest gefaßt hatten; dann warf er ihnen, plötzlich loslassend, mit beiden Händen Sand ins Gesicht.


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